S. 346 / Nr. 64 Sozialversicherung (d)

BGE 74 I 346

64. Urteil vom 8. Oktober 1948 i. S. Rosenthal gegen Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement.

Regeste:
Schweizerbürgerrecht: Die Schweizerin, die einen Staatenlosen (hier einen von
der 11. VO zum deutschen Reichsbürgergesetz von 1935 betroffenen dauernd in
der Schweiz weilenden «Juden») heiratet, behält bei der Heirat ihr
Schweizerbürgerrecht.
Droit de cité Suissesse: La Suissesse qui épouse un apatride (en l'espèce un
Juif séjournant de manière durable en Suisse et tombant sous le coup de la 11e
ordonnance d'application de la loi allemande de 1935 sur la nationalité)
conserve lors de son mariage son droit de cité suisse.
Nazionalità svizzera: La donna svizzera che contrae matrimonio con un apolide
(nella fattispecie un israelita che soggiorna in modo durevole in Isvizzera ed
è colpito dall'11a ordinanza di applicazione della legge germanica del 1935
sulla nazionalità) conserva la nazionalità svizzera.

A. ­ Die Beschwerdeführerin ist von Geburt Bürgerin der zürcherischen Gemeinde
Dübendorf. Sie hat sich am 27. Februar 1947 mit dem am 18. Oktober 1906 in
Hamborn (oder in Bruckhausen?) (Deutschland) geborenen Richard Rosenthal
verheiratet. Rosenthal ist von Geburt deutscher Herkunft. Er hat Deutschland
im Frühjahr 1939 verlassen und lebt seither in der Schweiz. Bei der Einreise
in die Schweiz war Rosenthal im Besitze eines am 19. Januar 1939 ausgestellten
gültigen Reisepasses für deutsche

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Staatsangehörige. Der Pass wurde wiederholt verlängert, zuletzt am 18. Januar
1941 bis zum 18. Januar 1942, seither nicht mehr. Er ist mit der für Träger
jüdischer Abstammung verwendeten Kennzeichnung «J» versehen und weist auch den
für «Juden» seit 1939 vorgeschriebenen Zunamen «Israel» auf (zweite Verordnung
vom 17. August 1 938 zum deutschen Reichsgesetz vom 5. Januar 1938 über die
Änderung von Familiennamen und Vornamen, § 1 und § 2, Abs. 1). Rosenthal hat
den Pass mit «Richard Israel» unterzeichnet. Bei den Akten liegt sodann ein am
25. Februar 1939 ausgestellter Ausschliessungsschein des Wehrbezirkskommandos
Düsseldorf, wonach «Richard Israel Rosenthal» als «Jude» vom Dienst in der
Wehrmacht im Frieden ausgeschlossen wird.
Frau Rosenthal hält dafür, dass sie nach wie vor Schweizerbürgerin sei, und
hat hierüber einen Feststellungsentscheid verlangt. Am 9. Oktober 1947 hat das
eidg. Justiz- und Polizeidepartement erkannt, dass sie bei der Eheschliessung
das Schweizerbürgerrecht und die Bürgerrechte des Kantons Zürich und der
Gemeinde Dübendorf verloren habe. Das Departement geht, unter Berufung auf
seine Praxis in Bürgerrechtsangelegenheiten und auf das Urteil des
Bundesgerichts i. S. Levita (BGE 72 I 407) davon aus, dass der Ehemann der
Petentin, Richard Rosenthal, zur Zeit der Heirat deutscher Staatsangehöriger
gewesen sei und Frau Rosenthal mit der Heirat diese Staatsangehörigkeit
erworben habe. Rosenthal könne weder nach der vom Departement befolgten, noch
nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtes geltend machen, er habe
die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Er müsse dort, wo es sich um das
Staatsangehörigkeitsverhältnis seiner Frau zur Schweiz handle, als deutscher
Staatsangehöriger betrachtet werden.
B. ­ Frau Rosenthal erhebt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt
festzustellen, dass sie nach wie vor Schweizerbürgerin sei. Sie führt zur
Begründung aus, ihr Ehemann sei zur Zeit der Eheschliessung staatenlos
gewesen,

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da er im Jahre 1941 von der 11. Verordnung zum deutschen Reichsbürgergesetz
von 1935 und der darin angeordneten allgemeinen Ausbürgerung der im
(deutschen) Auslande lebenden Juden betroffen worden sei. Die Ausbürgerung sei
bei Aufhebung der Verordnung durch die Organe der Besetzungsmächte in
Deutschland nicht rückgängig gemacht worden. Darauf, ob die 11. Verordnung
schweizerischen Rechtsanschauungen entspreche oder nicht, könne es nicht
ankommen.
C. ­ Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragt Abweisung der
Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Die Schweizerin, die mit einem Nichtschweizer eine in der Schweiz gültige
Ehe schliesst, verliert ihr Schweizerbürgerrecht dann nicht, wenn sie durch
die Verheiratung und den damit ordentlicherweise verbundenen Verlust des
Schweizerbürgerrechts (Art. 5, Abs. 1 BRB vom 11. November 1941) unvermeidlich
staatenlos würde (Art. 5, Abs. 2 BRB). Unvermeidliche Staatenlosigkeit tritt
nicht ein, wenn das Heimatrecht des Ehemannes der Ehefrau dessen
Staatsangehörigkeit ohne weiteres beilegt oder wenn es der Ehefrau wenigstens
die Möglichkeit bietet, dessen Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit dem
Eheschluss zu erwerben (Art. 5, Abs. 2, Satz 2 BRB); ferner auch dann nicht,
wenn die Schweizerin z. Zt. des Eheschlusses ein Bürgerrecht besitzt, das
durch den Abschluss der Ehe nicht berührt wird. In allen andern Fällen würde
die Schweizerin durch den nach schweizerischem Recht ordentlicherweise
eintretenden Verlust des Schweizerbürgerrechts zufolge des Eheschlusses
staatenlos, ein Ergebnis, das schweizerischen Auffassungen von öffentlicher
Ordnung widerspräche. Es zu vermeiden, ist Zweck der aus früherem
Gewohnheitsrecht in Art. 5, Abs. 2 BRB übernommenen Ausnahme. Staatenlosigkeit
würde ohne sie dann eintreten, wenn
a) das Heimatrecht des Ehemannes der Schweizerin die

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Aufnahme in das Bürgerrecht im Zusammenhang mit dem Eheschluss unter irgend
einem Gesichtspunkte verschliesst,
b) der Ehemann kein Bürgerrecht besitzt, also staatenlos ist. Der Staatenlose
kann der Frau überhaupt keine Staatsangehörigkeit vermitteln, der Ausländer
nur, wenn es sein Heimatrecht zulässt.
Bei der Frage, ob die Schweizerin zufolge Verheiratung mit einem
Nichtschweizer das Schweizerbürgerrecht verliert oder beibehält, kommt es
unter diesen Umständen auf die staatsrechtliche Stellung des Ehemannes an und
auf die Wirkungen, die das Heimatrecht des Ehemannes an den Eheschluss knüpft.
Diese Verhältnisse bilden die Gegebenheiten, von denen das schweizerische
Recht seinerseits Aufhebung oder Fortdauer der bisherigen staatsrechtlichen
Stellung der Schweizerin abhängen lässt. Je nach den Wirkungen, die die
Verheiratung nach der Rechtsordnung hat, der der Ehemann untersteht, geht das
Schweizerbürgerrecht der Frau zufolge Verheiratung unter, was die Regel sein
soll, oder es wird durch sie ausnahmsweise nicht berührt. Ob die Ordnung des
ausländischen Rechts schweizerischen Auffassungen von öffentlicher Ordnung
entspricht oder nicht, ist unerheblich; ebenso welches der Grund einer
allfälligen Staatenlosigkeit des Mannes ist. Die in BGE 72 I 413, Erw. 4
geäusserte gegenteilige Auffassung lässt sich nicht aufrecht halten.
2. ­ Nach deutschem Recht erwirbt die Frau, die einen Deutschen heiratet,
durch die Eheschliessung die Staatsangehörigkeit des Mannes (§ 6 des deutschen
Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913). Wenn daher
Rosenthal am 27. Februar 1947 Deutscher war, so ist Frau Rosenthal durch die
Eheschliessung Deutsche geworden und hat damit ihr Schweizerbürgerrecht
verloren. Ob er Deutscher war, bestimmt sich nach dem Stande der deutschen
Gesetzgebung im Zeitpunkt der Eheschliessung.
Frau Rosenthal beruft sich auf die deutsche Gesetzgebung, um darzutun, dass
ihr Gatte damals nicht mehr

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Deutscher gewesen sei. Das Departement hält die Voraussetzungen, unter denen
ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit anzunehmen ist, nicht für
erfüllt, es fehle sowohl die nach der Verwaltungspraxis geforderte Bestätigung
der zuständigen ausländischen Behörde über diesen Verlust, wie auch eine
endgültige und unanfechtbare Einzelverfügung, die nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung (BGE 72 I 414) als Ausweis über die Ausbürgerung in Frage
kommen könnte.
3.- In BGE 72 I 412 und 414 wurde der besondere Ausweis oder ein Entscheid der
zuständigen ausländischen Behörde gefordert im Hinblick auf Schwierigkeiten,
die in jenem Falle die sichere Feststellung der staatsrechtlichen
Zugehörigkeit des Ehemannes bereitete. Eines solchen besonderen Ausweises
bedarf es jedoch dann nicht, wenn die Staatenlosigkeit des Ehemannes ohne ihn
mit genügender Sicherheit festgestellt werden kann. Das ist hier der Fall.
Durch die 11. Verordnung zum deutschen Reichsbürgergesetz vom 25. November
1941, § 1, ist den Juden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben,
die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen worden, und zwar den Juden, die bei
Erlass der Verordnung unter der in § 1 umschriebenen Voraussetzung im Ausland
waren, mit Inkrafttreten der Verordnung, den später Wegziehenden mit der
Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland (§ 2). Als Jude im Sinne
dieser Gesetzgebung gilt derjenige, auf den die in § 5 der ersten Verordnung
vom 14. November 1935 zum Reichsbürgergesetz (DRGB1 1935/I 1334) umschriebenen
Voraussetzungen zutreffen. Der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland wird dann als
gegeben angesehen, «wenn sich der Jude im Ausland unter Umständen aufhält, die
erkennen lassen, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilt» (§ 1, Satz 2
der 11. Verordnung zum RBG).
Richard Rosenthal ist Jude im Sinne der deutschen Gesetzgebung. Dies ergibt
sich schon aus seinem Reisepass vom 19. Januar 1939, in welchem die
Unterstellung unter die deutsche Rassengesetzgebung durch Belegung mit dem

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Zunamen «Israel» verurkundet ist, die im Deutschen Reich seit dem 1. Januar
1939 zur Kennzeichnung der «Juden» diente. Rosenthal hat sich ihr unterzogen.
Ausserdem wurde er wegen Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse von der Wehrmacht
ausdrücklich ausgeschlossen. Es besteht kein Grund, seine Angabe, er sei Jude
im Sinne der deutschen Rassengesetzgebung, als unzutreffend anzusehen.
Rosenthal befindet sich seit 1939 in der Schweiz. Ende 1941, als die 11.
Verordnung zum deutschen RBG erlassen wurde, hatte er hier seinen
«gewöhnlichen Aufenthalt». Er ist daher durch diese Verordnung ausgebürgert
worden. Die deutschen Behörden haben ihm denn auch seit Inkrafttreten der
Verordnung die Erneuerung, Verlängerung des Reisepasses verweigert und damit
den diplomatischen Schutz entzogen, den das Deutsche Reich seinen
Staatsangehörigen gewährt. Rosenthal war auf Grund der Gesetzgebung seines
bisherigen Heimatstaates staatenlos geworden, und er ist es geblieben. Zwar
sind die Gesetze und Erlasse, durch die Deutschen die Staatsangehörigkeit aus
Gründen der Rasse abgesprochen wird, am 18. September 1944 durch das
Militärkommando der Besetzungsmächte und am 20. September 1945 durch den
Kontrollrat der Besetzungsmächte in Deutschland aufgehoben worden (Gesetze Nr.
1 der beiden Behörden). Damit wurde aber nur die künftige Anwendung der
Rassengesetzgebung unterbunden. Rückwirkende Kraft haben die beiden Gesetze
nicht. Sie gelten zudem nur für das jeweilen besetzte Gebiet. Die Annahme in
BGE 72 I 414, dass die durch die Rassengesetzgebung in Deutschland
geschaffenen Rechtszustände mit Rückwirkung aufgehoben würden, vor allem die
durch sie ausgebürgerten Deutschen ohne weiteres in ihr früheres Bürgerrecht
eingesetzt werden, hat sich nicht bestätigt.
Zur Zeit der Heirat der Beschwerdeführerin war zwar die Rassengesetzgebung in
Deutschland aufgehoben. Ihre Auswirkung auf die bürgerrechtliche Stellung
ihres Ehemannes, dessen Staatenlosigkeit, war dadurch aber nicht

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behoben worden. Rosenthal war zur Zeit des Eheschlusses staatenlos. Er konnte
seiner Frau daher zufolge der Heirat keine Staatsangehörigkeit vermitteln. Die
Voraussetzungen, unter denen die Frau bei Abschluss der Ehe ihre Bürgerrechte
in der Schweiz behält, sind daher hier erfüllt.
4. ­ Nach Art. 156 , Abs. 2 und Art. 159 , Abs. 5 OG sind weder Gerichtskosten
aufzuerlegen, noch ist eine Parteientschädigung zuzusprechen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Der Entscheid des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes vom 9. Oktober 1947
wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass Ilse Wild, geboren 29. Februar
1924, Bürgerin der Gemeinde Dübendorf (Kanton Zürich), bei Eingebung der Ehe
mit Richard Rosenthal, geb. 18. Oktober 1906, ihr angestammtes
Schweizerbürgerrecht und ihr Bürgerrecht in Kanton und Gemeinde beibehalten
hat.