S. 76 / Nr. 24 Familienrecht (d)

BGE 62 II 76

24. Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Mai 1936 i. S. F. gegen F.

Regeste:
Anfechtung der Ehelichkeit eines wenigstens 180 Tage nach Abschluss der Ehe
geborenen Kindes (Art. 254
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
ZGB):
Der zweifelsfreie Nachweis, dass der Ehemann der Ehefrau zur Zeit der
Empfängnis nicht beigewohnt habe, genügt; es braucht nicht Unmöglichkeit einer
solchen Beiwohnung nachgewiesen zu sein.
Dass hiebei wesentlich auf Aussagen der Ehefrau im Parteiverhör abgestellt
wurde, verstösst nicht gegen Bundesrecht. Über die Beweiskraft solcher
Aussagen entscheidet verbindlich der kantonale Richter.

Die Ehefrau des W. F. in Oberems, welche den Mann anfangs 1931 verliess und
fortan getrennt von ihm, seit dem Monat März 1932 in Basel, wohnte, hat dort
mit einem Philipp P. ein Konkubinatsverhältnis unterhalten und am 14. Mai 1933
einen Knaben geboren, dem sie den Vornamen ihres Liebhabers gab, der sich
seinerseits als Vater des

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Kindes bekennt. Die (ausser der am 16. Mai 1934 wegen Ehebruches der Frau
zugesprochenen Scheidungsklage) vom Ehemann angehobene Klage auf
Unehelicherklärung des Kindes ist vom Kantonsgericht des Kantons Wallis mit
Urteil vom 6. März 1936 geschützt worden hauptsächlich auf Grund der Aussage
der Mutter des Kindes, sie habe den Ehemann seit ihrer Übersiedlung nach Basel
überhaupt nicht mehr gesehen. Diese Aussage erscheine in ihrer Bestimmtheit
und beim Fehlen eines Interesses der Kindsmutter an einer Unehelicherklärung
als glaubwürdig; sie erbringe den Beweis, dass der Ehemann ihr in der
Empfängniszeit nicht beigewohnt habe.
Das durch seinen Beistand vertretene Kind hat dieses Urteil an das
Bundesgericht weitergezogen mit dem wiederholten Antrag auf Abweisung der
Anfechtungsklage. An die Stelle des während des Berufungsverfahrens
verstorbenen Ehemannes ist als Kläger sein einziger Bruder, der nächste Erbe
hinter dem beklagten Kinde, getreten. Er beantragt Bestätigung des kantonalen
Urteils.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
...
Da die Ehegatten zur Zeit der Empfängnis nur tatsächlich, nicht auf Grund
gerichtlichen Urteils, getrennt lebten, kann die Anfechtungsklage nicht mit
der blossen Erklärung des Ehemannes, er sei nicht der Vater, begründet werden;
er hat vielmehr nachzuweisen, dass er unmöglich der Vater sein könne (Art. 254
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254

im Gegensatz zu Art. 255
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 255 - 1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
1    Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
2    Stirbt der Ehemann, so gilt er als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod geboren wird oder bei späterer Geburt nachgewiesenermassen vor dem Tod des Ehemannes gezeugt worden ist.
3    Wird der Ehemann für verschollen erklärt, so gilt er als Vater, wenn das Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht geboren worden ist.
ZGB). Welche Tatsachen den Schluss auf diese
Unmöglichkeit rechtfertigen, ist im Gesetze nicht festgelegt, namentlich ist
nicht vorgeschrieben, dass nur bestimmte Arten von an sich schlüssigen
Tatsachen berücksichtigt werden dürfen; daraus folgt, dass der Richter jeden
Tatbestand berücksichtigen kann und soll, der die Vaterschaft des Ehemannes
ausschliesst, sofern darüber volle Gewissheit besteht und nicht bloss hohe
Wahrscheinlichkeit dargetan ist (BGE 55 II 297). Nun hat

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die zunächst vermutete Vaterschaft des Ehemannes zwei Voraussetzungen: dass er
der Ehefrau zur Zeit der Empfängnis beigewohnt habe und dass die
Schwangerschaft eben auf solchen ehelichen Verkehr zurückzuführen sei. Seine
Vaterschaft ist also ausgeschlossen, wenn bewiesen wird, entweder, dass
zwischen den Ehegatten zur Zeit der Empfängnis kein Geschlechtsverkehr
stattgefunden habe, oder, dass die Schwangerschaft nicht von solchem Verkehr
herrühren könne (wie bei Zeugungsunfähigkeit des Ehemannes oder wenn das Kind
Rassenmerkmale aufweist, die den Ehemann als Erzeuger ausschliessen, vgl. das
erwähnte Urteil, während eine Blutgruppenbestimmung, die nach dem heutigen
Stande der Wissenschaft nicht völlige Gewissheit zu schaffen vermag, den
strengen gesetzlichen Anforderungen an den Beweis nicht genügt; BGE 61 II
303
).
Hier steht nicht der Nachweis der Untauglichkeit, d. h. der fehlenden
Kausalität allfälligen ehelichen Verkehrs in Frage, sondern der Kläger will
das Fehlen der zuerst genannten Voraussetzung seiner Vaterschaft, einer
ehelichen Beiwohnung in der kritischen Zeit überhaupt, beweisen. Dieser Beweis
ist vorweg dann erbracht, wenn Tatsachen erwiesen sind, die eine Gelegenheit
zur Beiwohnung durch den Ehemann ausschlossen, wie z. B. grosse Entfernung der
Aufenthaltsorte während der ganzen kritischen Zeit oder Internierung des einen
Gatten unter Ausschluss entsprechender Besuchsgelegenheit für den andern. Ein
solcher Alibi-Beweis liegt hier nicht vor. Indessen ist erheblich nicht nur
der Beweis der Unmöglichkeit der Beiwohnung, sondern ebenso der Beweis, dass
die Gatten tatsächlich (trotz allfälliger Gelegenheit) nicht miteinander
verkehrt haben, wie bereits dargetan worden ist. Nur so lässt sich denn auch
erklären, dass das Bundesgericht einen Beweis sogenannter moralischer
Unmöglichkeit der Beiwohnung zulässt (womit es natürlich streng zu nehmen
ist); denn dabei handelt es sich um den Beweis einer Einstellung des Willens,
die trotz bestehender

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Möglichkeit eben deren Benutzung als ausgeschlossen erscheinen lässt. Nur so
erklärt sich auch die herrschende Auffassung, dass, wenn der eine Ehegatte mit
dem andern in der kritischen Zeit im selben Raume zusammengetroffen ist, womit
an sich eine Möglichkeit zu geschlechtlichem Verkehr bestand, der in Rede
stehende Beweis dennoch erbracht sei, wenn solche Zusammenkünfte nur in
Gegenwart von Zeugen stattfanden, welche glaubwürdig verneinen, dass es zu
Geschlechtsverkehr gekommen sei. Das Beisein von Zeugen ist hiebei nicht
Tatbestandselement; es kommt nur darauf an, dass für jeden Augenblick
allfälligen Zusammentreffens der Ehegatten durch taugliche Beweismittel, wie
Zeugen es sein können, das Nichtstattfinden des Verkehrs bewiesen werde. Der
Beweis scheitert, wenn die Zeugen aus irgend einem Grunde nicht als
zuverlässig erscheinen; anderseits werden die Zeugen entbehrlich, wenn der
Beweis auf andere Weise mit der gebotenen Sicherheit geleistet werden kann.
Nun ist nicht einzusehen, weshalb die Aussagen der beklagten Ehefrau nicht
ebenso wie Aussagen am Prozess unbeteiligter Zeugen sollten berücksichtigt
werden können, wenn das kantonale Prozessrecht die Einvernahme der Parteien
(oder speziell der Gegenpartei des Beweisführers, wie nach Art. 251 ff. der
Walliser Zivilprozessordnung) als Beweismittel vorsieht und ausgestaltet.
Freilich ist daran festzuhalten, dass die Stellungnahme der beklagten Mutter
im Prozess nicht ohne weiteres auch für das mitbeklagte Kind verbindlich ist,
weshalb auch ihr Zugeständnis von Tatsachen, die der Kläger behauptet, dem
Richter nicht erlaubt, diese Tatsachen (auch gegenüber dem Kinde) ohne
weiteres als erstellt zu erachten (BGE 1916 II 312). Allein das hindert nicht,
als Beweismassnahme eine Einvernahme der Mutter durchzuführen und ihre
Aussagen wie die eines Zeugen zu würdigen. Handelt es sich doch gerade bei dem
vorliegenden Beweisthema um Vorgänge, über die sie am besten unterrichtet,
deren Vorkommen oder Nichtvorkommen ihr aus eigenem

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Erleben bekannt sein muss. So bedenklich es erscheinen möchte, zumal
angesichts der strengen Beweisvorschrift des Art. 254
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
ZGB, lediglich auf
glaubwürdig erscheinende Aussagen des beweisbelasteten Klägers abzustellen, so
wenig verbietet sich die Berücksichtigung solcher Aussagen der beklagten
Ehefrau, wenn sie, wie es hier nach dem kantonalen Urteil zutrifft, kein
eigenes Interesse an einer Unehelicherklärung des Kindes hat. Ob solche
Aussagen im einzelnen Falle vollen Beweis zu schaffen vermögen, ist eine Frage
der Beweiswürdigung, die der Überprüfung durch das Bundesgericht nicht
unterliegt. Hier lagen übrigens eine Reihe von Umständen vor, die, wenn sie
auch nicht für sich allein den geforderten Beweis erbringen, bei der Würdigung
der entscheidenden Aussagen der Kindsmutter mit in Betracht gezogen werden
durften.
Verstösst demnach die tatbeständliche Feststellung, die Ehegatten hätten zur
Zeit der Empfängnis nicht miteinander verkehrt, gegen keine eidgenössische
Beweisregel, und folgt daraus die Unmöglichkeit der Vaterschaft des Ehemannes,
so erweist sich die Berufung des beklagten Kindes als unbegründet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtes des Kantons
Wallis vom 6. März 1936