S. 175 / Nr. 29 Familienrecht (d)

BGE 64 II 175

29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Juni 1938 i. S.
Teuscher gegen Teuscher.


Seite: 175
Regeste:
Abgrenzung der Zuständigkeit für vorsorgliche Massregeln betreffend Ehegatten
und Kinder gemäss Art. 145 (Richter, bei dem die Scheidungsklage angebracht
ist) und Art. 169
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 169 - 1 Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
1    Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
2    Kann der Ehegatte diese Zustimmung nicht einholen oder wird sie ihm ohne triftigen Grund verweigert, so kann er das Gericht anrufen.
ZGB (wenn keine Scheidungsklage angebracht ist: Richter am
Wohnsitze des gesuchstellenden Ehegatten). Art. 145 ZGB kommt nur zur
Anwendung, wenn der Scheidungsprozess nach Massgabe des betreffenden
Prozessrechtes bereits rechtshängig geworden ist, also nicht schon nach
Anrufung des Aussöhnungsrichters, wenn das Prozessrecht des betreffenden
Kantons mit diesem Akt noch nicht die Rechtshängigkeit der Klage eintreten
lässt.

Aus dem Tatbestand:
Im Februar 1937 zog Fritz Teuscher vom bisherigen ehelichen Wohnsitz Olten
nach Herzogenbuchsee im bernischen Amtsbezirk Wangen, während die Frau mit dem
Sohn in Olten blieb. Am 16. April ersuchte er den Gerichtspräsidenten von
Wangen um Abhaltung eines Aussöhnungsversuches, um alsdann auf Scheidung
klagen zu können. Der Aussöhnungsversuch verlief am 7. Mai 1937 fruchtlos, und
am 8. /9. Oktober 1937 reichte Teuscher die Klage beim Richteramt Wangen ein.
Die Ehefrau belangte ihn auf Unterhaltsbeiträge für sich selbst und den Sohn
vor dem mit der Frage des Gerichtsstandes für den Scheidungsprozess befassten
Appellationshof des Kantons Bern. Dieser erklärte sich mit Entscheid vom 24.
März 1938 zur Beurteilung des Unterhaltsbegehrens unzuständig für die ganze
der Klageeinreichung (8. Oktober 1937) vorausgegangene Zeit.

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Insoweit habe die Frau das Gesuch um Unterhaltsbeiträge an ihrem selbständigen
Wohnsitz, in Olten, anzubringen.
Mit zivilrechtlicher Beschwerde beantragt Frau Teuscher beim Bundesgericht die
Aufhebung dieses Entscheides und die Rückweisung der Sache zu materieller
Beurteilung ihres Gesuches auch für die Zeit vom 16. April bis zum 8. Oktober
1937. Der Gesuchsgegner beantragt Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- (Voraussetzungen der zivilrechtlichen Beschwerde.)
2.- Nach Art. 145 ZGB hat der Scheidungsrichter die für die Dauer des
Prozesses nötigen vorsorglichen Massnahmen zu treffen, wenn die Klage
angebracht ist. Dieses für den Scheidungsprozess vorgesehene Verfahren zur
Erwirkung vorsorglicher Massregeln weicht von dem ausserhalb eines
Scheidungsprozesses einzuschlagenden Vorgehen nach Art. 169 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 169 - 1 Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
1    Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
2    Kann der Ehegatte diese Zustimmung nicht einholen oder wird sie ihm ohne triftigen Grund verweigert, so kann er das Gericht anrufen.
. ZGB ab sowohl
hinsichtlich der Zuständigkeit als der materiellen Voraussetzungen. Im
Scheidungsprozess ist der Scheidungsrichter allein zuständig. Auch der
beklagte Ehegatte (und zwar auch bei selbständigem Wohnsitz oder wenn der
Wohnsitz seit Anhebung des Prozesses verändert worden ist) hat sich mit
Gesuchen um solche Massregeln an ihn zu wenden. Dabei sind die materiellen
Voraussetzungen erleichtert, indem das Getrenntleben nach Einreichung der
Klage auf Scheidung oder Trennung beiden Teilen ohne weiteres gestattet ist
(Art. 170 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
1    Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen.
2    Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen.
3    Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen.
ZGB). Beides steht im Gegensatz zu der allgemeinen Ordnung,
wonach Gesuche im Sinne von Art. 169 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 169 - 1 Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
1    Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
2    Kann der Ehegatte diese Zustimmung nicht einholen oder wird sie ihm ohne triftigen Grund verweigert, so kann er das Gericht anrufen.
. ZGB beim Richter am Wohnsitze des
Gesuchstellers selbst anzubringen sind (BGE 54 I 245) und dem Gesuchsteller
obliegt, die Berechtigung der Anrufung richterlicher Hilfe darzutun. Beides
erklärt sich als Auswirkung des angehobenen Scheidungsprozesses. Für dessen
Dauer soll nur der mit der Klage befasste Richter in das eheliche Verhältnis
eingreifen, die richterliche Fürsorgebefugnis verbindet sich mit der
Prozessleitung.

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Diese besondere Ordnung hat nach Art. 145 ZGB nur Platz zu greifen, wenn der
Scheidungsprozess wirklich begonnen hat, und ist ausdrücklich auf die Dauer
des Prozesses beschränkt. Als Beginn des Prozesses gilt der Eintritt der
Rechtshängigkeit. Diese erst hat zur Folge, dass nun, solange der Prozess
nicht beendigt ist, weder der klagende noch der andere Ehegatte an einem
andern Orte eine weitere Scheidungsklage anheben kann. Gerade in der Einrede
der bereits begründeten Rechtshängigkeit der Scheidungsklage findet die
ausschliessliche Zuständigkeit des Scheidungsrichters zu vorsorglichen
Massregeln während des Prozesses ihre eigentliche Rechtfertigung. Solange der
andere Ehegatte, weil die Klage noch nicht hängig ist, an seinem allfälligen
selbständigen Wohnsitze auch Scheidungsklage anheben könnte, ist ihm auch die
Anrufung des Richters an seinem Wohnort zur Beurteilung eines Gesuches gemäss
Art. 169 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 169 - 1 Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
1    Ein Ehegatte kann nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des andern einen Mietvertrag kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräussern oder durch andere Rechtsgeschäfte die Rechte an den Wohnräumen der Familie beschränken.
2    Kann der Ehegatte diese Zustimmung nicht einholen oder wird sie ihm ohne triftigen Grund verweigert, so kann er das Gericht anrufen.
. ZGB nicht zu verwehren.
Durch welchen prozessualen Akt die Rechtshängigkeit der Scheidungsklage
begründet wird, ist eine Frage des kantonalen Prozessrechtes. Von Bundesrechts
wegen hindert nichts, sie nicht schon mit einem allenfalls vorgeschriebenen
Aussöhnungsversuch, sondern erst mit einer darauffolgenden schriftlichen oder
mündlichen Klageeinleitung eintreten zu lassen. So ist die Ordnung des
bernischen Rechtes (Art. 160
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 160 Mitwirkungspflicht - 1 Die Parteien und Dritte sind zur Mitwirkung bei der Beweiserhebung verpflichtet. Insbesondere haben sie:
1    Die Parteien und Dritte sind zur Mitwirkung bei der Beweiserhebung verpflichtet. Insbesondere haben sie:
a  als Partei, als Zeugin oder als Zeuge wahrheitsgemäss auszusagen;
b  Urkunden herauszugeben; ausgenommen sind Unterlagen aus dem Verkehr einer Partei oder einer Drittperson mit einer Anwältin oder einem Anwalt, die oder der zur berufsmässigen Vertretung berechtigt ist, oder mit einer Patentanwältin oder einem Patentanwalt im Sinne von Artikel 2 des Patentanwaltsgesetzes vom 20. März 200964;
c  einen Augenschein an Person oder Eigentum durch Sachverständige zu dulden.
2    Über die Mitwirkungspflicht einer minderjährigen Person entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen.65 Es berücksichtigt dabei das Kindeswohl.
3    Dritte, die zur Mitwirkung verpflichtet sind, haben Anspruch auf eine angemessene Entschädigung.
ZPO), das den Aussöhnungsversuch nur als,
übrigens nicht unbedingte, Prozessvoraussetzung ausgestaltet (Art. 145
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 145 Stillstand der Fristen - 1 Gesetzliche und gerichtliche Fristen stehen still:
1    Gesetzliche und gerichtliche Fristen stehen still:
a  vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern;
b  vom 15. Juli bis und mit dem 15. August;
c  vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar.
2    Dieser Fristenstillstand gilt nicht für:
a  das Schlichtungsverfahren;
b  das summarische Verfahren.
3    Die Parteien sind auf die Ausnahmen nach Absatz 2 hinzuweisen.
4    Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des SchKG62 über die Betreibungsferien und den Rechtsstillstand.
ZPO)
und ihm eine verhältnismässig lange Klagefrist von sechs Monaten folgen lässt
(Art. 155
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 155 Beweisabnahme - 1 Die Beweisabnahme kann an eines oder mehrere der Gerichtsmitglieder delegiert werden.
1    Die Beweisabnahme kann an eines oder mehrere der Gerichtsmitglieder delegiert werden.
2    Aus wichtigen Gründen kann eine Partei die Beweisabnahme durch das urteilende Gericht verlangen.
3    Die Parteien haben das Recht, an der Beweisabnahme teilzunehmen.
ZPO), während deren Lauf die Klage bloss bewilligt bleibt, ohne
schon vor der Einreichung anhängig gemacht zu sein. Unterbleibt die
Einreichung trotz fruchtlos verlaufenem Aussöhnungsversuch überhaupt, so kommt
es gar nicht zum Prozesse und wird daher auch keine Zuständigkeit des
Scheidungsrichters zu Massregeln im Sinne von Art. 145 ZGB (Art. 299
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 299 Anordnung einer Vertretung des Kindes - 1 Das Gericht ordnet wenn nötig die Vertretung des Kindes an und bezeichnet als Beiständin oder Beistand eine in fürsorgerischen und rechtlichen Fragen erfahrene Person.
1    Das Gericht ordnet wenn nötig die Vertretung des Kindes an und bezeichnet als Beiständin oder Beistand eine in fürsorgerischen und rechtlichen Fragen erfahrene Person.
2    Es prüft die Anordnung der Vertretung insbesondere, wenn:
a  die Eltern unterschiedliche Anträge stellen bezüglich:
a1  der Zuteilung der elterlichen Sorge,
a2  der Zuteilung der Obhut,
a3  wichtiger Fragen des persönlichen Verkehrs,
a4  der Aufteilung der Betreuung,
a5  des Unterhaltsbeitrages;
b  die Kindesschutzbehörde oder ein Elternteil eine Vertretung beantragen;
c  es aufgrund der Anhörung der Eltern oder des Kindes oder aus anderen Gründen:146
c1  erhebliche Zweifel an der Angemessenheit der gemeinsamen Anträge der Eltern bezüglich der Fragen nach Buchstabe a hat, oder
c2  den Erlass von Kindesschutzmassnahmen erwägt.
3    Stellt das urteilsfähige Kind Antrag auf eine Vertretung, so ist diese anzuordnen. Das Kind kann die Nichtanordnung mit Beschwerde anfechten.
der
bernischen ZPO) begründet. Der Appellationshof hat also die Gesuchstellerin
mit Recht für die vor die Klageeinreichung vom

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8. Oktober 1937 fallende Zeit vor den Richter von Olten gewiesen, wo sie in
der Tat selbständigen Wohnsitz behalten hatte.
3.- Diesem Ergebnis versucht die Beschwerdeführerin mit Unrecht einen
bundesrechtlichen Begriff der Klageanhebung entgegenzuhalten. Wohl anerkennt
die Rechtsprechung, dass eine vom Bundesrecht vorgesehene Klagefrist gewahrt
ist, sofern nur ein allenfalls als Vorverfahren vorgeschriebener
Aussöhnungsversuch binnen der Klagefrist anbegehrt worden ist (BGE 42 II 102
/3). Von umfassender bundesrechtlicher Umschreibung des Begriffes der
Klageanhebung lässt sich dabei jedoch nicht sprechen. Es handelt sich nur
darum, der die Rechtshängigkeit begründenden Klageanhebung die Anhebung eines
blossen Vorverfahrens als fristwahrenden Akt gleichzustellen. Damit wird ein
Eingriff in die verschiedenartigen kantonalen Prozessrechte vermieden und
dennoch eine möglichst gleiche Behandlung der Bürger erzielt. Für die
Anwendung von Art. 145 ZGB kann daraus nichts hergeleitet werden. Darnach ist
der Scheidungsrichter nur für die Dauer des Prozesses zu vorsorglichen
Massnahmen zuständig. Das setzt voraus, dass der Prozess selbst und nicht
bloss ein die Rechtshängigkeit der Klage nicht begründendes Vorverfahren
angehoben sei. Der abweichenden Auffassung von EGGER (Komm., zu Art. 145 ZGB
N. 3) und ETTER (Die vorsorglichen Massregeln ..., S. 22 ff.) kann somit nicht
beigepflichtet werden, zumal im Hinblick auf Prozessrechte, welche einen
misslungenen Aussöhnungsversuch nicht nur auf kurze, sondern auf längere Frist
oder gar unbefristet als Grundlage einer Klageeinleitung anerkennen.
.........................................................
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die zivilrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.