Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B 2/2023
Urteil vom 5. Januar 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Muschietti,
nebenamtliche Bundesrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiberin Bianchi.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Huber,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Revisionsgesuch (Landesverweisung); rechtliches Gehör, Feststellung des Sachverhalts,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 17. November 2022 (SR220004-O/U/nm-as).
Sachverhalt:
A.
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 13. Februar 2020 fest, dass der Schuldspruch von A.________ wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der rechtswidrigen Einreise, des rechtswidrigen Aufenthalts, der Widerhandlung gegen das Waffengesetz und der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes in Rechtskraft erwachsen sei. Es widerrief die Probezeit, welche für seine Freiheitsstrafe von sieben Jahren wegen versuchter Tötung, Vergehen gegen das Waffengesetz sowie gegen das Betäubungsmittelgesetz gewährt wurde und ordnete die Rückversetzung zum Vollzug der Reststrafe von 852 Tagen Freiheitsstrafe an. Unter Einbezug dieses Strafrestes bestrafte es A.________ mit einer Freiheitsstrafe von 44 Monaten. Das Obergericht sprach eine Landesverweisung für die Dauer von acht Jahren gegen den afghanischen Staatsangehörigen aus und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem (SIS) an. Das Urteil des Obergerichts blieb unangefochten.
B.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wies mit Entscheid vom 25. April 2022 den Asylantrag von A.________ ab und verweigerte ihm ein vorläufiges Aufenthaltsrecht. Angesichts seiner Zugehörigkeit zum Christentum und deswegen in Afghanistan drohenden Nachteilen sprach es ihm indes die Flüchtlingseigenschaft zu.
C.
A.________ stellte am 10. Mai 2022 beim Obergericht des Kantons Zürich ein Revisionsgesuch, mit welchem er die Aufhebung der angeordneten Landesverweisung samt Ausschreibung derselben im SIS beantragte. Das Obergericht wies das Revisionsgesuch mit Urteil vom 17. November 2022 ab.
D.
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, seine Beschwerde sei gutzuheissen, das Urteil des Obergerichts vom 17. November 2022 sei aufzuheben und in Gutheissung des Revisionsbegehrens sei die mit Urteil des Obergerichts vom 13. Februar 2020 ausgesprochene Landesverweisung samt Ausschreibung derselben im SIS aufzuheben. Eventualiter sei die Streitsache anhand der richterlichen Erwägungen zur Gewährung des rechtlichen Gehörs, zur Vervollständigung der Sachverhaltsfeststellung und zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. A.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Erwägungen:
1.
1.1. Der Beschwerdeführer rügt zunächst, das Berufungsgericht habe im Urteil vom 13. Februar 2020 weder seine Taufe vom 11. Februar 2020 noch die gestützt auf die Religion begründete Flüchtlingseigenschaft und daraus abgeleiteten menschen- und völkerrechtlichen Aspekte berücksichtigt. Die Vorinstanz verneine im Revisionsverfahren fälschlicherweise, dass mit seiner Taufe und Flüchtlingseigenschaft neue Tatsachen im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a
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1.2.
1.2.1. Wer durch ein rechtskräftiges Strafurteil oder einen Strafbefehl beschwert ist, kann nach Art. 410 Abs. 1 lit. a
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1.2.2. Revisionsrechtlich neu sind Tatsachen, wenn sie zum Zeitpunkt des früheren Urteils zwar bereits bestanden haben, die Strafbehörde im Zeitpunkt der Urteilsfällung aber keine Kenntnis von ihnen hatte, sie ihr mithin nicht in irgendeiner Form zur Beurteilung vorlagen. Die neuen Tatsachen müssen zudem erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn sie geeignet sind, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils so zu erschüttern, dass aufgrund des veränderten Sachverhalts ein wesentlich milderes Urteil möglich ist (BGE 137 IV 59 E. 5.1.2 und E. 5.1.4; 130 IV 72 E. 1; Urteile 6B 907/2023 vom 27. September 2023 E. 1.3.1; 6B 698/2023 vom 6. Juli 2023 E. 2.2; je mit Hinweisen). Möglich ist eine Änderung des früheren Urteils aber nur dann, wenn sie sicher, höchstwahrscheinlich oder wahrscheinlich ist (BGE 120 IV 246 E. 2b; 116 IV 353 E. 5a; Urteile 6B 907/2023 vom 27. September 2023 E. 1.3.1; 6B 698/2023 vom 6. Juli 2023 E. 2.2; je mit Hinweisen). Das Rechtsmittel der Revision dient nicht dazu, rechtskräftige Entscheide jederzeit infrage zu stellen oder frühere prozessuale Versäumnisse zu beheben (BGE 145 IV 197 E. 1.1; 130 IV 72 E. 2.2; je mit Hinweisen).
1.2.3. Ob eine Tatsache oder ein Beweismittel neu und gegebenenfalls geeignet ist, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils zu erschüttern, stellt eine Tatfrage dar, die das Bundesgericht nur auf Willkür überprüft (vgl. Art. 97 Abs. 1
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1.3.
1.3.1. Die Vorinstanz erwägt, das Berufungsgericht habe sich im Berufungsurteil im Hinblick auf die Landesverweisung mit den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Trotz ungenügender Integration sei ein schwerer persönlicher Härtefall bejaht worden, da die nächsten Angehörigen des Beschwerdeführers in der Schweiz leben würden, der Beschwerdeführer Christ sei und er die letzten 23 prägenden Jahre in der Schweiz gelebt habe. Im Rahmen der Abwägung zwischen den privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz und den öffentlichen Interessen an einer Ausweisung habe das Berufungsgericht festgehalten, dass der Beschwerdeführer insbesondere aufgrund seiner langen kriminellen Vorgeschichte mit teilweise gravierenden Delikten (u.a. versuchter Tötung und teils qualifizierten Drogendelikten) eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle, weshalb die öffentlichen Interessen an seiner Wegweisung die privaten Interessen am Verbleib in der Schweiz klar überwiegen würden. Mit Blick auf die geltend gemachten Gründe für die Gefährdung seines Lebens bei einer Ausweisung nach Afghanistan werde im Berufungsurteil ausdrücklich festgehalten, dass diese in Anwendung von Art. 66d
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Vollzugs der Landesverweisung zu prüfen seien. Daraus ergebe sich, dass dem Berufungsgericht die Konvertierung des Beschwerdeführers zum Christentum sowie sein Vorbringen, bei einer Ausweisung in sein Heimatland mit dem Tod bedroht zu werden, bekannt gewesen seien.
1.3.2. Den vorinstanzlichen Erwägungen ist zu entnehmen, dass die Konvertierung des Beschwerdeführers zum Christentum dem Berufungsgericht im Zeitpunkt der Urteilsfällung bekannt gewesen war. Die Taufe vom 11. Februar 2020 ist nicht geeignet, die tatsächlichen Grundlagen des Urteils des Berufungsgerichts zu erschüttern und ist unter Berücksichtigung des dem Berufungsurteil zugrunde liegenden Sachverhaltes nicht als erheblich im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a
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1.4.
1.4.1. Strittig ist ferner, ob die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers als eine neue Tatsache im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a
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1.4.2. Die Vorinstanz führt aus, nur anerkannte Flüchtlinge würden sich auf das flüchtlingsrechtliche Non-refoulement-Gebot gemäss Art. 33 Abs. 1
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1.4.3. Die Frage der Flüchtlingseigenschaft ist eine Frage der Auslegung und Anwendung von Art. 3
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1.4.4. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Non-refoulement-Geboten ist anzumerken, dass diese im Zusammenhang mit Art. 66d
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2.4.1; je mit Hinweisen). Das Sachgericht hat solche Hindernisse, soweit die unter Verhältnismässigkeitsaspekten erheblichen Verhältnisse stabil und die rechtliche Durchführbarkeit der Landesverweisung definitiv bestimmbar sind, zu berücksichtigen (Urteile 6B 1115/2022 vom 22. November 2023 E. 5.2.3; 6B 1030/2023 vom 15. November 2023 E. 2.4.1; 6B 1367/2022 vom 7. August 2023 E. 1.3.2; je mit Hinweisen). Liegt ein definitives Vollzugshindernis vor, so hat der Sachrichter auf die Anordnung der Landesverweisung zu verzichten (BGE 147 IV 453 E. 1.4.5; 145 IV 455 E. 9.4; 144 IV 332 E. 3.3; Urteil 6B 1115/2022 vom 22. November 2023 E. 5.2.3; je mit Hinweisen). Im Übrigen sind die Vollzugsbehörden zur Prüfung allfälliger Vollzugshindernisse, welche zum Zeitpunkt des Sachurteils noch nicht feststehen, zuständig (Urteile 6B 1115/2022 vom 22. November 2023 E. 5.2.3; 6B 1367/2022 vom 7. August 2023 E. 1.3.2; 6B 1493/2022 vom 22. Juni 2023 E. 3.1.4; je mit Hinweisen).
Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass allfällige Vollzugshindernisse schon bei der strafgerichtlichen Anordnung der Landesverweisung nach Art. 66a Abs. 2
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Urteile 6B 1115/2022 vom 22. November 2023 E. 5.4.1; 6B 747/2019 vom 24. Juni 2020 E. 2.1.2 mit Hinweisen). In diesem Zusammenhang ist auf die vorinstanzliche Erwägung zu verweisen, wonach das Migrationsamt des Kantons Zürich am 9. Juni 2022 als Vollzugsbehörde der Landesverweisung festgestellt habe, dass zurzeit nicht ausgeschlossen werden könne, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückführung nach Afghanistan eine unmenschliche bzw. erniedrigende Strafe oder Behandlung im Sinne von Art. 3
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1.5. Die Taufe des Beschwerdeführers und seine Flüchtlingseigenschaft sind nicht als neue Tatsachen im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a
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2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Januar 2024
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Bianchi