Tribunal federal
{T 0/2}
1P.673/2002 /bmt
Urteil vom 20. Februar 2003
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Catenazzi,
Gerichtsschreiber Pfisterer.
Parteien
A.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Pius Fryberg, Vazerolgasse 2, Postfach 731, 7002 Chur,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur,
Kantonsgericht von Graubünden, Beschwerdekammer, Poststrasse 14, 7002 Chur.
Gegenstand
Strafverfahren; Entschädigung gem. Art. 161
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 161 Abklärung der persönlichen Verhältnisse im Vorverfahren - Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person über ihre persönlichen Verhältnisse nur dann, wenn mit einer Anklage oder einem Strafbefehl zu rechnen oder es aus anderen Gründen notwendig ist. |
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden, Beschwerdekammer, vom 21. August 2002.
Sachverhalt:
A.
Gegen G.________ wurde am 6. November 2000 eine Strafanzeige eingereicht wegen Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen gemäss Art. 87 Abs. 3
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 87 Vergehen - Wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise für sich oder einen anderen eine Leistung auf Grund dieses Gesetzes erwirkt, die ihm nicht zukommt, |
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden stellte die Strafuntersuchung gegen A.________ am 22. Mai 2002, mitgeteilt am 27. Mai 2002, wieder ein.
B.
A.________ machte beim Untersuchungsrichteramt Chur am 26. Juni 2002 eine durch den Staat auszurichtende Entschädigung für anwaltliche Bemühungen geltend (Art. 161 Abs. 1 des Gesetzes über die Strafrechtspflege des Kantons Graubünden vom 8. Juni 1958; StPO).
Der Untersuchungsrichter Chur lehnte dieses Entschädigungsbegehren am 2. Juli 2002 ab. Er führte aus, der Beizug eines Verteidigers sei aufgrund der Schwierigkeiten des Falles nicht gerechtfertigt gewesen und die Übernahme der Verteidigerkosten durch den Staat daher nicht begründet.
C.
A.________ reichte gegen diese Verfügung am 17. Juli 2002 Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden, Beschwerdekammer, ein. Er beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Weiter sollte ihm die anwaltliche Entschädigung ausgerichtet werden. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Festsetzung der Entschädigung an das Untersuchungsrichteramt Chur zurückzuweisen.
Die Beschwerdekammer wies das Entschädigungsbegehren am 21. August 2002 ab. A.________ habe die Untersuchung durch leichtfertiges Verhalten verursacht. Die Entschädigung sei dementsprechend zu verweigern.
D.
A.________ führt mit Eingabe vom 27. Dezember 2002 staatsrechtliche Beschwerde und beantragt die Aufhebung des Entscheides der Beschwerdekammer des Kantonsgerichts von Graubünden.
Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft von Graubünden schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid, der ihm die geforderte Entschädigung verweigerte, in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen (Art. 88
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 87 Vergehen - Wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise für sich oder einen anderen eine Leistung auf Grund dieses Gesetzes erwirkt, die ihm nicht zukommt, |
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
|
1 | Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
2 | Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör. |
3 | Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. |
2.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör der an einem Verfahren beteiligten Partei bestimmt sich zunächst nach Massgabe des kantonalen Rechts. Unabhängig davon greifen die unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
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1 | Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
2 | Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör. |
3 | Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
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1 | Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
2 | Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör. |
3 | Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. |
Der Beschwerdeführer macht keine Verletzung kantonaler Rechte geltend. Demnach ist einzig zu prüfen, ob Art. 29 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
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1 | Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
2 | Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör. |
3 | Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. |
2.2 Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zum Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
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1 | Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
2 | Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör. |
3 | Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. |
2.3 Das Untersuchungsrichteramt Chur wies das Entschädigungsbegehren ab, weil nach seiner Meinung die anwaltliche Verteidigung nicht notwendig gewesen sei. Der Vertreter des Beschwerdeführers habe den Ausgang des Verfahrens nicht beeinflusst.
In der Vernehmlassung vor der Beschwerdekammer führte die Staatsanwaltschaft Graubünden aus, das Verhalten des Beschwerdeführers sei leichtfertig gewesen, da er zumindest den Eindruck einer strafbaren Handlung erweckt und damit die Untersuchung veranlasst habe. Weiter sei eine Verteidigung gar nicht notwendig gewesen. Der Beschwerdeführer habe zudem keinen zu entschädigenden Nachteil erlitten. Diese Vernehmlassung wurde dem Beschwerdeführer nicht zur Stellungnahme und auch nicht zur Kenntnis zugestellt.
Die Beschwerdekammer wies die Beschwerde vom 17. Juli 2002 ab mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe die Untersuchung durch leichtfertiges Verhalten verursacht. Demgemäss sei nach Art. 161 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 161 Abklärung der persönlichen Verhältnisse im Vorverfahren - Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person über ihre persönlichen Verhältnisse nur dann, wenn mit einer Anklage oder einem Strafbefehl zu rechnen oder es aus anderen Gründen notwendig ist. |
2.4 Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass er nicht ohne weiteres damit rechnen musste, dass die Beschwerdekammer ihren Entscheid auf einen bisher im Verfahren nicht behandelten Rechtsgrund stützen werde.
Dem Beschwerdeführer wurde erstmals in der Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft vom 30. Juli 2002 leichtfertiges Verhalten vorgeworfen. Diese Vernehmlassung wurde ihm nicht zur Stellungnahme oder zumindest zur Kenntnis zugestellt. Wäre sie ihm zugestellt worden, hätte er sich gegen das darin Vorgebrachte wehren können. Die unterlassene Anhörung hatte insofern Auswirkungen auf seine Verteidigungsrechte. Es verstiess gegen den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs, dass ihm die Beschwerdekammer keine Gelegenheit gab, zu den neuen Vorbringen der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen und dass sie ihren Entscheid trotzdem darauf abstützte.
3.
Angesichts der formellen Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist die Beschwerde gutzuheissen und der Entscheid der Beschwerdekammer des Kantonsgerichts von Graubünden aufzuheben (vgl. BGE 126 I 19 E. 2d/bb; 125 I 113 E. 3; 122 II 464 E. 4a; 121 I 230, je mit Hinweisen). Daher erübrigt sich ein Eingehen auf die übrigen Rügen des Beschwerdeführers.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 161 Abklärung der persönlichen Verhältnisse im Vorverfahren - Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person über ihre persönlichen Verhältnisse nur dann, wenn mit einer Anklage oder einem Strafbefehl zu rechnen oder es aus anderen Gründen notwendig ist. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 161 Abklärung der persönlichen Verhältnisse im Vorverfahren - Die Staatsanwaltschaft befragt die beschuldigte Person über ihre persönlichen Verhältnisse nur dann, wenn mit einer Anklage oder einem Strafbefehl zu rechnen oder es aus anderen Gründen notwendig ist. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden, Beschwerdekammer, vom 21. August 2002 wird aufgehoben.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Graubünden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 800.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht von Graubünden, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. Februar 2003
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: