Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

1B 36/2023

Urteil vom 9. Februar 2023

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Haag, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Chaix, Kölz,
Gerichtsschreiber Schurtenberger.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Claudia Keller,

gegen

Staatsanwaltschaft Bischofszell,
Poststrasse 5b, 9220 Bischofszell,
vertreten durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Generalstaatsanwaltschaft,
Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld.

Gegenstand
Haftverlängerung / Haftüberprüfung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 20. Dezember 2022 (SW.2022.113, SW.2022.115).

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Bischofszell (nachfolgend Staatsanwaltschaft) führt ein Strafverfahren gegen A.________ wegen Raufhandel, Betrug, Urkundenfälschung, Drohung, mehrfacher (teilweise versuchter) Erpressung und weiteren Delikten. A.________ wurde am 19. Mai 2021 festgenommen und sitzt seither in Haft, die wiederholt vom Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau (nachfolgend Zwangsmassnahmengericht) und dem Obergericht des Kantons Thurgau (nachfolgend Obergericht) bestätigt wurde.

B.
Letztmals verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die gegen A.________ angeordnete Untersuchungshaft mit Entscheid vom 22. November 2022. Bereits am 5. Dezember 2022 stellte A.________ ein Haftentlassungsgesuch. Sodann erhob er mit Eingabe vom 8. Dezember 2022 fristgerecht Beschwerde beim Obergericht gegen den Haftentscheid des Zwangsmassnahmengerichts, wobei er erfolgreich die Sistierung des Verfahrens bis zum Entscheid über sein Haftentlassungsgesuch beantragte.
Das Zwangsmassnahmengericht ordnete mit Entscheid vom 13. Dezember 2022, unter Auflage der vorgängigen Leistung einer Sicherheit von Fr. 10'000.-- sowie Anordnung zahlreicher weiterer Ersatzmassnahmen, die Freilassung von A.________ an. Die dagegen von der Staatsanwaltschaft erhobene Beschwerde wurde mit der Beschwerde von A.________ gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 22. November 2022 vereinigt. Mit Entscheid vom 20. Dezember 2022 bestätigte das Obergericht, in Gutheissung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft und Abweisung der Beschwerde von A.________, die gegen letzteren angeordnete Untersuchungshaft.

C.
Dagegen erhebt A.________ mit Eingabe vom 20. Januar 2023 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und seine sofortige Haftentlassung, subsidiär die Rückweisung der Sache zum neuen Entscheid an das Obergericht oder das Zwangsmassnahmengericht. Weiter beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. Mit Schreiben vom 23. Januar 2023 reichte er sodann eine ergänzende Beschwerdeschrift mit neuen tatsächlichen Vorbringen ein.
Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat unter Verweisung auf die inzwischen erfolgte Anklageerhebung sowie die vom Zwangsmassnahmengericht mit Entscheid vom 24. Januar 2023 angeordnete Sicherheitshaft beantragt, auf die Beschwerde sei mangels eines aktuellen praktischen Interesses nicht einzutreten, eventualiter sei sie als gegenstandslos abzuschreiben. Das Bundesgericht hat von Amtes wegen den Entscheid es Zwangsmassnahmengerichts vom 24. Januar 2023 beigezogen. A.________ hat sich nicht mehr zur Sache geäussert.

Erwägungen:

1.

1.1. Der angefochtene kantonal letztinstanzliche Entscheid betrifft die Anordnung von Untersuchungshaft (Art. 220 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 220 Begriffe - 1 Die Untersuchungshaft beginnt mit ihrer Anordnung durch das Zwangsmassnahmengericht und endet mit dem Eingang der Anklage beim erstinstanzlichen Gericht, dem vorzeitigen Antritt einer freiheitsentziehenden Sanktion oder mit der Entlassung der beschuldigten Person während der Untersuchung.
1    Die Untersuchungshaft beginnt mit ihrer Anordnung durch das Zwangsmassnahmengericht und endet mit dem Eingang der Anklage beim erstinstanzlichen Gericht, dem vorzeitigen Antritt einer freiheitsentziehenden Sanktion oder mit der Entlassung der beschuldigten Person während der Untersuchung.
2    Als Sicherheitshaft gilt die Haft während der Zeit zwischen dem Eingang der Anklageschrift beim erstinstanzlichen Gericht und der Rechtskraft des Urteils, dem Antritt einer freiheitsentziehenden Sanktion, dem Vollzug der Landesverweisung oder der Entlassung.110
StPO). Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 78 Grundsatz - 1 Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen.
1    Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen.
2    Der Beschwerde in Strafsachen unterliegen auch Entscheide über:
a  Zivilansprüche, wenn diese zusammen mit der Strafsache zu behandeln sind;
b  den Vollzug von Strafen und Massnahmen.
. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit aus den Akten ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er ist deshalb grundsätzlich nach Art. 81 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 81 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer:
1    Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer:
a  vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; und
b  ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere:
b1  die beschuldigte Person,
b2  ihr gesetzlicher Vertreter oder ihre gesetzliche Vertreterin,
b3  die Staatsanwaltschaft, ausser bei Entscheiden über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft,
b4  ...
b5  die Privatklägerschaft, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann,
b6  die Person, die den Strafantrag stellt, soweit es um das Strafantragsrecht als solches geht,
b7  die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung in Verwaltungsstrafsachen nach dem Bundesgesetz vom 22. März 197455 über das Verwaltungsstrafrecht.
2    Eine Bundesbehörde ist zur Beschwerde berechtigt, wenn das Bundesrecht vorsieht, dass ihr der Entscheid mitzuteilen ist.56
3    Gegen Entscheide nach Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe b steht das Beschwerderecht auch der Bundeskanzlei, den Departementen des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, den ihnen unterstellten Dienststellen zu, wenn der angefochtene Entscheid die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann.
BGG zur Beschwerde berechtigt.

1.2. Nach ständiger Rechtsprechung führt ein während des laufenden Haftbeschwerdeverfahrens ergangener Entscheid über die Verlängerung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft nicht dazu, dass das aktuelle praktische Interesse an der Behandlung der Haftbeschwerde dahinfallen würde (BGE 139 I 206 E. 1.2; Urteil 1B 420/2022 vom 9. September 2022 E. 1.2, zur amtlichen Publikation bestimmt). Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft ist daher auf die Beschwerde einzutreten.

2.
Nach Art. 221
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 221 Voraussetzungen - 1 Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie:
1    Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie:
a  sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht;
b  Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen; oder
c  durch Verbrechen oder schwere Vergehen die Sicherheit anderer unmittelbar erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat.
1bis    Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind ausnahmsweise zulässig, wenn:
a  die beschuldigte Person dringend verdächtig ist, durch ein Verbrechen oder ein schweres Vergehen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer Person schwer beeinträchtigt zu haben; und
b  die ernsthafte und unmittelbare Gefahr besteht, die beschuldigte Person werde ein gleichartiges, schweres Verbrechen verüben.112
2    Haft ist auch zulässig, wenn die ernsthafte und unmittelbare Gefahr besteht, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen.113
StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Abs. 1 lit. a; sog. Fluchtgefahr), Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (Abs. 1 lit. b; sog. Kollusionsgefahr) oder durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Abs. 1 lit. c; sog. Wiederholungsgefahr). An Stelle der Haft sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 212 Grundsätze - 1 Die beschuldigte Person bleibt in Freiheit. Sie darf nur im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes freiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen unterworfen werden.
1    Die beschuldigte Person bleibt in Freiheit. Sie darf nur im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes freiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen unterworfen werden.
2    Freiheitsentziehende Zwangsmassnahmen sind aufzuheben, sobald:
a  ihre Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind;
b  die von diesem Gesetz vorgesehene oder von einem Gericht bewilligte Dauer abgelaufen ist; oder
c  Ersatzmassnahmen zum gleichen Ziel führen.
3    Untersuchungs- und Sicherheitshaft dürfen nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe.
und Art. 237 ff
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 237 Allgemeine Bestimmungen - 1 Das zuständige Gericht ordnet an Stelle der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen.
1    Das zuständige Gericht ordnet an Stelle der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen.
2    Ersatzmassnahmen sind namentlich:
a  die Sicherheitsleistung;
b  die Ausweis- und Schriftensperre;
c  die Auflage, sich nur oder sich nicht an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Haus aufzuhalten;
d  die Auflage, sich regelmässig bei einer Amtsstelle zu melden;
e  die Auflage, einer geregelten Arbeit nachzugehen;
f  die Auflage, sich einer ärztlichen Behandlung oder einer Kontrolle zu unterziehen;
g  das Verbot, mit bestimmten Personen Kontakte zu pflegen.
3    Das Gericht kann zur Überwachung solcher Ersatzmassnahmen den Einsatz technischer Geräte und deren feste Verbindung mit der zu überwachenden Person anordnen.
4    Anordnung und Anfechtung von Ersatzmassnahmen richten sich sinngemäss nach den Vorschriften über die Untersuchungs- und die Sicherheitshaft.
5    Das Gericht kann die Ersatzmassnahmen jederzeit widerrufen, andere Ersatzmassnahmen oder die Untersuchungs- oder die Sicherheitshaft anordnen, wenn neue Umstände dies erfordern oder die beschuldigte Person die ihr gemachten Auflagen nicht erfüllt.
. StPO).
Sowohl das Zwangsmassnahmengericht als auch die Vorinstanz haben das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und des besonderen Haftgrunds der Fluchtgefahr bejaht. Weiter wurde vom Zwangsmassnahmengericht auch das Vorliegen des besonderen Haftgrunds der Wiederholungsgefahr bejaht, was vom Obergericht indessen aufgrund der als gegeben erachteten Fluchtgefahr nicht geprüft wurde. Während das Zwangsmassnahmengericht aus Gründen der Verhältnismässigkeit an Stelle der Haft jedoch Ersatzmassnahmen anordnete, hat die Vorinstanz diese für unzureichend erachtet und daher die Weiterführung der Haft angeordnet. Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts nicht, wehrt sich aber gegen die Annahme von besonderen Haftgründen und stellt die Verhältnismässigkeit der Haft in Frage.

3.
In formeller Hinsicht rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz hätte auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts, mit welchem er aus der Haft entlassen wurde, gar nicht eintreten dürfen. Diese Verfahrensrüge ist vorab zu prüfen.

3.1. Gemäss Art. 393 Abs. 1 lit. c
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 393 Zulässigkeit und Beschwerdegründe - 1 Die Beschwerde ist zulässig gegen:
1    Die Beschwerde ist zulässig gegen:
a  die Verfügungen und die Verfahrenshandlungen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Übertretungsstrafbehörden;
b  die Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der erstinstanzlichen Gerichte; ausgenommen sind verfahrensleitende Entscheide;
c  die Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts, sofern dieses Gesetz sie nicht als endgültig bezeichnet.
2    Mit der Beschwerde können gerügt werden:
a  Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung;
b  die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts;
c  Unangemessenheit.
StPO ist die Beschwerde gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts in den in diesem Gesetz vorgesehenen Fällen zulässig. Hinsichtlich der Anordnung von Untersuchungs- und Sicherheitshaft hält Art. 222
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 222 Rechtsmittel - Einzig die verhaftete Person kann Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten. Vorbehalten bleibt Artikel 233.
StPO sodann fest, dass "die verhaftete Person" an die Beschwerdeinstanz gelangen kann; ein Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen. Das Bundesgericht hat diesbezüglich jedoch in konstanter Rechtsprechung festgehalten, dass es sich hierbei um ein gesetzgeberisches Versehen handle und im Interesse einer funktionierenden Strafjustiz ein solches Beschwerderecht notwendig sei (statt vieler BGE 147 IV 123 E. 2.2; 139 IV 314 E. 2.2; 138 IV 148 E. 3.1; je mit Hinweisen).

3.2. Im Rahmen der Revision der Strafprozessordnung hat der Gesetzgeber indessen ausdrücklich darauf verzichtet, die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichts zu kodifizieren und vielmehr unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass "einzig die verhaftete Person" zur Beschwerde legitimiert sei (Art. 222
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 222 Rechtsmittel - Einzig die verhaftete Person kann Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten. Vorbehalten bleibt Artikel 233.
StPO in der Fassung vom 17. Juni 2022, BBl 2022 1560). Diese klare Kundgabe des gesetzgeberischen Willens hat das Bundesgericht dazu veranlasst, auf seine ständige Rechtsprechung zum Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft zurückzukommen und diese, aufgrund neuer Erkenntnisse nunmehr als falsch erkannte Rechtsprechung, per sofort aufzugeben (Urteil 1B 614/2022 und 1B 628/2022 vom 10. Januar 2023 E. 2 mit zahlreichen Hinweisen, zur amtlichen Publikation bestimmt; vgl. dazu NIKLAUS RUCKSTUHL, Neuerungen im Strafprozessrecht, in: Anwaltsrevue 2023, S. 19).

3.3. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde daher insofern als begründet, als mangels gesetzlicher Grundlage für die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft die Vorinstanz auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 13. Dezember 2022, mit welchem unter Auflagen die Freilassung des Beschwerdeführers angeordnet worden war, nicht hätte eintreten dürfen.
Zugleich ist zu betonen, dass der angefochtene Entscheid vor Ergehen des Urteils 1B 614/2022 und 1B 628/2022 vom 10. Januar 2023 gefällt wurde und somit zu einem Zeitpunkt, als die alte, mittlerweile vom Bundesgericht aufgegebene, Praxis zum Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft noch Bestand hatte. Eine Nichtigkeit des angefochtenen Entscheids ist somit ausgeschlossen (Urteil 1B 614/2022 und 1B 628/2022 vom 10. Januar 2023 E. 2.4, zur amtlichen Publikation bestimmt), womit zugleich gesagt ist, dass fortwährend ein gültiger Hafttitel vorgelegen hat.

4.
Das Zwangsmassnahmengericht hat in der Zwischenzeit mit Entscheid vom 24. Januar 2023 Sicherheitshaft über den Beschwerdeführer angeordnet. Die vom Beschwerdeführer beantragte (direkte) Haftentlassung ist daher, zumindest ohne materielle Prüfung der Haftsache durch das Bundesgericht, vorliegend ausgeschlossen.
Sowohl der Beschwerdeführer als auch die Staatsanwaltschaft machen geltend, der Sachverhalt habe sich seit Ergehen des vom Obergericht aufgehobenen Entscheids des Zwangsmassnahmengerichts vom 13. Dezember 2022 (massgeblich) geändert. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundesgerichts, diesen veränderten Sachverhalt als erste Instanz umfassend und frei zu würdigen (vgl. Art. 99 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 99 - 1 Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt.
1    Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt.
2    Neue Begehren sind unzulässig.
und Art. 105
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG). Es rechtfertigt sich daher, die Haftsache zum erneuten Entscheid an das Zwangsmassnahmengericht zurückzuweisen.
Dies gilt umso mehr, als das Zwangsmassnahmengericht im Rahmen der Prüfung der Verhältnismässigkeit der von ihm mit Entscheid vom 24. Januar 2023 angeordneten Sicherheitshaft erwogen hat, es kämen gemäss dem (vorliegend angefochtenen) Entscheid des Obergerichts vom 20. Dezember 2022 keine Ersatzmassnahmen in Frage, was es als verbindlich erachte. Das Zwangsmassnahmengericht wird somit die Gelegenheit erhalten, unter Berücksichtigung der neuen tatsächlichen Vorbringen der Parteien und ohne Bindung durch den angefochtenen und nunmehr aufzuhebenden Entscheid der Vorinstanz erneut über die Haft des Beschwerdeführers zu befinden.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Haftsache zur unverzüglichen Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das Zwangsmassnahmengericht zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. Die Vorinstanz wird über die Kosten- und Entschädigungsfolgen ihres Verfahrens neu zu befinden haben (Art. 67
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 67 Kosten der Vorinstanz - Wird der angefochtene Entscheid geändert, so kann das Bundesgericht die Kosten des vorangegangenen Verfahrens anders verteilen.
und Art. 68 Abs. 5
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG).
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
Satz 2 und Abs. 4 BGG). Der Kanton Thurgau hat dem teilweise obsiegenden Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 20. Dezember 2022 wird aufgehoben und die Haftsache wird zum erneuten Entscheid im Sinne der Erwägungen an das Zwangsmassnahmengericht zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und Entschädigungen des vorinstanzlichen Verfahrens an das Obergericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Der Kanton Thurgau hat der Vertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Claudia Keller, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- auszurichten.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Bischofszell und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Februar 2023

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Haag

Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 1B_36/2023
Date : 09. Februar 2023
Published : 27. Februar 2023
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Strafprozess
Subject : Haftverlängerung / Haftüberprüfung


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BGG: 66  67  68  78  81  99  105
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