Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B 25/2008 /daa

Urteil vom 2. Juli 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Brunner,

gegen

Untersuchungsrichter Christian Bächle, Untersuchungsamt Gossau, Sonnenstrasse 4a,
9201 Gossau, Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ausstand; Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs; Rechtsmittelbelehrung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 20. Dezember 2007 des Staatsanwalts des Kantons St. Gallen.

Sachverhalt:

A.
Untersuchungsrichter Christian Bächle, Untersuchungsamt Gossau, führt gegen X.________ ein Strafverfahren wegen Verdachts der versuchten sexuellen Nötigung.

Am 19. Oktober 2007 verlangte X.________ den Ausstand von Untersuchungsrichter Bächle.

Dieser erklärte mit Stellungnahme vom 24. Oktober 2007, er erachte sich nicht als befangen.

Mit Verfügung vom 20. Dezember 2007 wies der Staatsanwalt des Kantons St. Gallen das Ausstandsbegehren ab.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die Verfügung des Staatsanwalts vom 20. Dezember 2007 sei aufzuheben und der Ausstand von Untersuchungsrichter Bächle anzuordnen.

C.
Untersuchungsrichter Bächle hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Der Staatsanwalt des Kantons St. Gallen hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Er legt dar, der Beschwerdeführer habe den kantonalen Instanzenzug nicht ausgeschöpft.

D.
X.________ hat Bemerkungen zur Vernehmlassung des Staatsanwalts eingereicht.

Erwägungen:

1.
1.1 Gemäss Art. 78 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 78 Grundsatz - 1 Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen.
1    Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen.
2    Der Beschwerde in Strafsachen unterliegen auch Entscheide über:
a  Zivilansprüche, wenn diese zusammen mit der Strafsache zu behandeln sind;
b  den Vollzug von Strafen und Massnahmen.
BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht zu Grunde liegt. Mit anderen Worten kann grundsätzlich jeder Entscheid, der die Verfolgung oder die Beurteilung einer Straftat betrifft und sich auf Bundesrecht oder auf kantonales Recht stützt, mit der Beschwerde in Strafsachen angefochten werden (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313).

Der angefochtene Entscheid betrifft die Verfolgung einer Straftat und stützt sich auf Art. 23 ff. StPO/SG. Die Beschwerde in Strafsachen ist somit grundsätzlich gegeben (vgl. ebenso Urteil 1B 60/2007 vom 21. September 2007 E. 1).
1.2
1.2.1 Gemäss Art 80 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 80 Vorinstanzen - 1 Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen und gegen Entscheide der Beschwerdekammer und der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts.48
1    Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen und gegen Entscheide der Beschwerdekammer und der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts.48
2    Die Kantone setzen als letzte kantonale Instanzen obere Gerichte ein. Diese entscheiden als Rechtsmittelinstanzen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen nach der Strafprozessordnung vom 5. Oktober 200749 (StPO) ein Zwangsmassnahmegericht oder ein anderes Gericht als einzige kantonale Instanz entscheidet.50
BGG ist die Beschwerde zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen.

Der Staatsanwalt legt in der Vernehmlassung dar, gegen den angefochtenen Entscheid wäre mit der Rechtsverweigerungsbeschwerde nach Art. 254 ff. StPO/SG an die Anklagekammer des Kantons St. Gallen ein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung gestanden. Der Beschwerdeführer habe davon keinen Gebrauch gemacht. Im Verfahren der Rechtsverweigerungsbeschwerde prüfe die Anklagekammer die Auslegung und Anwendung der massgebenden Rechtsnormen frei. Die Beschwerde richte sich somit nicht gegen einen Entscheid einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von Art. 80 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 80 Vorinstanzen - 1 Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen und gegen Entscheide der Beschwerdekammer und der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts.48
1    Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen und gegen Entscheide der Beschwerdekammer und der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts.48
2    Die Kantone setzen als letzte kantonale Instanzen obere Gerichte ein. Diese entscheiden als Rechtsmittelinstanzen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen nach der Strafprozessordnung vom 5. Oktober 200749 (StPO) ein Zwangsmassnahmegericht oder ein anderes Gericht als einzige kantonale Instanz entscheidet.50
BGG.
1.2.2 Das Erfordernis der Letztinstanzlichkeit bezweckt die Entlastung des Bundesgerichts von Streitfällen, welche eventuell auf kantonaler Ebene zur Zufriedenheit der Betroffenen gelöst werden können und dient der Schonung der kantonalen Souveränität, indem es den kantonalen Behörden ermöglicht, allfällige Bundesrechtswidrigkeiten selber zu beheben, bevor das Bundesgericht korrigierend eingreift (vgl. BGE 114 Ia 263 E. 2c S. 266; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 327).

Letztinstanzlich ist ein Entscheid, wenn die Rüge, die Inhalt der Beschwerde an das Bundesgericht sein soll, bei keiner kantonalen Instanz mehr vorgebracht werden kann. Das heisst, es darf im Kanton kein Rechtsbehelf irgendwelcher Art mehr zur Verfügung stehen. Die Möglichkeit der Anfechtung im Kanton schliesst jedoch die Beschwerde an das Bundesgericht nur aus, wenn auf die Entscheidung der kantonalen Instanz ein Rechtsanspruch besteht (vgl. BGE 119 Ia 237 E. 2b S. 238 f., mit Hinweisen).
1.2.3 Gemäss Art. 254 Abs. 1 lit. c StPO/SG ist die Rechtsverweigerungsbeschwerde unter anderem zulässig, wenn der Staatsanwalt bei Ausübung der Befugnisse willkürlich handelt. Über Rechtsverweigerungsbeschwerden gegen den Staatsanwalt entscheidet nach Art. 255 StPO/SG die Anklagekammer des Kantons St. Gallen. Gemäss Art. 256 Abs. 1 StPO/SG reicht der Beschwerdeführer die Rechtsverweigerungsbeschwerde innert vierzehn Tagen nach Zustellung des angefochtenen Entscheids der Beschwerdeinstanz schriftlich ein.

Die auf Willkür beschränkte Kognition gelangt bei Rechtsverweigerungsbeschwerden ohne Weiteres zur Anwendung, soweit es um den Sachverhalt bzw. um die Würdigung der Beweise geht. Hingegen ist bei Eingriffen in verfassungs- oder konventionsmässig gewährleistete Rechte - insbesondere bei Rechtsverweigerungsbeschwerden gegen Ausstandsentscheide des Staatsanwalts - im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung der massgebenden Rechtsnormen frei zu prüfen (Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, dargestellt am Beispiel des Kantons St. Gallen, 2. Aufl., Bern 2005, S. 715 N. 1736, mit Hinweis).

Die Ausführungen des Staatsanwalts in der Vernehmlassung treffen somit zu. Dem Beschwerdeführer wäre gegen den angefochtenen Entscheid die Rechtsverweigerungsbeschwerde an die Anklagekammer des Kantons St. Gallen offen gestanden.

Dies ergibt sich auch aus dem Urteil des Bundesgerichtes 1P.766/2000 vom 18. Mai 2001 (publ. in: ZBl 103/2002 S. 276). Dort stellte die Beschuldigte gegen einen st. gallischen Untersuchungsrichter ein Ausstandsbegehren. Dieses wies der Staatsanwalt ab. Dagegen erhob die Beschuldigte Rechtsverweigerungsbeschwerde bei der Anklagekammer, welche die Beschwerde abwies, soweit sie darauf eintrat. Die Anklagekammer kam zum Schluss, weder die von der Beschuldigten gerügten Untersuchungshandlungen noch die Untersuchungsführung im Allgemeinen wiesen auf eine Befangenheit des Untersuchungsrichters hin. Erst im Anschluss an den Entscheid der Anklagekammer führte die Beschuldigte (staatsrechtliche) Beschwerde beim Bundesgericht. Kantonal letztinstanzlich war somit der Entscheid der Anklagekammer, nicht jener des Staatsanwalts.

Die Anklagekammer hätte, wie sich aus den Darlegungen von Oberholzer und der Vernehmlassung des Staatsanwalts ergibt, die Anwendung der massgebenden Rechtsnormen frei geprüft. Auf einen Entscheid der Anklagekammer hätte der Beschwerdeführer nach Art. 258 StPO/SG Anspruch gehabt (GVP 2000 Nr. 64 S. 158 E. 1).

Das Bundesgericht verzichtet nach ständiger Praxis auf das Erfordernis der Erschöpfung des Instanzenzuges, wenn an der Zulässigkeit eines kantonalen Rechtsmittels ernsthafte Zweifel bestehen (BGE 1C 451/2007 vom 17. März 2008 E. 1.3, mit Hinweisen). Solche Zweifel bestehen nach dem Gesagten hier nicht.
1.2.4 Gemäss Art. 49
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 49 Mangelhafte Eröffnung - Aus mangelhafter Eröffnung, insbesondere wegen unrichtiger oder unvollständiger Rechtsmittelbelehrung oder wegen Fehlens einer vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung, dürfen den Parteien keine Nachteile erwachsen.
BGG dürfen den Parteien aus mangelhafter Eröffnung, insbesondere wegen unrichtiger oder unvollständiger Rechtsmittelbelehrung oder wegen Fehlens einer vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung, keine Nachteile erwachsen.

Wird wegen einer unrichtigen, unvollständigen oder fehlenden Belehrung ein falsches Rechtsmittel ergriffen, kann die Sache daher von Amtes wegen an die zuständige Instanz überwiesen werden. Allerdings geniesst nur Vertrauensschutz, wer den Mangel der Rechtsmittelbelehrung nicht kennt und ihn auch bei gebührender Aufmerksamkeit nicht hätte erkennen können. Rechtsuchende geniessen keinen Vertrauensschutz, wenn der Mangel für sie bzw. ihren Rechtsvertreter allein schon durch Konsultierung der massgeblichen Verfahrensbestimmung ersichtlich ist. Dagegen wird nicht verlangt, dass neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige Rechtsprechung oder Literatur nachgeschlagen wird (BGE 1C 451/2007 vom 17. März 2008 E. 1.3.1; 132 I 92 E. 1.6 S. 96, mit Hinweisen).

Der angefochtene Entscheid enthält folgende Rechtsmittelbelehrung: "Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben."

Die Rechtsverweigerungsbeschwerde gemäss Art. 254 ff. StPO/SG stellt nach dem st. gallischen Recht ein ausserordentliches Rechtsmittel dar (Oberholzer, a.a.O., S. 711 N. 1723; GVP 2000 Nr. 64 S. 158 E. 1). Die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid ist insofern nicht unrichtig.

Gemäss Art. 76 Abs. 1 des Gerichtsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 2. April 1987 (sGS 941.1) ist richterlichen Entscheiden eine Belehrung über das zulässige Rechtsmittel und dessen Formerfordernisse beizufügen. Auf die Möglichkeit unter anderem der Rechtsverweigerungsbeschwerde muss nicht hingewiesen werden.

Muss bei einem richterlichen Entscheid nicht auf die Möglichkeit der Rechtsverweigerungsbeschwerde hingewiesen werden, kann bei einem Entscheid des Staatsanwalts wie hier nichts anderes gelten. Im Lichte von Art. 76 Abs. 1 des st. gallischen Gerichtsgesetzes kann die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid damit auch nicht als unvollständig bezeichnet werden.

Zu berücksichtigen ist jedoch das Bundesrecht, welches gemäss Art. 49 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
BV entgegenstehendem kantonalem Recht vorgeht.

Gemäss Art. 111 Abs. 3
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 111 Einheit des Verfahrens - 1 Wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist, muss sich am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen können.
1    Wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist, muss sich am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen können.
2    Bundesbehörden, die zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt sind, können die Rechtsmittel des kantonalen Rechts ergreifen und sich vor jeder kantonalen Instanz am Verfahren beteiligen, wenn sie dies beantragen.
3    Die unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts muss mindestens die Rügen nach den Artikeln 95-98 prüfen können. ...99
Satz 1 BGG muss die unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts mindestens die Rügen nach den Artikeln 95-98 BGG prüfen können. Das ist hier bei der Anklagekammer nach dem Gesagten der Fall. Das Verfahren vor der Anklagekammer genügt damit den Anforderungen des Bundesgerichtsgesetzes. Die Anklagekammer wäre nicht befugt, ihre Prüfungsbefugnis während der Übergangsfrist nach Art. 130 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 130 Kantonale Ausführungsbestimmungen - 1 Die Kantone erlassen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens einer schweizerischen Strafprozessordnung Ausführungsbestimmungen über die Zuständigkeit, die Organisation und das Verfahren der Vorinstanzen in Strafsachen im Sinne der Artikel 80 Absatz 2 und 111 Absatz 3, einschliesslich der Bestimmungen, die zur Gewährleistung der Rechtsweggarantie nach Artikel 29a der Bundesverfassung erforderlich sind. Ist sechs Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes noch keine schweizerische Strafprozessordnung in Kraft, so legt der Bundesrat die Frist zum Erlass der Ausführungsbestimmungen nach Anhörung der Kantone fest.
1    Die Kantone erlassen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens einer schweizerischen Strafprozessordnung Ausführungsbestimmungen über die Zuständigkeit, die Organisation und das Verfahren der Vorinstanzen in Strafsachen im Sinne der Artikel 80 Absatz 2 und 111 Absatz 3, einschliesslich der Bestimmungen, die zur Gewährleistung der Rechtsweggarantie nach Artikel 29a der Bundesverfassung erforderlich sind. Ist sechs Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes noch keine schweizerische Strafprozessordnung in Kraft, so legt der Bundesrat die Frist zum Erlass der Ausführungsbestimmungen nach Anhörung der Kantone fest.
2    Die Kantone erlassen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens einer schweizerischen Zivilprozessordnung Ausführungsbestimmungen über die Zuständigkeit, die Organisation und das Verfahren der Vorinstanzen in Zivilsachen im Sinne der Artikel 75 Absatz 2 und 111 Absatz 3, einschliesslich der Bestimmungen, die zur Gewährleistung der Rechtsweggarantie nach Artikel 29a der Bundesverfassung erforderlich sind. Ist sechs Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes noch keine schweizerische Zivilprozessordnung in Kraft, so legt der Bundesrat die Frist zum Erlass der Ausführungsbestimmungen nach Anhörung der Kantone fest.
3    Innert zwei Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen die Kantone Ausführungsbestimmungen über die Zuständigkeit, die Organisation und das Verfahren der Vorinstanzen im Sinne der Artikel 86 Absätze 2 und 3 und 88 Absatz 2, einschliesslich der Bestimmungen, die zur Gewährleistung der Rechtsweggarantie nach Artikel 29a der Bundesverfassung erforderlich sind.
4    Bis zum Erlass der Ausführungsgesetzgebung können die Kantone die Ausführungsbestimmungen in die Form nicht referendumspflichtiger Erlasse kleiden, soweit dies zur Einhaltung der Fristen nach den Absätzen 1-3 notwendig ist.
BGG in Abweichung von der bisherigen Praxis einzuschränken (BGE 134 I 125 E. 3.5 S. 135 f.; Urteil 1B 264/2007 vom 20. Juni 2008 E. 2). Die gegen den Entscheid der Anklagekammer gegebene Beschwerde in Strafsachen stellt nach dem Sprachgebrauch des Bundesgerichtsgesetzes ein ordentliches Rechtsmittel dar (vgl. Art. 119 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 119 Gleichzeitige ordentliche Beschwerde - 1 Führt eine Partei gegen einen Entscheid sowohl ordentliche Beschwerde als auch Verfassungsbeschwerde, so hat sie beide Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift einzureichen.
1    Führt eine Partei gegen einen Entscheid sowohl ordentliche Beschwerde als auch Verfassungsbeschwerde, so hat sie beide Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift einzureichen.
2    Das Bundesgericht behandelt beide Beschwerden im gleichen Verfahren.
3    Es prüft die vorgebrachten Rügen nach den Vorschriften über die entsprechende Beschwerdeart.
BGG). Kommt der Anklagekammer die gleiche Prüfungsbefugnis zu wie dem Bundesgericht, spricht dies dafür, die kantonale Rechtsverweigerungsbeschwerde hier materiell ebenfalls als ordentliches Rechtsmittel einzustufen. Im Lichte des Bundesgerichtsgesetzes muss deshalb die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid zumindest als irreführend bezeichnet werden.

Hinzu kommt Folgendes: Gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. d
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 112 Eröffnung der Entscheide - 1 Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, sind den Parteien schriftlich zu eröffnen. Sie müssen enthalten:
1    Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, sind den Parteien schriftlich zu eröffnen. Sie müssen enthalten:
a  die Begehren, die Begründung, die Beweisvorbringen und Prozesserklärungen der Parteien, soweit sie nicht aus den Akten hervorgehen;
b  die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen;
c  das Dispositiv;
d  eine Rechtsmittelbelehrung einschliesslich Angabe des Streitwerts, soweit dieses Gesetz eine Streitwertgrenze vorsieht.
2    Wenn es das kantonale Recht vorsieht, kann die Behörde ihren Entscheid ohne Begründung eröffnen. Die Parteien können in diesem Fall innert 30 Tagen eine vollständige Ausfertigung verlangen. Der Entscheid ist nicht vollstreckbar, solange nicht entweder diese Frist unbenützt abgelaufen oder die vollständige Ausfertigung eröffnet worden ist.
3    Das Bundesgericht kann einen Entscheid, der den Anforderungen von Absatz 1 nicht genügt, an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben.
4    Für die Gebiete, in denen Bundesbehörden zur Beschwerde berechtigt sind, bestimmt der Bundesrat, welche Entscheide ihnen die kantonalen Behörden zu eröffnen haben.
BGG müssen Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, eine Rechtsmittebelehrung enthalten. Diese muss das zulässige Rechtsmittel nennen (Bernhard Ehrenzeller, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2008, Art. 112
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 112 Eröffnung der Entscheide - 1 Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, sind den Parteien schriftlich zu eröffnen. Sie müssen enthalten:
1    Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, sind den Parteien schriftlich zu eröffnen. Sie müssen enthalten:
a  die Begehren, die Begründung, die Beweisvorbringen und Prozesserklärungen der Parteien, soweit sie nicht aus den Akten hervorgehen;
b  die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen;
c  das Dispositiv;
d  eine Rechtsmittelbelehrung einschliesslich Angabe des Streitwerts, soweit dieses Gesetz eine Streitwertgrenze vorsieht.
2    Wenn es das kantonale Recht vorsieht, kann die Behörde ihren Entscheid ohne Begründung eröffnen. Die Parteien können in diesem Fall innert 30 Tagen eine vollständige Ausfertigung verlangen. Der Entscheid ist nicht vollstreckbar, solange nicht entweder diese Frist unbenützt abgelaufen oder die vollständige Ausfertigung eröffnet worden ist.
3    Das Bundesgericht kann einen Entscheid, der den Anforderungen von Absatz 1 nicht genügt, an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben.
4    Für die Gebiete, in denen Bundesbehörden zur Beschwerde berechtigt sind, bestimmt der Bundesrat, welche Entscheide ihnen die kantonalen Behörden zu eröffnen haben.
BGG N. 10). Es muss also (positiv) angegeben werden, welches Rechtsmittel gegeben ist und nicht (negativ), welches oder welche Rechtsmittel nicht gegeben sind. Dies folgt auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
und Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BV). Im Lichte des Bundesrechts hätte somit der Staatsanwalt im angefochtenen Entscheid den Beschwerdeführer (positiv) darüber belehren müssen, dass dagegen die Rechtsverweigerungsbeschwerde gemäss Art. 254 ff. StPO/SG an die Anklagekammer zur Verfügung steht. Weiss - wie sich aus der Vernehmlassung ergibt - der Staatsanwalt genau, welches Rechtsmittel gegen seinen Entscheid gegeben ist, soll er das dem Betroffenen in der Rechtsmittelbelehrungen sagen. Es widerspricht Treu und Glauben, dem Beschwerdeführer mit einer rudimentären Rechtsmittelbelehrung wie hier die wesentliche Information - welches Rechtsmittel im Einzelnen gegeben ist - vorzuenthalten, um ihm nachher
vorzuwerfen, er habe ein ihm zur Verfügung stehendes Rechtsmittel nicht ergriffen.

Aufgrund des dem kantonalen Recht vorgehenden Bundesrechts muss demnach die im angefochtenen Entscheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung als mangelhaft beurteilt werden.

Es stellt sich die Frage, ob der Anwalt des Beschwerdeführers das zutreffende Rechtsmittel durch einen einfachen Blick in das Gesetz hätte erkennen können. Wie dargelegt, ist nach dem Wortlaut von Art. 254 Abs. 1 lit. c StPO/SG die Rechtsverweigerungsbeschwerde zulässig, wenn der Staatsanwalt bei Ausübung der Befugnisse willkürlich handelt. Der Beschwerdeführer macht aber keine Willkür (Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BV) geltend, sondern eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
1    Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
2    Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör.
3    Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.
BV. Dass die Anklagekammer insoweit die Beschwerde prüft, konnte sein Anwalt nicht dem Gesetz entnehmen. Vielmehr hätte er, um dies zu erkennen, die Literatur (Oberholzer, a.a.O., S. 715 N. 1736) konsultieren müssen. Dazu war er nach der dargelegten Rechtsprechung nicht gehalten.

Die Beschwerde wird deshalb der Anklagekammer zur Behandlung überwiesen. Das bundesgerichtliche Verfahren ist damit als gegenstandslos am Geschäftsverzeichnis abzuschreiben (vgl. BGE 1C 451/2007 vom 17. März 2008 E. 1.3.2; 132 I 92 E. 1.6 S. 96, mit Hinweisen).

2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind weder Kosten zu erheben noch eine Parteientschädigung zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Eingabe des Beschwerdeführers vom 23. Januar 2008 wird der Anklagekammer des Kantons St. Gallen zur Behandlung überwiesen.

2.
Das bundesgerichtliche Verfahren 1B 25/2008 wird als gegenstandslos geworden am Geschäftsverzeichnis abgeschrieben.

3.
Es werden weder Gerichtskosten erhoben noch eine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Staatsanwalt und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen (unter Beilage der Eingabe gemäss Ziffer 1 und der kantonalen Akten) schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. Juli 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 1B_25/2008
Date : 02. Juli 2008
Published : 20. Juli 2008
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Zuständigkeitsfragen, Garantie des Wohnsitzrichters und des verfassungsmässigen Richters
Subject : Ausstand; Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs; Rechtsmittelbelehrung


Legislation register
BGG: 49  78  80  111  112  119  130
BV: 5  9  29  49
BGE-register
114-IA-263 • 119-IA-237 • 132-I-92 • 134-I-125
Weitere Urteile ab 2000
1B_25/2008 • 1B_264/2007 • 1B_60/2007 • 1C_451/2007 • 1P.766/2000
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2001/4313