S. 72 / Nr. 17 Familienrecht (d)

BGE 61 II 72

17. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juni 1935 i. S. Walter gegen Bigler.


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Regeste:
ZGB Art. 314 Abs. 2: Anspruch des Vaterschaftsbeklagten auf Blutuntersuchung
(Änderung der Rechtsprechung). Art und Weise ihrer Vornahme.

A. - Das Bundesgericht hat am 27. April 1934 die vorliegende Vaterschaftssache
an die Vorinstanz, das Obergericht des Kantons Solothurn, zurückgewiesen (BGE
60 II 84). Die Vorinstanz hatte nämlich die vom Beklagten beantragte
Blutuntersuchung zum Zweck der Feststellung, dass das Kind nicht von ihm
abstammen könne, mit teilweise rechtsirrtümlichen Entscheidungsgründen
abgelehnt. Im Anschluss an den Nachweis dieser Rechtsirrtümer führte das
Bundesgericht damals aus: «Freilich will mit diesen Darlegungen nicht das Ziel
verfolgt werden, die Vorinstanz geradezu zur Anordnung einer Blutuntersuchung
anzuweisen; es soll überhaupt dahingestellt bleiben, ob die neueren Ergebnisse
der Blutprobe eine grundsätzliche Änderung der Rechtsprechung zu rechtfertigen
vermögen. Dagegen erscheint es dem Bundesgericht nicht unmöglich, dass die
Vorinstanz zu einer andern Stellungnahme in dieser Frage gelangen könnte, wenn
sie an den beiden im vorigen erörterten Gründen der Ablehnung nicht festhalten
kann. Der Vorinstanz wird also anheimgestellt, neuerdings darüber zu befinden,
ob sie die Blutuntersuchung anordnen wolle, oder ob die von ihren früheren
ablehnenden Entscheidungsgründen unangetastet verbleibenden Bedenken sie
neuerdings davon abhalten. Ebenso bleibt die Vorinstanz in der Würdigung eines
allfälligen Gutachtens, im Zusammenhang mit dem übrigen Prozesstoff, frei.»
Daraufhin bewilligte die Vorinstanz das Beweismittel der Blutprobe und
bezeichnete als Sachverständigen Prof. Dr. Dettling, Direktor des
gerichtlich-medizinischen Institutes der Universität Bern, dem freigestellt
wurde, die

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Blutprobe selbst zu entnehmen oder einen Arzt aus Balsthal damit zu
beauftragen. Dementsprechend wurde dann das Blut der Mutter durch einen Arzt
in Chexbres, wo sie in Stellung ist, entnommen und vom Institut selbst auf
Zugehörigkeit zur Blutgruppe 0 (I) bestimmt, das Blut des Kindes dagegen durch
einen Arzt in Balsthal und dasjenige des Beklagten durch dessen Assistenten
entnommen und bestimmt, und zwar ersteres auf Zugehörigkeit zur Gruppe A (II),
letzteres zur Gruppe B (III). Gestützt hierauf erstattete der Assistenzarzt
von Prof. Dettling das Gutachten dahin, dass ein Mann mit der Blutgruppe B als
Vater auszuschliessen sei, d. h. Adolf Walter komme für das Kind Ernst Bigler
nicht als Vater in Betracht.
B. - Nichtsdestoweniger hat die Vorinstanz am 26. Januar 1935 die
Vaterschaftsklage wiederum zugesprochen. Den Entscheidungsgründen ist zu
entnehmen: «Formell kann gegen das Blutprobeverfahren nicht eingewendet
werden, dass es nicht korrekt und gewissenhaft durchgeführt wurde.... Ob die
in Deutschland von fachmännischer Seite beim Blutprobeverfahren
hervorgehobenen Vorsichtsmassnahmen im vorliegenden Fall in allen Teilen
beobachtet wurden, erscheint etwas fraglich. Es ist überhaupt fraglich, ob die
Einrichtungen unserer einheimischen Mediziner und ihre Technik jede
Fehlerquelle ausschliessen. Diese Hinweise und Feststellungen ... sollen nur
zeigen, dass die Technik unserer Fachleute, wie sie heute allgemein angewandt
wird, noch erhebliche Fortschritte machen muss, wenn sie dem Richter die
Gewissheit beibringen will, dass neben den ... Fehlerquellen rein
theoretischer Natur nicht noch solche im technischen Sinne hinzukommen
könnten.
»Die medizinische Wissenschaft kann die Garantie für die Richtigkeit des
Blutprobebeweises nicht in jedem einzelnen Fall übernehmen (wird näher
ausgeführt), was auf den Beweiswert der Blutprobe naturgemäss einen
nachteiligen Einfluss ausüben muss.... Es ist rechtlich nicht angängig, eine
Vaterschaftsklage abzuweisen auf Grund

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eines naturwissenschaftlichen Beweises, wofür die medizinische Wissenschaft
die volle Verantwortung nicht übernehmen kann.... Niemals kann nach dem
heutigen Stande der Wissenschaft und medizinischen Technik so weit gegangen
werden, dass auf Grund der Blutprobe allein entschieden werden kann.»
C. - Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
D. - Zunächst hat das Bundesgericht an Prof. Zangger in Zürich folgende Fragen
gestellt:
«1. Ist der Blutprobebeweis nach den Ergebnissen der medizinischen
Wissenschaft so sicher, dass die Vaterschaft eines Vaterschaftsbeklagten, der
nach dem Ergebnis der Blutprobe nicht Vater des in Frage stehenden Kindes sein
kann, ohne Bedenken und mit Sicherheit (oder mit grosser Wahrscheinlichkeit)
ausgeschlossen werden darf? Sind die Erfahrungen auf diesem Gebiete heute
bereits hinreichend, um die Resultate als definitiv ansehen zu können? Wie
gross ist der Prozentsatz der Fehlergebnisse, mit denen gerechnet werden muss?
»2. Mit welchen Kautelen ist das Beweisverfahren zu umgeben, damit seine
Ergebnisse höchstmögliche Sicherheit garantieren?»
Hierauf erstattete Prof. Zangger folgende eingehend begründete Antwort:
«1. Die Erfahrungen über die Gesetzmässigkeit der Vererbung sog.
Blutgruppeneigenschaften erstrecken sich in der ganzen Welt heute auf über 30
Jahre. Es handelt sich um den Ausschluss der Vaterschaft (weil mehrere
Blutgruppen bestehen). Nach den Erfahrungen der letzten Jahre sind die
Fehlergrenzen, wenn alle Vorsichtsmassnahmen getroffen sind und die Technik
einwandfrei ist, weit unter 1: 1000.
»2. Die Untersuchungen wie die Blutentnahmen sollten nur in Instituten gemacht
werden, welche sowohl inbezug auf Erfahrung und Technik wie inbezug auf
Personal

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grosse Erfahrung haben (?). Auch die Blutentnahme sollte wenn irgendmöglich in
den Instituten selbst vom Untersuchungspersonal oder von instruierten Ärzten
gemacht werden.»
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung hat das Bundesgericht auf Grund
neuerer Publikationen im Urteil vom 27. April 1934 (BGE 60 II 84) in der
vorliegenden Streitsache ausgesprochen, es werden erhebliche Zweifel über die
Vaterschaft des Beklagten gerechtfertigt durch die aus der Blutuntersuchung
der Mutter, des Kindes und des Beklagten gefundene Feststellung, dass das Kind
Blut mit Gruppeneigenschaften aufweist, die nicht aus der Kombination der
Blutgruppen entstehen können, denen einerseits die Mutter und anderseits der
Beklagte angehört. Hiegegen hat sich die Vorinstanz erneut auf Urteile
deutscher Gerichte berufen, aus denen zwar unmittelbar nichts für unsere
Rechtsprechung hergeleitet werden kann, weil für jene Rechtsprechung ein viel
starrerer Rechtssatz massgebend ist, nämlich dass eine Beiwohnung innerhalb
der Empfängniszeit für die Vermutung der Vaterschaft nur dann ausser Betracht
bleibt, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, dass die Mutter das
Kind aus dieser Beiwohnung empfangen hat (§ 1717 des deutschen BGB). Aber um
dennoch wenn möglich noch Zuverlässigeres als aus den im früheren Urteil des
Bundesgerichtes erwähnten ausländischen Publikationen von den medizinischen
Erkenntnissen über die Vererbung der Beschaffenheit des Blutes in Erfahrung zu
bringen, hat das Bundesgericht über die einschlägigen, rein abstrakt, ohne
jede Bezugnahme auf den vorliegenden Prozess, gestellten Fragen bei einer
inländischen Autorität der Gerichtsmedizin ein Gutachten eingeholt. Der von
Art. 80 OG ausgesprochene Ausschluss von nova im Berufungsverfahren stand dem
nicht entgegen, weil er sich nur auf nova über konkrete Prozesstatsachen
bezieht. Nach dem Ergebnis des Gutachtens

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ist ein für alle Male zu bejahen, dass ernstliche Zweifel über die Vaterschaft
des Beklagten schon und immer dann gerechtfertigt sind, wenn die Blutgruppe
des Kindes ihm weder von der Mutter noch vom Beklagten vererbt worden ist.
Hieraus folgt, dass jeder Vaterschaftsbeklagte, der behauptet, die Blutgruppe
des Kindes sei ihm weder von der Mutter noch von ihm vererbt, von Bundesrechts
wegen Anspruch auf Vornahme der bezüglichen Feststellungen hat, ebensogut wie
auf Feststellung irgendeiner nicht anders als durch Sachverständigengutachten
zu ermittelnden Tatsache, von welcher es direkt abhängt, ob der eine oder
andere Satz des Bundesrechtes anzuwenden sei oder nicht.
Zuverlässige Feststellungen über die Vererbung der Blutgruppeneigenschaften
lassen sich nach dem Gutachten Zangger nur machen «in Instituten, welche
sowohl inbezug auf Erfahrung und Technik wie inbezug auf Personal grosse
Erfahrung haben», und zwar gilt dies grundsätzlich für die Blutuntersuchung
selbst, regelmässig aber auch die Blutentnahme. Hieran werden sich die
kantonalen Gerichte sowohl bei der Auswahl als auch bei der Instruktion der
Gutachter zu halten haben. Andernfalls wäre eben eine sichere Entscheidung
über die Vererbung der Blutgruppeneigenschaften gar nicht möglich und würde
dem Beklagten der Beweis der Vererbung der Blutgruppe des Kindes von einem
andern Mann als ihm abgeschnitten, oder aber es würde die Klage zum Nachteil
der Kläger in Anwendung von Art. 314 Abs. 2
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 314 - 1 Les dispositions de la procédure devant l'autorité de protection de l'adulte sont applicables par analogie.
1    Les dispositions de la procédure devant l'autorité de protection de l'adulte sont applicables par analogie.
2    L'autorité de protection de l'enfant peut, si elle l'estime utile, exhorter les parents de l'enfant à tenter une médiation.
3    Lorsque l'autorité de protection de l'enfant institue une curatelle, elle doit mentionner dans le dispositif de la décision les tâches du curateur et éventuellement les limites apportées à l'exercice de l'autorité parentale.
ZGB ohne genügend zuverlässigen
Nachweis einer Tatsache abgewiesen, die ernstliche Zweifel über die
Vaterschaft des Beklagten rechtfertigt. Dass ein Gutachten über die Vererbung
der Blutgruppeneigenschaften nur schlüssig sein kann, wenn es derart hohen
Anforderungen entspricht, war der Vorinstanz nicht bekannt, als sie ihr
Gutachten einholte und entgegennahm. Auch wollte sie ja aus dem Gutachten, das
die Vererbung der Blutgruppe des Kindes von der Mutter und dem Beklagten
verneint und daher nur für

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deren Vererbung von einem andern Manne Raum läset, nicht den Schluss auf die
Unbegründetheit der vorliegenden Vaterschaftsklage gezogen wissen. Keinesfalls
lassen ihre Entscheidungsgründe erkennen, dass sie die den Empfehlungen von
Professor Zangger nicht entsprechende Expertise als genügend zuverlässige
Grundlage für die Abweisung der Klage hätte gelten lassen wollen. Unter diesen
Umständen steht von Bundesrechts wegen nichts entgegen, dass die Sache zur
Anordnung einer neuen, den vorstehend aufgestellten Grundsätzen entsprechenden
Expertise an die Vorinstanz zurückgewiesen werde, die es wohl nicht
verantworten möchte, schon an die vorliegende Expertise die Klagabweisung zu
knüpfen, welche nach dem Gesagten nicht zu umgehen ist, wenn für die Vererbung
der Blutgruppe des Kindes niemand anders als ein anderer Mann in Betracht
kommt. Anderseits braucht sich der Beklagte nicht gefallen zu lassen, dass auf
Grund einer nicht als genügend schlüssig erachteten Expertise abgesprochen
wird, sondern hat Anspruch auf Durchführung einer neuen, zuverlässigeren
Expertise, die in aller Form zu beantragen er natürlich keinen Anlass hatte,
weshalb aus dem Fehlen eines solchen Antrages nichts gegen ihn hergeleitet
werden kann.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin begründet erklärt, dass das Urteil des Obergerichtes
des Kantons Solothurn vom 26. Januar 1935 aufgehoben und die Sache an die
Vorinstanz zurückgewiesen wird.