Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2014.22

Beschluss vom 3. September 2014 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz, Emanuel Hochstrasser und Nathalie Zufferey Franciolli, Gerichtsschreiber Martin Eckner

Parteien

Kanton Zug, Staatsanwaltschaft, Gesuchsteller

gegen

Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO)

Sachverhalt:

A. Der Einzelrichter am Kantonsgericht Zug eröffnete am 21. Mai 2013 den Konkurs über die A. GmbH (Urk. 1/1/2). Am 6. Januar 2014 reichte das Konkursamt des Kantons Zug bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug Strafanzeige ein gegen B. und C. wegen Unterlassen der Buchführung (Art. 166
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 166 - Der Schuldner, der die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zur ordnungsmässigen Führung und Aufbewahrung von Geschäftsbüchern oder zur Aufstellung einer Bilanz verletzt, so dass sein Vermögensstand nicht oder nicht vollständig ersichtlich ist, wird, wenn über ihn der Konkurs eröffnet oder in einer gemäss Artikel 43 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889219 über Schuldbetreibung- und Konkurs (SchKG) erfolgten Pfändung gegen ihn ein Verlustschein ausgestellt worden ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB; Urk. 1/1). B. war gemäss Handelsregisterauszug Geschäftsführerin, C. sei gemäss Konkursamt ein faktisches Organ der A. GmbH gewesen (Urk. 1/1/2, 1/1 S. 2).

Gemäss Protokoll der Einvernahme des Konkursamtes Zug vom 29. August 2013 umfasste die Geschäftstätigkeit der A. GmbH den Vertrieb von Gesundheitsmatten und den Betrieb eines Coiffeur-Salons […] (Urk. 1/1/3). C. war für die konkursite Gesellschaft zudem an der […] tätig (Urk. 1/1/4; 1/4 S, 3). Die A. GmbH hatte aus steuerlichen Gründen ihren Sitz "c/o D. AG, […]" (Urk. 1/1/1 HR-Auszug; Urk. 1/4 S. 7; 5/2 Antwort der D. AG auf die Editionsverfügung vom 7. Februar 2014).

C. wohnt an der […] (Urk. 2/1 Einvernahme der Zuger Polizei vom 5. März 2014), B. an der […] (Urk. 2/2 Einvernahme der Zuger Polizei vom 7. April 2014).

B. Der Kanton Zug richtete am 30. Juni 2014 eine Gerichtsstandsanfrage an den Kanton Zürich (Urk. 7/1). Dessen Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis lehnte die Übernahme am 7. Juli 2014 ab (Urk. 7/2). Der Meinungsaustausch mit der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft führte zum gleichen Resultat (Urk. 7/3 Anfrage vom 9. Juli 2014, Urk. 7/4 Ablehnung vom 5. August 2014).

C. Nach Durchführung dieses Meinungsaustausches ersuchte der Kanton Zug am 11. August 2014 die Beschwerdekammer, den Kanton Zürich als zuständig zu bezeichnen. Der Kanton Zürich seinerseits verwies am 25. August 2014 auf seine Ausführungen im Meinungsaustausch und beantragt, die Zuständigkeit des Kantons Zug sei festzustellen (act. 3). Die Gesuchsantwort wurde dem Kanton Zug am 25. August 2014 zur Kenntnis zugestellt (act. 4).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Eintretensvoraussetzungen (durchgeführter Meinungsaustausch zwischen den involvierten Kantonen und zuständigen Behörden, Frist und Form, vgl. Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2014.7 vom 21. März 2014, E. 1) sind vorliegend erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

2.

2.1 Strittig ist, ob das Unterlassen der Buchführung am Ort der Konkurseröffnung zu verfolgen sei oder ob vorliegend dort nur ein rein fiktiver Geschäftssitz bestehe. Weiter ist strittig, ob diesfalls unter der Schweizerischen Strafprozessordnung BGE 118 IV 296 zu folgen sei, der einen Gerichtsstand am Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit vorsieht (act. 1 S. 4 f.; Urk. 7/4 Ablehnung des Kantons Zürich vom 5. August 2014, S. 1 f.).

2.2 Die Beschwerdekammer wendete verschiedentlich die bisherige Praxis zum Gerichtsstand bei Konkursdelikten auch unter der Schweizerischen Strafprozessordnung an und zwar unter dem Gesichtspunkt, ob ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand des Art. 36 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 36 - 1 Bei Straftaten nach den Artikeln 163-171 StGB15 sind die Behörden am Wohnsitz, am gewöhnlichen Aufenthaltsort oder am Sitz der Schuldnerin oder des Schuldners zuständig.16
1    Bei Straftaten nach den Artikeln 163-171 StGB15 sind die Behörden am Wohnsitz, am gewöhnlichen Aufenthaltsort oder am Sitz der Schuldnerin oder des Schuldners zuständig.16
2    Für Strafverfahren gegen das Unternehmen nach Artikel 102 StGB sind die Behörden am Sitz des Unternehmens zuständig. Dies gilt ebenso, wenn sich das Verfahren wegen des gleichen Sachverhalts auch gegen eine für das Unternehmen handelnde Person richtet.
3    Fehlt ein Gerichtsstand nach den Absätzen 1 und 2, so bestimmt er sich nach den Artikeln 31-35.
StPO angezeigt sei (TPF 2011 178 E. 3.3; Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2011.5 vom 1. Juni 2011, E. 2.1).

BGE 118 IV 296 E. 3d räumt dem Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit den Vorrang ein gegenüber dem Konkursort mit fiktiver Geschäftstätigkeit. Fiktiv ist sie namentlich dann nicht, wenn (BGE 118 IV 296 E. 3c, 107 IV 75 E. 2)

· sich die Akten, auf die die Untersuchung zurückgreifen muss, am Ort der Konkurseröffnung befinden,

· die in der Untersuchung zu befragenden Zeugen am Konkursort oder in dessen Nähe wohnen und

· von der Konkursverwaltung für das Strafverfahren allenfalls wichtige Aufschlüsse zu erhalten sind.

Wenn diese Elemente der Zweckmässigkeit fehlen, ist auf den Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit abzustellen (BGE 118 IV 296 E. 3c, 106 IV 31 E. 4b, Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2011.5 vom 1. Juni 2011, E. 3.1/3.2). Dieser läge vorliegend im Kanton Zürich.

2.3 Vorliegend ist eine Strafverfolgung am Konkursort nach den dargestellten Kriterien zweckmässig. A. GmbH führte keine Buchhaltung. Unterlagen befinden sich, wenn überhaupt, beim Zuger Steueramt (Urk. 1/1/3; 1/1/5; 1/1/8; 2/1 S. 7, 10 f.). Sodann erstattete die Konkursverwaltung Strafanzeige und kann unter Umständen erforderliche Aufschlüsse geben. Der Wohnort der Beschuldigten ist schliesslich für die Frage der Zweckmässigkeit nicht in erster Linie massgebend.

Ein ausnahmsweises Abweichen vom ordentlichen Gerichtsstand des Art. 36
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 36 - 1 Bei Straftaten nach den Artikeln 163-171 StGB15 sind die Behörden am Wohnsitz, am gewöhnlichen Aufenthaltsort oder am Sitz der Schuldnerin oder des Schuldners zuständig.16
1    Bei Straftaten nach den Artikeln 163-171 StGB15 sind die Behörden am Wohnsitz, am gewöhnlichen Aufenthaltsort oder am Sitz der Schuldnerin oder des Schuldners zuständig.16
2    Für Strafverfahren gegen das Unternehmen nach Artikel 102 StGB sind die Behörden am Sitz des Unternehmens zuständig. Dies gilt ebenso, wenn sich das Verfahren wegen des gleichen Sachverhalts auch gegen eine für das Unternehmen handelnde Person richtet.
3    Fehlt ein Gerichtsstand nach den Absätzen 1 und 2, so bestimmt er sich nach den Artikeln 31-35.
StPO ist insgesamt nicht angezeigt.

3. Damit ist der Kanton Zug berechtigt und verpflichtet, die strafbaren Handlungen, welche Gegenstand des staatsanwaltschaftlichen Meinungsaustausches sind (obige Erwägung lit. B), zu verfolgen und zu beurteilen.

4. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 423 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 423 Grundsätze - 1 Die Verfahrenskosten werden vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat; abweichende Bestimmungen dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.
1    Die Verfahrenskosten werden vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat; abweichende Bestimmungen dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.
2    und 3 ...273
StPO).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Die Strafbehörden des Kantons Zug sind berechtigt und verpflichtet, die im Zusammenhang mit dem Konkurs der A. GmbH begangenen Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

2. Es werden keine Gerichtsgebühren erhoben.

Bellinzona, 4. September 2014

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- Staatsanwaltschaft des Kantons Zug

- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : BG.2014.22
Datum : 03. September 2014
Publiziert : 22. September 2014
Quelle : Bundesstrafgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Beschwerdekammer: Strafverfahren
Gegenstand : Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO).


Gesetzesregister
StGB: 166
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 166 - Der Schuldner, der die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zur ordnungsmässigen Führung und Aufbewahrung von Geschäftsbüchern oder zur Aufstellung einer Bilanz verletzt, so dass sein Vermögensstand nicht oder nicht vollständig ersichtlich ist, wird, wenn über ihn der Konkurs eröffnet oder in einer gemäss Artikel 43 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889219 über Schuldbetreibung- und Konkurs (SchKG) erfolgten Pfändung gegen ihn ein Verlustschein ausgestellt worden ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StPO: 36 
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 36 - 1 Bei Straftaten nach den Artikeln 163-171 StGB15 sind die Behörden am Wohnsitz, am gewöhnlichen Aufenthaltsort oder am Sitz der Schuldnerin oder des Schuldners zuständig.16
1    Bei Straftaten nach den Artikeln 163-171 StGB15 sind die Behörden am Wohnsitz, am gewöhnlichen Aufenthaltsort oder am Sitz der Schuldnerin oder des Schuldners zuständig.16
2    Für Strafverfahren gegen das Unternehmen nach Artikel 102 StGB sind die Behörden am Sitz des Unternehmens zuständig. Dies gilt ebenso, wenn sich das Verfahren wegen des gleichen Sachverhalts auch gegen eine für das Unternehmen handelnde Person richtet.
3    Fehlt ein Gerichtsstand nach den Absätzen 1 und 2, so bestimmt er sich nach den Artikeln 31-35.
40 
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
423
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 423 Grundsätze - 1 Die Verfahrenskosten werden vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat; abweichende Bestimmungen dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.
1    Die Verfahrenskosten werden vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat; abweichende Bestimmungen dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.
2    und 3 ...273
BGE Register
106-IV-31 • 107-IV-75 • 118-IV-296
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