Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C 44/2012

Urteil vom 12. April 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Erwerbsersatz bei Mutterschaft (Anspruchsvoraussetzung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 14. Dezember 2011.

Sachverhalt:

A.
Die 1978 geborene X.________ betrieb seit Dezember 2006 eine Cocktailbar und war dafür bei der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau mit dem Status einer Selbstständigerwerbenden im Haupterwerb erfasst. Mit Schreiben vom 24. Januar 2011 teilte sie u.a. mit, sie habe ihr "Geschäft aufgegeben und am 31. Dezember 2010 ein letztes mal offen gehabt", worauf die Ausgleichskasse die "Entlassung aus der Kassenmitgliedschaft" auf dieses Datum bestätigte (Schreiben vom 27. Januar 2011). Nach der am 26. Februar 2011 erfolgten Geburt zweier Söhne meldete sich X.________ im März 2011 bei der Ausgleichskasse zum Bezug der Mutterschaftsentschädigung an. Mit Verfügung vom 14. April 2011 verneinte die Ausgleichskasse einen Leistungsanspruch. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 6. Oktober 2011 fest mit der Begründung, im Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder habe die Versicherte weder Taggelder von einer Versicherung bezogen, noch sei sie als Selbstständigerwerbende der Ausgleichskasse angeschlossen gewesen.

B.
Die Beschwerde der X.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 14. Dezember 2011 ab.

C.
X.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt sinngemäss die Entrichtung der Mutterschaftsentschädigung.

Die Ausgleichskasse und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 97 Unrichtige Feststellung des Sachverhalts - 1 Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
1    Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
2    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden.86
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
beruht (Art. 105 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 106 Rechtsanwendung - 1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
1    Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
2    Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist.
BGG).

2.
2.1 Eine Frau hat Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung, wenn sie (a) während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft im Sinne des AHVG (SR 831.10) obligatorisch versichert war, (b) in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat und (c) im Zeitpunkt der Niederkunft (1) Arbeitnehmerin im Sinne von Artikel 10
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 10 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - Als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten Personen, die in unselbstständiger Stellung Arbeit leisten und dafür massgebenden Lohn nach dem jeweiligen Einzelgesetz beziehen.
ATSG (SR 830.1) oder (2) Selbstständigerwerbende im Sinne von Artikel 12
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 12 Selbstständigerwerbende - 1 Selbstständigerwerbend ist, wer Erwerbseinkommen erzielt, das nicht Entgelt für eine als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer geleistete Arbeit darstellt.
1    Selbstständigerwerbend ist, wer Erwerbseinkommen erzielt, das nicht Entgelt für eine als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer geleistete Arbeit darstellt.
2    Selbstständigerwerbende können gleichzeitig auch Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer sein, wenn sie entsprechendes Erwerbseinkommen erzielen.
ATSG ist oder (3) im Betrieb des Ehemannes mitarbeitet und einen Barlohn bezieht (Art. 16b Abs. 1
SR 834.1 Bundesgesetz vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG) - Erwerbsersatzgesetz
EOG Art. 16b Anspruchsberechtigte - 1 Anspruchsberechtigt ist eine Frau, die:
1    Anspruchsberechtigt ist eine Frau, die:
a  während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft im Sinne des AHVG50 obligatorisch versichert war;
b  in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat; und
c  im Zeitpunkt der Niederkunft:
c1  Arbeitnehmerin im Sinne von Artikel 10 ATSG ist,
c2  Selbständigerwerbende im Sinne von Artikel 12 ATSG ist, oder
c3  im Betrieb des Ehemanns oder der Ehefrau mitarbeitet und einen Barlohn bezieht.
2    Die Versicherungsdauer nach Absatz 1 Buchstabe a wird entsprechend herabgesetzt, wenn die Niederkunft vor Ablauf des 9. Schwangerschaftsmonats erfolgt.
3    Der Bundesrat regelt die Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit:
a  während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft nicht mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben;
b  im Zeitpunkt der Niederkunft nicht Arbeitnehmerinnen oder Selbständigerwerbende sind.
EOG [SR 834.1]). Der Bundesrat regelt u.a. die Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit im Zeitpunkt der Niederkunft nicht Arbeitnehmerinnen oder Selbstständigerwerbende sind (Art. 16b Abs. 3
SR 834.1 Bundesgesetz vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG) - Erwerbsersatzgesetz
EOG Art. 16b Anspruchsberechtigte - 1 Anspruchsberechtigt ist eine Frau, die:
1    Anspruchsberechtigt ist eine Frau, die:
a  während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft im Sinne des AHVG50 obligatorisch versichert war;
b  in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat; und
c  im Zeitpunkt der Niederkunft:
c1  Arbeitnehmerin im Sinne von Artikel 10 ATSG ist,
c2  Selbständigerwerbende im Sinne von Artikel 12 ATSG ist, oder
c3  im Betrieb des Ehemanns oder der Ehefrau mitarbeitet und einen Barlohn bezieht.
2    Die Versicherungsdauer nach Absatz 1 Buchstabe a wird entsprechend herabgesetzt, wenn die Niederkunft vor Ablauf des 9. Schwangerschaftsmonats erfolgt.
3    Der Bundesrat regelt die Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit:
a  während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft nicht mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben;
b  im Zeitpunkt der Niederkunft nicht Arbeitnehmerinnen oder Selbständigerwerbende sind.
EOG).

Namentlich hat eine Mutter, die im Zeitpunkt der Geburt arbeitsunfähig ist, Anspruch auf die Entschädigung, wenn sie bis zur Geburt (a) eine Entschädigung für Erwerbsausfall bei Krankheit oder Unfall einer Sozial- oder Privatversicherung oder (b) Taggelder der Invalidenversicherung bezogen hat (Art. 30 Abs. 1
SR 834.11 Erwerbsersatzverordnung vom 24. November 2004 (EOV)
EOV Art. 30 Arbeitsunfähige Mutter und arbeitsunfähiger anderer Elternteil - (Art. 16b Abs. 3 und 16i Abs. 3 EGO)49
a  bis zur Geburt eine Entschädigung einer Sozial- oder Privatversicherung für Erwerbsausfall bei Krankheit oder Unfall oder Taggelder der Invalidenversicherung bezogen hat; oder
b  im Zeitpunkt der Geburt noch in einem gültigen Arbeitsverhältnis steht, der Anspruch auf Lohnfortzahlung jedoch vor diesem Zeitpunkt schon erschöpft war.
EOV [SR 834.11]).

2.2 Die Anerkennung als Selbstständigerwerbende gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. c Ziff. 2
SR 834.1 Bundesgesetz vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG) - Erwerbsersatzgesetz
EOG Art. 16b Anspruchsberechtigte - 1 Anspruchsberechtigt ist eine Frau, die:
1    Anspruchsberechtigt ist eine Frau, die:
a  während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft im Sinne des AHVG50 obligatorisch versichert war;
b  in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat; und
c  im Zeitpunkt der Niederkunft:
c1  Arbeitnehmerin im Sinne von Artikel 10 ATSG ist,
c2  Selbständigerwerbende im Sinne von Artikel 12 ATSG ist, oder
c3  im Betrieb des Ehemanns oder der Ehefrau mitarbeitet und einen Barlohn bezieht.
2    Die Versicherungsdauer nach Absatz 1 Buchstabe a wird entsprechend herabgesetzt, wenn die Niederkunft vor Ablauf des 9. Schwangerschaftsmonats erfolgt.
3    Der Bundesrat regelt die Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit:
a  während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft nicht mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben;
b  im Zeitpunkt der Niederkunft nicht Arbeitnehmerinnen oder Selbständigerwerbende sind.
EOG setzt nach dem Gesetzeswortlaut nicht voraus, dass die Leistungsansprecherin ihre Erwerbstätigkeit effektiv bis im Zeitpunkt der Niederkunft ausübt; ferner ist unerheblich, ob die Erwerbstätigkeit nach dem Mutterschaftsurlaub wieder aufgenommen wird. Entscheidend ist die ahv-rechtliche Anerkennung als Selbstständigerwerbende am Tag der Niederkunft (BGE 133 V 73 E. 4.1 S. 77 f. mit Hinweisen; SVers 2008/6 S. 60, E 3/06 E. 3.2.1).

Eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder plötzlicher Schwangerschaftskomplikation zieht versicherungsrechtlich nicht den Verlust des Selbstständigerwerbenden-Status nach sich: Solange keine subjektiven (insbesondere der Wille der Versicherten zur Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit) oder objektiven Umstände (wie z.B. die Kündigung des Mietvertrages betreffend Geschäftsräumlichkeiten; Mitteilung der Geschäftsaufgabe an die Sozialversicherung) gegen das Weiterbestehen der selbstständigen Erwerbstätigkeit sprechen, ist lediglich von einer provisorischen Arbeitseinstellung aus gesundheitlichen Gründen und nicht von einem Status-Übergang von der selbstständigen Erwerbstätigkeit in die Nichterwerbstätigkeit auszugehen (BGE 133 V 73 E. 4.2 S. 78; ferner auch Stellungnahme des Bundesrates vom 6. November 2002 zum Bericht SGK-NR vom 3. Oktober 2002, BBl 2002 1121). Dabei hat die Selbstständigerwerbende, welche im Zeitpunkt der Niederkunft vorübergehend arbeitsunfähig war, auch dann Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung, wenn sie nicht über ein Ersatzeinkommen im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. a
SR 834.11 Erwerbsersatzverordnung vom 24. November 2004 (EOV)
EOV Art. 30 Arbeitsunfähige Mutter und arbeitsunfähiger anderer Elternteil - (Art. 16b Abs. 3 und 16i Abs. 3 EGO)49
a  bis zur Geburt eine Entschädigung einer Sozial- oder Privatversicherung für Erwerbsausfall bei Krankheit oder Unfall oder Taggelder der Invalidenversicherung bezogen hat; oder
b  im Zeitpunkt der Geburt noch in einem gültigen Arbeitsverhältnis steht, der Anspruch auf Lohnfortzahlung jedoch vor diesem Zeitpunkt schon erschöpft war.
EOV verfügt (BGE 133 V 73 E. 4.3-4.4 S. 78 ff.; SVers 2008/6 S. 60, E 3/06 E. 3.2.2).

2.3 Tatfrage ist, ob und gegebenenfalls wann die subjektive Erwerbsabsicht dahingefallen ist (SVers 2008/6 S. 60, E 3/06 E. 3.3). Vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (E. 1) ist hingegen, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung darüber resp. über den Erwerbsstatus einer versicherten Person zu treffen ist (vgl. SVR 2012 KV Nr. 6 S. 18, 9C 510/2011 E. 2.3; SVR 2009 BVG Nr. 7 S. 22, 9C 65/2008 E. 2.2; Urteil 9C 16/2012 vom 27. Februar 2012 E. 2.2).

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat für das Bundesgericht verbindlich (E. 1) festgestellt, wegen einer sich abzeichnenden Frühgeburt habe sich die Beschwerdeführerin vom 3. Januar bis 5. Februar 2011 im Spital befunden und anschliessend sei ihr bis zur Geburt strikte Bettruhe vorgeschrieben worden. Diesen Umstand hat es für belanglos erachtet, weil die Versicherte - ohne lediglich eine befristete "Auszeit" zu nehmen - ihre selbstständige Erwerbstätigkeit auf Ende 2010 definitiv aufgegeben habe. Folglich hat es mangels eines Status als Selbstständigerwerbende im Zeitpunkt der Geburt den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung verneint.

Die Beschwerdeführerin bringt wie schon sinngemäss im Verwaltungs- und im kantonalen Rechtsmittelverfahren vor, sie habe ihre Erwerbstätigkeit zwar mit dem Spitaleintritt am 3. Januar 2011 eingestellt; dies sei aber lediglich aus gesundheitlichen Gründen bereits zu diesem Zeitpunkt und nicht erst anlässlich der Geburt ihrer Kinder erfolgt.

3.2 Die vorinstanzliche Betrachtungsweise hält im Lichte der dargelegten Rechtsprechung, derzufolge für eine Änderung des Erwerbsstatus während der Schwangerschaft gesundheitliche Aspekte eine wesentliche Rolle spielen und gegebenenfalls mit Umsicht zu behandeln und zu würdigen sind (E. 2.2), vor Bundesrecht (Art. 95 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
BGG) nicht stand: Das Schreiben der Versicherten vom 24. Januar 2011 bekundet zwar einerseits den eindeutigen Willen zur definitiven Aufgabe der Erwerbstätigkeit unter AHV-rechtlichem Blickwinkel ("... kündige ich per sofort meine Beiträge für Selbstständigerwerbende und führe auch keine Tätigkeiten mehr aus"), enthält aber andererseits - gleich anschliessend - den Satz, welcher nach dem Gesagten erwerbsersatzrechtlich wichtig ist: "Ich bin seit dem 3. Januar 2011 hospitalisiert und werde nach der Geburt unserer Kinder Mutterschaftsurlaub beantragen". Diese Erklärung ergibt keinen vernünftigen Sinn, wenn man mit der Vorinstanz von einer definitiven Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit als Barbetreiberin zu Silvester 2010 ausgeht. Vielmehr ist das kantonale Gericht an Treu und Glauben zu erinnern, welcher Grundsatz den Umgang von Bürger und Amtsstelle, auch unter dem Aspekt der wirklichen Bedeutung
gegenseitig abgegebener Willensäusserungen, von Verfassungs wegen (Art. 5 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
BV) prägt (BGE 108 V 84 E. 3a S. 87 unten f. mit Hinweisen und seitherige ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BGE 119 Ia 4 E. 3b S. 9 f ; 125 V 421 E. 6b S. 428; Urteil 1P.731/2006 vom 11. Januar 2007 E. 4.3). Nach Treu und Glauben besehen und unter Berücksichtigung der glaubwürdigen, von keiner Seite bestrittenen gesundheitlichen Umstände zu Beginn des Jahres 2011 kann das Schreiben vom 24. Januar 2011 nicht als Beleg für die Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit herangezogen werden. Anderweitige Hinweise für eine solche Annahme bestehen nach der Aktenlage nicht, weshalb der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Geburt ihrer Zwillinge am 26. Februar 2011 der Status als Selbstständigerwerbende zuzuerkennen ist.

3.3 Ebenso wenig beigepflichtet werden könnte dem vorinstanzlichen Entscheid bezüglich der Beratungspflicht (Art. 27 Abs. 2
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 27 Aufklärung und Beratung - 1 Die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen sind verpflichtet, im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären.
1    Die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen sind verpflichtet, im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären.
2    Jede Person hat Anspruch auf grundsätzlich unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Dafür zuständig sind die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Für Beratungen, die aufwendige Nachforschungen erfordern, kann der Bundesrat die Erhebung von Gebühren vorsehen und den Gebührentarif festlegen.
3    Stellt ein Versicherungsträger fest, dass eine versicherte Person oder ihre Angehörigen Leistungen anderer Sozialversicherungen beanspruchen können, so gibt er ihnen unverzüglich davon Kenntnis.
ATSG): Wenn eine wegen Schwangerschaftskomplikationen hospitalisierte Selbstständigerwerbende sich bei der Ausgleichskasse um ihre Rechtsstellung im Zusammenhang mit der bevorstehenden Niederkunft erkundigt, hat die Durchführungsstelle sie auf die Bedeutung des im Zeitpunkt der Geburt aufrecht zu erhaltenden Status für die Berechtigung auf Mutterschaftsentschädigung hinzuweisen. Die gegenteilige Betrachtungsweise ist mit der gesetzlichen Pflicht zur sorgfältigen Erfüllung der Beratungsaufgabe nicht vereinbar. Der angefochtene Entscheid hielte folglich auch unter diesem Gesichtswinkel vor Bundesrecht nicht stand. Doch erübrigt sich nach dem in E. 3.2 hievor Gesagten eine abschliessende Beurteilung dazu.

3.4 Dass die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung (Art. 16b Abs. 1 lit. a
SR 834.1 Bundesgesetz vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG) - Erwerbsersatzgesetz
EOG Art. 16b Anspruchsberechtigte - 1 Anspruchsberechtigt ist eine Frau, die:
1    Anspruchsberechtigt ist eine Frau, die:
a  während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft im Sinne des AHVG50 obligatorisch versichert war;
b  in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat; und
c  im Zeitpunkt der Niederkunft:
c1  Arbeitnehmerin im Sinne von Artikel 10 ATSG ist,
c2  Selbständigerwerbende im Sinne von Artikel 12 ATSG ist, oder
c3  im Betrieb des Ehemanns oder der Ehefrau mitarbeitet und einen Barlohn bezieht.
2    Die Versicherungsdauer nach Absatz 1 Buchstabe a wird entsprechend herabgesetzt, wenn die Niederkunft vor Ablauf des 9. Schwangerschaftsmonats erfolgt.
3    Der Bundesrat regelt die Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit:
a  während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft nicht mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben;
b  im Zeitpunkt der Niederkunft nicht Arbeitnehmerinnen oder Selbständigerwerbende sind.
und b EOG) nicht erfüllt sein sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Demnach ist die Beschwerdeführerin grundsätzlich ab dem Tag der Niederkunft (vgl. Art. 16c
SR 834.1 Bundesgesetz vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz (Erwerbsersatzgesetz, EOG) - Erwerbsersatzgesetz
EOG Art. 16c - 1 Der Entschädigungsanspruch entsteht am Tag der Niederkunft.
1    Der Entschädigungsanspruch entsteht am Tag der Niederkunft.
2    Die Mutterschaftsentschädigung wird an 98 aufeinanderfolgenden Tagen ab Beginn des Anspruchs ausgerichtet.54
3    Bei einem Spitalaufenthalt des Neugeborenen verlängert sich die Dauer der Ausrichtung um die Dauer der Hospitalisierung, höchstens aber um 56 Tage, wenn:
a  das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt ununterbrochen während mindestens zwei Wochen im Spital verweilt; und
b  die Mutter nachweist, dass sie im Zeitpunkt der Niederkunft bereits beschlossen hatte, nach Ende des Mutterschaftsurlaubs wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.55
4    Der Bundesrat regelt den Anspruch auf Verlängerung der Dauer der Ausrichtung für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit nach Ende des Mutterschaftsurlaubs nicht wieder erwerbstätig sein können.56
EOG), mithin ab 26. Februar 2011, anspruchsberechtigt.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 14. Dezember 2011 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau vom 6. Oktober 2011 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich ab 26. Februar 2011 Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung hat.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. April 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Dormann
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 9C_44/2012
Date : 12. April 2012
Published : 30. April 2012
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Erwerbersatzordnung
Subject : Erwerbsersatz bei Mutterschaft (Anspruchsvoraussetzung)


Legislation register
ATSG: 10  12  27
BGG: 66  95  97  105  106
BV: 5
EOG: 16b  16c
EOV: 30
BGE-register
108-V-84 • 119-IA-4 • 125-V-421 • 133-V-73
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2002/1121