Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_473/2010

Urteil vom 19. Juli 2010
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch Fürsprecher
Dr. Urs Oswald,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Widerhandlung gegen Verkehrsvorschriften,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 26. März 2010.

Sachverhalt:

A.
Das Gerichtspräsidium Zurzach sprach X.________ am 14. Dezember 2009 (in Bestätigung eines Strafbefehls vom 20. Oktober 2009) der groben Verletzung der Verkehrsregeln wegen Überschreitens der signalisierten Höchstgeschwindigkeit ausserorts um 56 km/h und Nichttragens der Sicherheitsgurten schuldig. Es verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 110.00 bei einer Probezeit von 4 Jahren und zu einer Busse von Fr. 3'060.00 (Ersatzfreiheitsstrafe 27 Tage). In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Berufung setzte das Obergericht des Kantons Aargau am 26. März 2010 die Busse auf Fr. 2'500.00 (Ersatzfreiheitsstrafe 23 Tage) herab. Im Übrigen bestätigte es das Urteil des Gerichtspräsidiums Zurzach.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen auf Aufhebung des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau, Freisprechung vom Vorwurf des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und Verurteilung wegen Nichttragens der Sicherheitsgurten zu einer Busse von Fr. 40.00. Eventuell sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

C.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz führt im angefochtenen Entscheid aus, stationäre Geschwindigkeitsmessungen durch die Polizei seien grundsätzlich zulässige Beweismittel für den Nachweis von Geschwindigkeitsübertretungen. Das bei den Akten liegende Messprotokoll sei gemäss den Weisungen des Bundesamts für Strassen (ASTRA) über polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen und Rotlichtüberwachung im Strassenverkehr vom 22. Mai 2008 allerdings unvollständig. Es fehle einerseits am Namen oder an der deutlich lesbaren Unterschrift der verantwortlichen Kontrollperson, andererseits liege keine Bestätigung der Kontrolle der vorgeschriebenen Gerätetests vor (vgl. Ziff. 5 der Weisungen). Ein (alleiniges) Abstützen auf die umstrittene Messung sei demnach nicht zulässig. Deren Fehlerhaftigkeit schliesse nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung allerdings nicht aus, dass sich das Gericht aufgrund anderer Beweise von der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit im Umfang von 56 km/h überzeugen lassen könne. Vorliegend sei insoweit auf die Aussagen und Zugeständnisse des Beschwerdeführers zurückzugreifen. Dieser habe stets eingestanden, Lenker des mittels Messgeräts registrierten Fahrzeugs gewesen zu sein. Anlässlich seiner ersten polizeilichen Einvernahme habe er
den ihm vorgehaltenen Tatbestand (Geschwindigkeitsüberschreitung von 56 km/h) anerkannt und zur Begründung der Überschreitung konkret ausgeführt, dass er sich wegen einer Motorenstörung auf einer Testfahrt befunden habe und bewusst abends gefahren sei, weil wenig Verkehr geherrscht und folglich keine Gefahr bestanden habe. Im Weiteren habe er im Verfahren vor der ersten Instanz ebenfalls anerkannt, zu schnell gefahren zu sein, allerdings nicht "so viel zu schnell". Vor diesem Hintergrund, insbesondere aber der Tatbestandsanerkennung durch den Beschwerdeführer anlässlich der polizeilichen Einvernahme, könne deshalb von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 56 km/h ausgegangen werden.

2.
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BV). Es gehe nicht an, den Protokollvermerk der Tatbestandsanerkennung im Sinne eines Eingeständnisses betreffend die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 56 km/h auszulegen, zumal er erst rund zwei Monate nach der behaupteten Verkehrsregelwiderhandlung polizeilich einvernommen worden sei, sich kein Autofahrer nach einer derart langen Zeitspanne daran erinnern könne, mit welcher Geschwindigkeit er gefahren sei, und er die Gültigkeit der Messung nach Einsicht in die Akten im kantonalen Untersuchungs- und Gerichtsverfahren unverzüglich bestritten habe. Im Übrigen verletze die Vorinstanz auch "eidgenössisches Recht", indem sie von einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ausgehe, obwohl die durchgeführte Messung den massgeblichen Weisungen des ASTRA nicht entspreche.

3.
Die Vorbringen in der Beschwerde sind unbegründet. Der angefochtene Entscheid ist weder bundesrechtswidrig noch willkürlich.

3.1 Dass das Messprotokoll unvollständig und die durchgeführte Geschwindigkeitsmessung damit nicht weisungskonform ist, ist erstellt. Dieser Umstand schliesst indessen nicht aus, dass sich die Vorinstanz aufgrund anderer Beweise von der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit überzeugen liess. Die (technischen) Weisungen des ASTRA über die Geschwindigkeitskontrollen vom 22. Mai 2008, die entgegen einem Einwand in der Beschwerde keinen Gesetzescharakter haben und nicht als Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
und Art. 105
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG zu betrachten sind (vgl. BGE 123 II 106 E. 2e; 121 IV 64 E. 3; 102 IV 271; s.a. das Urteil des Bundesgerichts 6B_129/2010 vom 10. Juni 2010 E. 2.2), lassen die freie Beweiswürdigung durch die Gerichte unberührt (Ziff. 21 der Weisungen; s.a. Urteile des Bundesgerichts 6B_988/2008 vom 14. April 2009 E. 1.2 sowie 6B_744/2007 vom 10. April. 2008 E. 2.4.2). Die Vorinstanz war bei der Beurteilung der Geschwindigkeitsübertretung mithin frei und hat sich bei der Entscheidfindung ohne weiteres auf die massgeblichen Umstände des vorliegenden Falls stützen dürfen, so insbesondere auch auf die eigenen Aussagen des Beschwerdeführers (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1P.606/2000 vom 5. Dezember 2000 E. 2 und 5). Der
angefochtene Entscheid lässt sich insoweit nicht beanstanden.

3.2 Nichts anderes gilt in Bezug auf die vorinstanzliche Würdigung der Aussagen und Zugeständnisse des Beschwerdeführers. Wie sich aus dem polizeilichen Einvernahmeprotokoll vom 10. September 2009 ergibt, bestätigte der Beschwerdeführer, Lenker des mittels Messgeräts am 13. Juli 2009 registrierten Autos gewesen zu sein. Die Frage, ob er den Tatbestand der Geschwindigkeitsüberschreitung um 56 km/h anerkenne, beantwortete er vorbehaltlos mit "ja", wobei er erläuternd ausführte eine Testfahrt wegen einer Motorenstörung gemacht zu haben und deshalb bewusst abends gefahren zu sein, weil wenig Verkehr geherrscht und keine Gefahr bestanden habe (kantonale Akten, Verfahrensakten, act. 02 und 03). Gestützt darauf durfte die Vorinstanz auf die Anerkennung des Tatbestands durch den Beschwerdeführer schliessen. Seine nachträglichen, nach der Akteneinsicht erfolgten Bestreitungen der Gültigkeit der Messung ändern daran entgegen der Beschwerde nichts, zumal die Vorinstanz diese implizit als nicht glaubhaft beurteilen und ohne Willkür auf die tatnäheren Angaben des Beschwerdeführers abstellen durfte. Ebenso wenig fällt in Bezug auf die Auslegung als Tatbestandsanerkennung unter Willkürgesichtspunkten ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer erst
am 10. September 2009 befragt wurde bzw. ihm die massive Geschwindigkeitsübertretung erst rund zwei Monate nach dem registrierten Ereignis eröffnet wurde, geht doch aus dem fraglichen Einvernahmeprotokoll der Polizei unmissverständlich hervor, dass der Beschwerdeführer sich im Zeitpunkt der Befragung detailliert an die ihm vorgehaltene Geschwindigkeitsübertretung vom 13. Juli 2009 erinnern und auf die ihm gemachten Vorhalte kohärente und präzise Antworten geben konnte.

4.
Die Beschwerde ist damit abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Juli 2010

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Favre Arquint Hill
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 6B_473/2010
Datum : 19. Juli 2010
Publiziert : 29. Juli 2010
Quelle : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Straftaten
Gegenstand : Widerhandlung gegen Verkehrsvorschriften


Gesetzesregister
BGG: 66 
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
95 
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
105
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BV: 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BGE Register
102-IV-271 • 121-IV-64 • 123-II-106
Weitere Urteile ab 2000
1P.606/2000 • 6B_129/2010 • 6B_473/2010 • 6B_744/2007 • 6B_988/2008
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorinstanz • bundesgericht • aargau • weisung • messung • busse • geschwindigkeitskontrolle • tag • weiler • strafgericht • monat • sachverhalt • bundesamt für strassen • entscheid • anhörung oder verhör • begründung des entscheids • gerichtskosten • beschwerde in strafsachen • bescheinigung • lausanne
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