Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung VI

F-2879/2020

Urteil vom 16. März 2021

Richterin Susanne Genner (Vorsitz),

Richter Andreas Trommer,

Richterin Regula Schenker Senn,
Besetzung
Richterin Jenny De Coulon Scuntaro,

Richter Gregor Chatton,

Gerichtsschreiberin Maria Wende.

A._______,

vertreten durch Thomas Biedermann, Rechtsanwalt,

Parteien Habegger Biedermann Rechtsanwälte,

(...),

Beschwerdeführerin,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Einreiseverbot; Verfügung des SEM vom 5. Mai 2020

Sachverhalt:

A.
Der aus dem Kosovo stammende Ehemann der Beschwerdeführerin (geb. [...]) lebte seit 1985 mit einer Saisonnierbewilligung und seit 1992 mit einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Nachdem seine Aufenthaltsbewilligung nicht mehr verlängert und sein Asylgesuch abgelehnt worden war, wurden er und seine Familie am 13. September 2001 vorläufig aufgenommen.

Das Ehepaar hat drei Kinder: B._______ (geb. [...]), C._______ (geb. [...]) und D._______ (geb. [...]).

B.
Am 11. Dezember 2003 verurteilte das Kreisgericht E._______ den Ehemann der Beschwerdeführerin wegen vorsätzlicher Tötung, versuchter vorsätzlicher Tötung, Angriffs und mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz, begangen zwischen Oktober 2001 und Februar 2002, zu sieben Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Landesverweisung. Das Obergericht des Kantons F._______ bestätigte dieses Urteil am 11. November 2004, soweit es noch nicht in Rechtskraft erwachsen war. Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil 6P.76/2005 vom 15. November 2005 ab, soweit es darauf eintrat.

C.
Während des laufenden Strafverfahrens (s. Bst. B) hob das damalige Bundesamt für Migration (BFM, heute SEM) die vorläufige Aufnahme des Ehemanns der Beschwerdeführerin am 9. September 2003 auf. Eine dagegen gerichtete Beschwerde schrieb die damalige Asylrekurskommission am 8. Dezember 2004 als gegenstandslos ab.

D.
Am 21. April 2008 wurden die Beschwerdeführerin und ihre Kinder in der Schweiz eingebürgert.

E.
Gestützt auf das Urteil des Obergerichts des Kantons F._______ (Bst. B) erliess das BFM am 7. Oktober 2008 gegen den Ehemann der Beschwerdeführerin ein Einreiseverbot von unbestimmter Dauer mit Gültigkeit ab dem 12. Oktober 2008.

F.
Nachdem auf sein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht eingetreten und ein weiteres um Erteilung der vorläufigen Aufnahme abgewiesen worden war, reichte der Ehemann der Beschwerdeführerin am 9. Oktober 2008 beim BFM erneut ein Asylgesuch ein, welches am 27. Oktober 2008 abgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil E-6970/2008 vom 23. Dezember 2008 ab, soweit es darauf eintrat.

G.
Am 12. Oktober 2008 wurde der Ehemann der Beschwerdeführerin bedingt aus dem Strafvollzug entlassen und gleichentags in Ausschaffungshaft versetzt. Am 29. Januar 2009 wurde er in die Republik Kosovo ausgeschafft.

H.
Am 3. und 4. Februar 2009 reichte der Ehemann der Beschwerdeführerin beim Schweizerischen Verbindungsbüro in Pristina verschiedene Dokumente ein, welche vom BFM als Asylgesuch entgegengenommen wurden. Mit Verfügung vom 18. März 2009 verweigerte das BFM ihm die Einreise in die Schweiz und lehnte sein Asylgesuch ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde schrieb das Bundesverwaltungsgericht am 29. Mai 2009 ab, nachdem der Ehemann der Beschwerdeführerin am 26. Mai 2009 in die Schweiz eingereist war und am selben Tag erneut um Asyl ersucht hatte. Das BFM trat auf dieses (vierte) Asylgesuch am 9. Juli 2009 nicht ein. Am 11. November 2009 wurde der Ehemann der Beschwerdeführerin in Ausschaffungshaft gesetzt und am 2. August 2010 in die Republik Kosovo zurückgeführt.

I.
Im September 2010 zog der Ehemann der Beschwerdeführerin nach Frankreich.

J.
Am 14. April 2011 ersuchte die Beschwerdeführerin beim zuständigen Migrationsamt um Familiennachzug zu Gunsten ihres Ehemannes. Das Migrationsamt wies das Gesuch am 15. September 2011 ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies die Polizei- und Militärdirektion des Kantons F._______ (...) mit Entscheid vom 30. November 2012 ab.

K.
Am 1. Oktober 2018 beantragte die Beschwerdeführerin beim zuständigen Migrationsamt erneut den Familiennachzug zu Gunsten ihres Ehemannes. Dieses wies das Gesuch am 13. Mai 2019 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons G._______ mit Urteil vom 6. Februar 2020 ab.

L.
Mit Eingaben vom 16. März 2020 und vom 23. April 2020 ersuchte die Beschwerdeführerin das SEM um Aufhebung des unbefristeten Einreiseverbotes gegen ihren Ehemann.

M.
Am 5. Mai 2020 hiess die Vorinstanz das Gesuch teilweise gut und befristete das Einreiseverbot bis zum 12. Oktober 2023.

N.
Mit Rechtsmitteleingabe vom 3. Juni 2020 gelangte die Beschwerdeführerin an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und ihr Gesuch um Aufhebung des Einreiseverbotes gegenüber ihrem Ehemann zu bewilligen. Ferner ersuchte sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege unter Beiordnung des rubrizierten Rechtsvertreters als amtlichen Rechtsbeistand.

O.
Mit Zwischenverfügung vom 12. Juni 2020 hiess das Bundesverwaltungsgericht das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gut und ordnete der Beschwerdeführerin den rubrizierten Rechtsvertreter als unentgeltlichen Rechtsbeistand bei.

P.
In ihrer Vernehmlassung vom 8. Juli 2020 beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde.

Von ihrem Replikrecht machte die Beschwerdeführerin keinen Gebrauch.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Verfügungen des SEM, die ein Einreiseverbot nach Art. 67 AIG (SR 142.20) zum Gegenstand haben, unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Art. 112 Abs. 1 AIG i.V.m. Art. 31 ff . VGG).

1.2 Das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

1.3 Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist damit formell beschwert. Zu prüfen ist nachfolgend die materielle Beschwer.

Eine Drittbeschwerde pro Adressat - wie vorliegend - setzt ein eigenständiges und unmittelbares Rechtschutzinteresse des Dritten voraus. Die beschwerdeführende Partei muss durch den angefochtenen bzw. den zu erlassenden Entscheid stärker als eine beliebige Drittperson betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehen. Neben der spezifischen Beziehungsnähe zur Streitsache muss die beschwerdeführende Partei einen praktischen Nutzen aus einer allfälligen Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids ziehen, d.h. ihre Situation muss durch den Ausgang des Verfahrens in relevanter Weise beeinflusst werden können. Das schutzwürdige Interesse besteht im Umstand, einen materiellen oder ideellen Nachteil zu vermeiden, den der angefochtene Entscheid mit sich bringen würde. Ein bloss mittelbares oder ausschliesslich allgemeines öffentliches Interesse begründet - ohne die erforderliche Beziehungsnähe zur Streitsache selber - keine Parteistellung (BGE 142 II 451 E. 3.4.1; 139 II 279 E. 2.2;135 II 172 E. 2.1;135 II 145 E. 6.1; 134 V 153 E. 5.3; 130 V 560 E. 3.5).

Das gegen ihren Ehemann verhängte Einreiseverbot wirkt sich direkt - über den Entzug seiner Aufenthaltsbewilligung hinaus - auf das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin aus, indem es dieses einschränkt. Durch die Fernhaltung ihres Ehemannes entsteht der Beschwerdeführerin somit ein unmittelbarer Nachteil. Folglich ist sie als Ehefrau des materiellen Verfügungsadressaten durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Änderung oder Aufhebung (vgl. Urteile des BVGer D-1599/2015 vom 2. Mai 2016 E. 1.3.2; C-4656/2012 vom 24. September 2015 E. 1.3; C-878/2012 vom 6. Juli 2012). Sie ist somit zur Erhebung der Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen (Rechtsmittelfrist [Art. 50 Abs. 1 VwVG] und Form der Beschwerde [Art. 52 VwVG]) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

1.4 In der vorliegenden Angelegenheit entscheidet das Bundesverwaltungsgericht endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 1 BGG).

2.

Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet im Beschwerdeverfahren das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG nicht an die Begründung der Begehren gebunden, weshalb es die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen kann. Schliesslich kann es die Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (Motivsubstitution; BGE 142 V 118 E. 1.2; 140 II 353 E. 1).

3.

3.1 Das Wiedererwägungsgesuch ist ein formloser Rechtsbehelf, mit welchem eine betroffene Person die erstinstanzliche Verwaltungsbehörde darum ersucht, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen und diese abzuändern oder aufzuheben (Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Auflage 2020, Rz. 1272 ff). Im Verwaltungsverfahren des Bundes ist die Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen nicht ausdrücklich geregelt. Sie tritt in zwei Erscheinungsformen auf: Als Korrektur ursprünglich fehlerhafter Verfügungen (prozessuale Revision) und als Korrektur nachträglich fehlerhafter Verfügungen (Wiedererwägung aufgrund geänderter Verhältnisse oder - nur bei Dauersachverhalten - aufgrund geänderter Rechtslage). Die prozessuale Revision wird direkt aus Art. 66 VwVG abgeleitet, welcher die Möglichkeit der Revision von Beschwerdeentscheiden vorsieht. Ein entsprechendes Verfahren ist an die Hand zu nehmen, wenn der Gesuchsteller erhebliche Tatsachen und Beweismittel anführt, die ihm im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine Veranlassung bestand (Art. 66 Abs. 3 VwVG per analogiam; vgl. BGE 136 II 177 E. 2.1 zweite Variante). Vorliegend interessiert nicht die prozessuale Revision, sondern die Wiedererwägung infolge nachträglicher Änderung der Verhältnisse oder der Rechtslage. Die Rechtsprechung leitet dieses Institut direkt aus Art. 29 Abs. 1 BV ab (vgl. BGE 138 I 61 E. 4.3; Urteil des BGer 2C_487/2012 vom 2. April 2013 E. 3.3). Die Verwaltungsbehörde ist verpflichtet, auf ein entsprechendes Gesuch einzutreten, wenn sich die Verhältnisse oder bei Dauersachverhalten die Rechtslage seit dem ersten Entscheid in einer Weise geändert haben, dass ein anderes Ergebnis ernstlich in Betracht fällt (BGE 136 II 177 E. 2.2.1).

3.2 Die verfügende Behörde kann ausnahmsweise aus humanitären oder anderen wichtigen Gründen von der Verhängung eines Einreiseverbots absehen oder ein Einreiseverbot endgültig oder vorübergehend aufheben (Art. 67 Abs. 5 erster Satz AIG). Zumindest in der Rechtsfolgevariante «endgültig aufheben» kann eine Spielart der Wiedererwägung infolge wesentlich veränderter Verhältnisse erblickt werden, wobei die Voraussetzungen nicht deckungsgleich sind wie jene der Wiedererwägung nachträglich unrichtig gewordener Verfügungen: Die Aufhebung erfolgt «ausnahmsweise» und nur aus «humanitären oder anderen wichtigen Gründen». Gleichwohl können diese Gründe auf Tatsachen beruhen, welche nachträglich eingetreten sind und eine Überprüfung der Massnahme nahelegen (vgl. Urteil 2C_487/2012 E. 4.2; Urteil des BVGer F-6341/2018 vom 27. März 2019 E. 3.1).

3.3 Vorliegend steht fest, dass sich die Rechtslage seit dem Erlass der Verfügung vom 7. Oktober 2008 geändert hat: Einreiseverbote wurden gemäss alter Praxis auf unbestimmte Dauer erlassen, wenn zum Zeitpunkt der Verfügung keine zuverlässige Prognose abgegeben werden konnte, wie lange ein relevantes Risiko für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anzunehmen war. In BVGE 2014/20 hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, vom SEM verhängte Einreiseverbote seien zwingend auf eine bestimmte Zeitdauer zu befristen (vgl. E. 6.5-6.9 ebenda). Dieser neuen Rechtsprechung hat die Vorinstanz insofern Rechnung getragen, als sie das Gesuch der Beschwerdeführerin vom 16. März 2020 teilweise guthiess und die per 12. Oktober 2008 verhängte Fernhaltemassnahme bis zum 12. Oktober 2023 befristete. Den Entscheid, das Einreiseverbot auf 15 Jahre zu befristen - anstatt es wie beantragt per sofort aufzuheben -, begründet sie mit dem Hinweis, die strafrechtliche Verurteilung des Ehemanns der Beschwerdeführerin wiege schwer und rechtfertige weiterhin die Aufrechterhaltung des auf lange Dauer ausgelegten Einreiseverbots.

3.4 Es scheint, dass die Vorinstanz das Gesuch um sofortige Aufhebung des Einreiseverbots unter dem Blickwinkel nachträglich wesentlich veränderter Umstände im Sinn eines «klassischen» Wiedererwägungsgesuchs geprüft hat. Es stellt sich indessen die Frage, ob es zulässig ist, das Einreiseverbot über die Befristung hinaus (geänderte Rechtslage) einer Überprüfung aus heutiger Perspektive ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 67 Abs. 5 AIG zu unterziehen.

4.

4.1 Eine Änderung der Praxis lässt sich regelmässig nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht; andernfalls ist die bisherige Praxis beizubehalten. Eine Praxisänderung muss sich deshalb auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Interesse der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erachtete Rechtsanwendung gehandhabt worden ist (BGE 145 III 365 E. 3.3; 144 III 209 E. 2.3;143 IV 9 E. 2.4;137 III 352 E. 4.6;136 V 313 E. 5.3.1;136 III 6 E. 3).

4.2 Die frühere Praxis zu unbefristeten Einreiseverboten sah deren periodische Überprüfung vor. Gemäss BVGE 2008/24 hatte ein auf unbefristete Zeit angeordnetes Einreiseverbot nicht zur Folge, dass es für den Rest des Lebens der ausländischen Person gelten sollte. Vielmehr ist damit ausgedrückt worden, dass zum Zeitpunkt der Verhängung des Einreiseverbotes keine zuverlässige Prognose abgegeben werden konnte, wie lange ein relevantes Risiko für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anzunehmen war. Verhielt sich eine auf unbestimmte Dauer mit einem Einreiseverbot belegte Person während längerer Zeit klaglos, wurde dies als Argument für den nachträglichen Wegfall des öffentlichen Sicherheitsbedürfnisses und damit für eine nachträglich wesentlich veränderte Sachlage betrachtet (BVGE 2008/24 E. 4.3; vgl. auch BVGE 2013/4 E. 7.3). Das Gericht hielt im selben Entscheid in einem obiter dictum fest, dass auch befristete Einreiseverbote von der verfügenden Behörde wieder aufzuheben sind, wenn jene nicht mehr durch ein hinlängliches öffentliches Sicherheitsinteresse gedeckt sind (BVGE 2008/24 E. 6.2). In der Folge wurde in der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der Zeitablauf in Verbindung mit klaglosem Verhalten zum Teil auch bei befristeten Einreiseverboten, welche wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Art. 67 Abs. 2 Bst. a zweite Variante AIG) verhängt worden waren, als möglicher Wiedererwägungsgrund betrachtet (vgl. Urteile F-6955/2015 vom 25. Juli 2016 E. 6.2; F-395/2016 vom 18. Januar 2018 E. 6.3 und 7.4; F-6341/2018 vom 27. März 2019 E. 5.1 und 5.6). Auch in der Lehre wird dieser Standpunkt zum Teil vertreten. Dabei wird zum einen auf die ehemals geltende Praxis zu unbefristeten Einreiseverboten, zum anderen auf den periodischen Überprüfungsanspruch bei Gesuchen um Erteilung der Aufenthaltsbewilligung verwiesen (vgl. Marc Spescha, in: Migrationsrecht Kommentar, 5. Aufl. 2019, Art. 67 N.13; Adank-Schärer/Antoniazza-Hafner, Interdiction d'entrée prononcée à l'encontre d'un étranger délinquant, AJP 7/2018 S. 893; zum Überprüfungsanspruch bzgl. Aufenthaltsbewilligungen vgl. Urteile des BGer 2C_99/2019 vom 28. Mai 2019 E. 6.4 oder 2C_887/2018 vom 4. Dezember 2018 E. 2.2.3; vgl. ferner Urteil 2C_1224/2013 vom 12. Dezember 2014 E. 5.1.1).

4.3 Nachfolgend ist zu prüfen, ob klagloses Verhalten während mehrerer Jahre im Rahmen eines befristeten Einreiseverbots als Wiedererwägungsgrund gelten kann. Vorab ist festzuhalten, dass die entsprechenden Ausführungen einzig für Einreiseverbote gegenüber Personen gelten, welche sich nicht auf das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) berufen können. Diese Unterscheidung ist sachlich gerechtfertigt, da Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen Ausnahmen vom Grundprinzip der Personenfreizügigkeit gemäss FZA darstellen. Die Freiheit des Personenverkehrs (vgl. Art. 21 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV, ABl. C 115 vom 5.9.2008 S. 47]) gehört zusammen mit der Freiheit des Warenverkehrs, der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs sowie der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs zu den Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts. Aufgrund des hohen Rangs des Freizügigkeitsprinzips in der Europäischen Union muss Freizügigkeitsberechtigten nach Ablauf einer angemessenen Frist Anspruch auf eine Neubeurteilung der (auf bestimmte oder unbestimmte Zeit) angeordneten Fernhaltemassnahme nach Massgabe der aktuellen Sachlage zugestanden werden. Dabei ist aufgrund der gegenwärtigen Umstände neu und umfassend zu prüfen, ob (weiterhin) eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliegt (Urteil des BGer 2C_487/2012 vom 2. April 2013 E. 4.4.1 ff. mit Verweis auf die Urteile des EuGH vom 17. Juni 1997 C-65/95 und C-111/95 Shingara und Radiom, Slg. 1997 I-3343 Rn. 38 ff. sowie vom 18. Mai 1982 C-115/81 und 116/81 Adoui und Cornuaille, Slg. 1982 S. 1665 Rn. 12). Ein weiterer Grund für die unterschiedliche Behandlung von Drittstaatsangehörigen (sofern sie sich nicht auf das FZA berufen können) liegt darin, dass Fernhaltemassnahmen (ebenso wie Entfernungsmassnahmen) gemäss FZA nicht auf generalpräventiven Überlegungen beruhen dürfen, sondern in erster Linie spezialpräventiv motiviert sein müssen (vgl. statt vieler Urteile des BGer 2C_685/2014 vom 13. Februar 2015 E. 6.1.2; 2C_1141/2012 vom 1. Mai 2013 E. 5.1).

4.4 Der Grundsatz, wonach Einreiseverbote nicht auf unbefristete Zeit gelten können und nach Ablauf einer angemessenen Frist in Wiedererwägung zu ziehen sind (vgl. BVGE 2013/4 E. 7.3; Urteil des BGer 2C_487/2012 E. 4.5.1), gilt naturgemäss für unbefristete Einreiseverbote. Diese wurden gemäss der ehemals geltenden Praxis ausgesprochen, wenn zum Zeitpunkt der Verfügung keine zuverlässige Prognose abgegeben werden konnte, wie lange ein relevantes Risiko für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anzunehmen war (vgl. BVGE 2008/24 E. 4.3). Entsprechend bestand ein Anspruch auf periodische Überprüfung, ob ein öffentliches Interesse an der Fernhaltung fortbesteht. Im Gegensatz dazu liegt bei einem befristeten Einreiseverbot kein zeitlich unlimitierter Sachverhalt vor, der an eine im Laufe der Zeit veränderte Sachlage anzupassen wäre. Bei befristeten Einreiseverboten muss bereits im Zeitpunkt der Verfügung eine Risikoprognose vorgenommen und das öffentliche Sicherheitsinteresse definiert werden. Diese Beurteilung muss aufgrund des bisherigen Verhaltens des Betroffenen erfolgen (vgl. etwa Urteil des BVGer F-6284/2017 vom 20. Dezember 2018 E. 4.2), unter Annahme eines zukünftig straffreien Verhaltens. Letzteres, weil sich das öffentliche Interesse an der Verhängung eines Einreiseverbots aus dem bisherigen und nicht dem zukünftigen Verhalten des Betroffenen ableitet beziehungsweise nicht daraus ableiten kann. Die verfügende Behörde muss zwar - als Grundvoraussetzung für die Verhängung des Einreiseverbots - vom Bestehen eines Risikos für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, jedoch nicht von dessen Realisierung. Der Betroffene hat während der Dauer des Einreiseverbots unter Beweis zu stellen, dass er sich an die Rechtsordnung zu halten vermag. Tut er dies nicht und realisiert sich das prognostizierte Risiko, steht es der Verwaltungsbehörde frei, ein an das Bisherige anschliessendes Einreiseverbot zu verhängen und eine neue Risikobeurteilung vorzunehmen. Realisiert es sich nicht, wird das Einreiseverbot nicht verlängert und läuft mit der ursprünglich angesetzten Frist aus. Entsprechend kann klagloses Verhalten während der Dauer einer befristeten Fernhaltemassnahme nicht Anlass zu einer Neubeurteilung des öffentlichen Interesses bilden. Korrektes Verhalten wird vielmehr vorausgesetzt (vgl. Urteil 2C_487/2012 E. 5.2). Bei gegenteiliger Annahme könnte im Übrigen bei erneuter Delinquenz kein weiteres Einreiseverbot ausgesprochen werden. Denn wenn man von vorneherein damit rechnet, dass die betroffene Person während der Massnahme straffällig wird, fehlt die Rechtfertigung dafür, ein Anschlusseinreiseverbot auszusprechen. Aus dem Gesagten folgt, dass eine mehrjährige Deliktsfreiheit während der Gültigkeit
eines befristeten Einreiseverbots keinen Wiedererwägungsgrund darstellen kann. Entsprechend besteht bei befristeten Einreiseverboten kein Anspruch auf periodische Überprüfung aufgrund mehrjährigen klaglosen Verhaltens.

4.5 Auch aus der Praxis, wonach in Bezug auf die Erteilung einer (neuen) Aufenthaltsbewilligung nach einer gewissen Bewährungsdauer eine Neubeurteilung vorzunehmen ist (Urteile des BGer 2C_99/2019 vom 28. Mai 2019 E. 6.4.2; 2C_887/2018 vom 4. Dezember 2018 E. 2.2.3), lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Zum einen steht das Vorliegen eines Einreiseverbotes der Geltendmachung und allfälligen Anerkennung eines Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht entgegen (vgl. Urteile des BGer 2C_487/2012 E. 4.6 oder 2C_36/2009 vom 20. Oktober 2009 E. 3.4). Das Einreiseverbot muss denn auch aufgehoben werden, wenn eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird (Urteile des BGer 2C_1224/2013 vom 12. Dezember 2014 E. 5.1.1 und 2C_487/2012 E. 4.6). Zum anderen verbietet der fundamentale Unterschied zwischen Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen eine analoge Behandlung in Bezug auf die Überprüfung der Sach- und Rechtslage, nachdem die entsprechende Verfügung rechtskräftig geworden ist: Die Abweisung eines Gesuchs um Erteilung eines Aufenthaltsrechts stellt keine Sicherungsmassnahme dar, während der Hauptzweck des Einreiseverbots gerade darin liegt. Dementsprechend unterliegt die Aufhebung dieser Sicherungsmassnahme, welche auf einer langfristigen Prognose beruht, höheren Anforderungen als die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltsrechts (nunmehr) erfüllt sind.

4.6 Schliesslich schreibt auch die Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, Abl. L 348/98 vom 24.12.2008 (Rückführungsrichtlinie) keine periodische Überprüfung von Einreiseverboten aufgrund langjähriger Straffreiheit vor (vgl. deren Art. 11). Art. 11 Abs. 3 Rückführungsrichtlinie sieht lediglich die Prüfung oder Aussetzung von Einreiseverboten vor, deren Verhängung im Ermessen der zuständigen Behörde stand (Art. 11 Abs. 1 Unterabsatz 2 Rückführungsrichtlinie), vorausgesetzt der Drittstaatsangehörige kann nachweisen, den betreffenden Mitgliedsstaat unter uneingeschränkter Einhaltung einer Rückkehrentscheidung verlassen zu haben. Diese Bestimmung wurde erlassen, um Anreize für die freiwillige Ausreise zu schaffen (s. Empfehlung [EU] 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames "Rückkehr-Handbuch", das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist, Abl. L 339/83 vom 19.12.2017, S. 127). Damit wird lediglich der Grundsatz statuiert, wonach Einreiseverbote einer Wiedererwägung zugänglich sind (sofern die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind). Daraus lässt sich jedoch kein Anspruch auf Überprüfung aufgrund langjähriger Straffreiheit ableiten.

4.7 Zusammenfassend kann an der bisherigen Praxis, mehrjährige Straffreiheit während der Dauer eines befristeten Einreiseverbotes zum Anlass einer Wiedererwägung zu nehmen, nicht festgehalten werden. Ob echte (d.h. nicht durch Zeitablauf entstandene [vgl. BGE 139 II 534 E. 5.4.1]) neue Tatsachen - sofern sie den Rahmen von Art. 67 Abs. 5 AIG überhaupt sprengen, was etwa bei einer wesentlichen Änderung der familiären Verhältnisse nicht der Fall sein dürfte - zu einer vorzeitigen Aufhebung des Einreiseverbots führen können, kann hier offen bleiben.

4.8 Aus dem Zwischenfazit, wonach das klaglose Verhalten keinen Wiedererwägungsgrund darstellt, folgt, dass bei der Befristung eines ursprünglich unbefristeten Einreiseverbots dessen Dauer (d.h. die Verhältnismässigkeit der Massnahme) nicht aus heutiger Perspektive, sondern aus der Perspektive zum Zeitpunkt, als das unbefristete Einreiseverbot verfügt worden ist, festzulegen ist. Demnach geht es nicht darum, retrospektiv den Ersatz des ursprünglich unbefristeten Einreiseverbots durch ein befristetes zu prüfen und zu diesem Zweck den Sachverhalt nochmals aufzurollen. Vielmehr ist bei der Befristung bzw. Festsetzung der Dauer von den Wertungen auszugehen, auf denen das unbefristete Einreiseverbot gründete (vgl. auch E. 5.1 in fine). Zu prüfen ist somit lediglich, ob im Zeitpunkt der Verhängung des Einreiseverbots die (im heutigen Zeitpunkt der Befristung festzulegende) Dauer der Massnahme rechtmässig gewesen wäre, sofern damals schon die Pflicht zur Befristung bestanden hätte. Die gegenteilige Ansicht hätte im Übrigen zur Konsequenz, dass im Rahmen der Befristung ein allfälliges Wohlverhalten seit der Verhängung der Fernhaltemassnahme in der Interessenabwägung zu Gunsten der betroffenen Person berücksichtigt werden könnte. Dadurch wären diejenigen Betroffenen, gegen welche von Anfang an ein befristetes Einreiseverbot ausgesprochen worden ist, schlechter gestellt, da in ihrem Fall eine erneute Überprüfung und damit auch die Berücksichtigung eines allfälligen Wohlverhaltens nicht in Frage kommt. Diese rechtsungleiche Behandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt, weshalb sie nicht hingenommen werden kann. BVGE 2014/20, in dessen E. 8 eine Interessenabwägung aus der Sicht zum Zeitpunkt des Urteils vorgenommen worden ist, ist daher im erwähnten Sinn zu präzisieren.

4.9 Die Konstellation, in der ein unbefristetes Einreiseverbot in ein befristetes umzuwandeln ist, wird nur noch in einer begrenzten Anzahl von Fällen auftreten. Hingegen hat der Grundsatz, wonach klagloses Verhalten ausserhalb des Geltungsbereichs des FZA keinen Wiedererwägungsgrund darstellt, weitreichende Auswirkungen auf zukünftig neu auszusprechende Einreiseverbote. Im Wissen darum, dass eine (vorzeitige) Aufhebung in erster Linie nur unter den Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 5 AIG zulässig ist (vgl. E. 4.7), hat die verfügende Behörde umso sorgfältiger zu prüfen, ob die Dauer der Massnahme verhältnismässig ist. Es sei daran erinnert, dass eine Fernhaltemassnahme keinen pönalisierenden Zweck verfolgen darf, sondern (in der hier interessierenden Variante gemäss Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG) ausschliesslich der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dient (vgl. Botschaft vom 8. März 2002 zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, BBl 2002 3709, hier 3813). Die Praxis betreffend die Dauer von Einreiseverboten ist in diesem Sinn zu durchleuchten, wobei der Begründungspflicht der verfügenden Behörde besonderes Gewicht zukommt (vgl. Urteil des BGer 2C_1020/2019 vom 31. März 2020 E. 3.4.6 und 3.4.7).

5.

5.1 Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, es lägen humanitäre oder andere wichtige Gründe vor, welche eine sofortige Aufhebung des Einreiseverbots gestützt auf Art. 67 Abs. 5 AIG gebieten würden. Sie weist vielmehr darauf hin, von ihrem Ehemann gehe keine Gefahr mehr aus, da er sich in den letzten Jahren nichts habe zuschulden kommen lassen. Das klaglose Verhalten ihres Ehemannes stellt indessen - wie dargelegt - keinen Wiedererwägungsgrund dar. Entsprechend ist nachfolgend einzig zu prüfen, ob ein Einreiseverbot von 15 Jahren - aus der Perspektive zum Zeitpunkt, als die Vorinstanz das unbefristete Einreiseverbot verhängt hatte - verhältnismässig erscheint. Nicht mehr zu untersuchen ist, ob eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 3 AIG vorliegt (vgl. E. 4.8). Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Vorinstanz ein unbefristetes Einreiseverbot verhängt hatte (vgl. BVGE 2008/24 E. 4.3).

5.2 Der Bestand und die Dauer des Einreiseverbots sind in jedem Fall unter dem Blickwinkel der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 96 Abs. 1 AIG) zu überprüfen. Eine Prognose, für welchen Zeitraum die Sicherungsmassnahme notwendig sein wird, ist naturgemäss nicht möglich. Abstufungen betreffend die Dauer ergeben sich aus der wertenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltung und den privaten Interessen, welche die betroffene Person an der zeitlichen Beschränkung der Massnahme hat (BVGE 2016/33 E. 9.2; 2014/20 E. 8.1). Ausgangspunkt der Überlegungen bilden die Stellung der verletzten oder gefährdeten Rechtsgüter, die Besonderheiten des ordnungswidrigen Verhaltens und die persönlichen Verhältnisse der betroffenen ausländischen Person (Art. 96 Abs. 1 AIG; ferner statt vieler Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 555 ff.).

6.

6.1 Die Vorinstanz verweist in der angefochtenen Verfügung - gleich wie in der Verfügung vom 7. Oktober 2008 (vgl. Bst. E) - auf die Verurteilung des Ehemannes der Beschwerdeführerin wegen vorsätzlicher Tötung durch das Obergericht des Kantons F._______ am 11. November 2004.

6.2 Das Obergericht des Kantons F._______ bestätigte am 11. November 2004 das Urteil des Kreisgerichts E._______ vom 11. Dezember 2003, mit welchem der Ehemann der Beschwerdeführerin wegen vorsätzlicher Tötung, versuchter vorsätzlicher Tötung, Angriffs und mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz, begangen zwischen Oktober 2001 und Februar 2002, zu sieben Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Landesverweisung verurteilt worden war, soweit es noch nicht in Rechtskraft erwachsen war. Die Tat ereignete sich am 22. Februar 2002 im Rahmen einer Familienfehde. Fünf bewaffnete Männer erschienen vor dem Haus der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes. Dieser wurde von seinem sechsjährigen Sohn über die Ankunft der Männer informiert, nahm seine Waffe und gab einen Warnschuss vor seiner Haustüre ab. Daraufhin griff einer der fünf Männer in seiner Jackentasche nach seiner Schusswaffe, woraufhin der Ehemann der Beschwerdeführerin auf diesen schoss (vgl. Urteil des BGer 6P.76/2005 vom 15. November 2005). Der Getroffene erlitt einen Thoraxdurchschuss mit bleibender Bewegungseinschränkung, wobei es gemäss Ausführungen des Obergerichts des Kantons F._______ dem Zufall zu verdanken gewesen ist, dass er nicht ebenfalls zu Tode gekommen ist. Ein weiterer Mann lief mit einem Baselballschläger auf den Ehemann der Beschwerdeführerin zu, woraufhin dieser auch auf ihn schoss und ihn tödlich verletzte. Das Verschulden bewertete das Obergericht als schwer, stellte aber gleichzeitig eine leicht verminderte Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt fest.

6.3 Der Straftatbestand der vorsätzlichen Tötung schützt das menschliche Leben und damit das höchste Rechtsgut überhaupt. Gemäss Feststellungen des Obergerichts des Kantons F._______ hat der Ehemann der Beschwerdeführerin skrupellos und aus Rache und Vergeltung heraus gehandelt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der in Frage stehenden Straftat nicht um seine erste Gesetzesverletzung handelte, war er doch bereits vor 2001 straffällig geworden: Im November 1990 war er zu 20 Tagen Gefängnis wegen einfacher Körperverletzung mit einem Messer und im Mai 1994 zu bedingten Haftstrafen von 10 und 12 Tagen wegen Führens eines Personenwagens trotz aberkanntem Recht zum Gebrauch eines ausländischen Führerausweises verurteilt worden. Diese Taten liegen jedoch weit zurück, weshalb ihnen keine grosse Bedeutung zukommt (vgl. Urteil des BGer 2C_477/2008 vom 24.02.2009 E. 3.2.1 f.).

6.4 Das Gesagte führt zum Schluss, dass aus ausländerrechtlicher Sicht im Oktober 2008 ein erhebliches öffentliches Interesse an einer langfristigen Fernhaltung des Ehemannes der Beschwerdeführerin bestanden hatte.

6.5 Den öffentlichen Interessen sind die privaten Interessen des Ehemannes der Beschwerdeführerin gegenüberzustellen. Diese führt mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts an, in vergleichbaren Fällen seien Einreiseverbote für die Dauer zwischen acht und zehn Jahren verhängt worden. Es müsse als Ermessensmissbrauch bezeichnet werden, dass bei ihrem Ehemann von einer höheren kriminellen Energie ausgegangen werde als bei Tätern, welche wiederholt und in Gefährdung hoch geschützter Rechtsgüter straffällig geworden seien. Das öffentliche Interesse an seiner Fernhaltung sei unter Berücksichtigung seines langjährigen Wohlverhaltens derart gering, dass sein privates Interesse an der Intensivierung des Familienlebens, indem er als Ehemann und Vater seine Familie künftig auch regelmässig in der Schweiz besuchen kommen könne, deutlich überwiege. Das gegen ihn verhängte Einreiseverbot gelte seit mittlerweile zwölf Jahren und sei sofort aufzuheben.

6.6 Wie bereits dargelegt, sind in die Verhältnismässigkeitsprüfung nicht die Interessen, wie sie sich zum heutigen Zeitpunkt, sondern wie sie sich zum Zeitpunkt des Erlasses des unbefristeten Einreiseverbots darstellten, einzubeziehen. Entsprechend kann das Wohlverhalten des Ehemannes der Beschwerdeführerin seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug nicht berücksichtigt werden.

6.7 Dem Ehemann der Beschwerdeführerin wurde die Aufenthaltsbewilligung entzogen, wodurch er das Aufenthaltsrecht in der Schweiz verloren hat. Allfällige Einschränkungen des Privat- und Familienlebens sind somit in erster Linie diesem Umstand geschuldet. Da der Verlust des Aufenthaltsrechts nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet, stellt sich einzig die Frage, ob die durch das Einreiseverbot zusätzlich bewirkte Erschwernis vor Art. 8 Ziff. 1 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV standhält (vgl. zum Ganzen auch BVGE 2013/4 E. 7.4.1 und 7.4.2).

6.8 Der Ehemann der Beschwerdeführerin lebte von 1985 bis Oktober 2008 (Zeitpunkt der Verhängung des unbefristeten Einreiseverbotes), und damit während 23 Jahren, in der Schweiz. Seine drei Kinder sind in der Schweiz zur Welt gekommen. Sie und die Beschwerdeführerin besitzen die schweizerische Staatsbürgerschaft. Die wirtschaftliche Integration des Ehemannes der Beschwerdeführerin ist als neutral zu bewerten: In den ersten Jahren in der Schweiz war er als Saisonnier auf dem Bau und danach als Kellner tätig, bis er im Dezember 1992 aufgrund eines Unfalls ein Schädel-Hirntrauma mit daraus resultierender organischer Persönlichkeits-änderung sowie weiteren psychischen und somatischen Folgebeschwerden erlitt, welche zum Verlust der Arbeitsstelle und zur Feststellung einer 100-prozentigen Invalidität führten. Auch seine sprachliche Integration kann als neutral bezeichnet werden, kann doch nach 23-jährigem Aufenthalt von der Beherrschung einer Landessprache ausgegangen werden (vgl. Schreiben der internationalen Gesellschaft für Menschenrechte vom 7. Oktober 2008). Der Kontakt zu seiner Familie ist für ihn gewiss von nicht zu vernachlässigender Bedeutung. Das Einreiseverbot kann jedoch zur Wahrnehmung von Besuchen von Familienangehörigen auf begründetes Gesuch hin für eine kurze Zeitspanne suspendiert werden (vgl. E. 3.2). Nicht beeinträchtigt wird ferner die Pflege der Kontakte auf andere Weise als durch persönliche Treffen, namentlich mittels moderner Kommunikationsmittel. Durch diese Möglichkeiten ist auch für die Kernfamilie, Ehefrau und Kinder, ein gewisses Mass an Familienleben, bei dem das gemäss Art. 3 Abs. 1
IR 0.107 Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes
KRK Art. 3 - (1) Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.
des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK, SR 0.107) zu berücksichtigende Kindeswohl nicht ausser Acht gelassen wird, gewährleistet. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Familienleben durch die Inhaftierung des Beschwerdeführers bereits vorangehend für längere Zeit erschwert war.

6.9 Zusammenfassend kann - aus der Perspektive im Oktober 2008 - festgehalten werden, dass das Interesse des Ehemannes der Beschwerdeführerin, ungehindert in die Schweiz einreisen zu können, aufgrund seiner familiären Verbindungen nicht unbedeutend ist. Es vermag jedoch das gewichtige öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Sicherheit vor weiteren Straftaten angesichts der Schwere der begangenen Tat nicht zu überwiegen. Die Dauer des Einreiseverbots von 15 Jahren erweist sich, auch unter Berücksichtigung der Praxis in ähnlich gelagerten Fällen (vgl. Urteile des BVGer C-3434/2014 vom 16. September 2015 [Umwandlung eines unbefristeten Einreiseverbots in ein 15-jähriges Einreiseverbot nach Verurteilung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Tötung, mehrfacher versuchter Tötung und mehrfacher vorsätzlicher einfacher Körperverletzung, verheiratet mit einer Schweizerin] oder F-4408/2016 vom 26. September 2018 [Einreiseverbot von 15 Jahren nach Verurteilung zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen gewerbsmässigen Wuchers und Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise sowie des rechtswidrigen Aufenthalts mit Bereicherungsabsicht, keine nennenswerten privaten Interessen]), in einer Gesamtbetrachtung als verhältnismässig.

7.
Die angefochtene Verfügung ist im Lichte von Art. 49 VwVG nicht zu beanstanden. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

8.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1
IR 0.107 Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes
KRK Art. 3 - (1) Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.
VwVG). Angesichts der Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung nach Art. 65 Abs. 1
IR 0.107 Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes
KRK Art. 3 - (1) Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.
VwVG ist auf die Erhebung von Verfahrenskosten zu verzichten.

9.
Der mit Zwischenverfügung vom 12. Juni 2020 eingesetzte amtliche Rechtsbeistand hat keine Kostennote eingereicht, weshalb das Honorar gemäss Art. 14 Abs. 1
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 14 Festsetzung der Parteientschädigung
1    Die Parteien, die Anspruch auf Parteientschädigung erheben, und die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen haben dem Gericht vor dem Entscheid eine detaillierte Kostennote einzureichen.
2    Das Gericht setzt die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen auf Grund der Kostennote fest. Wird keine Kostennote eingereicht, so setzt das Gericht die Entschädigung auf Grund der Akten fest.
des Reglements vom 21. Februar 2008 über Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) auf Grund der Akten festzulegen ist. Dieses ist aufgrund des geringen Umfangs des Verfahrens auf Fr. 600.- (inkl. MWST) festzusetzen. Gelangt die Beschwerdeführerin später zu hinreichenden Mitteln, hat sie dem Gericht das Honorar zu vergüten (Art. 65 Abs. 4
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 14 Festsetzung der Parteientschädigung
1    Die Parteien, die Anspruch auf Parteientschädigung erheben, und die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen haben dem Gericht vor dem Entscheid eine detaillierte Kostennote einzureichen.
2    Das Gericht setzt die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen auf Grund der Kostennote fest. Wird keine Kostennote eingereicht, so setzt das Gericht die Entschädigung auf Grund der Akten fest.
VwVG).

(Dispositiv nachfolgende Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.
Dem amtlichen Rechtsanwalt, Thomas Biedermann, wird ein Honorar von Fr. 600.- zulasten der Gerichtskasse zugesprochen.

4.
Dieses Urteil geht an:

- die Beschwerdeführerin (Einschreiben)

- die Vorinstanz (Akten Ref-Nr. [...] / N [...] retour)

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Susanne Genner Maria Wende

Versand:
Decision information   •   DEFRITEN
Document : F-2879/2020
Date : 16. März 2021
Published : 15. April 2021
Source : Bundesverwaltungsgericht
Status : Publiziert als BVGE-2021-VII-2
Subject area : Bürgerrecht und Ausländerrecht
Subject : Einreiseverbot
Classification : obiter dictum


Legislation register
AuG: 67  96  112
BGG: 83
BV: 5  13  29
EMRK: 8
SR 0.107: 3
VGG: 31  37
VGKE: 14
VwVG: 48  49  50  52  62  63  65  66
BGE-register
130-V-560 • 134-V-153 • 135-II-145 • 135-II-172 • 136-II-177 • 136-III-6 • 136-V-313 • 137-III-352 • 138-I-61 • 139-II-279 • 139-II-534 • 140-II-353 • 142-II-451 • 142-V-118 • 143-IV-9 • 144-III-209 • 145-III-365
Weitere Urteile ab 2000
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