Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}

6B 604/2015

Urteil vom 3. Februar 2016

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Pasquini.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Jeanne DuBois,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
2. X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Emil Meier,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Vergewaltigung etc.; willkürliche Beweiswürdigung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 12. Januar 2015 und vom 9. April 2015.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich wirft X.________ zusammengefasst vor, er habe ca. im Juli 2008 in Pondicherry (Indien) seine Nichte A.________ mindestens zwei Mal am Arm ins Zimmer des Ferienhauses gezogen und dort über deren Kleidern an Brüsten und der Scheide berührt. Er habe jeweils erst von ihr gelassen, als jemand das Zimmer betreten oder seine Nichte gerufen habe. Sie habe nicht um Hilfe gerufen, da ihr Onkel mit Suizid gedroht habe, falls sie jemandem davon erzähle.
Weiter wird X.________ vorgeworfen, zwischen August 2008 und Oktober 2010, vermutlich zwischen dem 29. März 2010 und dem 4. April 2010, als A.________ bei ihm und seiner Familie in B.________ Ferien gemacht habe, seine Nichte aufgefordert zu haben, sich auszuziehen. Als sie sich geweigert habe, habe er ihren Jupe aufgerissen und ihr Oberteil sowie ihre Unterhosen ausgezogen. A.________ sei ins Badezimmer geflohen. Ihr Onkel habe gesagt, er gebe ihr die Kleider wieder, wenn sie die Tür öffne. Als sie dies gemacht habe, habe X.________ sie am Handgelenk gepackt, in das Schlafzimmer der Tochter gezogen, sie aufs Bett geworfen und sich über sie gekniet. Er habe ihre Hände mit einer Hand festgehalten, so dass sie sich nicht mehr habe wehren können. Mit der anderen Hand habe er sich ein Kondom übergestreift und sei mit seinem Penis vaginal in sie eingedrungen. X.________ habe gewusst, dass seine Nichte bei der Vornahme der Handlungen das 16. Altersjahr noch nicht erreicht habe und habe diese trotzdem gegen ihren Willen vorgenommen.

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ zweitinstanzlich von den Vorwürfen der Vergewaltigung, der mehrfachen sexuellen Nötigung und der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern frei. Die Schadenersatz- und Genugtuungsforderung von A.________ verwies es auf den Zivilweg. Die Ausweis- und Schriftensperre sowie das Kontaktverbot hob es auf.

C.
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

D.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung. X.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde. A.________ nimmt dazu Stellung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin hat sich am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und Zivilforderungen geltend gemacht. Der angefochtene Entscheid wirkt sich darauf aus, weshalb sie zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert ist (Art. 81 Abs. 1 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 81 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer:
1    Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer:
a  vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; und
b  ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere:
b1  die beschuldigte Person,
b2  ihr gesetzlicher Vertreter oder ihre gesetzliche Vertreterin,
b3  die Staatsanwaltschaft, ausser bei Entscheiden über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft,
b4  ...
b5  die Privatklägerschaft, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann,
b6  die Person, die den Strafantrag stellt, soweit es um das Strafantragsrecht als solches geht,
b7  die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung in Verwaltungsstrafsachen nach dem Bundesgesetz vom 22. März 197455 über das Verwaltungsstrafrecht.
2    Eine Bundesbehörde ist zur Beschwerde berechtigt, wenn das Bundesrecht vorsieht, dass ihr der Entscheid mitzuteilen ist.56
3    Gegen Entscheide nach Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe b steht das Beschwerderecht auch der Bundeskanzlei, den Departementen des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, den ihnen unterstellten Dienststellen zu, wenn der angefochtene Entscheid die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann.
und b Ziff. 5 BGG; BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen).

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Vorinstanz erachte das jugendforensisch-psychiatrische, aussagepsychologische Gutachten über die Beschwerdeführerin als nachvollziehbar und schlüssig. Weshalb sie bei der Würdigung der Aussagen der Beschwerdeführerin aber wesentliche Teile dieses Gutachtens ignoriere, wie z.B. die Funktionsweise des Gedächtnisses, die Erklärungen ihres Aussageverhaltens oder die kulturellen Aspekte, begründe die Vorinstanz nicht und verletze dadurch ihre Begründungspflicht.
Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die vorinstanzliche Beweiswürdigung sei unvollständig, einseitig, widersprüchlich und damit willkürlich (Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BV). Die Vorinstanz lasse bei der Würdigung ihrer Aussagen zu Unrecht weitestgehend die im Gutachten enthaltenen Erklärungen für ihr Aussageverhalten ausser Acht, welche für die Glaubhaftigkeit ihrer Darstellung sprechen würden.

2.2. Die Vorinstanz spricht den Beschwerdegegner in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" von den Vorwürfen der Vergewaltigung, der mehrfachen sexuellen Nötigung und der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern frei.
Die Vorinstanz kommt betreffend 1. Anklagesachverhalt zum Schluss, die Aussagen der Beschwerdeführerin zum Kerngeschehen seien unbeständig und widersprächen sich bezüglich des Ablaufs teilweise. Bei der ersten Befragung sei sie knapp 15-jährig gewesen, weshalb sich Ungereimtheiten nicht mit ihrem kindlichen Alter begründen liessen. Es sei erstaunlich, dass sie die Berührungen in Indien seitens des Grossvaters noch vor Ort zur Sprache gebracht habe, nicht jedoch die Übergriffe seitens des Beschwerdegegners. Ihr Verhalten nach ihrer Rückkehr aus London und ihre von verschiedenen Stellen beobachtete psychische Belastung liessen es als denkbar erscheinen, dass sie Opfer eines gravierenden Vorfalls geworden sei. Es lasse sich aber nicht erstellen, dass es sich dabei um den 1. Anklagesachverhalt gehandelt habe (Urteil S. 36 E. 7.10).
Die Vorinstanz erwägt zum 2. Anklagesachverhalt, die Aussagen der Beschwerdeführerin zum Kerngeschehen wirkten stereotyp, karg und insbesondere ohne Schilderung gefühlsmässigen Erlebens. Es würden individuelle Merkmale fehlen. Angst schildere die Beschwerdeführerin nur dort, wo es um die Frage gehe, weshalb sie nicht früher von den Übergriffen und der Vergewaltigung erzählt habe. Zudem würden sich die Schilderungen betreffend die Vergewaltigungen in London und in B.________ kaum unterscheiden. Auch auf die Frage, welche Unterschiede es zwischen den Handlungen des Onkels in B.________ und denjenigen des Onkels in London gegeben habe, habe die Beschwerdeführerin lediglich erklärt, die Berührungen des Beschwerdegegners seien stärker gewesen als diejenigen des Onkels in London. Die Übergriffe der beiden Onkel seien nur rudimentär in eine Vorgeschichte und einen Verhaltensablauf nach der Tat eingebettet. Die pauschalen, nicht zwischen den Vorfällen unterscheidenden Aussagen würden insgesamt nicht den Eindruck von real Erlebtem vermitteln und liessen an der Glaubhaftigkeit der Darstellung der Beschwerdeführerin zweifeln. Zwar erscheine es insbesondere wegen ihres Verhaltens nach ihrer Rückkehr aus London und ihrer offenkundigen
psychischen Belastung als denkbar, dass die Beschwerdeführerin einer Sexualtat zum Opfer gefallen sei. Der angeklagte Sachverhalt könne aber aufgrund ihrer widersprüchlichen, detailarmen und damit wenig glaubhaften Aussagen nicht erstellt werden. Vor diesem Hintergrund verblieben erhebliche Zweifel, weshalb auch hinsichtlich des 2. Anklagesachverhalts in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" ein Freispruch zu ergehen habe (Urteil S. 47 f. E. 8.6). Ein Mitglied des Richtergremiums stellte je einen Antrag auf Schuldspruch (Urteil S. 36 E. 7.10 und S. 48 E. 8.6).

2.3.

2.3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BV ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 139 III 334 E. 3.2.5; 138 I 49 E. 7.1; je mit Hinweisen) oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 97 Unrichtige Feststellung des Sachverhalts - 1 Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
1    Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
2    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden.86
BGG). Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, andernfalls darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 106 Rechtsanwendung - 1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
1    Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
2    Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist.
BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2; 138 I 225 E. 3.2; je mit Hinweisen).

2.3.2. Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (vgl. Art. 10 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 10 Unschuldsvermutung und Beweiswürdigung - 1 Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
1    Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
2    Das Gericht würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung.
3    Bestehen unüberwindliche Zweifel an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat, so geht das Gericht von der für die beschuldigte Person günstigeren Sachlage aus.
StPO). Ob ein Gericht die in einem Gutachten enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält oder nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen der Experten folgen soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die mit Beschwerde an das Bundesgericht wegen Verletzung des Willkürverbots aufgeworfen werden kann. Dasselbe gilt für die Frage, ob ein Gutachten in sich schlüssig ist. Das Gericht darf in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe von unabhängigen Gutachten abweichen und muss Abweichungen begründen. Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat es nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann gegen das Verbot der Willkür verstossen (BGE 138 III 193 E. 4.3.1; 136 II 539 E. 3.2; je mit Hinweisen).

2.3.3. Gegenstand der Glaubhaftigkeitsbegutachtung ist die Analyse des vorhandenen Aussagematerials mit den Methoden der Aussagepsychologie. In deren Zentrum steht die Leitfrage zur Beantwortung an, ob die aussagende Person unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, der intellektuellen Leistungsfähigkeit und der Motivlage die zu beurteilende Aussage auch ohne realen Erlebnishintergrund machen könnte. Methodisch wird die Prüfung in der Weise vorgenommen, dass das im Rahmen eines hypothesengeleiteten Vorgehens durch Inhaltsanalyse (aussageimmanente Qualitätsmerkmale, sogenannte Realkennzeichen) und der Bewertung der Entstehungsgeschichte der Aussage sowie des Aussageverhaltens insgesamt gewonnene Ergebnis auf Fehlerquellen überprüft und die persönliche Kompetenz der aussagenden Person analysiert wird (BGE 129 I 49 E. 5; 128 I 81 E. 2 S. 85 f.; je mit Hinweisen).

2.3.4. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
1    Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
2    Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör.
3    Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.
BV und Art. 3 Abs. 2 lit. c
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 3 Achtung der Menschenwürde und Fairnessgebot - 1 Die Strafbehörden achten in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen.
1    Die Strafbehörden achten in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen.
2    Sie beachten namentlich:
a  den Grundsatz von Treu und Glauben;
b  das Verbot des Rechtsmissbrauchs;
c  das Gebot, alle Verfahrensbeteiligten gleich und gerecht zu behandeln und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren;
d  das Verbot, bei der Beweiserhebung Methoden anzuwenden, welche die Menschenwürde verletzen.
StPO) folgt die Pflicht der Behörden, ihre Entscheide zu begründen. Der Betroffene soll daraus ersehen, dass seine Vorbringen tatsächlich gehört, geprüft und in der Entscheidung berücksichtigt wurden. Aus der Begründung müssen sich allerdings nur die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte ergeben. Nicht erforderlich ist, dass sich das Gericht mit allen Parteistandpunkten auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr genügt es, wenn es sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränkt (BGE 139 IV 179 E. 2.2; 138 IV 81 E. 2.2; je mit Hinweis).

2.4. Der Anspruch auf rechtliches Gehör der Beschwerdeführerin ist verletzt. Zwar fasst die Vorinstanz zunächst das wissenschaftlich begründete, jugendforensisch-psychiatrische, aussagepsychologische Gutachten über die Beschwerdeführerin ausführlich zusammen. Sie erachtet es als nachvollziehbar und schlüssig. Die Kernaussage sei, dass aufgrund der aussageanalytischen Beurteilung nicht über jeden Zweifel erhaben bestätigt werden könne, dass die Aussagen der Beschwerdeführerin der Realität entsprechen würden. Gemäss Gutachter sei gesamthaft gesehen und in Anbetracht aller Elemente aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Angaben erlebnisbasiert und nicht durch Suggestionseffekte entstanden oder erlogen seien, deutlich grösser als die gegenteiligen Hypothesen. Die Vorinstanz hält fest, der Gutachter müsse es bei der Einschätzung einer Wahrscheinlichkeit belassen, er habe nicht den Auftrag, Aussagen als Beweis im Gesamtzusammenhang zu würdigen. Dies sei Aufgabe des Gerichts (Urteil S. 13-21 E. 6). Danach setzt sie sich u.a. mit den Aussagen der Beschwerdeführerin auseinander und legt dar, wie sie diese würdigt (Urteil S. 21-28 E. 7.1, S. 29 f. E. 7.3.2 und S. 36 E. 7.10 sowie S. 36-43 E. 8.1, S. 46 E. 8.4.2 und S. 47 f. E. 8.6). Dabei
unterlässt es die Vorinstanz aber, wesentliche Erwägungen des Gutachtens einzubeziehen oder zu begründen, weshalb sie diese ausser Acht lässt bzw. davon abweicht. So hält sie es für erstaunlich, dass die Beschwerdeführerin die Berührungen seitens des Grossvaters noch vor Ort zur Sprache brachte, nicht jedoch die Übergriffe des Beschwerdegegners, obwohl dies in den vom Gutachter genannten, konkreten Aspekten begründet sein könnte; wie die in der tamilischen Gesellschaft verankerte Regel, Probleme primär in der Familie zu lösen, und die fragliche Reaktion der Familie auf die inadäquaten Berührungen des Grossvaters. Die Beschwerdeführerin weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, weil die unangebrachten Berührungen durch den Grossvater keine erkennbare missbilligende Reaktion der Erwachsenen nach sich gezogen habe, sei es gemäss transkultureller Analyse vorstellbar, dass sie sich bei deplatzierten Gesten des Onkels nicht anders zu helfen gewusst habe, als zu versuchen, heiklen Situationen aus dem Weg zu gehen. Weiter kommt das Gutachten unter anderem zum Schluss, die Konstanz, mit der die Beschwerdeführerin die wesentlichen Elemente der Ereignisse wiedergegeben habe, spreche eher für erlebnisbasierte Ereignisse. Es
erscheine aufgrund des Mangels an Aufklärung und der beschützenden sowie konservativen Erziehung als wenig wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin das Wissen gehabt habe, diese Geschichte zu erfinden (Urteil S. 20 E. 6.8; Gutachten, kantonale Akten act. 187 S. 43). Auch wird im Gutachten ausgeführt, es gebe Übereinstimmungen im Aussageverhalten und Unterschiede in der Beschreibung der mutmasslichen Ereignisse. Die Übereinstimmungen beträfen vor allem das Ausmass der Gewaltanwendung, die Erwähnung der familiären Beziehung zwischen dem mutmasslichen Täter und dem Opfer und der Angabe, dass vor allem die Kleider der unteren Körperhälfte entfernt worden seien. Divergierende Angaben beträfen die Benutzung eines Kondoms, die Vorbereitungsstrategien und den Rückzug ins Badezimmer. Diese verschiedenen Elemente sprächen eher für eine erhöhte Glaubwürdigkeit (Urteil S. 21 E. 6.9; Gutachten, kantonale Akten act. 187 S. 45). Ohne sich mit diesen Schlussfolgerungen auseinander zu setzen, erwägt die Vorinstanz, die Schilderungen betreffend die Vergewaltigungen in London und in B.________ würden sich kaum unterscheiden. Die pauschalen, nicht zwischen den Vorfällen unterscheidenden Aussagen der Beschwerdeführerin würden insgesamt nicht den
Eindruck von real Erlebtem vermitteln und liessen an der Glaubhaftigkeit ihrer Darstellung zweifeln. Keine weitere Erwähnung findet auch die Erörterung im Gutachten, in der Aussagenanalyse stelle sich heraus, dass die Aussage der Beschwerdeführerin zwar koheränt und konsistenz sei, dass aber wegen der beschränkten spontanen Angaben der Beschwerdeführerin die Anzahl der festgestellten Realkennzeichen relativ beschränkt sei, insbesondere, da die meisten von ihnen erst nach Direktbefragung durch die Polizistin angegeben worden seien. Diese Gehemmtheit im Aussageverhalten der Beschwerdeführerin könne verschiedene Gründe haben. Zum einen handle es sich um Inhalte mit sexuellem Charakter, was schambesetzt sein könne, besonders bei einer 14-jährigen, tamilischen Zeugin. Zum anderen könne es zum Kommunikationsstil der Beschwerdeführerin gehören, da sie ausserhalb des Familienkreises als diskret und zurückhaltend beschrieben werde (Gutachten, kantonale Akten act. 187 S. 38).

3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG). Da der Beschwerdegegner mit seinem Antrag unterliegt, hat er die hälftigen Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG) und der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin zusammen mit dem Kanton Zürich eine angemessene Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG). Die Entschädigung ist praxisgemäss der Rechtsvertreterin auszurichten. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. Januar 2015 und vom 9. April 2015 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als gegenstandslos abgeschrieben.

3.
Die Gerichtskosten werden im Umfang von Fr. 1'000.-- dem Beschwerdegegner auferlegt.

4.
Der Beschwerdegegner und der Kanton Zürich haben der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin eine Entschädigung von je Fr. 1'500.-- auszurichten.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Februar 2016

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Pasquini
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 6B_604/2015
Date : 03. Februar 2016
Published : 21. Februar 2016
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Straftaten
Subject : Vergewaltigung etc.; willkürliche Beweiswürdigung


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