S. 44 / Nr. 10 Prozessrecht (d)

BGE 68 II 44

10. Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. April 1942 i. S. Pensionskasse für
die Mitglieder des Basler Stadttheaters gegen Hess.

Regeste:
Revisionsverfahren. Ein auf Art. 192 Ziff. 2 BZP gestütztes Revisionsgesuch
kann erst nach Zustellung des motivierten Urteils gültig gestellt werden.
Revision des arrêts du Tribunal fédéral. La demande de revision fondée sur
l'art. 192, ch. 2 PCF n'est recevable qu'après la communication de l'arrêt
motivé.
Revisione delle sentenze del Tribunale federale. La domanda basata sull'art.
192 cifra 2 PCF è ricevibile soltanto dopo la comunicazione della sentenza
motivata.

Gegen das ihre Berufung abweisende Urteil des Bundesgerichts vom 26. März 1942
reichte die Beklagte am 17. April 1942 ein Revisionsgesuch gestützt auf Art.
192 Ziff. 2 BZP ein und stellte gleichzeitig das Begehren um Sistierung der
Vollziehung des angefochtenen Urteils.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Im Zeitpunkt der Einreichung des Revisionsgesuches war die schriftliche
Ausfertigung des Urteils vom 26. März 1942 noch nicht zugestellt. Die
Revisionsfristen des Art. 193 BZP bezeichnen nur das Ende des Zeitraums,
innerhalb dessen das Revisionsgesuch gestellt werden kann, nicht aber dessen
Anfang. Wann es frühestens eingereicht werden kann, hängt nach der
bundesgerichtlichen Praxis von der Natur des geltend gemachten
Revisionsgrundes ab. Grundsätzlich kann es nicht erhoben werden, bevor der
Revisionskläger das Vorliegen des Revisionsgrundes feststellen kann. Für den
Revisionsgrund des Art. 192 Ziff. 1 lit. c (fehlende oder irrtümliche
Würdigung in den Akten liegender erheblicher Tatsachen) ist dies erst anhand
der Urteilsbegründung möglich (BGE 47 II 106). Mit diesem Entscheid wurde eine
largere Praxis, wonach das Revisionsbegehren allgemein schon von der
Urteilsverkündung

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an als zulässig erklärt wurde (Urteil vom 25. Januar 1908 i. S. Heddernheimer
Kupferwerke A.-G. gegen Bucher-Durrers Erben), wieder aufgegeben zugunsten der
ältern, nach welcher jedenfalls für alle Revisionsgründe des Art. 192 Ziff. 1
die Stellung des Gesuchs vor Zustellung des motivierten Urteils unzulässig ist
(BGE 20, S. 68). Das hier genannte formelle Motiv, dass Art. 193 BZP mit der
Bezeichnung der Revisionsfrist («innerhalb eines Monats vom Empfange der
schriftlichen Ausfertigung des Urteils an gerechnet») auch den frühesten
Termin der Zulässigkeit des Rechtsmittels bestimme ­ im Gegensatz zu Art. 65
OG bezüglich der Berufungsfrist (BGE 25 II 366) ­, trifft allerdings auf die
übrigen Revisionsgründe, für welche die dreimonatige Frist seit Entdeckung des
Revisionsgrundes gilt, nicht zu. Für den vorliegend angerufenen Revisionsgrund
der Ziff. 2 jedoch muss aus materiellen Erwägungen ebenfalls der Empfang der
schriftlichen Ausfertigung des Urteils als frühester Termin der Zulässigkeit
des Revisionsbegehrens massgebend sein. Der Revisionskläger weiss zwar auch
ohne Kenntnis der Urteilsmotive, ob er ein präsumtives Beweismittel erst seit
dem Aktenschluss im früheren Verfahren aufgefunden hat; ob es aber für die
bundesgerichtliche Beurteilung ein «entschiedenes», d. h. von wesentlicher
Bedeutung wäre, kann er erst anhand der Erwägungen des bundesgerichtlichen
Urteils ermessen, aus denen sich möglicherweise ergibt, dass darauf gar nichts
ankäme. Es ist daher auch für den Revisionsgrund des Art. 192 Ziff. 2 an der
Praxis festzuhalten, wonach auf ein vor Zustellung der schriftlichen
Urteilsausfertigung eingereichtes Revisionsgesuch, weil verfrüht, nicht
eingetreten wird (vgl. auch WEISS, Berufung, S. 345 u.).
Ist somit das vorliegende Revisionsgesuch nicht gültig eingereicht, so fällt
das damit verbundene Sistierungsgesuch ohne weiteres dahin, und es kann
dahingestellt bleiben, ob überhaupt und inwiefern die in Art. 196 BZP für die
Revision gegen Urteile in direkten Prozessen

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vorgesehene Sistierung auch auf diejenige gegen Berufungsurteile anwendbar
ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf das Revisionsgesuch wird nicht eingetreten.
Vgl. auch Nr. 3. ­ Voir aussi no 3.