2A.224/2002
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
2A.224/2002 /kil
Sitzung vom 11. Juni 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler, Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter Merkli,
Gerichtsschreiber Uebersax.
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Migrationsdienst des Kantons Bern, Eigerstrasse 73,
3011 Bern,
Haftgericht III Bern-Mittelland, Amthaus, Hodlerstrasse 7,
3011 Bern.
Haftentlassungsgesuch nach Art. 13c Abs. 4


(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Haftgerichts III Bern-Mittelland vom 25. April/1. Mai 2002)
Sachverhalt:
A.
Der albanische Staatsangehörige A.________, geb. 1973, reiste anfangs November 2001 illegal in die Schweiz ein. Am 13. November 2001 wurde er wegen des Verdachts des Betäubungsmittelhandels polizeilich angehalten und stellte in der Folge ein Asylgesuch. Mit Entscheid vom 3. Dezember 2001 lehnte das Bundesamt für Flüchtlinge das Gesuch ab und wies A.________ aus der Schweiz weg. Tags darauf verschwand dieser mit unbekanntem Ziel.
Am 31. Januar 2002 wurde A.________ festgenommen und dem Migrationsdienst des Kantons Bern zwecks Ausschaffung zugeführt. Dieser nahm ihn noch am gleichen Tag in Ausschaffungshaft. Am 4. Februar 2002 (mit schriftlicher Begründung vom 5. Februar 2002) prüfte und bestätigte die Haftrichterin 2 am Haftgericht III Bern-Mittelland die Haft.
B.
Am 3. April 2002 ging beim Haftgericht III Bern-Mittelland ein mit 27.05.02 (richtig wohl: 27. März 2002) datiertes handschriftliches Schreiben von A.________ in albanischer Sprache ein. Mit Verfügung vom 3. April 2002 nahm die Haftrichterin von der Eingabe als Haftentlassungsgesuch Kenntnis, gewährte A.________ antragsgemäss einen amtlichen Anwalt und setzte die haftrichterliche Verhandlung auf den 25. April 2002 fest. Mit seiner Vernehmlassung vom 9. April 2002 zum Haftentlassungsgesuch beantragte der Ausländer- und Bürgerrechtsdienst der Kantonspolizei des Kantons Bern die Verlängerung der Ausschaffungshaft um drei Monate. Die Haftrichterin legte in der Folge die beiden Verfahren zusammen. Mit Entscheid vom 25. April 2002, schriftlich begründet am 1. Mai 2002, wies sie das Haftentlassungsgesuch ab und verlängerte die Ausschaffungshaft um drei Monate bis zum 30. Juli 2002.
C.
Mit handschriftlicher Eingabe vom 5. Mai 2002 (beim Bundesgericht eingegangen am 10. Mai 2002) in albanischer Sprache, worin er sich zu seiner Situation und seiner Haft äussert, wandte sich A.________ an das Bundesgericht. Der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts eröffnete daraufhin ein Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Haftgericht III Bern-Mittelland und der Migrationsdienst des Kantons Bern schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Ausländerfragen hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. A.________ nahm die Gelegenheit nicht wahr, sich nochmals zur Sache zu äussern.
D.
Mit Verfügung vom 28. Mai 2002 ersuchte das Bundesgericht die Haftrichterin um einen Amtsbericht darüber, weshalb über das Haftentlassungsgesuch nicht innerhalb der Frist von acht Arbeitstagen aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden worden sei. A.________ erhielt Gelegenheit, sich zum Amtsbericht zu äussern, welche er freilich nicht wahr nahm.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten (Art. 108 Abs. 2

2.
2.1 Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen, sofern die Voraussetzungen von Art. 13b


(so genanntes Beschleunigungsgebot; Art. 13b Abs. 3

2.2 Nach Art. 13c Abs. 2



3.
3.1 Gegen den Beschwerdeführer liegt ein Wegweisungsentscheid vor, dessen Vollzug zurzeit nicht möglich ist; es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Ausschaffung innert absehbarer Frist tatsächlich durchführbar ist. Der Beschwerdeführer ist bereits einmal untergetaucht und hat vor der Haftrichterin ausgesagt, nicht in sein Heimatland zurückkehren zu wollen. Damit ist der Haftgrund (weiterhin) gegeben. Sodann haben die Behörden bei der albanischen Botschaft ein Reisepapier beantragt und dafür mit dieser ein Telefoninterview organisiert und den Beschwerdeführer wiederholt angehalten, bei der Papierbeschaffung mitzuwirken; sie sind damit dem Beschleunigungsgebot bisher nachgekommen. Schliesslich liegen, namentlich aufgrund des eigenen renitenten Verhaltens des Beschwerdeführers, besondere Hindernisse vor, welche eine Verlängerung der Haft rechtfertigen. In materiellrechtlicher Hinsicht sind die Haft an sich und deren Verlängerung somit nicht zu beanstanden. Zu prüfen bleibt einzig, ob sich die Haftrichterin auch in formeller Hinsicht an das Bundesrecht gehalten hat.
3.2 Der Haftrichterentscheid vom 4./5. Februar 2002, womit die erstmalige Anordnung der Ausschaffungshaft bestätigt worden war, äusserte sich nicht darüber, ob die Haft für die volle Höchstdauer von (vorerst) drei Monaten genehmigt werden sollte. Mangels einer ausdrücklichen abweichenden Anordnung kann aber von einer stillschweigend festgelegten maximalen Haftdauer von drei Monaten ausgegangen werden (so das Urteil des Bundesgerichts 2A.402/1999 i.S. X.). Die Haftrichterin hat das bei ihr am 3. April 2002 eingegangene Schreiben des Beschwerdeführers als Haftentlassungsgesuch behandelt. Nachdem der Migrationsdienst in seiner Vernehmlassung gleichzeitig ein Gesuch um Haftverlängerung gestellt hatte, hat sie die beiden Verfahren zusammengelegt. Im Hinblick darauf, dass in beiden Verfahren grundsätzlich ähnliche Fragen zu beurteilen sind, erweist sich dies als zulässig, sofern dem Ausländer dadurch kein Nachteil erwächst (vgl. Urteil 2A.390/2001 vom 24. September 2001, E. 1c).
3.3 Die Haftrichterverhandlung fand jedoch erst am 25. April 2002 statt. Während es für die Frage der Haftverlängerung einzig darauf ankommt, dass die richterliche Genehmigung vor Ablauf der erstmalig angeordneten Haftdauer erfolgt (vgl. Urteil 2A.132/2000 vom 12. April 2000, E. 5a), ist für die Behandlung eines Haftentlassungsgesuchs die Bestimmung von Art. 13c Abs. 4

3.4 Zunächst fragt es sich, ob das offenbar am 27. März 2002 abgefasste Schreiben des Beschwerdeführers überhaupt ein Haftentlassungsgesuch darstellt. Die Eingabe ist in ihrer deutschsprachigen Übersetzung als "Haftentlassungsgesuch" überschrieben. Der anschliessende Text ist zum Teil unklar. Einerseits liegt das Schwergewicht auf dem Wunsch um Beigabe eines amtlichen Anwalts. Verlangt wird der Anwalt für einen vom Gericht noch anzusetzenden Termin, den der Beschwerdeführer offenbar am 6. Mai 2002 erwartete. Andererseits hat der Beschwerdeführer in seiner Eingabe aber auch deutlich um Freilassung ersucht. An ein Haftentlassungsgesuch dürfen grundsätzlich keine besonderen formellen Anforderungen gestellt werden (vgl. Andreas Zünd, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Verfahrensfragen und Rechtsschutz, in: AJP 1995 S. 863). Auch hat die Haftrichterin die Eingabe von Beginn an, ohne daran irgendwelche Zweifel zu äussern, als Haftentlassungsgesuch entgegengenommen und behandelt. Noch am Tag des Eingangs hat sie verfügt, "vom Eingang des Haftentlassungsgesuchs" werde "Kenntnis genommen und gegeben". Unklar ist jedoch, ob sie das Gesuch als solches um sofortige Haftentlassung oder aber um Freilassung auf den Termin des Ablaufs der
erstmalig bewilligten Haft verstanden hat, womit der Eingabe lediglich der Charakter eines Antrags auf Nichtbewilligung einer allfälligen Haftverlängerung zukäme.
3.5 Die wenigen bundesgesetzlichen Verfahrensbestimmungen zu den Zwangsmassnahmen sind weitgehend zwingender Natur. Dies gilt namentlich für die Frist von Art. 13c Abs. 2


beachten.
Für die Behandlung von Haftentlassungsgesuchen gilt im Grundsatz dasselbe. Die gesetzlichen Verfahrensregeln sind von Amtes wegen zu beachten und an sich verbindlich. Indessen kommt der für die richterliche Beurteilung vorgesehenen Frist von acht Arbeitstagen nicht die gleiche Bedeutung zu wie den entsprechenden Vorschriften bei der erstmaligen Haftanordnung bzw. der Haftverlängerung. Eine richterliche Verhandlung findet nur statt, wenn ein Haftentlassungsgesuch gestellt wird. Dies bleibt jedoch dem Häftling überlassen. Er kann auf ein solches Gesuch verzichten oder ein einmal gestelltes Haftentlassungsgesuch auch wieder zurückziehen. Unterliegt insoweit das Haftentlassungsverfahren der Disposition des Häftlings, muss es diesem grundsätzlich auch frei stehen, auf die Einhaltung der Achttagesfrist zu verzichten bzw. für die Verhandlung vor dem Haftrichter einen weiter entfernten Termin zu wünschen oder zu akzeptieren.
3.6 Nach der Rechtsprechung darf freilich ein Verzicht auf prozessuale Rechte im Zusammenhang mit ausländerrechtlicher Administrativhaft nicht ohne weiteres angenommen werden. Haft bedeutet einen erheblichen Eingriff in die persönliche Freiheit des Ausländers. Es liegt daher in der besonderen Natur des Haftverfahrens, dass der Ausländer, der mit dem schweizerischen Recht und namentlich mit den gesetzlichen Haftvoraussetzungen nicht vertraut ist, nur unter besonderen Bedingungen auf seine Verfahrensrechte verzichten kann. Insbesondere darf einem mit der Rechtslage nicht vertrauten Häftling ein Verzicht auf die Einhaltung der Achttagesfrist gemäss Art. 13c Abs. 4

3.7 Der Beschwerdeführer war - wie dargelegt, auf eigenen Antrag hin - vor der Haftrichterin amtlich durch einen Anwalt vertreten. Diesem wurde bereits die haftrichterliche Verfügung vom 3. April 2002 mitgeteilt, worin sich unter anderem die Ansetzung der Verhandlung auf den 25. April 2002 findet. Gemäss dem bei der Haftrichterin eingeholten Amtsbericht wurde der Verhandlungstermin zusammen mit dem Anwalt bzw. sogar auf dessen Vorschlag hin festgesetzt. Die Akten enthalten auch keinen Hinweis darauf, dass der Vertreter die Nichteinhaltung der achttägigen Frist gemäss Art. 13c Abs. 4

Die Achttagesfrist scheint zwar nie thematisiert worden zu sein; es liegt jedenfalls kein ausdrücklicher Verzicht darauf vor. Das Verhalten des Anwalts lässt jedoch auf einen konkludenten Verzicht schliessen. Er hat sich ohne Protest auf den späteren Termin eingelassen. Wohl sind die Gründe dafür nicht bekannt; es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der spätere Verhandlungstermin durchaus im Interesse des Beschwerdeführers lag. Dieser rügt denn auch die Missachtung der Achttagesfrist vor dem Bundesgericht gar nicht. Unter diesen Umständen muss sich der Beschwerdeführer das Verhalten seines Anwalts anrechnen lassen.
3.8 Damit verletzt der angefochtene Entscheid auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht Bundesrecht nicht.
4.
4.1 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.
4.2 Angesichts der offensichtlichen Mittellosigkeit des Beschwerdeführers rechtfertigt es sich praxisgemäss, auf die Erhebung von Kosten für das bundesgerichtliche Verfahren zu verzichten.
4.3 Der Migrationsdienst des Kantons Bern wird ersucht, dafür besorgt zu sein, dass dem Beschwerdeführer dieses Urteil korrekt eröffnet und verständlich gemacht wird.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsdienst des Kantons Bern und dem Haftgericht III Bern-Mittelland sowie dem Bundesamt für Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. Juni 2002
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Weitere Urteile ab 2000
AJP
1995 S.863