S. 77 / Nr. 15 Organisation der Bundesrechtspflege (d)

BGE 59 I 77

15. Urteil vom 9. Juni 1933 i. S. Rennefahrt und Kons. gegen Kunsteisbahn und
Wellenbad Dählhölzli.

Regeste:
Legitimation eines Dritten zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen eine
polizeiliche Baubewilligung?

A. - Die Kunsteisbahn und Wellenbad Dählhölzli Bern Aktiengesellschaft
(Ka-We-De) beabsichtigt, in der beim untern Teil der Jubiläumsstrasse
gelegenen Ecke des Dählhölzli in Bern eine Kunsteisbahn und eine Badeanlage
mit Restaurationsgebäude und Tribünenbauten zu errichten. Mit Schreiben vom
27. Juli 1932 reichte das Gründerkomitee der Gesellschaft bei der
Baupolizeibehörde von Bern das Gesuch um Erteilung einer bezüglichen
Baubewilligung ein.
Hiegegen erhoben Dr. Rennefahrt, Dr. Zumstein sowie einige weitere Eigentümer
von im untern Teil der

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Jubiläumsstrasse gelegenen Wohngebäuden Einsprache, indem sie geltend machten:
1. die Bauten würden zum Teil auf Land zu stehen kommen, das durch die im
Alignementsplan von 1927 festgesetzte rückwärtige Baulinie der
Jubiläumsstrasse von der Überbauung ausgeschlossen sei; 2. sie verstiessen
gegen Art. 92 der städtischen Bauordnung von 1928, wonach in den
Schutzgebieten im Sinne von Art. 75 Abs. 2 lit. c des nämlichen Erlasses - zu
denen das hier in Betracht kommende Quartier unbestrittenermassen gehört -
gewerbliche und industrielle Anlagen verboten sind, die durch ihren Betrieb
das ruhige und gesunde Wohnen der Nachbarschaft beeinträchtigen würden.
Durch Verfügung vom 9. Februar 1932 erteilte der Regierungsstatthalter I des
Amtsbezirkes Bern dem Gründerkomitee der Ka-We-De, in Abweisung der
vorerwähnten Einsprachen, die begehrte Baubewilligung, jedoch unter dem
ausdrücklichen «Vorbehalt von Drittmannsrechten» und mit der Bedingung, «dass
beim Betrieb der Sportanlage alle übermässigen, die Nachbarschaft
belästigenden Musik- und Lärmentwicklungen zu vermeiden» seien.
Einen Rekurs gegen diesen Entscheid hat der Regierungsrat des Kantons Bern mit
Entscheid vom 5. April 1933 abgewiesen mit der Begründung: Art. 92 Ziff. 1 der
städtischen Bauordnung komme hier nicht in Betracht, da es sich bei den
geplanten Bauten weder um eine gewerbliche noch um eine industrielle Anlage
handle. Auch verstosse das Bauvorhaben nicht gegen Alignements- oder
Bauzonenvorschriften. Ein öffentlich-rechtliches Bauhindernis liege daher
nicht vor.
B. - Hiegegen haben Dr. Rennefahrt und Dr. Zumstein am 19. Mai 1933 im eigenen
Namen sowie im Namen einiger weiterer Einsprecher die staatsrechtliche
Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag: der Entscheid sei
aufzuheben. Sie halten an ihren vor den kantonalen Administrativbehörden
erhobenen Einsprachegründen gegen das Baugesuch fest und fechten deren

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Abweisung durch den angefochtenen Entscheid als willkürlich und gegen klares
Recht verstossend an. Der Regierungsrat wäre daher verpflichtet gewesen zu
untersuchen, ob nicht von dem Betrieb der geplanten Anlagen Störungen, wie
namentlich Lärm, für die Nachbarschaft ausgehen werden, die sie an dieser
Stelle als unzulässig erscheinen lassen. Darin, dass er der Beurteilung dieser
Frage ausgewichen sei, liege eine Justizverweigerung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach Art. 178 Ziff. 2 OG steht das Recht zur staastsrechtlichen Beschwerde
Bürgern und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie
durch allgemein verbindliche oder sie persönlich betreffende Verfügungen oder
Erlasse erlitten haben. Insbesondere kann die staatsrechtliche Beschwerde
wegen Missachtung des allgemeinen Verfassungsgrundsatzes der Rechtsgleichheit
hienach nur damit begründet werden, dass die angefochtene Verfügung den
Beschwerdeführer persönlich unmittelbar in seinen rechtlich geschützten
Interessen beeinträchtige (BGE 48 I 225 E. 2). Der Umfang der
Einspracherechte, rechtlich geschützten individuellen Interessen, die dem
Grundeigentümer gegen eine Baute auf einem anderen Grundstücke zustehen, wird
durch das Zivilrecht umschrieben (wobei neben dem eidgenössischen infolge des
Vorbehalts von Art. 686
SR 210 Codice civile svizzero del 10 dicembre 1907
CC Art. 686 - 1 I Cantoni hanno facoltà di fissare le distanze da osservarsi negli scavi e costruzioni.
1    I Cantoni hanno facoltà di fissare le distanze da osservarsi negli scavi e costruzioni.
2    Essi possono emanare ulteriori norme edilizie.
ZGB unter Umständen auch kantonales Privatrecht in
Betracht kommen kann). Durch die administrative Baubewilligung, die hier im
Streite liegt, wird aber lediglich festgestellt, dass dem geplanten Bau vom
polizeilichen, öffentlichrechtlichen Standpunkte keine Hindernisse
entgegenstehen. Dagegen wird damit die andere Frage nicht entschieden, ob die
gegen das Baugesuch auftretenden Grundeigentümer allenfalls aus anderen
Gründen, nämlich solchen der privatrechtlichen Eigentumsordnung, insbesondere
des Nachbarrechts einen persönlichen Anspruch auf Verhinderung der Baute
besitzen.

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Er ist auf dem Zivilwege durch gerichtliche Klage und nicht im polizeilichen
Baubewilligungsverfahren zu verfolgen. Dies bringt für das bernische Recht das
kantonale Baudekret vom 13. März 1900 § 4 noch besonders durch die Bestimmung
zum Ausdruck, dass in jeder Baubewilligung «Drittmannsrechte» ausdrücklich
vorzubehalten sind, wie es denn auch hier, unter Erläuterung des fraglichen
Vorbehalts im eben erörterten Sinne, in der Verfügung des
Regierungsstatthalters vom 9. Februar 1933 geschehen ist. Nur gegen die
willkürliche Verneinung eines solchen dem Einsprecher zustehenden persönlichen
privaten Inhibitionsrechts könnte aber der Staatsgerichtshof angegangen werden
(falls gegen das betreffende Urteil nicht das ordentliche Rechtsmittel der
Berufung nach Art. 56 ff
SR 210 Codice civile svizzero del 10 dicembre 1907
CC Art. 686 - 1 I Cantoni hanno facoltà di fissare le distanze da osservarsi negli scavi e costruzioni.
1    I Cantoni hanno facoltà di fissare le distanze da osservarsi negli scavi e costruzioni.
2    Essi possono emanare ulteriori norme edilizie.
. OG gegeben ist). Zum staatsrechtlichen Rekurs wegen
angeblich willkürlicher Nichtgeltendmachung eines öffentlichrechtlichen
Bauhindernisses, d. h. ungenügender Wahrung der öffentlichen Interessen durch
die kantonale Verwaltungsbehörde ist der Nachbar sowenig befugt wie ein
anderer Bürger. Daran ändert die Tatsache nichts, dass das kantonale Recht den
Nachbarn die Beschwerde an die obere kantonale Verwaltungsbehörde auch gegen
eine solche in Verletzung öffentlichrechtlicher Baubeschränkungen erteilte
Baubewilligung öffnet, ihnen also insoweit eine Mitwirkung bei der Wahrnehmung
auch der öffentlichen Interessen zugesteht. Die Legitimation zum
staatsrechtlichen Rekurs bestimmt sich nicht danach, ob eine Person vor den
kantonalen Behörden formell Parteistellung hatte, sondern selbständig nach den
Vorschriften des Organisationsgesetzes, das eine derartige Popularklage
bewusst ausschliesst und die Anrufung des Staatsgerichtshofes auf den Fall der
Verletzung von persönlichen Rechten des Beschwerdeführers selbst beschränkt.
So hat denn auch das Bundesgericht für die Anfechtung administrativer
Baubewilligungen schon in BGE 53 I 399 entschieden und daran auch seither
wiederholt festgehalten, so noch in neuester Zeit in dem Urteil vom 17.
September

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1932 i. S. Heller gegen Regierungsrat Luzern (während in dem Falle Bättig
gegen Bern, Urteil vom 14. Februar 1930 die Legitimationsfrage offen gelassen
wurde, da sich die Beschwerde ohne weiteres materiell als unbegründet erwies).
Es besteht kein Anlass, davon abzugehen.
Demnach erkennt das Bundesgericht.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.