S. 84 / Nr. 18 Familienrecht (d)

BGE 60 II 84

18. Urteil dar II. Zivilabteilung vom 27. April 1934 i. S. Walter gegen
Bigler.

Regeste:
ZGB Art. 314 Abs. 2: Blutuntersuchung zum Nachweis erheblicher Zweifel über
die Vaterschaft des Beklagten.

A. - Zu seiner Verteidigung gegen die vorliegende Vaterschaftsklage bestreitet
der Beklagte jeden Geschlechtsverkehr mit der Klägerin und beantragt er eine
Blutuntersuchung zum Zweck der Feststellung, dass der Zweitkläger nicht von
ihm abstammen könne.
B. - Das Obergericht des Kantons Solothurn hat die Blutuntersuchung nicht
angeordnet, dagegen der Klägerin den Eid dafür abgenommen, dass ihr der
Beklagte in der Empfängniszeit beigewohnt habe, und die

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Vaterschaftsklage zugesprochen. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen: «Die
Blutgruppenuntersuchung bildet nach dem heutigen Stand der Medizin und der
Wissenschaft noch kein absolut sicherer Beweis (sic) dafür, dass ein
bestimmtes Kind von einem bestimmten Mann gezeugt worden ist oder nicht. Daher
könnte auch in casu eine Expertise betr. Blutgruppenuntersuchung kein absolut
sicheres Beweismittel darstellen für den Nachweis von Tatsachen, welche
erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten im Sinne von Art. 314
Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB rechtfertigen könnten. In casu erscheint eine solche
Blutgruppenexpertise schon nach der Aktenlage als unerheblich und überflüssig.
Die Kindsmutter hat für die Tatsache der Beiwohnung in der kritischen Zeit
einen derart überzeugenden Indizienbeweis erbracht, dass die Blutuntersuchung,
falle sie positiv oder negativ aus, gar keine Bedeutung mehr haben kann. Der
Beklagte hat nicht beweisen können, dass die Kindesmutter in der kritischen
Zeit vom 7. März bis 4. Juli 1932 verdächtige Beziehungen mit andern Männern
unterhielt. Die Angaben derselben über den Urheber der Vaterschaft erscheinen
im Lichte des Gesamtbeweisergebnisses als durchaus glaubwürdig. Die
Bewilligung oder Nichtbewilligung des Eides, bezw. die Beurteilung der
Voraussetzung nach § 107 Ziffer 3 des EG zum ZGB hängt in casu nicht von einer
positiven oder negativen Blutuntersuchung ab, sondern von der Aktenlage und
den Beweisergebnissen, da bei der vorliegenden Sachlage auf die Expertise
betr. Blutuntersuchung nicht ausschlaggebend abgestellt werden könnte. Da die
Blutuntersuchung nach dem Stand der Wissenschaft heute noch keine genügende
Gewähr dafür bietet, dass Fehlergebnisse ganz ausgeschlossen sind, so können
die andern Tatsachen, welche gegen das Vorliegen von Zweifel im Sinne des Art.
314
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
lemma 2 ZGB sprechen, auch dann nicht einfach ignoriert werden, wenn in
casu durch die Blutuntersuchung ein negatives Ergebnis herauskommen sollte.
Unter

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solchen Umständen wird die Expertise betr. Blutuntersuchung als untauglich und
überflüssig erachtet und daher nicht bewilligt.»
C. - Gegen das Urteil des Obergerichtes vom 22. Dezember 1933 richtet sich die
vorliegende Berufung des Beklagten mit dem Antrag auf Aufhebung des
angefochtenen Urteils und Rückweisung der Akten an die Vorinstanz zur Aufnahme
weiterer Beweise, insbesondere zur Abnahme der beantragten Blutprobe,
eventuell Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Ablehnung der Blutuntersuchung durch die Vorinstanz beruht unter zwei
Gesichtspunkten auf einer Verletzung von Bundesrecht.
In erster Linie ist die Ansicht der Vorinstanz unhaltbar, dass die
Blutuntersuchung, falle sie positiv oder negativ aus, gar keine Bedeutung mehr
haben könne angesichts des von der Klägerin für die Tatsache der Beiwohnung
(des Beklagten) in der kritischen Zeit erbrachten überzeugenden
Indizienbeweises. Die beantragte Blutuntersuchung betrifft ein ganz anderes
Beweisthema als dieser Indizienbeweis, nämlich ob der Zweitkläger von einem
andern Mann als dem Beklagten abstamme. Damit wäre nämlich eine Tatsache
nachgewiesen, die erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten
rechtfertigen und die durch die Beiwohnung des Beklagten in der Empfängniszeit
begründete Vermutung seiner Vaterschaft beseitigen würde, gleichgültig ob die
Beiwohnung des Beklagten durch dessen Geständnis oder durch direkten Zeugen
oder Eides-Beweis oder endlich durch überzeugenden Indizienbeweis dargetan
wäre, und gleichgültig, wie oft solche Beiwohnung in der Empfängniszeit
stattgefunden haben mag.
In zweiter Linie erweckt die Argumentation der Vorinstanz Bedenken, dass eine
Blutgruppenuntersuchung kein absolut sicheres Beweismittel für den Nachweis

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von Tatsachen darstellen könnte, welche erhebliche Zweifel über die
Vaterschaft des Beklagten im Sinne von Art. 314 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB rechtfertigen
könnten, weil die Blutgruppenuntersuchung nach dem heutigen Stand der Medizin
und der Wissenschaft noch keinen absolut sicheren Beweis dafür bilde, dass ein
bestimmtes Kind von einem bestimmten Manne gezeugt worden sei oder nicht.
Freilich wurde in BGE 59 II 343 ausgeführt, es könne heute noch keine Rede
davon sein, dass die absolute Zuverlässigkeit der Ergebnisse einer
Blutgruppenuntersuchung allgemein anerkannt wäre, aber nur in der Meinung,
dass deshalb die ablehnende Stellungnahme einer kantonalen Vorinstanz zum
damals verwendeten Beweismittel der Blutprobe nicht auf eine Verletzung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften hinauslaufe, und durchaus nicht etwa in
der Meinung, dass den kantonalen Gerichten verwehrt wäre, auf das Ergebnis der
Blutuntersuchung mitabzustellen. Aus neuesten Publikationen ergibt sich
jedoch, dass die Blutgruppenbestimmung sicherere Ergebnisse liefert, als
damals angenommen wurde, und deshalb von der ausländischen Rechtsprechung
weitgehendst anerkannt wird, wo nach der dortigen gesetzlichen Ordnung
überhaupt etwas darauf ankommen kann (vgl. einerseits OTTENSOOSER in der
Schweizerischen Juristenzeitung 30 S. 118 zum gleichen, ebenda Seite 50
veröffentlichten, Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 30. Mai
1933, auf welches sich das Berufungsurteil in BGE 59 II 339 ff. bezieht, und
anderseits Willy und Pia SCHUMACHER-WEBER, Die Blutprobe als zivil- und
strafprozessuales Beweismittel nach deutschem und ausländischem Recht, Berlin
1933). Zwar ist sie überhaupt nur fur den Nachweis des Nichtbestehens der
Vaterschaft tauglich, worum es sich hier auch einzig handelt, lässt sich von
vorneherein nur auf rund 25% der möglichen Kombinationen anwenden und führt in
weiteren rund 15% zu einem non liquet, sodass nur ein Rest von rund 10%
verwertbare Ergebnisse liefert.

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Indessen sind diese Ergebnisse bei korrekter praktischer Handhabung durch
Spezialisten sozusagen sicher; denn es steht dahin, ob die bei der Bestimmung
der bezüglichen medizinischen Erfahrungssätze aus dem Blut ehelicher Kinder
entdeckten Ausnahmen von 1,5 wirklich solche gewesen seien und nicht einfach
Trugschlüsse aus falschen Prämissen. Übrigens liesse sich wegen einer so
geringfügigen Möglichkeit von Ausnahmen nicht mit Fug sagen, es werden nicht
erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten gerechtfertigt durch die
aus der Blutuntersuchung der Eltern und des Kindes gefundene Feststellung,
dass das Kind Blut mit Gruppeneigenschaften aufweist, die nach den
medizinischen Erfahrungen über die Vererbung der Beschaffenheit des Blutes
nicht aus der Kombination der Blutgruppen, denen einerseits die Mutter und
anderseits der Beklagte angehört, entstehen können. Freilich will mit diesen
Darlegungen nicht das Ziel verfolgt werden, die Vorinstanz geradezu zur
Anordnung einer Blutuntersuchung anzuweisen; es soll überhaupt dahingestellt
bleiben, ob die neueren Ergebnisse der Blutprobe eine grundsätzliche Änderung
der Rechtsprechung zu rechtfertigen vermögen. Dagegen erscheint es dem
Bundesgericht nicht unmöglich, dass die Vorinstanz zu einer andern
Stellungnahme in dieser Frage gelangen könnte, wenn sie an den beiden im
vorigen erörterten Gründen ihrer Ablehnung nicht festhalten kann. Nachdem es
der Klägerin verstattet worden ist, durch das einzig auf ihre
Gewissenhaftigkeit abgestellte Beweismittel des Eides die Vermutung der
Vaterschaft des Beklagten zu begründen, dürften hier die Bedenken gegen das
neue, an objektive Umstände anknüpfende Beweismittel nicht allzusehr betont
werden, welches das einzige Beweismittel ist, das dem Beklagten zur
Verteidigung bleibt und ihm zudem nur eine verhältnismässig geringe Chance
lässt, sich erfolgreich auf Art. 314 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB berufen zu können. Der
Vorinstanz wird also anheimgestellt, neuerdings darüber zu befinden, ob sie
die Blutuntersuchung

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anordnen wolle, oder ob die von ihren früheren ablehnenden
Entscheidungsgründen unangetastet verbleibenden Bedenken sie neuerdings davon
abhalten. Ebenso bleibt sie gemäss Art. 81 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
OG in der Würdigung eines
allfälligen Gutachtens, im Zusammenhang mit dem übrigen Prozessstoff, frei.
Insbesondere wird sie gegebenenfalls zu entscheiden haben über die
Rechtsfolgen einer allfälligen endgültigen Weigerung der Mutter und für das
Kind, sich das nötige Blut entnehmen zu lassen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird begründet erklärt, das angefochtene Urteil aufgehoben und
die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 60 II 84
Datum : 01. Januar 1934
Publiziert : 27. April 1934
Quelle : Bundesgericht
Status : 60 II 84
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : ZGB Art. 314 Abs. 2: Blutuntersuchung zum Nachweis erheblicher Zweifel über die Vaterschaft des...
Einordnung : Änderung der Rechtsprechung


Gesetzesregister
OG: 81
ZGB: 314
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
BGE Register
59-II-339 • 60-II-84
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • vorinstanz • beweismittel • zweifel • blutprobe • eid • mann • bundesgericht • mutter • vermutung • vaterschaftsklage • geschlechtsverkehr • entscheid • solothurn • begründung des entscheids • abweisung • zweck • planungsziel • zeuge • weiler
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