Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C 1040/2010

Urteil vom 6. Juni 2011
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Aargau,
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdeführerin,

gegen

R.________,
vertreten durch Beratungsstelle für Ausländer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 18. November 2010.

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene R.________ meldete sich im Juni 2006 bei der Invalidenversicherung an und beantragte eine Rente. Mit Verfügung vom 25. März 2008 wies die IV-Stelle des Kantons Aargau das Leistungsbegehren ab. Mit Entscheid vom 15. Oktober 2008 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die hiegegen erhobene Beschwerde gut und wies die Sache zur weiteren Abklärung an die Verwaltung zurück. Mit Verfügung vom 12. Mai 2010 verneinte die IV-Stelle wiederum den Anspruch von R.________ auf eine Invalidenrente.

B.
Mit Entscheid vom 18. November 2010 änderte das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Verfügung vom 12. Mai 2010 dahingehend ab, dass es die IV-Stelle verpflichtete, R.________ ab 1. Juli 2008 eine Viertelsrente auszurichten.

C.
Die IV-Stelle des Kantons Aargau führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 18. November 2010 sei aufzuheben.
R.________, das kantonale Versicherungsgericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Mit Verfügung vom 26. Januar 2011 ist der Beschwerde aufschiebende Wirkung erteilt worden.

Erwägungen:

1.
Ausgehend von einer psychisch bedingt reduzierten Arbeitsfähigkeit von 80 % in körperlich leichten Tätigkeiten gemäss dem Verlaufsgutachten des ABI (Ärztliches Begutachtungsinstitut) vom 5. Januar 2010 hat die Vorinstanz durch Einkommensvergleich (Art. 16
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 16 Grad der Invalidität - Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre.
ATSG in Verbindung mit Art. 28a Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 28a - 1 Die Bemessung des Invaliditätsgrades von erwerbstätigen Versicherten richtet sich nach Artikel 16 ATSG211. Der Bundesrat umschreibt die zur Bemessung des Invaliditätsgrades massgebenden Erwerbseinkommen sowie die anwendbaren Korrekturfaktoren.212
1    Die Bemessung des Invaliditätsgrades von erwerbstätigen Versicherten richtet sich nach Artikel 16 ATSG211. Der Bundesrat umschreibt die zur Bemessung des Invaliditätsgrades massgebenden Erwerbseinkommen sowie die anwendbaren Korrekturfaktoren.212
2    Bei nicht erwerbstätigen Versicherten, die im Aufgabenbereich tätig sind und denen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, wird für die Bemessung des Invaliditätsgrades in Abweichung von Artikel 16 ATSG darauf abgestellt, in welchem Masse sie unfähig sind, sich im Aufgabenbereich zu betätigen.213
3    Bei Versicherten, die nur zum Teil erwerbstätig sind oder die unentgeltlich im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin mitarbeiten, wird der Invaliditätsgrad für diesen Teil nach Artikel 16 ATSG festgelegt. Waren sie daneben auch im Aufgabenbereich tätig, so wird der Invaliditätsgrad für diese Tätigkeit nach Absatz 2 festgelegt.214 In diesem Fall sind der Anteil der Erwerbstätigkeit oder der unentgeltlichen Mitarbeit im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin und der Anteil der Tätigkeit im Aufgabenbereich festzulegen und der Invaliditätsgrad in beiden Bereichen zu bemessen.
IVG) einen Invaliditätsgrad von 40 % ermittelt, was Anspruch auf eine Viertelsrente gibt (Art. 28 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 28 Grundsatz - 1 Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
1    Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
a  ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten oder verbessern können;
b  während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG206) gewesen sind; und
c  nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid (Art. 8 ATSG) sind.
1bis    Eine Rente nach Absatz 1 wird nicht zugesprochen, solange die Möglichkeiten zur Eingliederung im Sinne von Artikel 8 Absätze 1bis und 1ter nicht ausgeschöpft sind.207
2    ...208
IVG). Den Leistungsbeginn hat sie auf den 1. Juli 2008 festgesetzt.

2.
Die IV-Stelle rügt, die Vorinstanz habe die Frage nach dem invalidisierenden Charakter der gesundheitlichen Beeinträchtigungen gemäss dem ABI-Gutachten zu Unrecht nicht in Anwendung der für anhaltende somatoforme Schmerzstörungen im Sinne von ICD-10 F45.4 geltenden Rechtsprechung beurteilt. Zudem gehe sie - sinngemäss - von einem unzutreffenden Verständnis von der Bedeutung psychosozialer und soziokultureller Belastungsfaktoren im Kontext von Schmerzsyndromen ohne nachweisbare organische Ursache und Beteiligung einer leichten depressiven Episode aus.

3.
3.1 Im ABI-Gutachten vom 5. Januar 2010, dessen Beweiswert (vgl. dazu BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) grundsätzlich nicht bestritten ist, wurden als Diagnosen (mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit) eine leichte depressive Episode (ICD-10 F32.0) und ein chronisches lumbovertebrales Schmerzsyndrom, derzeit ohne radikuläre Ausfälle (ICD-10 M54.5), bei - Status nach mikrochirurgischer Fenestration, Flavektomie, Diskektomie und Rezessotomie LWK4/5 am 31. März 2006 bei mediolateraler Diskusprotrusion links mit Wurzelkompression LWK4/5 links, - minimer Diskusprotrusion LKW3/4, Diskushernie LWK4/5 mit Kontakt zur Nervenwurzel L5 beidseits, kleine Diskushernie LWK5/ SWK1 mit Kontakt zur Nervenwurzel S1 beidseits (MRI vom 25. März 2008), - nur vorübergehendem Ansprechen auf Infiltration der Fazettengelenke LWK4/5 und Nervenwurzel L5 links (November 2008), sowie (ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit) u.a. eine Schmerzverarbeitungsstörung (ICD-10 F54) aufgeführt. Für die angestammte Tätigkeit als Rangierarbeiter wurde aufgrund des lumbovertebralen Schmerzsyndroms eine Arbeitsunfähigkeit von 100 %, für körperlich leichte bis intermittierend mittelschwere wechselbelastende Tätigkeiten aufgrund der psychiatrischen Diagnose eine Einschränkung der
Arbeits- und Leistungsfähigkeit von 20 % angegeben.

3.2 In BGE 127 V 294 E. 5a S. 299 hatte das Eidg. Versicherungsgericht die Grundsätze zur Bedeutung psychosozialer und soziokultureller Faktoren für die Invalidität dargelegt. Davon ausgehend hat die Vorinstanz festgestellt, gemäss den medizinischen Unterlagen lägen beim Versicherten zahlreiche solche Faktoren (angespannte wirtschaftliche Situation, angespannte Beziehung zur Ehefrau und den Kindern, Arbeitslosigkeit, Rollenverlust in der Familie und in der Gesellschaft) vor, welche offenkundig auch eine Rolle als selbständige und soweit nicht versicherte Ursache der Leistungseinschränkung spielten. Zugleich habe der psychiatrische Gutachter des ABI jedoch typische Symptome einer Depression festgestellt, eine leichte depressive Episode diagnostiziert und eine Leistungseinschränkung von 20 % attestiert. Insgesamt seien somit keine Anhaltspunkte ersichtlich, welche die Schlüssigkeit dieser Beurteilung in Frage stellen würden.
Der Auffassung der IV-Stelle in der angefochtenen Verfügung, eine leichte depressive Episode begründe keine Invalidität, ist die Vorinstanz mit dem Hinweis auf das Urteil I 514/06 vom 25. Mai 2007 E. 2.2.2.2 (publiziert in: SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43) begegnet. Danach wirken sich psychosoziale und soziokulturelle Faktoren allenfalls mittelbar invaliditätsbegründend aus, wenn und soweit sie zu einer eigentlichen Beeinträchtigung der psychischen Integrität führen, welche ihrerseits eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bewirkt, wenn sie einen verselbständigten Gesundheitsschaden aufrechterhalten oder den Wirkungsgrad seiner - unabhängig von den invaliditätsfremden Elementen bestehenden - Folgen verschlimmern (vgl. auch Urteil 9C 161/2009 vom 18. September 2009 E. 2.2 mit Hinweisen).

3.3 Die Vorinstanz hat somit die Frage, ob ein invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden gegeben ist, nicht nach Massgabe der für anhaltende somatoforme Schmerzstörungen im Sinne von ICD-10 F45.4 geltenden Rechtsprechung (grundlegend BGE 130 V 352) geprüft. Diese ist - aus Gründen der Rechtsgleichheit - indessen grundsätzlich auf sämtliche pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebilder ohne nachweisbare organische Grundlage anzuwenden, wie die IV-Stelle richtig vorbringt (Urteil I 70/07 vom 14. April 2008 E. 5; BGE 136 V 279 E. 3.2.3 S. 283; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 3.2 in fine S. 399). Vorliegend bestehen zwar organische Befunde und aufgrund des lumbovertebralen Schmerzsyndroms sind Tätigkeiten wie die zuletzt ausgeübte als Rangierarbeiter nicht mehr zumutbar. Hingegen kann der Versicherte körperlich leichte bis intermittierend mittelschwere wechselbelastende Tätigkeiten aus orthopädischer Sicht uneingeschränkt ausüben. Die Schmerzverarbeitungsstörung hat keinen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit (vorne E. 3.1). Inwiefern von ihm, psychisch bedingt, willensmässig nicht erwartet werden kann, trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung eine volle Leistung zu erbringen, beurteilt sich daher nach Massgabe
der für anhaltende somatoforme Schmerzstörungen im Sinne von ICD-10 F45.4 geltenden Rechtsprechung.
3.4
3.4.1 Ob eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung nach ICD-10 F45.4 einen invalidisierenden Gesundheitsschaden im Sinne von Art. 4 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
IVG sowie Art. 3 Abs. 1
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 3 Krankheit - 1 Krankheit ist jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.7
1    Krankheit ist jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.7
2    Als Geburtsgebrechen gelten diejenigen Krankheiten, die bei vollendeter Geburt bestehen.
und Art. 6
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 6 Arbeitsunfähigkeit - Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten.9 Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt.
ATSG darstellt, beurteilt sich danach, ob und inwiefern, allenfalls bei geeigneter therapeutischer Behandlung, bei objektiver Betrachtungsweise von der versicherten Person trotz des Leidens willensmässig erwartet werden kann zu arbeiten (BGE 127 V 294 E. 4b/cc in fine und E. 5a S. 297 ff.). Umstände, welche bei Vorliegen dieses Krankheitsbildes die Verwertung der verbliebenen Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt als unzumutbar erscheinen lassen können, sind die erhebliche Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer des psychischen Leidens (Komorbidität), chronische körperliche Begleiterkrankungen mit mehrjährigem Krankheitsverlauf bei unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne längerfristige Remission, sozialer Rückzug, ein verfestigter, therapeutisch nicht mehr angehbarer innerseelischer Verlauf einer an sich missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung (primärer Krankheitsgewinn), unbefriedigende Ergebnisse von konsequent durchgeführten Behandlungen (auch mit unterschiedlichem therapeutischem Ansatz) und gescheiterte
Rehabilitationsmassnahmen bei vorhandener Motivation und Eigenanstrengung der versicherten Person (BGE 132 V 65 E. 4.2.2 S. 71; 130 V 352 E 2.2.3 S. 353 ff.; Urteil 9C 1061/2009 vom 11. März 2010 E. 5.4.3.1.1). Gegen den invalidisierenden Charakter einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung spricht, wenn u.a. eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geschilderten Schmerzen und dem gezeigten Verhalten oder der Anamnese besteht, intensive in der Umschreibung vage Schmerzen angegeben oder schwere Einschränkungen im Alltag behauptet werden, das psychosoziale Umfeld jedoch weitgehend intakt ist (BGE 131 V 49 E. 2. 1 S. 51).
Aufgabe des begutachtenden Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung bei Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung ist, sich dazu zu äussern, ob eine psychische Komorbidität oder weitere Umstände gegeben sind, welche die Schmerzbewältigung im Hinblick auf eine erwerbliche Tätigkeit behindern. Gestützt darauf haben die rechtsanwendenden Behörden zu entscheiden, ob der Gesundheitsschaden invalidisierend ist, d.h. zu prüfen, ob eine festgestellte psychische Komorbidität hinreichend erheblich ist und ob einzelne oder mehrere der festgestellten weiteren Kriterien in genügender Intensität und Konstanz vorliegen, um gesamthaft den Schluss auf eine im Hinblick auf eine erwerbliche Tätigkeit nicht mit zumutbarer Willensanstrengung überwindbare Schmerzstörung zu erlauben (Urteil 9C 482/2010 vom 21. September 2010 E. 4.3). Die Prüfung schliesst die Beurteilung der Frage ein, inwiefern die ärztliche Einschätzung der psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit invaliditätsfremde Gesichtspunkte (insbesondere psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren) mitberücksichtigt (Urteil 9C 651/2009 vom 7. Mai 2010 E. 5.1).
3.4.2
3.4.2.1 Eine leichte depressive Episode stellt keine Komorbidität von erheblicher Schwere und Ausprägung dar (so auch Urteile 8C 285/2009 vom 7. August 2009 E. 3.3.2 und 9C 235/2007 vom 8. Mai 2008 E. 3.3). Der psychiatrische Gutachter des ABI verneinte sodann einen ausgeprägten sozialen Rückzug, schwere lebensgeschichtliche Belastungen und Hinweise auf unbewusste Konflikte sowie einen primären Krankheitsgewinn. Das Scheitern der therapeutischen Bemühungen erklärte er damit, der Explorand zeige aufgrund der ausgeprägten subjektiven Krankheitsüberzeugung wenig Motivation, trotz allfälliger Restbeschwerden sich aktiv um seine Genesung zu bemühen und sich den Belastungen der Arbeitswelt wieder auszusetzen. Die leichte depressive Störung sei nicht adäquat behandelt und die unregelmässige Einnahme des verordneten Antidepressivums weise darauf hin, dass er sich nicht besonders depressiv fühle. In ihrer Gesamtbeurteilung hielten die Gutachter des ABI u.a. fest, die vom Exploranden angegebenen äusserst diffusen Schmerzen liessen sich nicht durch objektive Befunde oder vorliegende Bilddokumente begründen. Es beständen deutliche Diskrepanzen zwischen den demonstrierten Einschränkungen bei der klinischen Untersuchung und der ausserhalb der
fokussierten Untersuchungssituation feststellbaren, weitgehend freien Beweglichkeit im Bewegungsapparat.
Aufgrund dieser fachärztlichen Aussagen kann - im Rahmen zulässiger antizipierter Beweiswürdigung (vgl. Urteil 9C 1061/2009 vom 11. März 2010 E. 5.4.3.1 und Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 89/05 vom 30. Januar 2006 E. 3) - keines der massgebenden Kriterien, welche gegen die Erbringung einer vollen Leistung in den körperlichen Beeinträchtigungen angepassten Tätigkeiten sprechen können, als gegeben betrachtet werden.
3.4.2.2 Zu keinem anderen Ergebnis führt, wenn zur Beurteilung der Frage, ob die Arbeitsfähigkeit von 100 % in den körperlichen Beeinträchtigungen angepassten Tätigkeiten psychisch bedingt in Form einer um 20 % reduzierten Leistung eingeschränkt ist, nicht die für anhaltende somatoforme Schmerzstörungen geltende Rechtsprechung herangezogen wird. Vorab stellt eine leichte depressive Episode kein schweres psychisches Leiden dar. Sodann ist gemäss dem psychiatrischen Gutachter des ABI die Störung nicht adäquat behandelt. Der Versicherte nehme das verordnete Antidepressivum nicht regelmässig ein, was darauf hinweise, dass er sich nicht besonders depressiv fühle. Weiter lagen nach nicht offensichtlich unrichtiger, im Übrigen unbestrittener Feststellung der Vorinstanz beim Versicherten zahlreiche invaliditätsfremde Belastungsfaktoren (angespannte wirtschaftliche Situation, angespannte Beziehung zur Ehefrau und den Kindern, Arbeitslosigkeit, Rollenverlust in der Familie und in der Gesellschaft) vor (E. 3.2), welche gemäss dem psychiatrischen Experten des ABI zur depressiven Entwicklung beitrügen. Nicht klar vom psychischen Leiden abgrenzbare psychosoziale und soziokulturelle Faktoren sprechen jedoch gegen den invalidisierenden Charakter
der Störung (vgl. BGE 127 V 294 E. 5a S. 299 und SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203, 9C 830/2007 E. 4.2).
Somit ist von einer zeitlich und leistungsmässig grundsätzlich uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit in den körperlichen Beeinträchtigungen angepassten Tätigkeiten auszugehen.

4.
Wird im Einkommensvergleich der Vorinstanz von einer Arbeitsfähigkeit von 100 % ausgegangen, ergibt sich kein anspruchsbegründender Invaliditätsgrad, selbst wenn bei der Ermittlung des Invalideneinkommens auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2008 des Bundesamtes für Statistik (vgl. dazu BGE 124 V 321) ein Abzug vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 von 25 % vorgenommen wird. Der anders lautende vorinstanzliche Entscheid verletzt Bundesrecht.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 18. November 2010 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hat die Gerichtskosten und die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren neu festzusetzen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Pensionskasse SBB, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Eidgenössischen Ausgleichskasse und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Juni 2011
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 9C_1040/2010
Date : 06. Juni 2011
Published : 24. Juni 2011
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Invalidenversicherung
Subject : Invalidenversicherung (Invalidenrente)


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BGG: 66
IVG: 4  28  28a
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