S. 204 / Nr. 46 Verfahren (d)

BGE 78 IV 204

46. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 18. November 1952 i. S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau.


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Regeste:
Art. 264 BStP, 350 Ziff. 1 StGB. Die Änderung eines interkantonal vereinbarten
Gerichtsstandes durch die Anklagekammer des Bundesgerichts setzt selbst dann
einen sich aus neuen Tatsachen ergebenden triftigen Grund voraus, wenn eine
Untersuchung- oder eine Anklagebehörde die Vereinbarung getroffen hat, die
Änderung dagegen von einem Gerichte (des gleichen Kantons) begehrt wird.
Art. 264 PPF et 350 ch. 1 CP. La modification d'un for intercantonal
conventionnel par la Chambre d'accusation du Tribunal fédéral suppose un motif
sérieux résultant de faits nouveaux, lors même que le for a été convenu par
une autorité d'instruction ou d'accusation et que la modification est demandée
par un tribunal.
Art. 264 PPF e 350 cifra 1 CP. Il cambiamento di un foro convenzionale
intercantonale da parte della Camera di accusa del Tribunale federale
presuppone un motivo serio, che risulti da fatti nuovi, anche quanto il foro è
stato convenuto da un'autorità d'istruzione O di accusa e che il cambiamento è
chiesto da un tribunale.

A. - Am 3. Dezember 1951 erstattete Robert Bättig gegen den in Wettingen
wohnenden Johann Hartmeier bei der Polizeistation Baden Anzeige wegen
Körperverletzung, Imstichelassens eines Verletzten und Entzugs eines
Retentionsgegenstandes, alles begangen in Wettingen.
Am 4. Dezember 1951 verzeigte Theodor Blattner Johann Hartmeier bei der
Stadtpolizei Zürich wegen Veruntreuung. Der Anzeiger behauptete, Hartmeier
habe ein Automobil, an dem die Firma Blattner & Sohn in Zürich
Eigentumsvorbehalt hatte, am 1. Dezember 1951 mit ihrer Einwilligung dem Karl
Scheller in Thalwil verkauft, aber das Versprechen, aus dem Erlös sofort die
der Firma geschuldete Kaufpreisrestanz von Fr. 1650.- zu bezahlen, nicht
gehalten. Am 5. Dezember 1951 machte Hartmeier vor der Stadtpolizei Zürich
geltend, er sei am 2. Dezember 1951 zu seinem Vergnügen von Basel nach Paris
gefahren und sei dort um rund 1700 Schweizerfranken und einiges französisches
Geld bestohlen worden.

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B. - Die Bezirksanwaltschaft Zürich anerkannte mit Schreiben vom 15. Januar
1952 an das Bezirksamt Baden gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937
CP Art. 350 - 1 L'Office fédéral de la police assume les tâches d'un bureau central national au sens des statuts de l'Organisation internationale de police criminelle (INTERPOL).
1    L'Office fédéral de la police assume les tâches d'un bureau central national au sens des statuts de l'Organisation internationale de police criminelle (INTERPOL).
2    Il lui appartient de procéder à des échanges d'informations entre les autorités fédérales et cantonales de poursuite pénale d'une part et les bureaux centraux nationaux d'autres États et le Secrétariat général d'INTERPOL d'autre part.
StGB die
Zuständigkeit der zürcherischen Behörden für die gesamte Strafverfolgung und
erhob am 2. April 1952 gegen Hartmeier Anklage wegen Veruntreuung,
Imstichelassens eines Verletzten und Entzugs eines Retentionsgegenstandes.
Das Bezirksgericht Zürich beschloss am 29. April 1952, auf die Anklage wegen
örtlicher Unzuständigkeit nicht einzutreten. Das Obergericht des Kantons
Zürich, bei dem sich die Staatsanwaltschaft beschwerte, bestätigte am 16.
Oktober 1952 diesen Entscheid. Es ging mit dem Bezirksgericht davon aus, dass
nach Art. 348 Abs. 1
SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937
CP Art. 350 - 1 L'Office fédéral de la police assume les tâches d'un bureau central national au sens des statuts de l'Organisation internationale de police criminelle (INTERPOL).
1    L'Office fédéral de la police assume les tâches d'un bureau central national au sens des statuts de l'Organisation internationale de police criminelle (INTERPOL).
2    Il lui appartient de procéder à des échanges d'informations entre les autorités fédérales et cantonales de poursuite pénale d'une part et les bureaux centraux nationaux d'autres États et le Secrétariat général d'INTERPOL d'autre part.
StGB in Fällen, wo der Tatort nicht ermittelt werden
könne, die Behörden des Ortes zuständig seien, wo der Täter wohne, ebenso wenn
er die Tat im Ausland verübt habe, er jedoch gestützt auf Art. 6
SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937
CP Art. 6 - 1 Le présent code est applicable à quiconque commet à l'étranger un crime ou un délit que la Suisse s'est engagée à poursuivre en vertu d'un accord international:
1    Le présent code est applicable à quiconque commet à l'étranger un crime ou un délit que la Suisse s'est engagée à poursuivre en vertu d'un accord international:
a  si l'acte est aussi réprimé dans l'État où il a été commis ou que le lieu de commission de l'acte ne relève d'aucune juridiction pénale et
b  si l'auteur se trouve en Suisse et qu'il n'est pas extradé.
2    Le juge fixe les sanctions de sorte que l'auteur ne soit pas traité plus sévèrement qu'il ne l'aurait été en vertu du droit applicable au lieu de commission de l'acte.
3    Sous réserve d'une violation grave des principes fondamentaux du droit constitutionnel et de la CEDH10, l'auteur ne peut plus être poursuivi en Suisse pour le même acte:
a  s'il a été acquitté à l'étranger par un jugement définitif;
b  s'il a subi la sanction prononcée contre lui à l'étranger, que celle-ci lui a été remise ou qu'elle est prescrite.
4    Si, en raison de cet acte, l'auteur a été condamné à l'étranger et qu'il n'y a subi qu'une partie de la peine prononcée contre lui, le juge impute cette partie sur la peine à prononcer. Il décide si la mesure ordonnée et partiellement exécutée à l'étranger doit être poursuivie ou imputée sur la peine prononcée en Suisse.
StGB in der
Schweiz zur Verantwortung gezogen werden könne. Davon, dass Hartmeier den
Entschluss zur Veruntreuung, der mit der schwersten Strafe bedrohten Tat,
schon im Kanton Zürich gefasst und kundgegeben habe, fehlten alle
Anhaltspunkte; entweder sei die Tat in Wettingen, in Basel oder in Paris
verübt worden. Keinesfalls seien daher die Behörden des Kantons Zürich
zuständig. Dass die zürcherischen Untersuchungsbehörden sich gegenüber den
aargauischen zur Übernahme der Strafverfolgung bereit erklärt hätten, spiele
keine Rolle. Eine solche Vereinbarung vermöge keinen selbständigen
Gerichtsstand zu begründen und binde die Gerichte nicht.
C. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau lehnte durch Schreiben vom 28.
Oktober 1952 an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Übernahme der
Strafverfolgung ab und ersuchte die Zürcher Behörde, den Fall der
Anklagekammer des Bundesgerichts zur Bestimmung des Gerichtsstandes
vorzulegen. Das tat die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 4. November
1952 mit dem Antrag, der Kanton Aargau sei zur Verfolgung Hartmeiers zuständig
zu erklären.

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Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich und die Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau haben sich im Januar 1952 auf den Gerichtsstand Zürich geeinigt. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann deshalb ein anderer
Gerichtsstand nur bestimmt werden, wenn neue Tatsachen einen triftigen Grund
bilden, von der getroffenen Vereinbarung abzuweichen (BGE 69 IV 46, 71 IV 61).
Diese Rechtsprechung will vermeiden, dass jedesmal dann, wenn eine Behörde,
sei es auf Grund einer neuen Würdigung des schon fr über bekannt gewesenen
Sachverhaltes, sei es nach Entdeckung oder Eintritts neuer Tatsachen, die
Vereinbarung bereut, der Gerichtsstand gewechselt werden müsse. Sie gilt daher
ohne Rücksicht darauf, ob die neuen Gesichtspunkte oder Tatsachen von der
Instanz, welche die Gerichtsbarkeit interkantonal anerkannt hat, oder von
einer anderen Behörde des gleichen Kantons geltend gemacht werden. Selbst wenn
der Gerichtsstand von einer Untersuchungs- oder einer Anklagebehörde anerkannt
worden ist und die Änderung von einem Gerichte angestrebt wird, besteht kein
Anlass zu anderer Behandlung des Streites. Nach aussen, im Verhältnis zu
anderen Kantonen, ist die Anerkennung des Gerichtsstandes durch eine
Untersuchungs- oder eine Anklagebehörde gleich verbindlich wie die Anerkennung
durch Gerichtsentscheid. Das Gericht kann die Gerichtsbarkeit des Kantons, die
während des Untersuchungs- oder des Anklageverfahrens von einer anderen
Behörde anerkannt worden ist, nicht unter leichteren Voraussetzungen ablehnen,
als wenn es die Verhandlungen mit dein anderen Kanton selbst geführt hätte.
Das widerspräche dem Bedürfnis nach einer raschen und ökonomischen
Strafverfolgung, wie besonders anschaulich der vorliegende Fall zeigt, wo vom
erstinstanzlichen bis zum zweitinstanzlichen Gerichtsentscheid nahezu sechs
Monate verstrichen sind

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und mit dem gleichen Aufwand wahrscheinlich die Sache materiell hätte
beurteilt werden können.
Das Bundesrecht verbietet freilich nicht, dass ein Kanton die verbindliche
Anerkennung des interkantonalen Gerichtsstandes seinen Gerichten vorbehalte.
Will er das tun, so muss jedoch der Entscheid über die Anerkennung oder
Ablehnung in jedem Stadium der Strafverfolgung, sobald sich die interkantonale
Gerichtsstandsfrage stellt, nicht erst nach Abschluss des Untersuchungs- und
des Anklageverfahrens, vom Gericht getroffen werden. Dass sich diese
Erschwerung in der Erledigung von Gerichtsstandsstreitigkeiten lohnen würde,
ist freilich zu bezweifeln, da die herrschende Ordnung, welche die
Entscheidungsbefugnis während des Untersuchungs- und Anklageverfahrens der
Untersuchungsbehörde, der Staatsanwalt -schaft oder der kantonalen
Anklagekammer zuerkennt, sich im interkantonalen Verkehr bewährt hat,
insbesondere auch im Kanton Zürich. Wird von diesen Behörden gelegentlich der
Gerichtsstand ohne erschöpfende Würdigung, mehr nach praktischen
Gesichtspunkten anerkannt, so geschieht es auf Grund einer
Verständigungsbereitschaft, die im Interesse der Strafverfolgung liegt und
insgesamt immer wieder zum Ausgleich führt.
2.- Das Obergericht macht in seinem Entscheide vom 16. Oktober 1952 nicht
geltend, dass die Erwägungen, die es zur Ablehnung des Gerichtsstandes Zürich
führten, auf neuen Tatsachen beruhten. Schon im Januar 1952, als die
Bezirksanwaltschaft die zürcherische Gerichtsbarkeit anerkannte, war bekannt,
dass Hartmeier mit dem anvertrauten Gelde, statt es in Zürich abzuliefern,
angeblich nach Paris gefahren war, die zürcherischen Behörden somit nur
zuständig sein konnten, wenn er den Entschluss, sich das Geld anzueignen, im
Kanton Zürich gefasst hatte.
Aber selbst wenn nachträglich Tatsachen bekannt geworden sein sollten, welche
die Aneignung auf zürcherischem Boden um einen Grad weniger wahrscheinlich
machten als im Januar 1952, bestünde kein Anlass zur Änderung

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des Gerichtsstandes. Mit der Möglichkeit, dass sich Hartmeier den Erlös des in
Thalwil verkauften Wagens nicht schon im Kanton Zürich angeeignet habe, war
von Anfang an zu rechnen. Wenn die Bezirksanwaltschaft trotzdem den
zürcherischen Gerichtsstand anerkannte, so geschah es, weil gewichtige
Anzeichen für die Begehung der Tat im Kanton Zürich sprachen. Solche Anzeichen
bestehen noch heute, so namentlich der Umstand, dass Hartmeier verpflichtet
war, das in Thalwil gelöste Geld noch am gleichen Tag in Zürich abzuliefern,
und daher kein Anlass bestand, damit in den Aargau, nach Basel und nach Paris
zu fahren. Der Schluss, dass der Angeklagte es nicht in Zürich veruntreut
habe, ist nicht zwingend. Die neue Würdigung des Falles durch das Obergericht
deckt daher keinen triftigen Grund auf, vom anerkannten Gerichtsstand
abzuweichen.
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Die Behörden des Kantons Zürich werden berechtigt und verpflichtet erklärt,
Johann Hartmeier zu verfolgen und zu beurteilen.
Vgl. auch Nr. 40 (tatsächliche Feststellungen). -
Voir aussi no 40.