S. 1 / Nr. 1 Rechtsgleichheit {Rechtsverweigerung} (d)

BGE 77 I 1

1. Urteil vom 16. Mai 1951 i. S. Wilker gegen Regierungsrat des Kantons Uri.


Seite: 1
Regeste:
Ehevertrag, Zustimmung der Vormundschaftsbehörde.
Es ist willkürlich, einem Ehevertrag deshalb die Zustimmung zu versagen, weil
er Anwartschaften pflichtteilsberechtigter Geschwister der Ehegatten zunichte
macht.
Contrat de mariage. Approbation de l'autorité tutélaire.
Constitue une décision arbitraire celle par laquelle l'autorité tutélaire
refuse d'approuver une convention matrimoniale par le motif qu'elle supprime
les espérances des frères et soeurs des époux, ayant droit à la réserve
légale.
Convenzione matrimoniale. Approvazione dell'autorità tutoria.
È arbitraria la decisione dell'autorità tutoria che rifiuta d'approvare una
convenzione matrimoniale pel motivo che sopprime le aspettative dei fratelli e
delle sorelle dei coniugi alla legittima prevista dalla legge.

A. - Die Ehegatten Josef und Martha Walker-Wettstein, Inhaber eines Hotels in
Erstfeld, beide 1901 geboren, sind seit 1946 verheiratet; Nachkommen haben sie
nicht. Durch Ehevertrag vom 1. Dezember 1950 vereinbarten sie die allgemeine
Gütergemeinschaft (Art. 215
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 215 - 1 Jedem Ehegatten oder seinen Erben steht die Hälfte des Vorschlages des andern zu.
1    Jedem Ehegatten oder seinen Erben steht die Hälfte des Vorschlages des andern zu.
2    Die Forderungen werden verrechnet.
ZGB); sie bestimmten, dass dem überlebenden
Ehegatten das ganze Gesamtgut zufallen solle.
Der Gemeinderat von Gurtnellen als Vormundschaftsbehörde der Heimatgemeinde
der Ehegatten (§ 40 urn.

Seite: 2
EG zum ZGB) verweigerte die Zustimmung mit der Begründung, dass der Vertrag in
der vorliegenden Fassung die Interessen des bevormundeten, finanziell schlecht
gestellten Bruders und auch der landesabwesenden Geschwister des Ehemannes
verletze er verlangte die Ergänzung des Vertrages durch eine Bestimmung,
wonach der Anspruch der Geschwister des Ehemannes auf den Pflichtteil (Art.
470 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 470 - 1 Wer Nachkommen, den Ehegatten, die eingetragene Partnerin oder den eingetragenen Partner hinterlässt, kann bis zu deren Pflichtteil über sein Vermögen von Todes wegen verfügen.501
1    Wer Nachkommen, den Ehegatten, die eingetragene Partnerin oder den eingetragenen Partner hinterlässt, kann bis zu deren Pflichtteil über sein Vermögen von Todes wegen verfügen.501
2    Wer keine der genannten Erben hinterlässt, kann über sein ganzes Vermögen von Todes wegen verfügen.
. ZGB, § 64 urn. EG. zum ZGB) gewahrt bleibe.
Der Regierungsrat des Kantons Uri als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde
schützte mit Beschwerdeentscheid vom 24. Februar 1951 die Stellungnahme der
Vormundschaftsbehörde Gurtnellen.
B. - Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragen die Eheleute
Walker-Wettstein, den Entscheid des Regierungsrates wegen Verletzung des Art.
4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV (Willkür) aufzuheben und den Ehevertrag vom 1. Dezember 1950 zu
genehmigen. eventuell die Vormundschaftsbehörde Gurtnellen oder den
Regierungsrat anzuweisen, die Genehmigung zu erteilen. Es wird geltend
gemacht, die Absicht der kantonalen Behörden, Anwartschaften der Geschwister
des Ehemannes zu sichern, sei nach Art. 181 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 181 - Die Ehegatten unterstehen den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung, sofern sie nicht durch Ehevertrag etwas anderes vereinbaren oder der ausserordentliche Güterstand eingetreten ist.
ZGB kein Grund, dem
Vertrage nicht beizustimmen. Der Regierungsrat habe sich von andern als
sachlichen Erwägungen leiten lassen sein Entscheid verletze klares Recht.
C. - Der Regierungsrat schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Er führt aus,
die Geschwister Josef Walkers seien entweder notleidend oder in Gefahr, es zu
werden. Es sei daher elementarste Pflicht der verantwortlichen
Vormundschaftsbehörde, ihnen wenigstens den Pflichtteilsanspruch zu erhalten,
welchen sie nach Art. 226
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 226 - Alle Vermögenswerte gelten als Gesamtgut, solange nicht bewiesen ist, dass sie Eigengut eines Ehegatten sind.
ZGB verlören, wenn der Ehevertrag der
Beschwerdeführer vorbehaltlos genehmigt würde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Auf die Beschwerdebegehren, mit denen etwas anderes als die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides verlangt wird, kann das Bundesgericht nicht
eintreten, da

Seite: 3
die staatsrechtliche Beschwerde im Regelfalle, welcher hier vorliegt, rein
kassatorischen Charakter hat (BGE 75 I 18).
2.- Nach Art. 181 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 181 - Die Ehegatten unterstehen den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung, sofern sie nicht durch Ehevertrag etwas anderes vereinbaren oder der ausserordentliche Güterstand eingetreten ist.
ZGB bedürfen Eheverträge, die während der Ehe
abgeschlossen werden, der Zustimmung der Vormundschaftsbehörde. Die Bestimmung
bezweckt in erster Linie den Schutz der Interessen der Ehegatten. Daher soll
die Vormundschaftsbehörde prüfen, ob die beiden Vertragspartner über die
Tragweite ihrer Vereinbarung vollständig im klaren sind, und verhindern, dass
ein Gatte dem andern Konzessionen macht, die auf unlauterer Beeinflussung oder
unrichtigen Vorstellungen beruhen. Sodann sind die Interessen der Kinder zu
beachten, namentlich auch derjenigen, die nicht der Ehe der Vertragspartner
entsprossen sind. Dagegen hat Art. 181 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 181 - Die Ehegatten unterstehen den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung, sofern sie nicht durch Ehevertrag etwas anderes vereinbaren oder der ausserordentliche Güterstand eingetreten ist.
ZGB offensichtlich nicht den
Sinn, dass die Vormundschaftsbehörde auch blosse Anwartschaften und Hoffnungen
weiterer Verwandter, die oft über den Ehevertrag unzufrieden sein mögen, zu
berücksichtigen hat; der Grundsatz der Vertragsfreiheit, welcher im ehelichen
Güterrecht des ZGB gilt, schliesst eine andere Auslegung aus (GMÜR, N. 16 ff.,
EGGER, N. 4 ff. zu Art. 181
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 181 - Die Ehegatten unterstehen den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung, sofern sie nicht durch Ehevertrag etwas anderes vereinbaren oder der ausserordentliche Güterstand eingetreten ist.
ZGB).
3.- Haben die Ehegatten das System der allgemeinen Gütergemeinschaft gewählt,
so fällt nach Art. 225
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 225 - 1 Eigengut entsteht durch Ehevertrag, durch Zuwendung Dritter oder von Gesetzes wegen.
1    Eigengut entsteht durch Ehevertrag, durch Zuwendung Dritter oder von Gesetzes wegen.
2    Von Gesetzes wegen umfasst das Eigengut jedes Ehegatten die Gegenstände, die ihm ausschliesslich zum persönlichen Gebrauch dienen, sowie die Genugtuungsansprüche.
3    Was ein Ehegatte als Pflichtteil zu beanspruchen hat, kann ihm von seinen Verwandten nicht als Eigengut zugewendet werden, sofern der Ehevertrag vorsieht, dass diese Vermögenswerte Gesamtgut sind.
ZGB beim Tode des einen die Hälfte des Gesamtgutes dem
überlebenden zu, während die andere Hälfte auf die Erben des verstorbenen
übergeht. Gemäss Art. 226 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 226 - Alle Vermögenswerte gelten als Gesamtgut, solange nicht bewiesen ist, dass sie Eigengut eines Ehegatten sind.
ZGB kann indes durch Ehevertrag an Stelle der
hälftigen eine andere Teilung gesetzt werden; dem überlebenden Ehegatten darf
auf diesem Wege auch das ganze Gesamtgut zugewendet werden (GMÜR, N. 6 a,
EGGER, N. I zu Art. 226
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 226 - Alle Vermögenswerte gelten als Gesamtgut, solange nicht bewiesen ist, dass sie Eigengut eines Ehegatten sind.
ZGB; vgl. BGE 58 II 1 ff.). Durch den Ehevertrag darf
jedoch den Nachkommen des verstorbenen Ehegatten ein Viertel des bei seinem
Tode vorhandenen Gesamtvermögens nicht entzogen werden (Art. 226 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 226 - Alle Vermögenswerte gelten als Gesamtgut, solange nicht bewiesen ist, dass sie Eigengut eines Ehegatten sind.
ZGB).
Dagegen enthält das Gesetz keine Bestimmung, wonach auch andere Angehörige,
insbesondere die Eltern und

Seite: 4
Geschwister, einen solchen Schutz genössen. Es gewährt ihn bewusst nur den
Nachkommen; den weitern nach Erbrecht pflichtteilsberechtigten Verwandten
gegenüber lässt es die Bindung aus Güterrecht vorgehen (E. HUBER,
Erläuterungen zum Vorentwurf des ZGB, 2. Auflage, Bd. I S. 184; GMÜR, N. 10,
EGGER, N. 3 zu Art. 226
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 226 - Alle Vermögenswerte gelten als Gesamtgut, solange nicht bewiesen ist, dass sie Eigengut eines Ehegatten sind.
ZGB).
4. Die Vormundschaftsbehörde Gurtnellen und der Regierungsrat des Kantons Uri
versagten dem Ehevertrage der Beschwerdeführer lediglich deshalb die
Zustimmung, weil Sie den erbrechtlichen Pflichtteilsanspruch der Geschwister
des Ehemannes wahren zu müssen glaubten. Die Auslegung von Art. 181 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 181 - Die Ehegatten unterstehen den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung, sofern sie nicht durch Ehevertrag etwas anderes vereinbaren oder der ausserordentliche Güterstand eingetreten ist.
und
Art. 226
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 226 - Alle Vermögenswerte gelten als Gesamtgut, solange nicht bewiesen ist, dass sie Eigengut eines Ehegatten sind.
ZGB, welche ihrer Überlegung zugrunde liegt, ist jedoch völlig
unhaltbar, wie sieh aus dem hievor Ausgeführten ergibt sie lässt sich durch
keinerlei ernsthaft vertretbare Argumente stützen. Der Entscheid des
Regierungsrates erweist sich daher als willkürlich.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid aufgehoben.