Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1B 147/2010
Urteil vom 16. Juli 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Raselli,
Gerichtsschreiber Störi.
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer,
gegen
Josef Hayoz, Kantonsgerichtspräsident,
Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof,
Rathausplatz 2A, Postfach 56, 1702 Freiburg,
Francine Defferrard, Kantonsgerichtsrichter,
Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof,
Rathausplatz 2A, Postfach 56, 1702 Freiburg,
André Riedo, Kantonsgerichtsrichter, Kantonsgericht
Freiburg, Strafappellationshof, Rathausplatz 2A,
Postfach 56, 1702 Freiburg,
Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Zaehringenstrasse 1, 1700 Freiburg,
Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof, Rathausplatz 2A, Postfach 56, 1702 Freiburg.
Gegenstand
Strafverfahren; Ausstandsbegehren,
Beschwerde gegen das Urteil vom 4. März 2010 des Kantonsgerichts Freiburg.
Sachverhalt:
A.
Am 31. Januar 2008 verurteilte das Bezirksstrafgericht Sense X.________ hauptsächlich wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten und einer Busse von 1'500 Franken.
Am 19. März 2009 wies der Strafappellationshof des Kantons Freiburg in der Besetzung Josef Hayoz (Präsident), André Riedo und Francine Defferrard (Richter) sowie Claudio Buchs (Gerichtsschreiber) die Berufung von X.________ gegen seine Verurteilung ab, soweit er darauf eintrat.
Am 28. September 2009 hiess die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts die Beschwerde von X.________ mit Urteil 6B 498/2009 teilweise gut, hob das Urteil des Strafappellationshofs vom 19. März 2009 auf und wies die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung und neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
B.
Am 2. Dezember 2009 stellte X.________ beim Strafappellationshof ein Ausstandsbegehren gegen Josef Hayoz, André Riedo und Francine Defferrard. Der erstere habe in der Angelegenheit "R. Richle, Brief Papaux vom 9. April 2009" eine ihm von Gesetzes wegen zukommende Entscheidung nicht getroffen und damit gezeigt und bewiesen, dass er nicht unabhängig sei. In Bezug auf die letzteren beiden habe er vor Bundesgericht behauptet, dass sie keinen Einblick in die viele Bundesordner zählenden Strafakten genommen und damit die Prozessmaterie grundsätzlich nicht gekannt hätten. Das Bundesgericht sei auf diese Rüge nicht eingetreten, weshalb der Vorwurf weitergelte. Ein Richter ohne Dossierkenntnis sei befangen, da er gezwungenermassen auf die Erkenntnisse des Hauptrichters abstellen müsse. André Riedo und Francine Defferrard würden den Vorwurf der fehlenden Dossierkenntnis gar nicht bestreiten, und er habe vom Büropersonal in Givisiez indirekt die Auskunft bekommen, dass die beiden nie beim Aktenstudium gesehen worden seien. Er selber habe mittels angebrachter Markierungen festgestellt, dass die Akten gar nie geöffnet worden seien.
C.
Das Freiburger Kantonsgericht wies das Ausstandsgesuch am 4. März 2010 ab, soweit es darauf eintrat.
Mit "rechtsstaatlicher Beschwerde wegen Willkür" beantragt X.________, dieses kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.
Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassung. Der Präsident des Strafappellationshofs, Hayoz, teilt mit, die Richter Hayoz, Riedo und Defferrard würden auf persönliche Vernehmlassungen verzichten. Für den Strafappellationshof beantragt er, die Beschwerde abzuweisen, sofern diese überhaupt zulässig sein sollte. Er legt einen von ihm verfassten, an die Richter Riedo und Deferrard gerichteten Brief vom 21. Januar 2009 ins Recht, aus dem hervorgeht, dass ihnen fast zwei Monate vor der Hauptverhandlung mehrere Akten für deren Vorbereitung zugestellt worden sind. Francine Defferrard erklärt, auf eine persönliche Stellungnahme zu verzichten.
E.
Auf Aufforderung des Präsidenten der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts reicht X.________ die Personalien der Person ein, die bezeugen soll, dass er seine Beschwerde am 3. Mai 2010 der Post in Franex übergeben hat (Y.________).
Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab, er ermöglicht vielmehr dessen Weiterführung. Es handelt sich um einen selbstständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 92 - 1 Gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren ist die Beschwerde zulässig. |
|
1 | Gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren ist die Beschwerde zulässig. |
2 | Diese Entscheide können später nicht mehr angefochten werden. |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 81 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer: |
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1 | Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer: |
a | vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; und |
b | ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere: |
b1 | die beschuldigte Person, |
b2 | ihr gesetzlicher Vertreter oder ihre gesetzliche Vertreterin, |
b3 | die Staatsanwaltschaft, ausser bei Entscheiden über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft, |
b4 | ... |
b5 | die Privatklägerschaft, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann, |
b6 | die Person, die den Strafantrag stellt, soweit es um das Strafantragsrecht als solches geht, |
b7 | die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung in Verwaltungsstrafsachen nach dem Bundesgesetz vom 22. März 197455 über das Verwaltungsstrafrecht. |
2 | Eine Bundesbehörde ist zur Beschwerde berechtigt, wenn das Bundesrecht vorsieht, dass ihr der Entscheid mitzuteilen ist.56 |
3 | Gegen Entscheide nach Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe b steht das Beschwerderecht auch der Bundeskanzlei, den Departementen des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, den ihnen unterstellten Dienststellen zu, wenn der angefochtene Entscheid die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann. |
Nach Art. 109 Abs. 2 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 109 Dreierbesetzung - 1 Die Abteilungen entscheiden in Dreierbesetzung über Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder kein besonders bedeutender Fall vorliegt, wenn die Beschwerde nur unter einer dieser Bedingungen zulässig ist (Art. 74 und 83-85). Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b findet keine Anwendung. |
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1 | Die Abteilungen entscheiden in Dreierbesetzung über Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder kein besonders bedeutender Fall vorliegt, wenn die Beschwerde nur unter einer dieser Bedingungen zulässig ist (Art. 74 und 83-85). Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b findet keine Anwendung. |
2 | Sie entscheiden ebenfalls in Dreierbesetzung bei Einstimmigkeit über: |
a | Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden; |
b | Gutheissung offensichtlich begründeter Beschwerden, insbesondere wenn der angefochtene Akt von der Rechtsprechung des Bundesgerichts abweicht und kein Anlass besteht, diese zu überprüfen. |
3 | Der Entscheid wird summarisch begründet. Es kann ganz oder teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden. |
2.
2.1 Der Beschwerdeführer hat bereits in seiner am 2. Juni 2009 bei der Strafrechtlichen Abteilung eingegangenen Beschwerde gegen das Urteil des Strafappellationshofs vom 19. März 2009 geltend gemacht, die beiden Ersatzrichter Riedo und Defferrard seien wegen "lakunärer" Dossierkenntnisse keine verfassungsmässigen, unbefangenen Richter gewesen. Die Strafrechtliche Abteilung trat im Urteil 6B 498/2009 vom 28. September 2009 auf die Rüge wegen ungenügender Begründung nicht ein (E. 2 S. 3).
Dem vom Beschwerdeführer nach Entgegennahme des Urteils 6B 498/2009 erneut gestellten, wiederum in gleicher Weise mit angeblich fehlender Aktenkenntnis bei der Fällung des Urteils vom 19. März 2009 begründeten Ausstandsbegehren gegen die Ersatzrichter Riedo und Defferrard steht damit ohne Weiteres die Rechtskraft des bundesgerichtlichen Urteils 6B 498/2009 entgegen. Sein Vorgehen, am 2. Dezember 2009 erneut ein gleich begründetes Ablehnungsgesuch zu stellen und den Ausschluss der beiden Ersatzrichter sowohl für ihre Mitwirkung am Urteil vom 19. März 2009 als auch für die Fortführung des Strafverfahrens nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid zu verlangen, ist offensichtlich unzulässig und grenzt - der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt - an Trölerei. Er macht zwar nunmehr geltend, mit den Stellungnahmen der beiden Ersatzrichter - sie datieren vom 16. Dezember 2009 und vom 11. Januar 2010 - verfüge er jetzt neu über Beweise dafür, dass diese ohne Kenntnis der Dossierakten am Urteil vom 19. März 2009 mitgewirkt hätten. Damit behauptet er indessen, über erhebliche neue Beweismittel zu verfügen. Das wäre ein Revisionsgrund im Sinn von Art. 223 Abs. 1 lit. a der Strafprozessordnung des Kantons Freiburg vom 14. November 1996
und müsste im entsprechenden Verfahren vorgebracht werden. Eine allfällige Revision des Urteils des Strafappellationshofs vom 19. März 2009 kann nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein. Im Übrigen ist die Behauptung ohnehin haltlos, keine der beiden ersatzrichterlichen Stellungnahmen enthält ein Eingeständnis, am Urteil vom 19. März 2009 ohne ausreichende Aktenkenntnis mitgewirkt zu haben.
Da Ausstandsbegehren nach Treu und Glauben ohne Verzug nach Kenntnisnahme der Ausstandsgründe zu stellen sind (BGE 134 I 20 E. 4.3.1; 132 II 485 E. 4.3; 124 I 121 E. 2) und der Beschwerdeführer die angeblich mangelhafte Aktenkenntnis der Ersatzrichter Riedo und Defferrard an der Hauptverhandlung des Strafappellationshofs erkannt haben will, die zum Urteil vom 19. März 2009 führte, erweist sich das Ausstandsbegehren vom 2. Dezember 2009 zudem als verspätet und unter diesem Gesichtspunkt als rechtsmissbräuchlich.
2.2 Das Ablehnungsbegehren vom 2. Dezember 2009 gegen Präsident Hayoz wird mit einem Brief des Kantonsgerichtspräsidenten Alexandre Papaux vom 9. April 2009 an Roman Richle begründet, der dem Beschwerdeführer gemäss Verteiler zur Kenntnis zugestellt wurde. Es ist damit, gut 7 Monate nachdem er von diesem Brief Kenntnis erhielt, längst verspätet und damit rechtsmissbräuchlich.
3.
Die Beschwerde erweist sich somit als offensichtlich unbegründet und ist im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 109 Dreierbesetzung - 1 Die Abteilungen entscheiden in Dreierbesetzung über Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder kein besonders bedeutender Fall vorliegt, wenn die Beschwerde nur unter einer dieser Bedingungen zulässig ist (Art. 74 und 83-85). Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b findet keine Anwendung. |
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1 | Die Abteilungen entscheiden in Dreierbesetzung über Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder kein besonders bedeutender Fall vorliegt, wenn die Beschwerde nur unter einer dieser Bedingungen zulässig ist (Art. 74 und 83-85). Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b findet keine Anwendung. |
2 | Sie entscheiden ebenfalls in Dreierbesetzung bei Einstimmigkeit über: |
a | Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden; |
b | Gutheissung offensichtlich begründeter Beschwerden, insbesondere wenn der angefochtene Akt von der Rechtsprechung des Bundesgerichts abweicht und kein Anlass besteht, diese zu überprüfen. |
3 | Der Entscheid wird summarisch begründet. Es kann ganz oder teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden. |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
|
1 | Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
2 | Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden. |
3 | Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht. |
4 | Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist. |
5 | Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, Josef Hayoz, Francine Defferrard und André Riedo sowie der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht Freiburg schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. Juli 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Féraud Störi