Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2013.20

Beschluss vom 9. Oktober 2013 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz, Andreas J. Keller und Emanuel Hochstrasser, Gerichtsschreiber Martin Eckner

Parteien

A., Beschwerdeführer

gegen

1. Kanton Basel-Stadt, Staatsanwaltschaft,

2. Kanton Basel-Landschaft, Staatsanwaltschaft, Beschwerdegegner

Gegenstand

Anfechtung des Gerichtsstands (Art. 41 Abs. 2 StPO)

Sachverhalt:

A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führte seit 1. Ap­ril 2013 ein Strafverfahren gegen B. wegen übler Nachrede, ev. Verleumdung, zum Nachteil von A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt wiederum führt auf Anzeige von B. seit 28. September 2012 ein Strafverfahren gegen A. wegen Nötigung, Drohung sowie Missbrauch einer Fernmeldeanlage (act. 3.1 [Register zur Sache] Strafanzeige vom 1. April 2013; act. 3.2 [Register zur Sache] Rapport der Kantonspolizei Basel-Stadt vom 28. September 2012).

B. Am 15. Mai 2013 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft eine Gerichtsstandsanfrage an den Kanton Basel-Stadt. Sie erbat um die Übernahme des Verfahrens. Zunächst lehnte der Kanton Basel-Stadt die Übernahme mit Schreiben vom 13. Juni 2013 noch ab. Der Kanton Basel-Landschaft antwortete darauf am 12. Juli 2013 (act. 3.1 [Register Allg. Teil]).

C. Sodann erliess die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt am 16. Juli 2013 eine Gerichtsstandsverfügung und übernahm das Verfahren. Zwar sei nach dem ordentlichen Gerichtsstand der Art. 31 und 34 Abs. 1 StPO der Kanton Basel-Landschaft zuständig. Doch hingen die Verfahren sachlich eng zusammen; auch sei das Verfahren in Basel-Stadt zuerst eingeleitet worden. Somit einigten sich die beteiligten Staatsanwaltschaften gestützt auf Art. 38 Abs. 1 StPO auf eine Zuständigkeit, die vom ordentlichen Gerichtsstand abweicht (act. 1.1, act. 3.1 [Register Allg. Teil]).

D. Mit Beschwerde vom 29. Juli 2013 ruft A. die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts an und beantragt sinngemäss, der Gerichtsstand sowie die Zuständigkeit des Kantons Basel-Land seien festzustellen (act. 1).

Am 5. August 2013 verwies die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt auf die Gerichtsstandskorrespondenz und verzichtete auf eine Stellungnahme (act. 3). Der Kanton Basel-Landschaft beantragt am 10. August 2013 die Abweisung der Beschwerde, soweit überhaupt einzutreten sei (act. 4). Der Beschwerdeführer nahm dazu in der Sache innert erstreckter Frist nicht Stellung.

Auf die Ausführungen der Parteien sowie die eingereichten Akten wird, so-weit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen eingegangen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Will eine Partei die Zuständigkeit der mit dem Strafverfahren befassten Behörde anfechten, so hat sie dieser unverzüglich die Überweisung des Falles an die zuständige Strafbehörde zu beantragen (Art. 41 Abs. 1 StPO). Die mit dem Antrag befasste Behörde hat – so dies nicht bereits geschehen ist – einen Meinungsaustausch im Sinne von Art. 39 Abs. 2 StPO einzuleiten oder direkt durch Verfügung ihre eigene Zuständigkeit zu bestätigen (Entscheide des Bundesstrafgerichts BG.2012.42 vom 23. Januar 2013, E. 1.1; BG.2012.2 vom 16. März 2012, E. 1.1).

Verfügt eine Staatsanwaltschaft, dass sie zuständig sei, so kann diejenige Partei sich innert zehn Tagen bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts beschweren (Art. 41 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. Art. 40 Abs. 2 StPO und Art. 37 Abs. 1 StBOG), die vorbringt, ihr ordentlicher Gerichtsstand (Art. 31 –37 StPO i.V.m. Art. 38 Abs. 1 und Art. 41 Abs. 1 StPO) werde missachtet (Art. 41 Abs. 2 Satz 2 StPO).

1.2 Dass zunächst stets die Überweisung verlangt werden muss, ist sachgerecht (Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2013.19 vom 30. Juli 2013; Kuhn, Basler Kommentar zur StPO, Basel 2011, Art. 41 N. 3). Es dient der Beschleunigung des Verfahrens, wenn sich die verfahrensführende Behörde mit dem Antrag der Partei auseinandersetzt, bevor sich eine höhere Instanz neu in das Verfahren einarbeiten muss, um den Antrag der Partei beurteilen zu können (Kuhn, a.a.O.; im Ergebnis gleich Finger­huth/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 41 N. 8 und Schmid, Praxiskommentar, Zürich/St. Gallen 2009, Art. 41 StPO N. 5).

1.3 Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft stellte ihre Gerichtsstandsanfrage am 15. Mai 2013, nachdem ihr der Rechtsanwalt von B. am 14. Mai 2013 brieflich mitteilte, dass B. bereits am 28. September 2012 in Basel-Stadt eine Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer eingereicht habe. Die anschliessende Gerichtsstandskorrespondenz wurde behördenintern abgewickelt. Der Beschwerdeführer erhielt erst die Übernahmeverfügung der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt vom 16. Juli 2013 zugestellt. Dagegen gelangte er direkt an die Beschwerdekammer.

1.4 Da kein Überweisungsverfahren durchgeführt wurde, wäre auf die Beschwerde an sich nicht einzutreten. Indes handelte der Beschwerdeführer der Rechtsmittelbelehrung der Gerichtsstandsverfügung vom 16. Juli 2013 gemäss, auf deren Richtigkeit er hier vertrauen durfte (vgl. BGE 138 I 49 E. 8.3.2). Sind auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt, ist daher auf die Beschwerde einzutreten, wenngleich die Verfügung ergangen ist, ohne den Beschwerdeführer anzuhören. Eine Gehörsverletzung ist in Einzelfällen wie dem vorliegenden heilbar (BGE 137 I 195 E. 2.3.2; TPF 2005 177 E. 2.3; Art. 393 Abs. 2 StPO zur Kognition), doch wird inskünftig das Überweisungsverfahren durchzuführen sein, auch wenn eine Staatsanwaltschaft direkt eine Übernahmeverfügung erlässt – jedenfalls wenn sie zuvor die Partei(en) weder anhörte noch die Gerichtsstandskorrespondenz mitteilte.

1.5 Im Übrigen stellte der Beschwerdeführer als Geschädigter Strafanzeige und Strafantrag. Er ist damit Partei der Strafuntersuchung (vgl. Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO) und daher zur Einreichung einer Beschwerde gegen diejenige Gerichtsstandsverfügung legitimiert, die wie vorliegend vom ordentlichen Gerichtsstand abweicht. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen weiteren Diskussionen Anlass, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.

2.

2.1 Die Beschwerdekammer (wie auch die beteiligten Staatsanwaltschaften untereinander, Art. 38 Abs. 1 StPO) kann einen anderen als den in den Artikeln 31–37 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen (Art. 40 Abs. 3 StPO; Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 432 ff., 434 f.; Fingerhuth/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Zürich 2010, Art. 40 N. 15–17).

Verschiedene Handlungskomplexe sind dabei nach Möglichkeit für die Beurteilung zu vereinigen, wobei die Einheit nach den Vergehen (ratione delicti) oder nach den Personen (ratione personae) hergestellt werden kann, mit Abweichungen vom ordentlichen Gerichtsstand für andere Delikte oder Täter (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 493).

2.2 Es geht vorliegend darum, ob die beteiligten Staatsanwaltschaften durch Einigung vom ordentlichen Gerichtsstand der vom Beschwerdeführer angezeigten Delikte (Basel-Landschaft) abweichen durften.

2.3 Nach einem allgemeinen Grundsatz des Gerichtsstandsrechts soll vereinigt werden, was zusammen gehört. Eine Vereinigung ist dann prozessual zweckmässig, wenn sie die einheitliche Beweisführung und Verteidigung sowie eine einheitliche Beurteilung durch ein Gericht ermöglicht (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 11 f.). Dies kann auch die Gefahr widersprechender Entscheidungen verringern.

2.4 Der Beschwerdeführer bringt vor, dass die beschuldigte Person (B.) und die Zeugen im Kanton Basel-Landschaft wohnten und das Delikt auch dort begangen worden sei. Während hier auch bereits eine Schlichtungsverhandlung angesetzt sei, kümmere sich Basel-Stadt offenbar nicht um das Verfahren (act. 1 S. 1). Die Anzeige von B. sei zudem haltlos und mutwillig erfolgt. Insgesamt sei der Sache und der Prozessökonomie zuliebe das Verfahren beim ordentlichen Gerichtsstand zu belassen (act. 1 S. 2).

2.5 Die Verfahren in den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft unterscheiden sich zwar in den Tatvorwürfen, hängen ansonsten aber eng zusammen. Die Verfahrensbeteiligten waren vormals durch eine Liebesbeziehung verbunden (act. 3.1 [Register zur Sache] Antrag zur Eröffnung eines Strafverfahrens vom 1. April 2013, S. 5; act. 3.2 [Register zur Sache] Rapport der Kantonspolizei Basel-Stadt vom 28. Sep­tember 2012, S. 2). Zwar erwuchs daraus nicht ein einheitlicher Vorfall, doch beschuldigen sich die Beteiligten in einem Kanton und werden im anderen Kanton beschuldigt.

Es liegt auf der Hand, dass in Fällen, in welchen die Verfahren vor derselben Gerichtsbehörde verhandelt werden, sich das gerichtliche Verfahren erheblich vereinfacht, die Erforschung der materiellen Wahrheit erleichtert und zugleich vollständiger und zuverlässiger sein wird, als dies der Fall wäre, wenn die aufeinander bezogenen Verfahren in verschiedenen Kantonen geführt würden. Ausserdem wird bei diesem Vorgehen eine vergleichsweise Erledigung der Streitsachen erleichtert (vgl. den Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2005.8 vom 18. Mai 2005, E. 3.2).

2.6 Die dargestellten triftigen Gründe rechtfertigen grundsätzlich, die Verfahren in Abweichung vom ordentlichen Gerichtsstand des Beschwerdeführers zu vereinigen.

2.7 Wird vom ordentlichen Gerichtsstand abgewichen, sollten jedoch die folgenden notwendigen Bedingungen erfüllt sein: Die Tat sollte dort verfolgt werden, wo das Rechtsgut verletzt wurde; der Richter sollte sich ein möglichst vollständiges Bild von Tat und Täter machen können; der Beschuldigte sollte sich am Ort der Verfolgung leicht verteidigen können; das Verfahren sollte wirtschaftlich sein (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 434). Jedenfalls muss dort, wo die Tat verfolgt wird, ein örtlicher Anknüpfungspunkt vorliegen (BGE 120 IV 280 E. 2b; Urteil des Bundesgerichts 6B_825/2010 vom 27. April 2011, E. 2.3).

2.8 Anlass zur Anzeige vom 1. April 2013 gaben Vorfälle vor dem Zivilgericht Basel-Stadt, bei der Auflösung der gemeinsamen Wohnung in Basel-Stadt, vor der Kantonspolizei Basel-Stadt, vor der IV-Stelle Binningen und im Bekanntenkreis des Beschwerdeführers. Ein Schwerpunkt der Vorfälle liegt in Basel-Stadt. Dort ist damit ein genügender örtlicher Anknüpfungspunkt gegeben. Die Abweichung vom gesetzlichen Gerichtsstand, wenn er sich nicht bereits in Basel-Stadt befände, ist somit zulässig. Aus den Wohnorten der Verfahrensbeteiligten (B. wohnte zur Zeit der Anzeige bei ihrer Mutter im Kanton Basel-Landschaft) ergibt sich kein zwingender Grund, davon abzusehen, zumal die beiden Halbkantone ohnehin örtlich eng verbunden sind. Auch der Verfahrensstand gebietet keine andere Zuweisung. Der Entscheid, die Verfahren zu vereinen, ist damit zu schützen.

2.9 Somit durften sich vorliegend die beteiligten Staatsanwaltschaften auf einen anderen als den ordentlichen Gerichtsstand einigen. Folglich ist die Übernahmeverfügung des Kantons Basel-Stadt vom 16. Juli 2013 zu schützen. Den dagegen erhobenen Rügen ist nicht zu folgen.

3. Kennt der Beschwerdeführer die für die Gerichtsstandsfrage wesentlichen Akten (vgl. insbesondere act. 5), so sind seine diesbezüglichen prozessualen Anträge, darunter der Antrag auf Beizug sämtlicher Strafverfahrensakten (act. 6), abzuweisen (vgl. im Übrigen den Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2013.17 vom 13. August 2013, E. 3).

4. Zusammenfassend gehen die erhobenen Rügen fehl, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist. Der Kanton Basel-Stadt ist berechtigt und verpflichtet, die Deliktsvorwürfe zu untersuchen.

5. Da der Beschwerdeführer auf die Rechtsmittelbelehrung der angefochtenen Verfügung vertrauen durfte und mit dem vorliegenden Verfahren eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs geheilt wurde, sind keine Gerichtsgebühren zu erheben. Denn sofern der Vorinstanz eine Missachtung formeller Verfahrensgarantien vorgeworfen werden muss, bildet die Kassation ihres Entscheides weiterhin die Regel, zumal die Rechtsunterworfenen grundsätzlich Anspruch auf Einhaltung des Instanzenzuges haben (so wörtlich BGE 137 I 195 E. 2.7). Die Feststellung der Gehörsverletzung erging von Amtes wegen. Da der Beschwerdeführer mit seinen Anträgen unterliegt, hat er jedoch keinen Anspruch auf eine Prozessentschädigung (Art. 429 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 436 Abs. 1 und 2 StPO).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Es werden keine Gerichtsgebühren erhoben.

Bellinzona, 9. Oktober 2013

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- A.

- Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt

- Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : BG.2013.20
Data : 09. ottobre 2013
Pubblicato : 16. ottobre 2013
Sorgente : Tribunale penale federale
Stato : Pubblicato come TPF 2013 179
Ramo giuridico : Corte dei reclami penali: procedimenti penali
Oggetto : Anfechtung des Gerichtsstands (Art. 41 Abs. 2 StPO).


Registro di legislazione
CPP: 31  34  38  39  40  41  104  393  429  436
LOAP: 37
Registro DTF
120-IV-280 • 137-I-195 • 138-I-49
Weitere Urteile ab 2000
6B_825/2010
Parole chiave
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