S. 36 / Nr. 11 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 72 III 36

11. Entscheid vom 24. April 1946 i.S. Stohler.


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Regeste:
Für Forderungen des Vermieters auf Ersatz von Instandstellungskosten ist ein
Retentionsverzeichnis nicht aufzunehmen (Art. 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
OR, Art. 283
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 283 - 1 Vermieter und Verpächter von Geschäftsräumen können, auch wenn die Betreibung nicht angehoben ist, zur einstweiligen Wahrung ihres Retentionsrechtes (Art. 268 ff. und 299c OR492) die Hilfe des Betreibungsamtes in Anspruch nehmen.493
1    Vermieter und Verpächter von Geschäftsräumen können, auch wenn die Betreibung nicht angehoben ist, zur einstweiligen Wahrung ihres Retentionsrechtes (Art. 268 ff. und 299c OR492) die Hilfe des Betreibungsamtes in Anspruch nehmen.493
2    Ist Gefahr im Verzuge, so kann die Hilfe der Polizei oder der Gemeindebehörde nachgesucht werden.
3    Das Betreibungsamt nimmt ein Verzeichnis der dem Retentionsrecht unterliegenden Gegenstände auf und setzt dem Gläubiger eine Frist zur Anhebung der Betreibung auf Pfandverwertung an.
SchKG).
L'office doit refuser de dresser l'inventaire des meubles en garantie de la
somme réclamée par le bailleur à titre de frais de remise en état des locaux
(art. 272 CO, 283 LP).
L'ufficio deve rifiutare di allestire l'inventario dei mobili a garanzia della
somma chiesta dal locatore a copertura delle spese per rimettere in buono
stato i locali (art. 272 CO, 283 LEF).

Am 11. März 1946 nahm das Betreibungsamt Basel-Stadt beim Rekurrenten für den
Betrag von Fr. 34.55, den die Rosentaleck A.-G. als Vermieterin unter dem
Titel « Rest Instandstellungskosten » von ihm forderte, ein
Retentionsverzeichnis auf. Mit rechtzeitiger Beschwerde beantragte der
Rekurrent die Aufhebung dieser Massnahme, da das Retentionsrecht nach der
klaren Bestimmung des Art. 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
OR nur für Mietzins, nicht dagegen für
Instandstellungskosten beansprucht werden könne. Die kantonale
Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde am 4. April 1946 abgewiesen mit der
Begründung, im Anschluss an BGE 63 II 380 gewähre die baslerische
Zivilrechtsprechung das Retentionsrecht auch für die Instandstellungskosten,
sodass das Betreibungsamt nicht befugt sei, die Aufnahme eines
Retentionsverzeichnisses für solche Kosten abzulehnen. Diesen Entscheid hat
der Rekurrent an das Bundesgericht weitergezogen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
zieht in Erwägung:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes hat das Betreibungsamt die
Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses zu verweigern, wenn sich auf Grund der
Akten unzweifelhaft ergibt, dass das beanspruchte Retentionsrecht nicht
besteht (BGE 38 I 689 = Sep.ausg. 15 S. 270, BGE 59 III 10 E. 2 und 69, 61 III
77
E. 2).

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Art. 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
OR gewährt dem Vermieter einer unbeweglichen Sache das
Retentionsrecht für einen verfallenen Jahreszins und den laufenden
Halbjahreszins. In BGE 63 II 368 ff. hat das Bundesgericht als
Zivilberufungsinstanz diese Vorschrift dahin ausgelegt, dass das
Retentionsrecht ausser für Mietzins im engern Sinn auch für bloss
mietzinsähnliche Forderungen, d.h. für solche Forderungen zu gewähren sei, die
einem Mietzins näher verwandt sind als einem Schadenersatzanspruch, und die
der Gesetzgeber, wenn er daran gedacht hätte, aller Voraussicht nach wie
Mietzinsforderungen behandelt hätte. Demgemäss wurde entschieden, der Anspruch
des Vermieters auf Bezahlung des vereinbarten Mietzinses für die Zeit, da der
Mieter die Mieträume trotz Beendigung der Miete mit Duldung des Vermieters
oder eigenmächtig weiterbenutzt, sei retentionsgesichert; ebenso die Forderung
des Vermieters auf Ersatz der Auslagen für die Heizung, die Wasserversorgung,
die Treppenhausbeleuchtung und den Betrieb elektrischer Aufzüge, gleichgültig,
ob der Vermieter diese Auslagen in Form eines entsprechend erhöhten Mietzinses
oder eines besondern Zuschlages auf den Mieter abwälze. Dagegen hat das
Bundesgericht im erwähnten Entscheide in Übereinstimmung mit seiner bisherigen
Rechtsprechung (BGE 61 II 265) und mit der Literatur (BECKER N. 12, OSER
SCHÖNENBERGER N. 20 zu Art. 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
OR) erklärt, dass für Schadenersatzansprüche
aus dem Mietverhältnis ein Retentionsrecht nicht bestehe.
Die Forderungen, die das Bundesgericht als mietzinsähnlich und damit als
retentionsgesichert anerkannt hat, betreffen entweder die Entschädigung für
die Benutzung der Mieträume oder das Entgelt für Nebenleistungen, die der
Vermieter nach dem Vertrage erbringen muss, um dem Mieter den Gebrauch der
Mieträume zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die Forderung auf Ersatz der
Instandstellungskosten, die die Vermieterin im vorliegenden Falle gegen den
Mieter stellt, hat offensichtlich nicht diesen Charakter. Derartige
Forderungen stehen ihrer Natur

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nach den Schadenersatzansprüchen näher als den Mietzinsforderungen, ob sie nun
darauf beruhen, dass der Mieter die Instandstellungsarbeiten, die ihm bei
Beendigung der Miete nach Gesetz (Art. 271
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 271 - 1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst.
1    Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst.
2    Die Kündigung muss auf Verlangen begründet werden.
OR) oder Vertrag obliegen, nicht
oder nicht richtig besorgt, oder ob sie sich auf eine Bestimmung des
Mietvertrages stützen, wonach bei Beendigung der Miete der Vermieter die
Instandstellung der Mietsache übernimmt und der Mieter ihm dafür einen
bestimmten Geldbetrag zu zahlen hat. Dass die Gewährung des Retentionsrechts
für solche Pauschalabfindungen, wie sie in Basel üblich zu sein scheinen, dem
mutmasslichen Willen des Gesetzgebers entspreche, darf umso weniger angenommen
werden, als die (freilich dispositive) Vorschrift von Art. 271
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 271 - 1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst.
1    Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst.
2    Die Kündigung muss auf Verlangen begründet werden.
OR die
Instandstellungspflicht des Mieters nach dem Zustande bemisst, in dem er die
Mietsache erhalten hat, und ihn für die aus der vertragsgemässen Benutzung
sich ergebende Abnützung oder Veränderung nicht haften lässt.
Die Basler Zivilrechtsprechung, auf die das Betreibungsamt und die Vorinstanz
sich berufen, wird also durch den Entscheid BGE 63 II 368 ff. keineswegs
gedeckt, sondern sie ist zweifellos gesetzwidrig. Das Betreibungsamt hätte es
daher ablehnen sollen, für die streitige Forderung ein Retentionsverzeichnis
aufzunehmen
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und die Retentionsurkunde vom 11. März 1946
aufgehoben.