BGE-77-IV-206


S. 206 / Nr. 49 Strafgesetzbuch (d)

BGE 77 IV 206

49. Urteil des Kassationshofes vom 29. Oktober 1951 i. S. Baumann gegen
Staatsanwaltschaft des Kanton Thurgau.

Regeste:
1. Art. 337 StGB. Die unter altern Recht verübte Tat verjährt nach altem
Recht, wenn dieses milder ist als das neue.
2. Art. 71 StGB. Der Tag, mit dem die Verjährungsfrist beginnt, wird
mitgezählt.
1. Art. 337 Cp L'infraction commise sous l'empire de l'ancien droit se
prescrit selon ce dernier s'il est plus favorable au prévenu que le nouveau.
2. Art. 71 CP. Le jour duquel court le délai de prescription est compté.
1. Art. 337 CP. Il reato commesso prima dell'entrata in vigore del nuovo
diritto si prescrivo secondo il vecchio diritto se è più favorevole al
prevenuto che il nuovo diritto.
2. Art. 71 CP. Il giorno da cui il termine di prescrizione decorre è contato.

Baumann wurde vom Obergericht des Kantons Thurgau am 21. Juni 1951 wegen einer
am 21. Juni 1950 begangenen Übertretung des Art. 25 Abs. 1 MFG zu Fr. 50.-
Busse verurteilt. Er führt Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff . BStP mit
dem Antrag auf Freisprechung. Unter anderem macht er geltend, die
Strafverfolgung sei verjährt.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau verzichtet auf Gegenbemerkungen.

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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Widerhandlungen gegen Art. 25 Abs. 1 MFG sind mit Übertretungsstrafe
bedroht (Art. 58 Abs. 1 MFG, Art. 101 StGB). Nach Art. 109 und 72 Ziff. 2 Abs.
2 StGB in der alten Fassung verjährten Übertretungen in sechs Monaten und
absolut in einem Jahre. Diese Fristen galten auch für Übertretungen des
Motorfahrzeuggesetzes (Art. 334 StGB in Verbindung mit Art. 65 Abs. 3 MFG und
Art. 398 Abs. 2 lit. a StGB). Durch das Bundesgesetz vom 5. Oktober 1950
betreffend Abänderung des StGB, in Kraft seit 5. Januar 1951, sind sie auf ein
Jahr (ordentliche Verjährungsfrist) bezw. zwei Jahre (absolute
Verjährungsfrist) verlängert worden (Art. 109 , 72 Ziff. 2 Abs. 2 rev. StGB).
Im vorliegenden Falle kommen jedoch die alten Fristen zur Anwendung, da die
Tat unter der Herrschaft des alten Rechts begangen worden ist. Das ergibt sich
aus Art. 337 StGB, der analog anzuwenden ist. Dieser Artikel erklärt die
Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die Verfolgungsverjährung für
anwendbar, wenn die Tat vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verübt worden
und das neue Recht für den Täter das mildere ist. Damit ist zugleich gesagt,
dass die unter dem Recht verübte Tat nach altem Recht verjährt, wenn die
Verjährungsbestimmungen des neuen Rechts für den Täter nicht milder sind. Ob
die Verfolgung beim Inkrafttreten des neuen Rechts schon verjährt war oder
nicht, erlaubt Art. 337 StGB nicht zu unterscheiden. Dass eine bereits
abgelaufene Verjährungsfrist durch das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes
mangels einer ausdrücklichen Bestimmung nicht wieder in Gang gesetzt wird,
versteht sich von selbst; das brauchte in Art. 337 nicht gesagt zu werden. Die
in dieser Bestimmung enthaltene Norm, wonach das mildere Recht anzuwenden ist,
kann nur für Fälle aufgestellt worden sein, in denen beim Inkrafttreten des
neuen Rechts die Verjährungsfrist des alten Rechts noch nicht abgelaufen war.

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2.- Der Monat und das Jahr werden nach der Kalenderzeit berechnet (Art. 110
Ziff. 6 StGB). Wenn eine Verjährungsfrist von zwölf Monaten mit dem Tag
beginnt, an dem der Täter die strafbare Tätigkeit ausführt (Art. 71 Abs. 1 und
2 StGB), läuft sie deshalb mit einem bestimmten Kalendertage ab, ohne
Rücksicht darauf, zu welcher Tageszeit die Tat ausgeführt worden ist; es wird
nicht von Stunde zu Stunde oder sogar von Minute zu Minute gerechnet.
Dass die Verjährungsfrist «mit dem Tag beginnt, bedeutet, dass der Fristbeginn
mit dem Beginn des betreffenden Tages zusammenfällt, selbst wenn das die
Verjährung in Gang setzende Ereignis (Ausführung der Tat) erst im Laufe des
Tages eintritt. Der Tag des Ereignisses wird mitgezählt, sonst müsste das
Gesetz die Frist nicht «mit dein Tage», an dein die strafbare Tätigkeit
ausgeführt wird, sondern «mit dem folgenden Tage beginnen lassen. Zu keiner
anderen Auslegung geben die romanischen Texte des Art. 71 StGB Anlass. «La
prescription court du jour...» beziehungsweise «la prescrizione decorre dal
giorno...» hat den Sinn, dass der betreffende Tag mitzuzählen sei, nicht dass
erst der folgende Tag die Frist in Gang setze «du jour» heisst «dès le jour»
nicht «dès le lendemain».
Freilich gibt es Gesetze, die den Tag, an dem die Frist zu laufen beginnt,
nicht mitzählen. Sie sagen es jedoch ausdrücklich, so Art. 31 Abs. 1 SchKG,
Art. 77 OR und Art. 32 Abs. 1 OG. Von selbst versteht sich das nicht. Da der
Strafgesetzgeber eine entsprechende Bestimmung nicht erlassen hat, obschon ihm
die Frage der Fristberechnung nicht entgangen ist (vgl. Art. 110 Ziff. 6),
kann es nicht anders sein, als dass er den Tag, mit dem die Frist zu laufen
beginnt, mitgezählt haben will. Im Strafrecht bestehen für diese Ordnung
beachtliche Gründe, z. B. der, dass sonst dem zu Freiheitsstrafe Verurteilten
der erste Tag der Strafverbüssung nicht angerechnet werden könnte. In BGE 73
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hat allerdings der Kassationshof

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bei Berechnung der Frist zur Stellung des Strafantrages (Art. 29 StGB) den
Tag, an welchem dem Antrags-berechtigten der Täter bekannt wurde, nicht
mitgezählt. Begründet wurde das damit, dass sonst die Zeit, während welcher
der Aufragsberechtigte sein Recht wahren könne, verkürzt wäre. Diese
Überlegung kann im Falle der Berechnung der Verjährungsfrist nicht getroffen
werden, da es hier nicht um die Wahrung eines Rechtes, sondern ausschliesslich
um die Verfolgung des Beschuldigten geht. Sie wird in Zukunft auch bei der
Berechnung der Antragsfrist nicht mehr durchschlagend sein, da sie
unberücksichtigt lässt, dass jedes Entgegenkommen gegenüber dem
Antragsberechtigten eine entsprechende Benachteiligung des Beschuldigten
bedeutet, und da sich Unterschiede in der Berechnung der Fristen ein und
desselben Gesetzes ohne Not sachlich nicht rechtfertigen lassen.
Ist somit der 21. Juni 1950, an dem der Beschwerdeführer die Tat ausgeführt
hat, voll mitzuzählen, so ist die einjährige absolute Verjährungsfrist am 20.
Juni 1951 um 24 Uhr abgelaufen. Das angefochtene Urteil ist erst am 21. Juni
1951 gefällt worden und muss daher aufgehoben werden. Der Beschwerdeführer
darf nicht bestraft werden. Ob er bei dieser Sachlage «wegen Verjährung
freigesprochen» werden muss oder ob der Urteilsspruch auf Einstellung des
Verfahrens zu lauten hat, ist eine Frage des kantonalen Prozessrechtes, das
vom Kassationshof nicht auszulegen ist.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Thurgau vom 21. Juni 1951 aufgehoben und die Sache zu neuer
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.