Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2005.9

Entscheid vom 4. Juli 2005 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz, Andreas J. Keller und Tito Ponti , Gerichtsschreiber Hanspeter Lukács

Parteien

Kanton Zürich

Gesuchsteller

gegen

Kanton Aargau

Gesuchsgegner

Gegenstand

Bestimmung des Gerichtsstandes i.S. A.______ und B.______

Sachverhalt:

A. Gegen die Beschuldigten A.______, geboren am 4. August 1983, und B._______, geboren am 26. April 1986, beide zur Zeit unbekannten Aufenthaltes, wird wegen im Zeitraum Dezember 2003/Januar 2004 bis Juli 2004 in mehreren Kantonen grösstenteils gemeinschaftlich begangener Straftaten ermittelt. Die mit den Verfahren zunächst befasste Jugendanwaltschaft des Kantons Aargau trat diese am 17. Mai 2004 unter Hinweis auf Art. 372
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 372 - 1 Die Kantone vollziehen die von ihren Strafgerichten auf Grund dieses Gesetzes ausgefällten Urteile. Sie sind verpflichtet, die Urteile der Bundesstrafbehörden gegen Ersatz der Kosten zu vollziehen.
1    Die Kantone vollziehen die von ihren Strafgerichten auf Grund dieses Gesetzes ausgefällten Urteile. Sie sind verpflichtet, die Urteile der Bundesstrafbehörden gegen Ersatz der Kosten zu vollziehen.
2    Den Urteilen sind die von Polizeibehörden und andern zuständigen Behörden erlassenen Strafentscheide und die Beschlüsse der Einstellungsbehörden gleichgestellt.
3    Die Kantone gewährleisten einen einheitlichen Vollzug strafrechtlicher Sanktionen.559
StGB an die Jugendanwaltschaft des Bezirks Zürich ab, welche in der Folge die Sache ihrerseits zuständigkeitshalber sowie zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit an die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich überwies, nachdem sich einerseits herausgestellt hatte, dass A.______ nicht wie von ihm zunächst angegeben am 4. August 1987, sondern am 4. August 1983 geboren wurde und demnach die allgemeinen Vorschriften für Erwachsene anwendbar sind und andererseits die B.______ vorgeworfenen Taten teilweise nach Vollendung des 18. Altersjahrs begangen wurden. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich bestätigte der Jugendanwaltschaft des Bezirks Zürich am 20. Januar 2005 die kantonsinterne Übernahme der Strafuntersuchungen (BK act. 1.7 und 1.7.1).

B. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führten in der Folge einen Meinungsaustausch über die Frage der örtlichen Zuständigkeit im Verfahren gegen die beiden Beschuldigten durch, welcher ergebnislos endete (BK act. 1.8 – 1.11).

C. Mit Gesuch vom 23. März 2005 gelangte die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragte, die zuständige Behörde des Kantons Aargau sei zur Verfolgung und Beurteilung der Beschuldigten A.______ und B.______ für berechtigt und verpflichtet zu erklären (BK act. 1).

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragte mit Stellungnahme vom 14. April 2005, auf das Gesuch sei nicht einzutreten, eventuell sei es abzuweisen (BK act. 3).

Ein weiterer Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.

Auf die Ausführungen der Parteien wird, soweit erforderlich, in den rechtlichen Erwägungen eingegangen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Die Zuständigkeit der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid in Verfahren betreffend Gerichtsstandsstreitigkeiten ergibt sich aus Art. 351
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
StGB i.V.m. Art. 279 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
BStP und Art. 28 Abs. 1 lit. g
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
SGG.

1.2 Die Staatsanwaltschaften der Kantone Aargau und Zürich sind nach ihrer kantonsinternen Zuständigkeitsordnung berechtigt, bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten ihre Kantone nach aussen zu vertreten (Schweri/Bänziger, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl., Bern 2004, S. 213 ff., Anhang II). Der zwischen den Parteien geführte Meinungsaustausch führte zu keiner Einigung (Schweri/Bänziger, a.a.O., S. 195 N. 599). Eine Frist für die Anrufung der Beschwerdekammer besteht für die Kantone im vorliegenden Fall nicht (Schweri/Bänziger, a.a.O., S. 200 N. 623). Die Vorbringen des Gesuchstellers zur Sache und der Aktenstand sind ausreichend, um den Gerichtsstand für die Strafverfolgung gegen die Beschuldigten zu bestimmen. Auf das Gesuch ist demnach einzutreten.

2.

2.1 Der Gerichtsstand bestimmt sich nach jenem Tatbestand, welcher einem Täter vorgeworfen wird. Die Beschwerdekammer hat bei der Entscheidung, welcher Kanton zur Führung eines Strafverfahrens zuständig ist, von der Aktenlage auszugehen, welche zum Zeitpunkt ihres Urteils gegeben ist (Schweri/Bänziger, a.a.O., S. 24 f. N. 62 mit Hinweisen; vgl. Entscheid der Beschwerdekammer BK_G 233/04 vom 22. Januar 2005 E. 3.1).

2.2 Beide Beschuldigte sind moldawische Staatsangehörige und nach Darstellung des Gesuchstellers im Herbst 2004 in ihr Heimatland zurückgereist. Die erstbeanzeigte Straftat ist ein am 25. Januar 2004 gemeinschaftlich begangener Einbruchdiebstahl in Z.______/AG. Den Beschuldigten werden zahlreiche weitere, grösstenteils gemeinsam begangene Straftaten – Einbruchdiebstähle sowie SVG- und ANAG-Delikte – vorgeworfen, welche in insgesamt sieben verschiedenen Kantonen verübt wurden. Für die unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat (Art. 139 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 139 - 1. Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    ...193
3    Der Dieb wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wenn er:
a  gewerbsmässig stiehlt;
b  den Diebstahl als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat;
c  zum Zweck des Diebstahls eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt oder eine Explosion verursacht; oder
d  sonst wie durch die Art, wie er den Diebstahl begeht, seine besondere Gefährlichkeit offenbart.194
4    Der Diebstahl zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt.
, ev. Ziff. 3 i.V.m. Art. 350 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB) hier ausschliesslich interessierenden 36 Vermögensdelikte ergibt sich hinsichtlich Anzahl und Ort der Begehung (Kanton) folgende Aufstellung: 1 Aargau, 8 Appenzell-Innerrhoden, 4 Graubünden, 6 St. Gallen, 4 Schwyz, 13 Zürich (BK act. 1 S. 7, act. 1.12 und 1.13).

3. Der Gesuchsgegner anerkennt grundsätzlich, dass bei der gegenwärtigen Aktenlage der gesetzliche Gerichtsstand im Kanton Aargau liegt. Er hält jedoch dafür, dass ausnahmsweise von diesem abgewichen werden kann, wenn das Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit in einem anderen Kanton liegt, und führt bestimmte Zweckmässigkeitsüberlegungen ins Feld.

3.1 Gemäss der Grundnorm von Art. 346
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB sind für die Verfolgung und Beurteilung einer strafbaren Handlung die Behörden des Ortes zuständig, wo die strafbare Handlung ausgeführt wurde (Abs. 1). Wenn an der Tat mehrere als Mittäter beteiligt sind, wird die Straftat von den Behörden desjenigen Ortes verfolgt und beurteilt, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde (Art. 349 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 349
StGB). Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten verübter strafbarer Handlungen verfolgt, so sind die Behörden des Ortes, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist, auch für die Verfolgung und die Beurteilung der andern Taten zuständig. Sind diese strafbaren Handlungen mit der gleichen Strafe bedroht, so sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wird (Art. 350 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB).

Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts kann die Zuständigkeit bei Teilnahme mehrerer an einer strafbaren Handlung bzw. beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen anders als in Art. 349
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 349
bzw. 350
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB bestimmen (Art. 262 f
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
. BStP). Dabei hat sie sich vom Sinn, den der Gesetzgeber im Auge hatte, nämlich die richtige und die rasche Anwendung des materiellen Rechts zu ermöglichen, leiten zu lassen. Insbesondere aus Zweckmässigkeits-, Wirtschaftlichkeits- und prozessökonomischen Gründen kann ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand gerechtfertigt sein. Es geht darum zu verhindern, dass die Anwendung der gesetzlichen Regelung zu besonderen prozessualen Schwierigkeiten führt. Für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand werden triftige Gründe vorausgesetzt. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn in einem Kanton ein offensichtliches Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit liegt, wobei es allerdings nicht genügt, dass auf einen Kanton einige wenige Delikte mehr als auf einen anderen entfallen, sondern das Übergewicht muss so offensichtlich und bedeutsam sein, dass sich das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand geradezu aufdrängt. Wenn mehr als zwei Drittel einer grösseren Anzahl von vergleichbaren Straftaten auf einen einzigen Kanton entfallen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass in diesem Kanton ein Schwergewicht besteht, welches es rechtfertigt, vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen. Bei nur einem Drittel einer grösseren Anzahl von Straftaten, die in einem Kanton begangen wurden, dürfte in diesem Kanton demgegenüber regelmässig noch kein hinreichendes Schwergewicht für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand vorliegen. Diese Regeln gelten jedoch nicht absolut, sondern müssen ihrerseits einer Überprüfung vor allem nach prozessökonomischen Gesichtspunkten standhalten. Insbesondere sollen grobe Verfahrensverzögerungen und deshalb nach Möglichkeit ein unnötiger prozessualer Aufwand verhindert werden. Wenn die Untersuchung am Ort des gesetzlichen Gerichtsstandes sozusagen beendet ist, rechtfertigt sich in der Regel ein Abweichen von diesem Gerichtsstand nicht mehr (BGE 129 IV 203 E. 2, 123 IV 25 f. E. 2a; Schmid, Strafprozessrecht, 4. A., Zürich 2004, N 408 ff, 416b mit Hinweisen). An dieser von der Anklagekammer des Bundesgerichts entwickelten Rechtsprechung ist festzuhalten (Entscheid der Beschwerdekammer BG.2005.6 vom 6. Juni 2005 E. 2.2).

3.2 Im vorliegenden Fall drängt sich im Lichte dieser Rechtsprechung kein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand auf. Von einem Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit im Kanton Zürich kann bei bloss rund einem Drittel der auf diesen Kanton entfallenden Straftaten nicht gesprochen werden. Der Sachverhalt ist insoweit mit dem BGE 129 IV 202 zu Grunde liegenden vergleichbar, wo von 32 Einbruchdiebstählen zweier Mittäter deren 12 auf den Kanton Bern entfielen (a.a.O. S. 204). Die vom Gesuchsgegner angeregte Bildung von Gruppen von Kantonen – Zürich/Appenzell-Innerrhoden als Hauptgruppe mit 21 von 36 Delikten und innerhalb dieser Gruppe Zürich mit 13 Delikten als Träger der Zweidrittelsquote – ist kein taugliches Kriterium, um ein Schwergewicht deliktischer Tätigkeit herauszukristallisieren. Diese Methode eines stufenweisen Vorgehens würde lediglich dazu führen, dass im Ergebnis einfach der Kanton, der die grösste Anzahl an Delikten zu verzeichnen hat, für die Untersuchung und Beurteilung aller Delikte als zuständig zu erklären wäre, da wohl meistens eine Gruppe von Kantonen gebildet werden könnte, die eine Zweidrittelsmehrheit an Delikten vertritt und innerhalb derer ein einzelner Kanton herausragt. Es ist nicht Sinn und Zweck der Ausnahmeregelungen (Art. 262 f
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
. BStP), eine derartige Aufweichung der Bestimmung des gesetzlichen Gerichtsstandes herbeizuführen.

Der Einwand, dass der Kanton Aargau mit nur einer Straftat nur eine unbedeutende Rolle spiele, ist unter Hinweis auf den zitierten Entscheid der Anklagekammer des Bundesgerichts – worin der Kanton Nidwalden mit ebenfalls einer einzigen Straftat als gesetzlicher Gerichtsstand bestätigt wurde – nicht zu hören: Dieser Umstand bedeutet lediglich, dass im Kanton Aargau kein Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit liegt (BGE 129 IV 204). Trotz dieses Umstandes drängt sich ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand nicht auf, da es nicht um eine grosse, sondern nur um eine mittlere Anzahl von Straftaten geht. Zudem macht der Gesuchsgegner nicht etwa geltend, aus Kapazitätsgründen seiner Untersuchungsbehörden sei ausnahmsweise vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen. Im weitern sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, wonach die Anwendung des gesetzlichen Gerichtsstandes zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen und dem Ziel einer effizienten Strafverfolgung und Rechtsdurchsetzung zuwiderlaufen würde. Dem Argument, es sei darauf abzustellen, welcher Kanton das Verfahren durch Anwendung entsprechender Zwangsmassnahmen – in casu der Gesuchsteller durch Verhaftung der Beschuldigten – hätte vorantreiben können, kann nicht gefolgt werden. Wie die Strafuntersuchungen zu führen sind und welche Zwangsmassnahmen in welchem Verfahrensstadium eingesetzt werden können, ergibt sich aus den kantonalen Strafprozessordnungen, deren Anwendung Sache der kantonalen Behörden ist. Massgebliches Kriterium ist in dieser Hinsicht nur der aktuelle Verfahrensstand in den verschiedenen Kantonen; der Gesuchsgegner macht jedoch nicht geltend, dass die Untersuchung im Kanton Zürich bzw. in den andern Kantonen schon weit fortgeschritten oder abgeschlossen wäre und eine Beurteilung durch seine Behörden eine Verfahrensverzögerung zur Folge hätte. Der Umstand, dass die Beschuldigten inzwischen ausser Landes sind und der Gesuchsgegner bei dieser Sachlage von Gesetzes wegen die Strafverfahren gegen sie einzustellen haben würde, ist nicht relevant. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern es sich hierbei um eine Frage der Prozessökonomie handelt. Nur am Rande sei erwähnt, dass die ursprüngliche Übernahme der Verfahren durch den Kanton Zürich vor dem Hintergrund der vermeintlichen Anwendung des Jugendstrafrechts geschah und der
Gesuchsteller damit nicht etwa konkludent ein Schwergewicht deliktischer Tätikgeit auf seinem Kantonsgebiet anerkannt hat. Für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand bestehen somit keine triftigen Gründe.

3.3 Nach dem Gesagten ist das Gesuch gutzuheissen und der Gesuchsgegner zur Verfolgung und Beurteilung der A.______ und B.______ vorgeworfenen strafbaren Handlungen für berechtigt und verpflichtet zu erklären.

4. Es werden keine Kosten erhoben (Art. 245
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
BStP i.V.m. Art. 156 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
OG).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Das Gesuch wird gutgeheissen und die Behörden des Kantons Aargau sind berechtigt und verpflichtet, die A.______ und B.______ zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.

2. Es werden keine Kosten erhoben.

Bellinzona, 5. Juli 2005

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- Kanton Zürich

- Kanton Aargau

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : BG.2005.9
Datum : 04. Juli 2005
Publiziert : 01. Juni 2009
Quelle : Bundesstrafgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Beschwerdekammer: Strafverfahren
Gegenstand : Bestimmung des Gerichtsstandes i.S. A.______ und B.______


Gesetzesregister
BStP: 245  262  279
OG: 156
SGG: 28
StGB: 139 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 139 - 1. Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    ...193
3    Der Dieb wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wenn er:
a  gewerbsmässig stiehlt;
b  den Diebstahl als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat;
c  zum Zweck des Diebstahls eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt oder eine Explosion verursacht; oder
d  sonst wie durch die Art, wie er den Diebstahl begeht, seine besondere Gefährlichkeit offenbart.194
4    Der Diebstahl zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt.
346  349 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 349
350 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
351 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
372
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 372 - 1 Die Kantone vollziehen die von ihren Strafgerichten auf Grund dieses Gesetzes ausgefällten Urteile. Sie sind verpflichtet, die Urteile der Bundesstrafbehörden gegen Ersatz der Kosten zu vollziehen.
1    Die Kantone vollziehen die von ihren Strafgerichten auf Grund dieses Gesetzes ausgefällten Urteile. Sie sind verpflichtet, die Urteile der Bundesstrafbehörden gegen Ersatz der Kosten zu vollziehen.
2    Den Urteilen sind die von Polizeibehörden und andern zuständigen Behörden erlassenen Strafentscheide und die Beschlüsse der Einstellungsbehörden gleichgestellt.
3    Die Kantone gewährleisten einen einheitlichen Vollzug strafrechtlicher Sanktionen.559
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123-IV-23 • 129-IV-202
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