S. 284 / Nr. 47 Obligationenrecht (d)

BGE 64 II 284

47. Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. September 1938 i. S. Epting und
Wagner gegen Levy-Marx.


Seite: 284
Regeste:
Bürgschaft für Schuldbriefforderung.
Die Löschung des Schuldbriefes im Grundbuch bewirkt den Untergang der
Schuldbriefforderung und damit der Bürgschaft. Die Berufung des Bürgen hierauf
bedeutet keinen Rechtsmissbrauch.
Auslegung des Bürgschaftsvertrages.
Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
, 842
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 842 - 1 Durch den Schuldbrief wird eine persönliche Forderung begründet, die grundpfändlich sichergestellt ist.
1    Durch den Schuldbrief wird eine persönliche Forderung begründet, die grundpfändlich sichergestellt ist.
2    Die Schuldbriefforderung tritt neben die zu sichernde Forderung, die dem Gläubiger gegenüber dem Schuldner aus dem Grundverhältnis gegebenenfalls zusteht, wenn nichts anderes vereinbart ist.
3    Der Schuldner kann sich bezüglich der Schuldbriefforderung gegenüber dem Gläubiger sowie gegenüber Rechtsnachfolgern, die sich nicht in gutem Glauben befinden, auf die sich aus dem Grundverhältnis ergebenden persönlichen Einreden berufen.
, 974
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 974 - 1 Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt, so kann sich der Dritte, der den Mangel kennt oder kennen sollte, auf den Eintrag nicht berufen.
1    Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt, so kann sich der Dritte, der den Mangel kennt oder kennen sollte, auf den Eintrag nicht berufen.
2    Ungerechtfertigt ist der Eintrag, der ohne Rechtsgrund oder aus einem unverbindlichen Rechtsgeschäft erfolgt ist.
3    Wer durch einen solchen Eintrag in einem dinglichen Recht verletzt ist, kann sich unmittelbar gegenüber dem bösgläubigen Dritten auf die Mangelhaftigkeit des Eintrages berufen.
ZGB; Art. 114
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 114 - 1 Geht eine Forderung infolge ihrer Erfüllung oder auf andere Weise unter, so erlöschen alle ihre Nebenrechte, wie namentlich die Bürgschaften und Pfandrechte.
1    Geht eine Forderung infolge ihrer Erfüllung oder auf andere Weise unter, so erlöschen alle ihre Nebenrechte, wie namentlich die Bürgschaften und Pfandrechte.
2    Bereits erlaufene Zinse können nur dann nachgefordert werden, wenn diese Befugnis des Gläubigers verabredet oder den Umständen zu entnehmen ist.
3    Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften über das Grundpfandrecht, die Wertpapiere und den Nachlassvertrag.
, 116
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 116 - 1 Die Tilgung einer alten Schuld durch Begründung einer neuen wird nicht vermutet.
1    Die Tilgung einer alten Schuld durch Begründung einer neuen wird nicht vermutet.
2    Insbesondere bewirkt die Eingehung einer Wechselverbindlichkeit mit Rücksicht auf eine bestehende Schuld oder die Ausstellung eines neuen Schuld- oder Bürgschaftsscheines, wenn es nicht anders vereinbart wird, keine Neuerung der bisherigen Schuld.
, 501
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 501 - 1 Der Bürge kann wegen der Hauptschuld vor dem für ihre Bezahlung festgesetzten Zeitpunkt selbst dann nicht belangt werden, wenn die Fälligkeit durch den Konkurs des Hauptschuldners vorgerückt wird.
1    Der Bürge kann wegen der Hauptschuld vor dem für ihre Bezahlung festgesetzten Zeitpunkt selbst dann nicht belangt werden, wenn die Fälligkeit durch den Konkurs des Hauptschuldners vorgerückt wird.
2    Gegen Leistung von Realsicherheit kann der Bürge bei jeder Bürgschaftsart verlangen, dass der Richter die Betreibung gegen ihn einstellt, bis alle Pfänder verwertet sind und gegen den Hauptschuldner ein definitiver Verlustschein vorliegt oder ein Nachlassvertrag abgeschlossen worden ist.
3    Bedarf die Hauptschuld zu ihrer Fälligkeit der Kündigung durch den Gläubiger oder den Hauptschuldner, so beginnt die Frist für den Bürgen erst mit dem Tage zu laufen, an dem ihm diese Kündigung mitgeteilt wird.
4    Wird die Leistungspflicht eines im Ausland wohnhaften Hauptschuldners durch die ausländische Gesetzgebung aufgehoben oder eingeschränkt, wie beispielsweise durch Vorschriften über Verrechnungsverkehr oder durch Überweisungsverbote, so kann der in der Schweiz wohnhafte Bürge sich ebenfalls darauf berufen, soweit er auf diese Einrede nicht verzichtet hat.
OR.

A. - Am 16. Juni 1933 errichteten die Eheleute Herr-Keller als
Solidarschuldner auf der in ihrem Miteigentum stehenden Liegenschaft
Steinentorstr. 6 in Basel, Sektion III Parzelle 164 des Grundbuches
Basel-Stadt, einen Inhaberschuldbrief über Fr. 80000.- im dritten Rang, mit
Nachrückungsrecht, bei Vorgängen von Fr. 100000.- im ersten und Fr. 31000.- im
zweiten Rang. Die Mitverpflichtung der Ehefrau wurde durch die
Vormundschaftsbehörde genehmigt. Für den Inhaberschuldbrief von Fr. 80000.-
leisteten die heutigen Kläger Friedrich Epting und Ernst Wagner
Solidarbürgschaft. Die Bürgschaftsurkunde gibt den wesentlichen Inhalt des
Schuldbriefes (Kapital, Zinsfuss, Zinstermine, Amortisation, Kündigung,
Vorgang) wieder, nicht dagegen dessen Ausstellungsdatum. Der Schuldbrief wurde
zusammen mit der Bürgschaftsurkunde von den Schuldnern an Lucien Levy begeben.
Als in der Folge die dem Schuldbrief vorgehenden Hypotheken zu einer einzigen
Grundpfandverschreibung von Fr. 131000.- zusammengelegt wurden und der
Schuldbrief daher in den zweiten Rang vorrückte, liess der Inhaber Lucien
Levy, statt einen blossen Nachrückungsvermerk im Grundbuch und auf dem Titel
anbringen zu lassen, im Einverständnis mit den Schuldnern den Titel vom 16.
Juni 1933 im Grundbuch löschen und entkräften und gleichzeitig einen neuen,
vom 21. September 1934 datierten

Seite: 285
Schuldbrief errichten, der sich vom früheren inhaltlich nur darin unterschied,
dass er von Anfang an auf den zweiten Rang, mit Nachrückungsrecht, lautete.
Auch für diesen Titel wurde die Genehmigung der Vormundschaftsbehörde für die
Mitverpflichtung der Ehefrau eingeholt. Der Notar, der den neuen Schuldbrief
errichtete, verband die oben erwähnte, für den früheren Schuldbrief errichtete
Bürgschaftsurkunde mit dem neuen Schuldbrief durch Schnur und Siegel. Eine
Benachrichtigung der Bürgen von diesen Vorgängen unterblieb jedoch.
Durch Zession vom 20. Dezember 1934 trat Lucien Levy den Schuldbrief vom 21.
September 1934 an den heutigen Beklagten Alfred Levy-Marx in Burgdorf ab. Am
9. Juni 1937 kündigte der Beklagte den Schuldbrief auf 15. September 1937 zur
Rückzahlung und teilte gleichzeitig den Bürgen mit, dass er sie vor den
Schuldnern zu belangen gedenke. Die Bürgen nahmen jedoch den Standpunkt ein,
dass sie für den Schuldbrief vom 21. September 1934 keine Bürgschaft
eingegangen hätten.
B. - Am 27. August 1937 reichten die Bürgen auf Grund einer mit dem Beklagten
getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung beim Zivilgericht Basel-Stadt Klage ein
mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass die Kläger keine
Bürgschaftsverpflichtung eingegangen seien für den in Händen des Beklagten
befindlichen Inhaberschuldbrief von Fr. 80000.-, eingetragen im zweiten Range
auf der Liegenschaft Sektion III Parzelle 164 des Grundbuches der Stadt Basel.
Zur Begründung berufen sie sich wesentlich auf die Tatsache, dass der
Schuldbrief vom 16. Juni 1933, auf welchen allein sich ihre
Bürgschaftsverpflichtung bezogen habe, im Grundbuch gelöscht worden sei; damit
sei die Bürgschaft kraft ihrer akzessorischen Natur untergegangen.
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Er bestreitet, dass die Löschung
des ersten Schuldbriefes den Untergang der darin verbrieften Forderung zur
Folge gehabt habe; eine Novation sei nicht beabsichtigt gewesen,

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sondern nur eine Neuverurkundung. Eventuell stelle die Einwendung der Kläger
einen Rechtsmissbrauch dar.
C. - Sowohl das Zivilgericht, wie das Appellationsgericht Basel-Stadt wiesen
die Klage ab, im wesentlichen mit der Begründung, dass die beiden
Schuldbriefforderungen identisch seien und dass die Berufung der Kläger auf
einen allfälligen Untergang der Schuldbriefforderung rechtsmissbräuchlich
wäre.
D. - Gegen das Urteil der oberen kantonalen Instanz vom 6. Mai 1938 haben die
Kläger die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem erneuten Antrag auf
Gutheissung ihres Feststellungsbegehrens betr. das Nichtbestehen einer
Bürgschaftsverpflichtung.
Der Beklagte beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des
angefochtenen Entscheides.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- ...(Zulässigkeit der Feststellungsklage; vergl. BGE 64 II S. 223).
2.- a) In der Sache selbst ist davon auszugehen, dass es sich bei der von den
Klägern verbürgten Forderung um eine Schuldbriefforderung handelte, also um
eine Forderung, die mit dem Pfandrecht an einem Grundstück untrennbar
verbunden und in einer als Wertpapier ausgestalteten Urkunde verkörpert ist.
Grundbucheintragung und Ausstellung des Titels bedeuten nicht nur die
Verurkundung, sondern die Begründung von Forderung und Pfandrecht, und
umgekehrt haben die Entkräftung des Schuldbriefes und die Löschung des
entsprechenden Grundbucheintrages den Untergang von Forderung und Pfandrecht
zur Folge. Eine Ausnahme von diesem Grundsatze gilt nur dann, wenn die
Eintragung bezw. Löschung sich als ungerechtfertigt im Sinne von Art. 974 Abs.
2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 974 - 1 Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt, so kann sich der Dritte, der den Mangel kennt oder kennen sollte, auf den Eintrag nicht berufen.
1    Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt, so kann sich der Dritte, der den Mangel kennt oder kennen sollte, auf den Eintrag nicht berufen.
2    Ungerechtfertigt ist der Eintrag, der ohne Rechtsgrund oder aus einem unverbindlichen Rechtsgeschäft erfolgt ist.
3    Wer durch einen solchen Eintrag in einem dinglichen Recht verletzt ist, kann sich unmittelbar gegenüber dem bösgläubigen Dritten auf die Mangelhaftigkeit des Eintrages berufen.
ZGB herausstellt, d. h. wenn sie ohne Rechtsgrund oder auf Grund eines
unverbindlichen Rechtsgeschäftes erfolgt ist; dann bestehen, unter dem
Vorbehalt der Rechte gutgläubiger Dritter, trotz dem Grundbucheintrag
Forderung und

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Pfandrecht nicht, bezw. sie bestehen trotz erfolgter Löschung weiter (sog.
materielles Legalitäts- oder Kausalitätsprinzip, vergl. HOMBERGER, N. 3 ff. zu
Art. 974
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 974 - 1 Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt, so kann sich der Dritte, der den Mangel kennt oder kennen sollte, auf den Eintrag nicht berufen.
1    Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt, so kann sich der Dritte, der den Mangel kennt oder kennen sollte, auf den Eintrag nicht berufen.
2    Ungerechtfertigt ist der Eintrag, der ohne Rechtsgrund oder aus einem unverbindlichen Rechtsgeschäft erfolgt ist.
3    Wer durch einen solchen Eintrag in einem dinglichen Recht verletzt ist, kann sich unmittelbar gegenüber dem bösgläubigen Dritten auf die Mangelhaftigkeit des Eintrages berufen.
ZGB).
Im vorliegenden Falle haben nun die Parteien des Schuldbriefverhältnisses im
gemeinsamen Einverständnis den von den Klägern verbürgten Schuldbrief
entkräften und den entsprechenden Grundbucheintrag löschen lassen. Damit haben
sie den Untergang von Forderung und Pfandrecht herbeigeführt, da keine der
oben genannten Ausnahmen zutrifft. Denn die Löschung entbehrte nicht des
Rechtsgrundes; sie erfolgte auf Grund der zwischen Schuldbriefgläubiger und
-Schuldner getroffenen Vereinbarung. Diese Vereinbarung war auch nicht etwa
unverbindlich. Die Vertragsparteien gingen zwar irrtümlicherweise von der
Annahme aus, dass die Bürgschaft von den durch sie veranlassten Änderungen im
Grundbuch unberührt bleibe. Dieser Irrtum bezog sich aber auf die von
Gesetzeswegen eintretenden Rechtsfolgen ihrer Vereinbarung und war deshalb als
blosser Rechtsirrtum über den Beweggrund auf die Verbindlichkeit der
Vereinbarung ohne Einfluss (OSER-SCHÖNENBERGER, N. 19 zu Art. 24
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1    Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1  wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
2  wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
3  wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
4  wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2    Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3    Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
OR).
Ging mit der Löschung des Grundbucheintrages die Schuldbriefforderung unter,
so erlosch nach Art. 114
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 114 - 1 Geht eine Forderung infolge ihrer Erfüllung oder auf andere Weise unter, so erlöschen alle ihre Nebenrechte, wie namentlich die Bürgschaften und Pfandrechte.
1    Geht eine Forderung infolge ihrer Erfüllung oder auf andere Weise unter, so erlöschen alle ihre Nebenrechte, wie namentlich die Bürgschaften und Pfandrechte.
2    Bereits erlaufene Zinse können nur dann nachgefordert werden, wenn diese Befugnis des Gläubigers verabredet oder den Umständen zu entnehmen ist.
3    Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften über das Grundpfandrecht, die Wertpapiere und den Nachlassvertrag.
und 501
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 501 - 1 Der Bürge kann wegen der Hauptschuld vor dem für ihre Bezahlung festgesetzten Zeitpunkt selbst dann nicht belangt werden, wenn die Fälligkeit durch den Konkurs des Hauptschuldners vorgerückt wird.
1    Der Bürge kann wegen der Hauptschuld vor dem für ihre Bezahlung festgesetzten Zeitpunkt selbst dann nicht belangt werden, wenn die Fälligkeit durch den Konkurs des Hauptschuldners vorgerückt wird.
2    Gegen Leistung von Realsicherheit kann der Bürge bei jeder Bürgschaftsart verlangen, dass der Richter die Betreibung gegen ihn einstellt, bis alle Pfänder verwertet sind und gegen den Hauptschuldner ein definitiver Verlustschein vorliegt oder ein Nachlassvertrag abgeschlossen worden ist.
3    Bedarf die Hauptschuld zu ihrer Fälligkeit der Kündigung durch den Gläubiger oder den Hauptschuldner, so beginnt die Frist für den Bürgen erst mit dem Tage zu laufen, an dem ihm diese Kündigung mitgeteilt wird.
4    Wird die Leistungspflicht eines im Ausland wohnhaften Hauptschuldners durch die ausländische Gesetzgebung aufgehoben oder eingeschränkt, wie beispielsweise durch Vorschriften über Verrechnungsverkehr oder durch Überweisungsverbote, so kann der in der Schweiz wohnhafte Bürge sich ebenfalls darauf berufen, soweit er auf diese Einrede nicht verzichtet hat.
OR auch die dafür eingegangene Bürgschaft der
Kläger kraft ihrer akzessorischen Natur. Für eine Verbürgung der neuen
Schuldbriefforderung hätte es einer neuen schriftlichen Verpflichtung der
Bürgen bedurft.
b) Der Beklagte macht geltend, den Parteien des Schuldbriefverhältnisses habe
bei der Löschung des Grundbucheintrages und der Entkräftung des Schuldbriefes
die Tilgungsabsicht gefehlt. Dieser Einwand ist jedoch zum vorneherein deshalb
unbehelflich, weil von den genannten hier nicht zutreffenden Ausnahmen
abgesehen, der Untergang von Forderung und Pfandrecht die zwangsläufige
Rechtsfolge der Löschung des Grundbucheintrages ist, die durch den
Parteiwillen nicht aufgehalten werden kann.

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Eine derartige Parteivereinbarung könnte lediglich die Bedeutung einer
Neubegründung der Forderung haben.
Abgesehen hievon trifft die Behauptung des Beklagten tatsächlich gar nicht zu,
wie aus den Umständen ersichtlich ist, die zur Errichtung des neuen Titels
führten. Anlass hiezu gab das Nachrücken des von den Klägern verbürgten
Schuldbriefes vom dritten in den zweiten Rang. Damit nicht ersichtlich sei,
dass es sich um einen ursprünglich im dritten Rang befindlichen Titel handle,
was die Verwertung desselben unter Umständen erschwert hätte, verfiel der
Gläubiger auf den Ausweg der Löschung des ursprünglichen und Errichtung des
neuen, auf den zweiten Rang lautenden Titels. Dieser allein sollte für
Rechtsbestand und Inhalt des Schuldbriefverhälinisses massgebend sein. Der
Wille der Vertragsparteien war somit unzweifelhaft auf Tilgung der alten
Schuldbriefforderung durch Errichtung der neuen gerichtet. So erklärt es sich
denn auch, dass für die Mitverpflichtung der Ehefrau auch für den neuen Titel
die Genehmigung der Vormundschaftsbehörde als erforderlich betrachtet wurde.
Das Vorgehen der Parteien des Schuldbriefverhältnisses weist alle
Begriffsmerkmale einer Novation im Sinne von Art. 116
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 116 - 1 Die Tilgung einer alten Schuld durch Begründung einer neuen wird nicht vermutet.
1    Die Tilgung einer alten Schuld durch Begründung einer neuen wird nicht vermutet.
2    Insbesondere bewirkt die Eingehung einer Wechselverbindlichkeit mit Rücksicht auf eine bestehende Schuld oder die Ausstellung eines neuen Schuld- oder Bürgschaftsscheines, wenn es nicht anders vereinbart wird, keine Neuerung der bisherigen Schuld.
OR auf, sodass auch aus
diesem Grunde ein Erlöschen der Bürgschaft der Kläger angenommen werden
müsste.
c) Zum gegenteiligen Resultat konnten die Vorinstanzen nur dadurch kommen,
dass sie das Schuldbriefverhältnis in die Forderung und den sie verkörpernden
Titel auflösten und annahmen, der erstern komme eine selbständige, vom Titel
unabhängige Existenz zu. Diese Zerlegung ist jedoch mit den Grundregeln des
Schuldbriefrechtes, das auf der Untrennbarkeit von Recht und Urkunde beruht,
nicht vereinbar. Es geht daher nicht an, in der Neueintragung im Grundbuch und
der Ausstellung eines neuen Titels die blosse Neuverurkundung eines trotz
erfolgter Löschung weiterhin bestehenden Rechtsverhältnisses zu erblicken. Der
neue Titel hat auch nicht bloss den Charakter eines

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Ersatztitels. Ein solcher kann nur auf Grund des unverändert fortbestehenden
Grundbucheintrages an Stelle eines abhanden gekommenen Titels (nach
durchgeführter Kraftloserklärung) oder an Stelle eines schadhaften,
unleserlich oder unübersichtlich gewordenen Titels ausgestellt werden (GrBVo
64 Abs. 3).
d) Unhaltbar ist es sodann auch, wenn die Vorinstanz das Weiterbestehen der
Bürgschaft damit begründen will, dass die neue und die alte
Schuldbriefforderung identisch seien. Rechtlich ist die Schuldbriefforderung
mit keiner andern Forderung identisch. Von Identität kann höchstens im
wirtschaftlichen Sinne gesprochen werden. Wirtschaftliche Identität ist aber
für das Weiterbestehen der Bürgschaft belanglos; denn sonst könnte die
Novation, bei der die ursprüngliche mit der novierten Forderung meist
identisch ist, nicht den Untergang der Bürgschaft zur Folge haben.
3.- a) Für den Fall, dass der Untergang der Schuldbriefforderung angenommen
würde, macht der Beklagte geltend, dass die Berufung der Kläger auf den daraus
sich ergebenden Untergang der Bürgschaft gegen Treu und Glauben verstosse;
denn die Stellung der Bürgen sei durch die Errichtung des neuen Titels in
keiner Weise verschlechtert worden.
Diese Auffassung ist jedoch unhaltbar, wie auch die Vorinstanz anerkennt. Von
einem Rechtsmissbrauch kann nicht die Rede sein, wenn der Schuldner den
Untergang der Forderung geltend macht, der ohne jedes Zutun von seiner Seite
ausschliesslich infolge einer Handlung des Gläubigers, sei es aus
Unachtsamkeit, sei es aus mangelnder Rechtskenntnis, sei es aus irgend einem
andern Grunde, eingetreten ist (BGE 43 II S. 76). Sonst wäre dem Schuldner die
Berufung auf eine Fristversäumnis des Gläubigers im Prozess oder auf den
unbenützten Ablauf einer Verwirkungs- oder Verjährungsfrist verunmöglicht,
womit die Fristbestimmungen und Verjährungsvorschriften des Gesetzes ihres
Sinnes entkleidet würden. Aus dem

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Gesichtspunkt des Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB ist die Geltendmachung des Untergangs eines
Rechtes nur unstatthaft, wenn darin irgendwie ein Verstoss gegen erwecktes
Vertrauen liegt, d. h. wenn der Schuldner die Handlungsweise des Gläubigers
beeinflusst hat (BGE 49 II S. 321), was hier, wie bereits erwähnt, nicht der
Fall ist.
b) Die Vorinstanz glaubt jedoch, der Untergang der ursprünglichen
Schuldbriefforderung sei auf die Bürgschaft der Kläger deshalb ohne Einfluss
geblieben, weil nach Treu und Glauben angenommen werden müsse, dass die
Bürgschaftsverpflichtung von Anfang an auch die neue, inhaltlich genau gleiche
Schuld mitumfasst habe; denn da die Stellung der Bürgen nach dem neuen
Schuldbrief genau die gleiche sei, so hätten sie zweifellos, wenn man bei der
Begründung ihrer Verpflichtung an einen solchen Fall gedacht hätte, einer
solchen Ausdehnung ausdrücklich zugestimmt.
Allein auch dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Für die
Auslegung eines Vertrages ist der erklärte Wille der Parteien massgebend.
Danach umfasste die Bürgschaftserklärung der Kläger nichts anderes und nicht
mehr als den Schuldbrief vom 16. Juni 1933. Allerdings erwähnt die
Bürgschaftsurkunde das Datum des Schuldbriefes nicht; allein wenn sie von dem
durch die Ehegatten Herr-Keller ausgestellten Schuldbrief spricht, so kann
kein anderer gemeint sein als derjenige vom 16. Juni 1933, da dieser allein
damals ausgestellt war. Dafür, dass die Kläger nicht nur diesen hätten
verbürgen wollen, sondern darüber hinaus jeden an dessen Stelle tretenden,
inhaltlich mit ihm übereinstimmenden Schuldbrief, gibt die
Bürgschaftserklärung keinen Anhaltspunkt. Es steht keineswegs fest, dass die
Bürgen, wenn man sie bei Eingehung der Bürgschaft gefragt hätte, einem solchen
Vorgehen zum vorneherein zugestimmt hätten, insbesondere, wenn der Gläubiger
sie über den eigentlichen Zweck des Manövers aufgeklärt hätte, der darin
bestand, durch Verschleierung des Umstandes, dass der Titel sich

Seite: 291
ursprünglich im dritten Rang befunden hatte, die Verkäuflichkeit des Titels zu
erhöhen.
Ist aber unsicher, ob eine Erklärung in einem weiteren oder einem engeren
Sinne zu verstehen ist, so gilt nach allgemeiner Auslegungsregel, dass nur aus
der weniger weit reichenden Bedeutung Rechte abgeleitet werden können;
insbesondere Bürgschaftserklärungen müssen wegen ihres einseitig onerosen
Charakters einschränkend ausgelegt werden.
4.- Schliesslich macht der Beklagte noch geltend, er habe den neuen
Schuldbrief mit der Bürgschaftsurkunde verbunden erworben und in guten Treuen
annehmen dürfen, die Bürgschaft beziehe sich auf die Forderung aus diesem
Titel. Es steht jedoch fest, dass die Bürgen von dieser Verbindung keine
Kenntnis hatten. Ihre Rechtsstellung gegenüber dem Beklagten konnte daher
durch die Verbindung der ursprünglich separaten Bürgschaftsurkunde mit dem
neuen Titel keine Änderung erfahren.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationshofes des Kantons
Basel-Stadt vom 6. Mai 1938 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass
eine Bürgschaftsverpflichtung der Kläger für den in Händen des Beklagten
befindlichen Inhaberschuldbrief von Fr. 80000.-, eingetragen im 2. Rang auf
der Liegenschaft Sektion III Parzelle 164 des Grundbuches der Stadt Basel,
nicht besteht.