S. 409 / Nr. 63 Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft (d)

BGE 61 I 409

63. Urteil des Bundesstrafgerichts vom 16./17. Dezember 1935 i S.
Bundesanwaltschaft gegen Lolli und Mitangeklagte.

Regeste:
Bundesbeschluss vom 21. Juni 1935 betreffend den Schutz der Sicherheit der
Eidgenossenschaft, Art. 3:
- Objektiver Tatbestand Erw. 1, 6 a.
- Subjektiver Tatbestand Erw. 3, 6 b.
- Täterschaft Erw. 2.
- Örtlicher und Zeitlicher Geltungsbereich Erw. 4 a und b.

Aus dem Tatbestand:
Der angeklagte Lolli hat im April 1935 in verschiedenen Schweizer Zeitungen
bewährte Mitarbeiter für eine internationale Zeitschrift gesucht. Darauf haben
sich unter

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anderm die Mitangeklagten K. und St. bei ihm gemeldet, die er in der Folge
aufsuchte. Lolli suchte ausserdem auch den Mitangeklagten Böhlen, dem er von
früher her bekannt war, auf. Allen diesen erteilte er, nachdem er sich über
ihre Bereitschaft dazu erkundigt hatte, folgende Aufträge:
Böhlen sollte von Donaueschingen feststellen, namentlich welche Truppenteile
der Reichswehr dort einquartiert seien und von welcher Gattung, Stärke und
Ausrüstung, und welche Kasernen dort beständen oder im Bau begriffen seien.
Ausserdem sollte er feststellen, ob derzeit in Lindau eine deutsche
Generalstabskommission sich aufhalte und zu welchem Zweck, und ferner welche
Truppen sich in Lindau befänden. - Böhlen ist auftragsgemäss mitte Juni und am
8. Juli 1935 nach Donaueschingen und am 1. Juli 1935 nach Lindau gefahren und
hat nachher dem Lolli mündlich und schriftlich Bericht erstattet.
K. erhielt vorerst einen als «Anschlussfrage» bezeichneten Fragebogen
folgenden Inhalts:
«Welcher Umfang hat die österreichische Bewegung für oder gegen die
Hitler-Regierung, bezw. für oder gegen den Anschluss? Gibt es
Meinungsverschiedenheiten zwischen Nazianhänger und Anschlussverehrer? Welche
Rollen spielen in dieser Frage die Wirtschafts- und Religionsbewegungen?
Bildet die Rassenfrage für Österreich die Anschluss-Kernfrage? Bestehen
gegenwärtig die Touristen-Sperrungen nach Österreich?
Bestehen zwischen Bayern und Österreich - also auf der Alpen-Wasserscheidung -
politische Strömungen, die eine baldige Aufstandsmöglichkeit fürchten lassen?
Und wird in diesem Fall der Aufstand eine militärische Prägung haben?
Bestehen auf die bayrische Alpen deutsche Reichswehrformationen um ein
österreich. Aufstand eventuell zu unterstützen? Dann: welche Truppenteile?
(Man soll zwischen Reichswehr-Formationen und Nazi-Formationen unterscheiden;
hier kommen nur die Reichswehr-

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Formationen in Frage.) Und welche Reichswehr-Truppenteile sind in München, Bad
Reichenhall, Landsberg, Kempten, Lindau, Konstanz, Straubing ansässig, um der
Aufstand eventuell zu unterstützen? Bestehen sonst weitere militärische
Formationen auf das übrige bayrische Massiv?
Wie steht es gegenwärtig mit die österreich. Legion in Deutschland? Ist sie
für Kriegsdienst ausgebildet und ausgerüstet? Dann: welche Stärke, welche
Ausrüstung? Hat sie grosse Menge Fahrzeuge? Stimmung?
Bestehen zwischen Prinz Starhemberg und die Legitimisten Gegensätze? Ist
Kardinal Innitzer noch mit Prinz Starhemberg gefeindet? Und wie weit geht die
Herrschaft Kard. Innitzers in Österreich?»
Im weiteren sollte K. in wesentlich gleicher Weise wie Böhlen über
Donaueschingen, über die Städte Lindau, Kempten, Ulm und Heidelberg berichten.
- K. hat dann am 7. Juni 1935 eine Reise nach Salzburg, Innsbruck, Linz,
München und Lindau, am 22. Juni eine zweite Reise nach Kempten, am 28. Juni
1935 eine dritte nach Lindau, am 6. Juli eine vierte nach Ulm und am 20. Juli
eine fünfte nach Ulm und Münsingen angetreten und jeweils nach seiner Rückkehr
dem Lolli schriftlich darüber berichtet.
St. hatte wie K. über die Anschlussfrage und die Politik zwischen Deutschland,
Österreich und Italien, über den Einfluss der national-sozialistischen Partei
auf die Bevölkerung, über die Religionsbewegung und ihre Wirkung auf
Reichswehr und Volk, die Möglichkeit eines Aufstandes, die offizielle
Einstellung in Bayern inbezug auf den italienisch-abessinischen Konflikt, über
die (ehemalige) deutsche Volkspartei zu berichten. - St. fuhr am 8. Juli 1935
nach München und erstattete dann seinen Bericht, den er auf Wunsch Lollis
mehrmals ergänzte.
Gestützt auf diesen Tatbestand sind Lolli, sowie Böhlen, K. und St. (ein
weiterer Mitangeklagter fällt hier ausser Betracht) dem Bundesgericht
überwiesen worden.

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Das Bundesstrafgericht zieht in Erwägung:
1.- Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1935 betreffend den Schutz der
Sicherheit der Eidgenossenschaft bestimmt:
«Wer auf dem Gebiete der Schweiz im Interesse des Auslandes zum Nachteil der
Schweiz oder eines fremden Staates militärischen Nachrichtendienst betreibt
oder einen solchen Dienst einrichtet,
wer für solche Dienste anwirbt oder ihnen Vorschub leistet,
wird mit Gefängnis bestraft...»
a) Die Nachrichten im Sinne dieser Bestimmung müssen sich auf Tatsachen
beziehen, die nicht allgemein bekannt sind, zu deren Beschaffung es also
besonderer Vorkehren, eben eines Nachrichtendienstes bedarf. Nicht notwendig
ist dagegen, dass von diesen Tatsachen nur durch Übertretung oder Anstiftung
zur Übertretung eines Verbots (Verbot der Betretung bestimmter Anlagen, Amts-
oder Dienstgeheimnis, oder ähnliches) Kenntnis erlangt werden kann. Die
Nachrichten können sich vielmehr auch auf Sachen beziehen, die einzeln an
ihrem Ort allgemein erfahrbar sind, in ihrer Gesamtheit aber eben nur durch
besondere Vorkehren von einer Stelle aus in Erfahrung gebracht werden können.
b) Die militärischen Nachrichten insbesondere müssen sich auf Tatsachen
beziehen, deren Kenntnis man sich ihrer Natur nach in der Meinung verschafft,
dass sie mitbestimmend seien für die Entscheidung über Massnahmen
militärpolitischer Natur des Staates, von dem der Nachrichtendienst ausgeht,
gegenüber dem Staat, gegen den der Dienst gerichtet ist. Militärpolitischer
Natur sind Massnahmen, die entweder selbst militärischer Natur oder aber durch
Massnahmen militärischer Natur des andern Staates mitbestimmt sind. Die den
Gegenstand der militärischen Nachrichten bildenden Tatsachen können

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dabei militärischer oder nicht-militärischer Natur sein. Nur diese Bestimmung
des in der streitigen Vorschrift nicht näher umschriebenen Begriffes der
«militärischen Nachrichten» entspricht dem Zwecke des Bundesbeschlusses, der
dem militärischen Nachrichtendienst im Interesse des Auslandes so weit
entgegentreten will, als seine Duldung die Unabhängigkeit oder die Neutralität
der Schweiz in Frage stellen könnte, ersteres wenn der Dienst zum Nachteil der
Schweiz, letzteres, wenn er zum Nachteil eines fremden Staates betrieben wird;
denn jeder militärische Nachrichtendienst im oben umschriebenen Sinne bedeutet
eine militärische Gefahr, d. h. eine Schwächung der militärischen oder
militärpolitischen Stellung für den Staat, zu dessen Nachteil er geschieht.
Wird er zum Nachteil der Schweiz betrieben, so versteht sich das
strafrechtlich sanktionierte Verbot des Art. 3 BB von selbst, wird er zum
Nachteil eines fremden Staates betrieben, so versteht sich die Anwendung von
Art. 3 BB deswegen, weil diese Vorschrift zwischen verbotenem militärischem
Nachrichtendienst zum Nachteil des eigenen und eines fremden Staates nicht
unterscheidet, und zwar deshalb nicht, weil ihre Neutralität der Schweiz die
Duldung aller Massnahmen im Interesse des Auslandes verbietet, die für einen
dritten Staat eine militärische Gefahr bedeuten, ohne Rücksicht darauf, ob
diese Gefahr dem Drittstaat als Angegriffenem oder als Angreifer drohen würde.
c) Im Interesse des Auslandes erfolgt der militärische Nachrichtendienst
jedenfalls dann, wenn die Nachrichten einem ausländischen Staat oder einer
solchen Partei- oder parteiähnlichen Organisation zukommen sollen, die die
Macht in diesem Staat besitzt oder nach ihr trachtet; denn in allen diesen
Fällen sind die Nachrichten dazu bestimmt, für die künftigen militärischen
oder militärpolitischen Massnahmen dieses Staates gegen den andern wegleitend
zu sein. Art. 3 BB vermeidet denn auch zu sagen, dass es sich um Nachrichten
handeln müsse,

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die einem ausländischen Staat zukommen sollen. Er spricht allgemein vom
Ausland, dessen Interessen die Nachrichten dienen sollen. Damit wird für den
militärischen Nachrichtendienst in abgekürzter Form wiederholt, was in Art. 2
und 4 für den politischen und wirtschaftlichen Nachrichtendienst ausdrücklich
gesagt ist, nämlich dass es genügt, wenn die Nachrichten einer fremden
Regierung, Behörde, Partei oder ähnlichen Organisation (oder ihren Agenten,
Art. 4) zukommen sollten (Thilo, «Notes sur les dispositions pénales du projet
d'arrêté fédéral tendant à garantir la sûreté de la Confédération et
renforçant le ministère public fédéral», S. 8 III; «Contre les espions, les
mouchards et les agents provocateurs», S. 13).
d) Zum Nachteil der Schweiz oder eines fremden Staates ist jeder auf dem
Gebiet der Schweiz betriebene militärische Nachrichtendienst im Interesse des
Auslandes, und zwar notwendig in gleichem Masse, wie er im Interesse des
«Auslandes» liegt. Dieser Beisatz stellt also nicht ein weiteres
Tatbestandselement des strafbaren militärischen Nachrichtendienstes auf,
sondern es ist, wenn militärischer Nachrichtendienst auf dem Gebiete der
Schweiz im Interesse des Auslandes gegeben ist, nur noch für das Strafmass von
Bedeutung, ob der Dienst zum Nachteil der Schweiz oder eines fremden Staates
sei.
2.- Der objektive Tatbestand des unerlaubten militärischen Nachrichtendienstes
wird durch jedes Verhalten erfüllt, das sich irgendwie in die Kette derjenigen
Handlungen einreiht, welche die Einrichtung oder den Betrieb eines
militärischen Nachrichtendienstes ausmachen. Täter ist also, wer irgendwie bei
Einrichtung oder Betrieb eines solchen Dienstes mitwirkt, gleichgültig, ob er
sich mit dem Nachrichteneinzug selbst befasst oder ihn bloss vorbereiten oder
fördern hilft. Art. 3 BB bringt dies unzweideutig dadurch zum Ausdruck, dass
er als Täter behandelt, nicht nur wer einen militärischen Nachrichtendienst im
Interesse des Auslandes einrichtet oder betreibt, sondern auch wer für solche
Dienste bloss anwirbt

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oder ihnen Vorschub leistet. Die in den allgemeinen Bestimmungen des BStR, auf
welche Art. 6 BB im übrigen verweist, getroffenen Unterscheidungen zwischen
Vollendung und Versuch und den verschiedenen Teilnahmeformen - Urheber (Täter
oder Anstifter), Gehilfe und Begünstiger - kommen also beim unerlaubten
militärischen Nachrichtendienst tatsächlich nicht zur Anwendung (THILO, La
Répression de l'Espionnage en Suisse, I und II je Ziff. 11).
3.- Der subjektive Tatbestand des unerlaubten militärischen
Nachrichtendienstes ist gemäss Art. 6 BB in Verbindung mit Art. 11 BStrR
erfüllt, wenn der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Vorsätzlich handelt, wer
sich dabei bewusst war, dass seine Handlung tatsächlicher- oder möglicherweise
(dolus und dolus eventualis) dazu dienen soll, dem Ausland militärische
Nachrichten zu vermitteln, zum Unterschied von demjenigen, der sich
unwissentlich zu einem solchen Dienst missbrauchen lässt, weil er über den
Zweck der von ihm verlangten Handlung in einen Irrtum versetzt oder im Irrtum
belassen worden ist. Beim militärischen Nachrichtendienst im Interesse des
Auslandes und zum Nachteil der Schweiz genügt das Wissen um den tatsächlichen
oder möglichen Endzweck der Handlung zweifellos, da damit der Täter
naturgemäss auch weiss, dass er zum Nachteil der Schweiz gehandelt hat. Ob
beim militärischen Nachrichtendienst im Interesse des Auslandes und zum
Nachteil eines fremden Staates ein Täter ausser der Kenntnis vom wirklichen
oder möglichen Endzweck seiner Handlung auch noch eine gewisse Einsicht dafür
haben muss, dass seine Handlung in ihren zwischenstaatlichen Auswirkungen sich
auch gegen die Schweiz richtet, dass sie also mittelbar auch zum Nachteil der
Schweiz sein kann, darf hier offen bleiben (vgl. BGE 60 I 412).
4.- Von vorneherein können aber die den Angeklagten zur Last gelegten
Handlungen nur insofern unter Art. 3 BB fallen, als sie in dessen örtlichem
und zeitlichem Geltungsbereich liegen.

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a) Inbezug auf seinen örtlichen Geltungsbereich bestimmt Art. 3 in Verbindung
mit Art. 5 BB, dass die ausserhalb des Gebietes der Schweiz zum Nachteil eines
fremden Staates begangenen, als militärischer Nachrichtendienst sich
darstellenden Handlungen nur dann strafbar sind, wenn Angehörige oder
Einwohner der Schweiz geschädigt wurden. Da Letzteres bei den heutigen
Angeklagten nicht zutrifft, so ist Art. 3 BB örtlich nur insoweit auf sie
anwendbar, als der Begehungsort ihrer Handlungen in der Schweiz sich befindet.
Nach seinem bundesrechtlichen Begriff befindet sich der Begehungsort einer
Handlung überall dort, wo diese verübt worden und dort, wo ihr Erfolg
eingetreten ist (BGE 43 I 74). Da bei militärischem Nachrichtendienst im
Interesse des Auslandes und zum Nachteil eines fremden Staates der Erfolg nur
dann in der Schweiz eintritt, wenn die Handlung in der Schweiz verübt und
damit die internationale Stellung der Schweiz in Mitleidenschaft gezogen wird,
so kann hier überhaupt nur für diejenigen Handlungen der Begehungsort in der
Schweiz, angenommen werden, die in der Schweiz verübt worden sind.
Andererseits aber hat eine Strafhandlung überall da als verübt zu gelten, wo
der Täter sie auch nur teilweise ausgeführt hat, weil andernfalls eine
Strafhandlung unter Umständen überhaupt nirgendwo bestraft werden könnte, -
dann nämlich, wenn die im einen Staat begangene Einzel- oder Teilhandlung für
sich allein den objektiven Strafbestand nicht zu erfüllen vermag. Somit muss
auch hier eine Strafhandlung nach Art. 3 BB dann in ihrer Gesamtheit als in
der Schweiz begangen angesehen werden, wenn der Täter sie auch nur teilweise
in der Schweiz ausgeführt hat. Nach Art. 3 BB strafbar sind deshalb in
örtlicher Beziehung ausser den in der Schweiz verübten auch die im Ausland
verübten «Zusammenhangshandlungen» des gleichen Täters (THILO, La Répression
de l'Espionnage en Suisse, I und II je Ziff. 7).
b) Inbezug auf seinen zeitlichen Geltungsbereich

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bestimmt der BB in Art. 9: «Dieser Bundesbeschluss wird als dringlich erklärt
und tritt sofort in Kraft». Das bedeutet aber nicht, dass der BB schon am Tag
nach seinem Erlass in Kraft getreten sei (21. Juni 1935), sondern immerhin
erst am Tag nach seiner Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung der
Bundesgesetze und Verordnungen (26. Juni 1935); denn die Annahme des
Bundesbeschlusses durch die Eidgenössischen Räte bedeutet nur die
gesetzgeberische Willensbildung und erst die Veröffentlichung die
gesetzgeberische Willenserklärung. Erst mit dieser ist der Gesetzesbefehl
nicht nur beschlossen, sondern auch erlassen (vgl. z. B. LABAND, Staatsrecht
des deutschen Reiches II S. 53, insb. 57/58). Dementsprechend bestimmt auch
das BG vom 9. Oktober 1902 über den Geschäftsverkehr zwischen Nationalrat,
Ständerat und Bundesrat, sowie über die Form des Erlasses und der
Bekanntmachung von Gesetzen und Beschlüssen in Art. 36:
«Ist der Zeitpunkt des Beginns der Wirksamkeit eines Gesetzes, eines
Bundesbeschlusses oder einer Verordnung in denselben nicht festgesetzt, so
wird er vom Bundesrat bestimmt und gleichzeitig mit dem Gesetze, dem
Bundesbeschluss oder der Verordnung veröffentlicht.
Dieser Zeitpunkt soll in der Regel nicht früher angesetzt werden als fünf Tage
nach der Veröffentlichung.
Sollte über den Zeitpunkt des Beginns der Wirksamkeit nichts bestimmt worden
sein, so tritt der betreffende Erlass fünf Tage nach seiner Veröffentlichung
in Wirksamkeit...»
Diese Vorschrift geht also unverkennbar von der Auffassung aus, dass ein
Inkrafttreten eines gesetzgeberischen Erlasses vor dessen Veröffentlichung
nicht in Frage kommen kann.
c) Die den Angeklagten zur Last gelegten Handlungen können also, soweit sie
überhaupt den Gesetzestatbestand von Art. 3 BB erfüllen, nur dann nach
Massgabe dieser Strafvorschrift beurteilt werden, wenn sie nach dem

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26. Juni 1935 als dem Tag der Veröffentlichung des Bundesbeschlusses, und zwar
von jedem einzelnen Täter wenigstens teilweise auf dem Gebiete der Schweiz
verübt worden sind.
5.- ...
6.- Auf dieser Grundlage ist zu prüfen, inwiefern die den Angeklagten zur Last
gelegten Handlungen den Gesetzestatbestand der Art. 3 BB erfüllen.
a) In objektiver Hinsicht ist zu bemerken: Lolli hat zum Nachteil eines
fremden Staates einen militärischen Nachrichtendienst eingerichtet und
betrieben, insofern er in der Schweiz eine Reihe von Personen, die er vorher
zu diesem Zweck aufgesucht hatte, soweit sie darauf eingingen, nach
Deutschland und Österreich schickte mit dem Auftrag, ihm Nachrichten zu
verschaffen namentlich über die militärischen Vorkehren Deutschlands im
österreichischen Grenzgebiet, soweit sie für einen deutschen bewaffneten
Einfall in Österreich bei Anlass eines dortigen Aufstandes oder sonstwie von
Bedeutung wären, ferner über die Einstellung der deutschen Bevölkerung und der
deutschen Truppen in diesem Grenzgebiet, als Anhaltspunkt für die
innerpolitischen Grundlagen eines solchen Einfalls, und schliesslich über die
Einstellung der österreichischen Bevölkerung, soweit daraus Rückschlüsse
gezogen werden könnten auf die Möglichkeit eines österreichischen Aufstandes
als Anlass zu einem deutschen Einfall oder auf das Verhalten der
österreichischen Bevölkerung sonstwie einem deutschen Einfall gegenüber.
Dieser Nachrichtendienst wurde im Interesse des Auslandes eingerichtet und
betrieben, insofern Lolli die Nachrichten an Dienststellen seines
Heimatstaates oder der in seinem Heimatstaat herrschenden Partei
weiterleitete. Lolli hat selber zugeben müssen, dass seine Mitteilungen von
der Zeitungsredaktion, für die er augenblicklich arbeitet und die schliesslich
auch nur eine Staats- oder Parteidienststelle ist, nach pflichtgemässer
Auswahl an die verschiedenen Ministerien weitergeleitet werden.

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Die Tatsachen, auf welche sich die Nachrichten hätten beziehen sollen und
bezogen haben, waren allerdings zum Teil an den betreffenden Orten ohne
weiteres erfahrbar. Sie waren es aber jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit.
Die strategische Anlage des befürchteten deutschen Einfalls in Österreich und
die politischen Bedingungen für Zeitpunkt und Art seiner Ausführung konnten
nur durch einen Nachrichtendienst in Erfahrung gebracht werden, wobei ohne
weiteres angenommen werden darf, dass Lolli nur einer der mit der Erkundung
dieser Verhältnisse beauftragten Agenten war, und dass die Stelle, für die
diese Agenten tätig waren, auf Grund der gesamten Meldungen sich das Bild von
den Verhältnissen machte, nach welchem dann die militärpolitischen
Dispositionen getroffen worden sind oder hätten getroffen werden sollen.
Damit ist auch schon gesagt, dass es sich um militärische Nachrichten zum
Nachteil Deutschlands als des möglichen Angreifers handelte, trotzdem die zu
erkundenden Tatsachen selber nur zum Teile militärischer, teils aber
politischer Natur gewesen sind. Denn sie sollten ihrer Natur nach dem Staat,
von dem der Nachrichtendienst ausging, die Grundlage für seine militärischen
Dispositionen auf den erwarteten Einfall hin abgeben, um diesen selber zu
verhindern oder wirkungslos zu machen.
Böhlen, K. und S. haben diese Aufträge angenommen, noch nach dem 26. Juni 1935
für Lolli Reisen über die Grenze ausgeführt und nachher im Sinne ihrer
Instruktionen an ihn berichtet. Auch diese Angeklagten haben somit den
objektiven Gesetzestatbestand des unerlaubten militärischen
Nachrichtendienstes erfüllt.
b) In subjektiver Hinsicht ist festzustellen, dass Lolli und Böhlen zweifellos
sich im klaren waren darüber, dass ihre Handlungen militärischer
Nachrichtendienst im Interesse des Auslandes und zum Nachteil eines fremden
Staates sowie der Schweiz nachteilig oder hier sogar verboten seien. Für Lolli
bedarf das keiner weiteren Ausführungen, und für Böhlen ist darauf
hinzuweisen,

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dass ihm Lolli zumindest als der Spionage verdächtig bekannt war und dass er
auch wusste, dass der Bundesbeschluss vom 21. Juni 1935 in der Ausarbeitung
begriffen und erlassen worden sei. Er wusste also nicht nur um die
Möglichkeit, sich mit seiner Tätigkeit für Lolli in einen ausländischen
Spionagedienst zu stellen, sondern auch, dass ein solcher Spionagedienst nicht
nur der Schweiz nachteilig, sondern hier sogar strafbar sei. Die Beiden -
Lolli und Böhlen - haben also vorsätzlich gehandelt.
Anders verhält es sich bei K. und S. Bei beiden hat sich Lolli als Journalist
vorgestellt, und beide hat er glauben machen wollen, dass er sie für einen
Zeitungsdienst anwerbe. Keinem von beiden können soviel Fach- und
Allgemeinkenntnisse nachgewiesen werden, dass sie notwendig hätten zur
Einsicht kommen müssen, die von ihnen verlangten Informationen seien unmöglich
nur für die Presse bestimmt. Die Entschädigung, die sie von Lolli für ihre
Tätigkeit bezogen, war auch so gering, dass sie als Familienväter sich dafür
nicht wohl wissentlich den Gefahren ausgesetzt hätten, denen ein Spion im
Lande seiner Betätigung ausgesetzt ist. Es ist deshalb nicht prozessual
rechtsgenüglich nachgewiesen, dass sie vorsätzlich gehandelt haben, wenn auch
natürlich der Verdacht dafür besteht.
Jedenfalls aber haben sie fahrlässig gehandelt, was die Zuerkennung einer
Entschädigung an sie ausschliesst.
...
Demnach erkennt das Bundesstrafgericht:
I. - Die Angeklagten Lolli und Böhlen werden schuldig erklärt des unerlaubten
militärischen Nachrichtendienstes im Sinne von Art. 3 des Bundesbeschlusses
vom 21. Juni 1935 betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft
und verurteilt:
1.- Lolli: zu fünf Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der ausgestandenen
Untersuchungshaft...

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zu zehn Jahren Landesverweisung und
zu neun Zehnteln der Prozesskosten, unter Solidarhaftung mit dem Angeklagten
Böhlen für das zehnte Zehntel.
2. Böhlen: zu zehn Tagen Gefängnis, getilgt durch die ausgestandene
Untersuchungshaft,
zu einem Zehntel der Prozesskosten.
II. - Die übrigen Angeklagten werden von Schuld und Strafe freigesprochen.