Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C 76/2020

Urteil vom 1. Mai 2020

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Nünlist.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsdienst Inclusion Handicap,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Freiburg, Route du Mont-Carmel 5, 1762 Givisiez,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg vom 17. Dezember 2019 (605 2019 78).

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 1969 geborene A.________ meldete sich am 11. Februar 2013 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen verneinte die IV-Stelle des Kantons Freiburg mit Verfügung vom 9. September 2013 den Anspruch der Versicherten auf eine Invalidenrente.

A.b. Am 27. September 2018 meldete sich die Versicherte erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren trat die IV-Stelle mit Verfügung vom 19. Februar 2019 auf das Leistungsbegehren nicht ein.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Freiburg mit Entscheid vom 17. Dezember 2019 ab.

C.
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, auf das Leistungsbegehren einzutreten.
Die Beschwerdegegnerin und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
und 96
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 96 Ausländisches Recht - Mit der Beschwerde kann gerügt werden:
a  ausländisches Recht sei nicht angewendet worden, wie es das schweizerische internationale Privatrecht vorschreibt;
b  das nach dem schweizerischen internationalen Privatrecht massgebende ausländische Recht sei nicht richtig angewendet worden, sofern der Entscheid keine vermögensrechtliche Sache betrifft.
BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 106 Rechtsanwendung - 1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
1    Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
2    Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist.
BGG).

2.

2.1. Die Vorinstanz hat festgestellt, aus den medizinischen Unterlagen ergebe sich, dass die geltend gemachte Verschlechterung des Gesundheitszustandes die gleiche gesundheitliche Problematik betreffe, die bereits Gegenstand der Erstanmeldung von 2013 gewesen sei. Damit liege kein neuer Versicherungsfall vor. Mit Verfügung vom 9. September 2013 sei die Leistungspflicht verneint worden, da die versicherungsmässigen Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien. Es ergäben sich Zweifel, ob überhaupt je eine langfristige Erwerbsunfähigkeit in einem rentenbegründenden Ausmass bestanden habe. Im Ergebnis erscheine die Leistungsablehnung aber dennoch korrekt, da nur eine Arbeitsunfähigkeit von einigen Monaten bestanden habe und sich zudem aus dem Umstand, dass eine angepasste Tätigkeit im Vollpensum möglich gewesen sei, auch kein Hinweis auf die Notwendigkeit von beruflichen Massnahmen ergeben habe. Zudem scheine die Beschwerdeführerin zu verkennen, dass die Verfügung vom 9. September 2013 unangefochten in Rechtskraft erwachsen sei. Mit ihr sei das Verfahren hinsichtlich des Anspruchs auf eine Invalidenrente respektive auf berufliche Massnahmen unter dem Gesichtspunkt der versicherungsmässigen Voraussetzungen verneint worden, wobei es
sich bei dieser Fragestellung um einen bei Erlass der Verfügung abgeschlossenen Sachverhalt gehandelt habe. Damit stelle sich mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung einzig die Frage, ob eine neuer Versicherungsfall vorgelegen habe, was zu verneinen sei. Die Beschwerdegegnerin sei somit zu Recht auf die Neuanmeldung vom 27. September 2018 nicht eingetreten.

2.2. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz der Verfügung vom 9. September 2013 in Bezug auf das Fehlen der versicherungsmässigen Voraussetzungen zu Recht Rechtskraft beigemessen hat.

3.

3.1. Verwaltungsverfügungen sind nicht nach ihrem bisweilen nicht sehr treffend verfassten Wortlaut, sondern - vorbehältlich des Vertrauensschutzes - nach ihrem wirklichen rechtlichen Bedeutungsgehalt zu verstehen (BGE 141 V 255 E. 1.2 S. 257; 132 V 74 E. 2 S. 76; 120 V 496 E. 1a S. 497; Urteile 9C 727/2010 vom 27. Januar 2012 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 138 V 23, aber in: SVR 2012 EL Nr. 13 S. 40; 9C 472/2016 vom 29. November 2016 E. 4.2; 9C 774/2010 vom 16. August 2011 E. 2.2).

3.2. Unter diesem Gesichtswinkel kann der unangefochten gebliebenen Verfügung vom 9. September 2013 nicht die Ablehnung des Rentenanspruchs zufolge fehlender versicherungsmässiger Voraussetzungen beigemessen werden. Zwar findet sich diese Begründung in jenem Verwaltungsakt; doch wurde - untrennbar miteinander verbunden - damit nicht ein vorbestandener Versicherungsfall (Invaliditätseintritt) abgewiesen, sondern einzig und allein festgestellt, "dass ihre gesundheitlichen Einschränkungen bereits vor Eintritt in die Schweiz bestanden". Eintritt gesundheitlicher Einschränkungen als solchen bedeutet aber in keiner Art und Weise den Eintritt einer rentenbegründenden Invalidität. Dass es daran im Zeitpunkt des Verfügungserlasses am 9. September 2013 offensichtlich fehlte, geht, wie die Beschwerde zu Recht vorbringt, unzweideutig aus der Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 15. April 2013 hervor, wonach damals eine dem Leiden angepasste körperlich leichte Tätigkeit vollzeitlich und ohne Leistungseinschränkung ausgeübt werden konnte.
Damit ist in der Verfügung vom 9. September 2013 nach ihrem wirklichen rechtlichen Gehalt eine Abweisung des Rentenanspruchs infolge nicht rentenbegründenden Invaliditätsgrades zu sehen. Dass eine Verschlechterung glaubhaft gemacht ist, ist unbestritten. Indem die Vorinstanz das Nichteintreten auf die Neuanmeldung vom 27. September 2018 als rechtens erachtet hat, hat sie Bundesrecht daher verletzt. Die Beschwerde ist begründet.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg, I. Sozialversicherungsgerichtshof, vom 17. Dezember 2019 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Freiburg vom 19. Februar 2019 werden aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Freiburg zurückgewiesen, damit sie ergänzende Abklärungen tätige und über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Freiburg zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg, I. Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 1. Mai 2020

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Parrino

Die Gerichtsschreiberin: Nünlist
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 9C_76/2020
Date : 01. Mai 2020
Published : 19. Mai 2020
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Invalidenversicherung
Subject : Invalidenversicherung


Legislation register
BGG: 66  95  96  106
BGE-register
120-V-496 • 132-V-74 • 138-V-23 • 141-V-255
Weitere Urteile ab 2000
9C_472/2016 • 9C_727/2010 • 9C_76/2020 • 9C_774/2010
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