S. 331 / Nr. 49 Stimmrecht, kantonale Wahlen und Abstimmungen (d)

BGE 61 I 331

49. Auszug aus dem Urteil vom 29. November 1935 i. S. Pfändler gegen Grosser
Rat des Kantons St. Gallen.

Regeste:
Befugnis des st. gallischen Grossen Rates, ein formell gültig
zustandegekommenes Volksbegehren auf Erlass eines Gesetzes wegen inhaltlicher
Verfassungswidrigkeit von der Hand zu weisen. Rechtslage bei bloss teilweiser
Verfassungswidrigkeit des Begehrens.


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A. - Nach Art. 45, 46 der st. gallischen Verfassung gehört zu den Befugnissen
der Stimmberechtigten u. a.:
«die Initiative» (Art. 46 litt. f).
«Art. 49. Das Recht der Initiative... umfasst das Begehren auf Erlass oder
Aufhebung oder Abänderung eines Gesetzes oder verfassungsgemäss nicht
ausschliesslich in die Kompetenz des Grossen Rates fallenden Beschlusses.
Derartige Begehren können in der Form der einfachen Anregung oder des
ausgearbeiteten Entwurfes gestellt und im einen wie im anderen Falle begründet
werden....
Ein Initiativbegehren muss zur Volksabstimmung gebracht werden, wenn es von
mindestens 4000 Bürgern, deren Stimmberechtigung beglaubigt ist,
unterschriftlich gestellt wird.
Dem Grossen Rate steht das Recht zu, neben dem von den Initianten gemachten
Vorschläge gleichzeitig eigene Anträge auf Verwerfung des Vorschlages oder auf
eine abgeänderte Fassung desselben zu stellen.»
Das zur Ausführung dieser Verfassungsvorschrift am 2. Dezember 1892 erlassene
Gesetz «über das Verfahren bei Ausübung des kantonalen Referendums und der
Initiative» wiederholt im Abschnitt III «Initiative» Art. 22 zunächst den
Wortlaut von Art. 49 Abs. 1 und 2 KV.
Die Art. 24 und 25 lauten:
«Art. 24. Der Grosse Rat hat ein Initiativbegehren in seiner nächsten, dem
Eingang desselben folgenden ordentlichen oder ausserordentlichen Sitzung in
Behandlung zu nehmen und von da an innert sechs Monaten für die
Volksabstimmung vorzubereiten.»
«Art. 25. Wenn ein Begehren in der Form der einfachen Anregung gestellt worden
ist, so hat der Grosse Rat sich zu erklären, ob er mit dem Begehren
einverstanden sei oder nicht.
Im Falle der Zustimmung erledigt der Grosse Rat die Anregung durch Erlass
eines Gesetzes oder Beschlusses. Der daherige Erlass unterliegt sodann dem
Referendum in gesetzlicher Weise.

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Sofern der Grosse Rat nicht zustimmt, so beauftragt er den Regierungsrat, über
das gestellte Begehren die Volksabstimmung anzuordnen, wobei der Grosse Rat
seine Ablehnung in einer an das Volk zu richtenden Botschaft begründen kann.
Spricht sich die Mehrheit der stimmenden Bürger bejahend aus, so hat der
Grosse Rat ungesäumt ein Gesetz oder einen Beschluss im Sinne des
Volksentscheides auszuarbeiten.»
B. - Im Juni 1934 reichten Otto Pfändler in St. Gallen und 8906
stimmberechtigte Mitunterzeichner dem st. gallischen Regierungsrat in Form
einer einfachen Anregung ein «Volksbegehren auf Herabsetzung des
pensionsberechtigten Alters im Kanton St. Gallen» ein. Als Gegenstand des
Begehrens wurde bezeichnet: «Der Erlass eines Gesetzes über die Herabsetzung
des pensionsberechtigten Alters des st. gallischen Staatspersonals und der
Lehrerschaft an öffentlichen Schulen des Kantons St. Gallen und der
Gemeinden». Daran anschliessend war der Inhalt der Anregung wie folgt näher
umschrieben: «Dieses Gesetz, das so rasch als möglich, spätestens aber am
Schluss der laufenden Amtsdauer in Kraft zu treten hat, soll bestimmen, dass
sämtliche im Dienste des Kantons stehenden Beamten, Angestellten und Arbeiter,
sowie die im Dienste von Kanton oder Gemeinden stehenden Lehrer nach
zurückgelegtem 63. Altersjahr pensioniert werden sollen, weibliche
Arbeitskräfte nach zurückgelegtem 58. Altersjahr.»
Der Grosse Rat des Kantons St. Gallen erklärte am 16. Juli 1934 das
Initiativbegehren als zustandegekommen. Darauf beantragte der Regierungsrat in
seiner Botschaft an den Grossen Rat vom 26. Oktober 1934, es sei dem Volk die
Ablehnung der Initiative zu empfehlen.
Die vorberatende Kommission des Grossen Rates erstattete über die
Angelegenheit einen Bericht, mit dem Antrag, es sei auf das Initiativbegehren
nicht einzutreten. Sie betonte hauptsächlich dessen Verfassungswidrigkeit,

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die darin erblickt wurde, dass nach der Formulierung der Initiative und dem
Willen der Initianten auch die kraft Verfassung vom Volk zu wählenden
Behördemitglieder in die angeregte gesetzliche Regelung einbezogen werden
sollten. Der Zwang, von den Ämtern des Regierungsrates und des Bezirksammanns
in einem bestimmten Alter zurückzutreten, schränke die Wahlfähigkeit dazu
entsprechend ein. Damit gerate die Initiative in Widerspruch zu Art. 104 KV,
welcher für diese Wahlfähigkeit, ausser dem Fehlen eines
Ausschliessungsgrundes im Sinne von Art. 105, keine weitere Voraussetzung als
die Stimmfähigkeit aufstelle, sowie zu Art. 38 ebenda, der für die
Stimmberechtigung und damit für die passive Wahlfähigkeit nach Art. 104 wohl
eine untere, aber keine obere Altersgrenze kenne. Im Anschluss hieran
begründete der Kommissionsbericht die Auffassung, dass der Grosse Rat befugt
sei, ein formell gültig zustandegekommenes Initiativbegehren wegen
inhaltlicher Verfassungswidrigkeit zurückzuweisen. Hiezu genüge auch schon die
teilweise Verfassungswidrigkeit der Anregung; es sei nicht notwendig, in einem
solchen Fall die Volksabstimmung wenigstens über den verfassungsmässigen Teil
- unter entsprechender Neufassung des Textes des Vorschlages - anzuordnen.
Am 14. November 1934 beschloss der Grosse Rat gemäss dem Antrag der
vorberatenden Kommission, der Initiative Pfändler «keine weitere Folge zu
geben», d. h. sie nicht der Volksabstimmung zu unterbreiten.
C. - Mit rechtzeitig erhobener staatsrechtlicher Beschwerde hat Otto Pfändler
in St. Gallen beim Bundesgericht das Begehren gestellt, der Beschluss des st.
gallischen Grossen Rates vom 14. November 1934 sei aufzuheben und der Grosse
Rat zu verpflichten, durch den Regierungsrat die Volksabstimmung über die
fragliche Initiative anzuordnen.
Es wird ausgeführt: Sowohl nach Art. 49 KV als nach Art. 24, 25 des
Ausführungsgesetzes vom 2. Dezember 1892 zu dieser Verfassungsvorschrift habe
der Grosse Rat bei

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einer in Form der einfachen Anregung gestellten, formell gültig
zustandegekommenen Initiative nur die Wahl, entweder der Anregung zuzustimmen
und das entsprechende Gesetz auszuarbeiten oder aber, wenn er mit ihr nicht
einverstanden sei, den Regierungsrat mit der Anordnung der Volksabstimmung
über das Initiativbegehren zu beauftragen, wobei er seine ablehnende
Auffassung in einer Botschaft an die Stimmberechtigten bekanntgeben könne. Ein
anderer Weg stehe ihm nicht offen. Auch nicht, wenn er die Initiative
inhaltlich teilweise für verfassungswidrig halte. Auch in diesem Falle könne
er höchstens seine dahingehende Auffassung in der Botschaft zur
Volksabstimmung zum Ausdruck bringen. Nehme dann das Volk die Initiative
gleichwohl an, so sei es Pflicht des Grossen Rates, das Ausführungsgesetz so
abzufassen, dass es einerseits nach Möglichkeit dem Willen der Initianten
Rechnung trage, andererseits doch die Verfassung nicht verletze. Durch die
Weigerung, überhaupt das Volk über die Vorlage zu befragen, werde das aus Art.
46, 49 KV hervorgehende Initiativrecht des Rekurrenten verletzt. - Im übrigen
treffe die Behauptung, dass die Initiative inhaltlich teilweise
verfassungswidrig sei, gar nicht zu (was näher besprochen wird).
D. - Namens des Grossen Rates hat der Regierungsrat des Kantons St. Gallen auf
Abweisung der Beschwerde angetragen.
Aus den Erwägungen:
1.- ...
2.- Da die in der Verfassung enthaltenen Rechtssätze als die höheren einfachen
Gesetzen vorgehen, kann sich auch das Recht der Gesetzesinitiative, das Art.
46 litt. f, Art. 49 der st. gallischen KV den stimmberechtigten Bürgern
einräumen, nur auf die Anregung des Erlasses solcher Gesetze beziehen, für
welche die erforderliche Grundlage in der Verfassung gegeben ist oder die doch
durch ihren Inhalt nicht gegen Verfassungsvorschriften verstossen. Der

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Behörde, die nach dem kantonalen Recht berufen ist, die Volksabstimmung über
die Initiative anzuordnen (Grosser Rat oder Regierungsrat), kann deshalb nicht
verwehrt werden, neben dem Vorliegen der formellen Voraussetzungen für das
Zustandekommen der Initiative auch deren inhaltliche Verfassungsmässigkeit in
jenem Sinne zu prüfen und die Vorlegung an das Volk zu verweigern, wenn das
verlangte Gesetz der Verfassung widerspräche. Jedenfalls kann durch einen
solchen Beschluss das verfassungsmässige Initiativrecht der Bürger, über
dessen Missachtung der Rekurrent sich beschwert, nicht verletzt werden. Denn
die Entscheidung, zu der nach dem Sinn der Einrichtung der Initiative das Volk
aufgerufen werden soll, ist nicht diejenige über die Verfassungsmässigkeit des
Vorschlages der Initianten, wozu es von vorneherein ein ungeeignetes Organ
wäre, sondern über die gesetzgebungspolitische Wünschbarkeit (Zweckmässigkeit)
der angeregten Neuerung. Dass die Kantonsverfassung oder das zur Ausführung
ihrer Bestimmungen über die Gesetzesinitiative erlassene Gesetz keine
ausdrückliche dahingehende Ermächtigung an die genannte Behörde enthält, ist
unerheblich, weil es sich um eine Beschränkung handelt, die sich schon aus der
Natur solcher Initiativen und dem Inhalt der Rechtssätze ergibt, deren Erlass
damit allein angestrebt werden kann. Da die Zustimmung des Volkes zur
Initiative die inhaltliche Verfassungswidrigkeit eines gemäss derselben
erlassenen Gesetzes nicht zu heilen vermag, käme man sonst zur Folge, dass der
Grosse Rat kraft des ihm vom Volke erteilten Auftrages eine Gesetzesvorlage
auszuarbeiten hätte, die dann vom Bundesgericht auf Beschwerde eines dadurch
betroffenen Bürgers gemäss Art. 113 Ziff. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
1    Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
2    Er beachtet dabei folgende Grundsätze:
a  Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise.
b  Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.
c  Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern.
d  Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern.
e  Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären.
3    Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen.
4    Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen.
BV, Art. 175 Ziff. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
1    Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
2    Er beachtet dabei folgende Grundsätze:
a  Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise.
b  Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.
c  Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern.
d  Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern.
e  Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären.
3    Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen.
4    Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen.
, 178
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
1    Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
2    Er beachtet dabei folgende Grundsätze:
a  Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise.
b  Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.
c  Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern.
d  Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern.
e  Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären.
3    Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen.
4    Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen.
OG
aufgehoben werden müsste. Das kann aber, gleich wie bei den ähnlich lautenden
Vorschriften anderer kantonaler Verfassungen, nicht die Meinung des Art. 49
III der st. gallischen KV sein, wonach das Initiativbegehren der
Volksabstimmung unterbreitet werden soll («muss»), sobald es von mindestens
4000 stimmfähigen Bürgern

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unterschriftlich gestellt wird. Vielmehr ist eben anzunehmen, dass dabei nur
an solche Initiativbegehren gedacht ist, die sich innert des möglichen Inhalts
einer Gesetzesinitiative halten, also nicht gegen die Verfassung verstossen.
In diesem Sinne hat das Bundesgericht schon in dem (nicht veröffentlichten)
Urteil vom 6. Juni 1930 i. S. Initiativkomitee für die Einführung einer
Ausländer-Ausgleichssteuer im Kanton Zürich entschieden, wo der zürcherische
Kantonsrat sogar trotz einer die Anregung der Initianten annehmenden
Volksabstimmung die Ausarbeitung des Ausführungsgesetzes abgelehnt hatte, weil
er nachträglich zur Ansicht kam, dass für dieses die notwendige
verfassungsrechtliche Grundlage fehlen würde (S. 8 Abs. 2 und S. 9 des
Urteils).... Aus dem Aufsatz von BURKHARDT im Politischen Jahrbuch der
Eidgenossenschaft 1912 S. 363 Abs. 2 ergibt sich, dass auch schon früher in
anderen Kantonen die nämliche Befugnis vom Grossen Rat oder Regierungsrat,
ebenfalls ohne besondere gesetzliche Grundlage, in Anspruch genommen worden
ist, ohne dass sie ihm von den Initianten durch staatsrechtliche Beschwerde
abgesprochen worden wäre. In zwei in letzter Zeit vom Bundesgericht
beurteilten Fällen (Studer und Mitbeteiligte gegen Basel-Stadt vom 23.
Dezember 1933 und Erlacher und Mitbeteiligte gegen Basel-Landschaft vom 21.
Juni 1935, BGE 61 I 166 ff.), wo eine Initiative wegen rechtlich unmöglichen
Inhalts bezw. weil sie über den verfassungsrechtlich zulässigen Gegenstand
eines Initiativbegehrens hinausgehe, zurückgewiesen worden war, zogen die
Rekurrenten ebenfalls das Recht des Grossen Rates oder Regierungsrates hiezu
nicht in Zweifel, sondern bestritten nur, dass jene Bemängelung zutreffe. Wenn
diese Vorgänge allein für die Lösung der streitigen Frage nicht entscheidend
sein könnten, so zeigen sie doch, dass die hier vertretene Auffassung einer
allgemein, auch in Kantonen, wo besondere Vorschriften darüber nicht bestehen,
geteilten Rechtsanschauung entspricht.
3.- Sobald man aber einmal das Recht der Behörde

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anerkennt, welche über die Initiative die Volksabstimmung anzuordnen hätte,
diese bei verfassungswidrigen Initiativbegehren, selbst ohne besondere
verfassungsmässige oder gesetzliche Ermächtigung, abzulehnen, erscheint es
auch als eine durch die Gewährleistung des Initiativrechts nicht
präjudizierte, der freien Rechtsfindung der betreffenden Behörde
anheimgegebene Frage, wie vorgegangen werden soll, wenn der Vorschlag der
Initianten nicht in seiner Gesamtheit, sondern nur durch die ihm gegebene
Ausdehnung der Verfassung widerspricht, ob er auch dann als Ganzes
zurückgewiesen werden darf oder wenigstens der verfassungsmässige Teil dem
Volke zu unterbreiten ist. Aus dem verfassungsmässigen Initiativrecht lässt
sich ein Anspruch auf die letztere Behandlung zum mindesten für den hier
vorliegenden Fall des in Form einer einheitlichen einfachen Anregung gemachten
Vorschlages nicht herleiten (ob es anders wäre bei einer als ausgearbeiteter
Gesetzesentwurf eingereichten Vorlage, deren einzelne Bestimmungen sich in
bloss äusserlicher Verbindung auf verschiedene Gegenstände beziehen, kann
unerörtert bleiben). Die Behörde würde dabei vor die schwierige Entscheidung
gestellt, ob die Initiative auch bei einem solchen von vorneherein auf das
verfassungsmässig Zulässige eingeschränkten Begehren die erforderliche
Unterschriftenzahl auf sich vereinigt hätte, eine Frage, die sobald die
Verfassungswidrigkeit sich nicht auf einen bloss untergeordneten Punkt
bezieht, kaum mit Sicherheit zu beantworten ist und über die nach der eigenen
brieflichen Äusserung des Rekurrenten gegenüber dem grossrätlichen
Kommissionspräsidenten gerade hier begründete Zweifel möglich sind. Notwendige
Voraussetzung für das Recht der Initianten auf Befragung des Volkes bildet
aber eine in der gesetzlichen Form erfolgte Willensäusserung der
erforderlichen Zahl von Stimmberechtigten zu Gunsten desjenigen Begehrens, das
dem Volk unterbreitet werden soll. Sodann ist es auch nach dem Wesen der
Volksinitiative wie nach ihrer positivrechtlichen Regelung im Kanton St.
Gallen Sache der

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Initianten und nicht der Behörde, welche die Abstimmung zu verfügen hat, den
Vorschlag zum mindesten im Sinne einer Anregung genau zu formulieren, über den
der Volksentscheid herbeigeführt werden soll. Eine Pflicht der Behörden, den
Initianten diese Aufgabe durch Ausscheidung des allenfalls verfassungswidrigen
Teils und eine entsprechende einschränkende Neufassung des Vorschlages
abzunehmen, kann auf das «Initiativrecht» der Stimmberechtigten, das der
Rekurrent als missachtet angesehen wissen will, nicht gegründet werden. Die
Urheber der Initiative können sich deshalb auch nicht über Beeinträchtigung in
diesem Rechte beschweren, wenn die Behörden dies ablehnen und ihnen die
Initiative zurückgeben, um sie allenfalls in verbesserter Form wieder
einzureichen.
So gut wie die Initianten nicht verlangen können, dass das von ihnen
gestellte, in diesem Umfang unzulässige Begehren für die Volksabstimmung durch
ein anderes beschränkteres ersetzt werde, so kann andererseits auch die
gesetzgebende Behörde, der Grosse Rat durch einen annehmenden Volksentscheid
über den Initiativvorschlag zur Ausarbeitung eines Gesetzes, mit dem er
sachlich nicht einverstanden ist, nur mit dem Inhalt verpflichtet werden, der
dem vom Volke angenommenen Begehren entspricht. Es ist ihm nicht zuzumuten,
statt dessen dem Ausführungserlass bloss einen beschränkteren, sich im
verfassungsmässigen Rahmen haltenden Inhalt zu geben, von dem nicht feststeht,
dass das Volk ihm bei entsprechender Fassung schon der an es gerichteten Frage
ebenfalls zugestimmt hatte. Der dem vorliegenden Initiativbegehren anhaftende
Mangel vermag demnach nicht, wie der Rekurrent meint, dadurch beseitigt zu
werden, dass er es dem Grossen Rate freistellt, dem Auftrage des Volkes nur
teilweise, in den Grenzen des verfassungsmässig Statthaften nachzukommen....
4.- (Betrifft die Frage, ob das streitige Begehren inhaltlich als teilweise
verfassungswidrig betrachtet werden durfte.)