S. 131 / Nr. 16 Staatsverträge (d)

BGE 61 I 131

16. Urteil vom 10. Mai 1935 i.S. Gubler gegen Dr. Graser


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Regeste:
Vollstreckung von deutschen Kostenentscheidungen nach Art. 18 und 19 der
Haager Zivilprozessübereinkunft.
Die Zuständigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichtes, das
den Kostenentscheid erlassen hat, zur Ausstellung eines Rechtskraftzeugnisses
braucht nicht durch den höchsten Justizverwaltungsbeamten in Deutschland
bescheinigt zu werden (Erw. 2).
Beweispflicht für die Behauptung, dass der Kostenentscheid mangels gehöriger
Zustellung nicht rechtskräftig sei. Vorgeschriebene Zustellungsart (Erw. 2).
Vollstreckbarkeit von besondern Kostenfestsetzungsbeschlüssen (Erw. 3).
Begriff der Kosten, für die ein Vollstreckungsanspruch besteht; darunter
fallen auch diejenigen für die Vertretung durch einen Anwalt. Hat dieser das
Recht zur unmittelbaren Beitreibung seiner Gebühren und Auslagen vom
kostenfälligen Kläger, unter Ausschluss einer Verrechnung mit Gegenforderungen
an seinen Klienten, so hat er dafür auch einen Vollstreckungsanspruch (Erw.
4).

(Gekürzter Tatbestand.)
A. - Der Rekurrent Ingenieur Emil Gubler in Zürich
hatte in Berlin gegen die Witwe Lampl geb. Müller daselbst eine
Forderungsklage anhängig gemacht, ist aber damit zweitinstanzlich durch Urteil
des Kammergerichtes in Berlin vom 20. Oktober 1933 abgewiesen und zu den
Prozesskosten («Kosten des Rechtsstreites», §§ 91, 97 I der deutschen ZPO)
verurteilt worden. Der Beklagten war für die Verteidigung in diesem
Rechtsstreit das Armenrecht bewilligt und ihr als Armenanwalt (§ 115 Ziff. 3
ebenda) der heutige Rekursbeklagte Rechtsanwalt Dr. Graser in Berlin
beigeordnet worden. Die deutsche ZPO bestimmt für den Fall, dass der

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Gegner der armen Partei infolge Unterliegene im Prozess zu den Kosten
verurteilt worden ist, in:
«§ 124. Die für die arme Partei bestellten ... Rechtsanwälte sind berechtigt,
ihre Gebühren und Auslagen von dem in die Prozesskosten verurteilten Gegner
beizutreiben. Eine Einrede aus der Person der armen Partei ist nur insoweit
zulässig, als die Aufrechnung von Kosten verlangt wird, welche nach der in
demselben Rechtsstreit über die Kosten erlassenen Entscheidung von der armen
Partei zu erstatten sind».
Gestützt hierauf setzte das Landgericht Berlin durch Beschluss vom 8. November
1933 den vom Rekurrenten gemäss § 124 ZPO an Graser zu erstattenden
Kostenbetrag auf 3031 Rm 59 Pf. fest. Auf der vom Kostengläubiger vorgelegten
Ausfertigung des Beschlusses ist durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
des Landgerichtes bescheinigt, dass der Beschluss dem Prozessbevollmächtigten
des Rekurrenten zugestellt und seither rechtskräftig geworden sei.
Dr. Graser setzte den Kostenbetrag mit 3727 Fr. 35 Cts. gegen den Rekurrenten
an dessen Wohnsitz Zürich in Betreibung und stellte nach erhobenem
Rechtsvorschlag das Begehren um Vollstreckbarerklärung des
Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichtes Berlin und um Erteilung der
definitiven Rechtsöffnung. Durch Verfügung vom 2. Oktober 1934 entsprach der
Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichtes Zürich den beiden
Begehren. Der Betriebene rekurrierte hiegegen an das zürcherische Obergericht.
Er machte (neben anderen Einwendungen) in der Hauptsache geltend, dass das
schweizerisch-deutsche Vollstreckungsabkommen vom 2. November 1929 sich nur
auf solche Kostenentscheidungen beziehen könne und beziehe, die zwischen den
Parteien des Hauptprozesses ergangen seien. Auch die Haager
Zivilprozessübereinkunft befasse sich überall nur mit den «eigentlichen
Zivilurteilen», also mit solchen zwischen den Prozessparteien selbst, wobei
die Kostenbestimmungen lediglich als Bestandteile des Urteils in Betracht
kämen.

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Durch Entscheid vom 29. November 1934 wies das Obergericht, IV. Kammer, den
Rekurs ab, ebenso das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom
30. Januar 1935 die darüber bei ihm erhobene Nichtigkeitsbeschwerde.
B. - Gegen diese beiden Entscheide hat Gubler die staatsrechtliche Beschwerde
ans Bundesgericht wegen Verletzung der Haager Zivilprozessübereinkunft und des
Vollstreckungsabkommens vom 2. November 1929 erhoben.
Die Beschwerden sind im Wesentlichen gleich begründet wie der Rekurs an das
Obergericht. Soweit diese Begründung nicht bereits wiedergegeben worden ist,
ist sie aus den Erwägungen ersichtlich.
C. - Das Obergericht des Kantons Zürich, IV. Kammer, und der Rekursbeklagte
Graser haben die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- ...
2.- In der Sache selbst beanstandet der Rekurrent zunächst zu Unrecht, dass
das in Art. 19 III Satz 2 der Haager Zivilprozessübereinkunft für die
Vollstreckung vorgesehene formelle Erfordernis fehle. Danach soll, wenn kein
anderes Abkommen getroffen wird, die Zuständigkeit der Behörde, welche die
Rechtskraft des zu vollstreckenden Kostenentscheides bestätigt hat, zur
Ausstellung dieses Zeugnisses vom «höchsten Justizverwaltungsbeamten» des
Prozesstaates bescheinigt werden. Schon durch die Erklärung zwischen
Deutschland und der Schweiz über die Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs vom
30. April 1910 (A. S. 26 S. 164) Art. 3 haben indessen die beiden Staaten
unter sich, gemäss dem Vorbehalt der Zivilprozessübereinkunft selbst, auf die
Beibringung der erwähnten Bescheinigung verzichtet, wenn das
Rechtskraftzeugnis, auf das sie sich zu beziehen hätte, nach seiner Herkunft
auf Grund des Beglaubigungsvertrages vom 14. Februar 1907 (A. S. 23 S. 397)
keiner weiteren Beglaubigung bedarf. Das trifft aber nach Art. 1 des letzteren
Vertrages zu für

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Urkunden, die von Gerichten des einen Teils ausgestellt sind, mit Einschluss
der von einem Gerichtsschreiber unterzeichneten, wenn sie, wie hier, mit dem
Siegel oder Stempel des Gerichtes versehen sind. Der «Urkundsbeamte der
Geschäftsstelle» des Gerichtes ist nach der gegenwärtigen deutschen
Gesetzessprache nichts anderes als der früher als Gerichtsschreiber
bezeichnete Beamte (BGE 54 I S. 42; A. S. 44 S. 395; Geschäftsbericht des
eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes für 1929 S. 15 unter IV)...
Der weitere Einwand, dass der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichtes
Berlin dem Rekurrenten nicht in der durch die deutsche ZPO (§ 198)
vorgeschriebenen Weise («inter partes») zugestellt worden sei und deshalb
nicht habe rechtskräftig werden können, läuft auf eine Bestreitung des
inhaltlichen Zutreffens des von der kompetenten deutschen Gerichtsstelle
ausgestellten Rechtskraftzeugnisses hinaus. Auch diese Bemängelung, für die
der Rekurrent beweispflichtig wäre (BGE 59 I S. 133), ist augenscheinlich
unbegründet. Die Übermittlung «von Anwalt zu Anwalt» im Sinne von § 198 ZPO
bildet nur eine Möglichkeit, neben der andere, durch das Gesetz grundsätzlich
vorgesehene Zustellungsarten nicht ausgeschlossen sind. Sie gilt zudem gemäss
ausdrücklicher Gesetzesvorschrift nicht für den Kostenfestsetzungsbeschluss:
nach § 104 ZPO ist er, wie die nicht auf Grund einer mündlichen Verhandlung
verkündeten Beschlüsse und Verfügungen überhaupt (§ 329 III), den Parteien von
Amtes wegen durch das Gericht zuzustellen (STEIN-JONAS, Komm. zu § 104 IV, §
329 III). Dass diese Zustellung hier, wie vom Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle bezeugt, tatsächlich stattgefunden hat, wird nicht in Abrede
gestellt. Eines Mehreren bedurfte es auch nach deutschem Prozessrecht nicht.
3.- Noch haltloser ist die Behauptung, dass die Vollstreckung nach den beiden
in Betracht kommenden Staatsverträgen nur für «Urteile», nicht für blosse

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Beschlüsse oder Verfügungen» verlangt werden könne. Sie erledigt sich für das
Vollstreckungsabkommen vom 2. November 1929 schon durch den Wortlaut von Art.
1: «über vermögensrechtliche Ansprüche ergangene rechtskräftige Entscheidungen
der bürgerlichen Gerichte ohne Unterschied ihrer Benennung (Urteile,
Beschlüsse, Vollstreckungsbefehle)» und für die Haager
Zivilprozessübereinkunft durch die ausdrückliche Vorschrift des Art. 18 II,
die den im Sachurteil enthaltenen Kostenverfügungen ausdrücklich gerichtliche
Entscheidungen gleichstellt, wodurch der Betrag der Kosten des Prozesses
später festgestellt wird (s. dazu MEILI-MAMELOK, Internat. Privat- und
Zivilprozessrecht auf Grund der Haager Konventionen S. 349 Ziff. 4).
4.- Nachdem der Rekurrent in dem Prozesse, auf den sich der
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichtes Berlin bezieht, in Deutschland
als Kläger aufgetreten ist, findet im übrigen auf die Frage der
Vollstreckbarkeit dieses Entscheides der erwähnte Artikel der
Zivilprozessübereinkunft und nicht das Vollstreckungsabkommen vom 2. November
1929 Anwendung. Falls nach jener Vorschrift die Vollstreckbarkeit gegeben ist,
kann nichts darauf ankommen, ob die Voraussetzungen dafür auch nach dem
Vollstreckungsabkommen vorliegen würden. Es kann unmöglich die Absicht des
letzteren gewesen sein, die Vollstreckungshilfe, wie sie durch Art. 18 der
Zivilprozessübereinkunft als Folge der unzweifelhaft weiter geltenden
Vorschrift des Art. 17 ebenda vorgesehen ist, gegenüber dem bisherigen
Rechtszustande einzuschränken. Dass die beiden Staaten daran nicht dachten,
ergibt sich übrigens zwingend schon aus der am 24. Dezember 1929, nach
Abschluss des Vollstreckungsabkommens, getroffenen Vereinbarung, für die
Betreibung der Vollstreckung auf Grund von Art. 18 der
Zivilprozessübereinkunft künftig den diplomatischen Weg durch den vom
Kostengläubiger direkt bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates
zu stellenden Vollstreckungsantrag zu ersetzen (A. S.

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45 S. 627; vgl. ferner STAUFFER, Vollstreckungsverträge mit Österreich und der
Tschechoslovakei S. 73).
Der Begriff der Kosten im Sinne von Art. 18 der Zivilprozessübereinkunft
umfasst, wie schon aus dem Wortlaut des massgebenden französischen Urtextes
(MEILI-MAMELOK S. 56) «frais et dépens» hervorgeht, nach dem Zusammenhang mit
Art. 17 nicht anders sein kann und übrigens vom Rekurrenten grundsätzlich
nicht in Zweifel gezogen wird, nicht bloss die Gerichtskosten, sondern auch
diejenigen für die Verteidigung der anderen (beklagten) Partei im Prozesse,
die sog. ausserrechtlichen (aussergerichtlichen) Kosten (nach schweizerischem
Sprachgebrauch), und zwar in erster Linie sie, mit Einschluss derjenigen für
die Vertretung des Beklagten durch einen Anwalt (BGE 31 I S. 683; Bl. f.
zürch. Rechtsprechung 29 Nr. 130; MEILI-MAMELOK S. 348 I; PETITPIERRE,
L'exécution des jugements civils S. 150 f.; LERESCHE, L'exécution des
jugements civils S. 59). Der Vollstreckungsanspruch dafür bildet das Korrelat
zum Grundsatz des Art. 17, dass der einem Vertragsstaat angehörende und in
einem solchen wohnende ausländische Kläger frei ist von der
Sicherheitsleistung in irgendwelcher Form für die Prozesskosten (in jenem
weiteren Sinne), die ihm sonst wegen seiner Ausländereigenschaft oder
mangelnden Wohnsitzes im Prozesstaat obläge. Es soll dadurch verhütet werden,
dass sich der Kläger dank dieser Wohltat nachher im Falle des Unterliegens im
Prozesse der Erfüllung der ihm urteilsmässig auferlegten
Kostenerstattungspflichten wegen der Nichtvollstreckung ausländischer
Entscheidungen in seinem Wohnstaate entziehen kann. Danach kann es aber keine
Rolle spielen, ob die gerichtlich festgesetzte Rechnung des Anwaltes des
Beklagten, die zu tragen dem unterlegenen Kläger durch die Verurteilung zur
Erstattung der Kosten der beklagten Partei auferlegt worden ist, von der
letzteren selbst auf ihren Namen in Vollstreckung gesetzt wird oder aber auf
Grund einer Entscheidung, wodurch gemäss der Gesetzgebung des Prozesstaates
der

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Anwalt zur unmittelbaren Beitreibung seiner Gebühren und Auslagen vom
kostenfälligen Prozessgegner (Kläger) ermächtigt wird. Dies zum mindesten
dann, wenn ohne die staatsvertragliche Befreiung des Klägers von der sonst
geschuldeten Kostenkaution der Anwalt sich für den ihm derart zuerkannten
direkten Beitreibungsanspruch an jene Kaution hätte halten können. So verhält
es sich aber hier. Nach feststehender Lehre und Rechtsprechung zu § 124 der
deutschen ZPO erwirbt der Armenanwalt durch einen solchen auf seinen Namen
ergehenden Kostenfestsetzungsbeschluss kein eigenes Recht auf die ihm
zukommenden Gebühren und Auslagen gegen den Prozessgegner, sondern nur die
Befugnis, den Kostenerstattungsanspruch der armen Partei gleich einem
Pfandgläubiger, als eine ihm zu seiner Deckung verpfändete Forderung, in
eigenem Namen geltend zu machen (STEIN-JONAS zu § 124 I; ROSENBERG, Lehrbuch
des deutschen Zivilprozessrechts S. 254 c b; HELLWIG, System des deutschen
Zivilprozessrechts S. 238 unter 4). Es muss ihm infolgedessen auch die
Sicherheit haften, die der nicht durch Staatsvertrag von einer solchen
Leistung befreite Kläger gemäss § 110 ZPO für die Parteikosten zu leisten
hatte. Das ist denn auch anerkanntes Recht (ROSENBERG, a.a.O. und das von ihm
angeführte Urteil des Reichsgerichtes 126 S. 180). Dass durch die selbständige
Beitreibung auf den Namen des Anwaltes dem in die Kosten verurteilten Kläger
die Erhebung von Tilgungseinreden aus der Person der gegnerischen
Prozesspartei abgeschnitten wird, wie insbesondere die Verrechnung mit
Gegenforderungen an diese, ist von diesem Standpunkte aus unerheblich. Denn
dasselbe hätte, wenn der Kläger nicht dank Art. 17 der Übereinkunft von der
Kautionsleistung befreit gewesen wäre, auch bei der Vollstreckung in diese
Sicherheit im Prozesstaat von Seite des Anwaltes zugetroffen. Nichts würde
zudem den Prozesstaat hindern, durch seine Gesetzgebung die Verrechnung
gegenüber einem urteilsmässigen Prozesskostenerstattungsansprüche überhaupt
auszuschliessen,

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sogar wenn er von der Partei, der der Kostenersatz zugesprochen wurde, selbst
in Vollstreckung gesetzt wird, mit der Wirkung, dass alsdann eine solche
Verrechnung auch bei dem auf den Namen dieser Partei in einem anderen
Vertragsstaat gestellten Vollstreckungsantrag nach Art. 18 der
Zivilprozessübereinkunft als unstatthaft betrachtet werden müsste.
Auch die Einwendung, dass die Vollstreckung in der Schweiz nur auf den Namen
der Partei betrieben werden könnte, der gegenüber der Vollstreckungsbeklagte
im Hauptprozess zur Tragung der Parteikosten verurteilt worden ist, hält somit
für den vorliegenden, unter die genannte Übereinkunft fallenden Tatbestand
nicht Stich. Wie es sich verhielte, wenn nicht die Zivilprozessübereinkunft,
sondern nur das Vollstreckungsabkommen vom 2. November 1929 als Grundlage für
einen Vollstreckungsanspruch in Betracht käme, braucht nicht erörtert zu
werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.