S. 382 / Nr. 58 Eigentumsgarantie (d)

BGE 57 I 382

58. Auszug aus dem Urteil vom 18. Dezember 1931 i. S. Ehrler und Mitbeteiligte
gegen Regierungsrat Schwyz.

Regeste:
Bau eines Pfarrhauses durch eine staatliche Kirchgemeinde. Enteignung von
Dienstbarkeiten, die auf dem Baugrunde lasten und der Errichtung der Baute
entgegenstehen. Anfechtung der Enteignungsverfügung wegen Verletzung der
Eigentumsgarantie und Willkür, weil das Werk (die Baute) nicht einem
öffentlichen Interesse diene.


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Die Kirchgemeinde Schwyz beschloss am 28. Dezember 1930, den bestehenden
Pfarrhof von Schwyz zu verkaufen, das alte Pfrundhaus auf der oberen Hofmatt
der Gemeinde Schwyz niederzureissen und dort auf den Grundstücken Nr. 631 und
2027 des Grundbuches Schwyz ein Dreierpfrundhaus zur Wohnung der Geistlichkeit
der römisch-katholischen Kirchgemeinde von Schwyz zu erstellen. Auf dem
Grundstück Nr. 631 lastet zu Gunsten der Liegenschaft Nr. 627 ein «freier
Fuss- und Fahrweg» vom neu angelegten, von der Bahnhofstrasse zum «Spitel»
führenden Weg, auf dem Grundstück Nr. 2027 zu Gunsten der gleichen Nr. 627 und
der Nr. 628 und 629 ein «Recht für den Bestand einer Überlaufkanalisation von
der westlichen Grenze des Gartens hinab, ebenso in gleicher Richtung ein
Wegrecht von 1 m 20 Breite für Abtransport der Hausjauche mittelst
Stosskarren».
Nach Aussteckung des Baugespanns und Veröffentlichung des Bauprojekts für das
geplante Pfarrhaus erhoben die Schwestern Therese und Nanette Ehrler, die
Geschwister Furger und Stefan Hicklin als Eigentümer der Grundstücke Nr. 627,
628 und 629 beim Bezirksgericht Schwyz Klage auf Unterlassung des Baus, weil
er mit den ihnen an der Hofmatt Nr. 631 und 2027 zustehenden
Dienstbarkeitsrechten unvereinbar sei. Der Gemeinderat Schwyz beschloss
darauf, die in Frage stehenden Dienstbarkeiten zwecks Verlegung zu enteignen.
Das schwyzerische Expropriationsgesetz vom 5. März 1871 bestimmt:
«§ 1. Jeder Grundeigentümer ist pflichtig, dem Kanton den Bezirken und den
Gemeinden für nachstehende Zwecke den erforderlichen Grund und Boden, sowie
Gebäude und Bäume abzutreten:
c. zur Aufführung neuer, oder zur Erweiterung schon bestehender Staats-,
Bezirks- und Gemeindegebäude, mit Einschluss der Pfarr- und Filialkirchen.»
«§ 2. Über die Zulässigkeit der Expropriation entscheidet für die Gemeinden
der Gemeinderat. für den

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Bezirk der Bezirksrat und für den Kanton der Regierungsrat.
Den von den Gemeinde- oder Bezirksräten pflichtig Erklärten steht laut
Administrativprozessordnung das Rekursrecht zu.»
Eine Beschwerde der Eigentümer der dienstbarkeitsberechtigten Grundstücke
gegen die Enteignungsverfügung des Gemeinderates Schwyz wies der Regierungsrat
des Kantons Schwyz mit der Begründung ab: es treffe der Enteignungsfall des §
1 c des kant. Expr. G zu, da es sich um den Neubau eines Gemeindegebäudes
handle. «Der jetzige Pfarrhof und die Pfarrhelferhäuser der Gemeinde Schwyz
sind im Grundbuch zwar als Eigentum der Pfarrpfrund-, Pfarrhelfer- und
Frühmesserpfrundstiftungen der römisch-katholischen Kirchgemeinde Schwyz
eingetragen. Allein die römisch-katholische Kirchgemeinde Schwyz ist mangels
Ausscheidung die politische Gemeinde Schwyz selbst; Pfarrhof und Pfrundhäuser
von Schwyz sind also Gemeindehäuser, für deren Erweiterung oder Neubau die
Gemeinde das Enteignungsrecht für sich beanspruchen kann.»
Die Schwestern Ehrler, Geschwister Furger und Stephan Hicklin ergriffen
hiegegen die staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht, indem sie unter
Berufung auf Art. 13 KV (Eigentumsgarantie) und Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV (Willkür) u. a.
geltend machten unter Gemeindegebäuden i. S. von § 1 litt. c des schwyz. Expr.
G. könnten nur öffentliche Gebäude verstanden werden, kirchliche Gebäude,
Gemeindehäuser usw., die direkt einem öffentlichen Zweck dienten. Das
fragliche Pfrundhaus diene aber einem rein privaten Zweck, dem Wohnbedürfnis
der Geistlichen, das auch in der Weise befriedigt werden könnte, dass die
Gemeinde für sie Wohnungen mietet. Ein solches Haus gehöre daher zum privaten
Vermögen der Gemeinde, zu ihrem Finanzvermögen, das ausschliesslich dem
Privatrecht unterstehe und wofür keinerlei Privilegien in Anspruch genommen
werden könnten. Es sei übrigens anzunehmen, dass das

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kommende Pfrundhaus, wie die jetzigen Pfrundhäuser, nicht als Eigentum der
Gemeinde eingetragen werde, sondern als solches der Pfarrpfrund. Freilich
stelle der Regierungsrat darauf ab, dass in der Gemeinde Schwyz politische und
Kirchgemeinde nicht ausgeschieden seien und dass man es deshalb mit einem
Gemeindegebäude zu tun habe. Die merkwürdige Konsequenz wäre dann aber die,
dass in andern Gemeinden, wo die Ausscheidung stattgefunden habe, die
Expropriation für ein Pfarrhaus von vornherein nicht möglich wäre.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen hinsichtlich der eben
angeführten Beschwerdegründe mit der
Begründung:
1. Nach Art. 13 KV ist die Zwangsabtretung nur zu öffentlichen Zwecken
zulässig. Das ist zweifellos auch der Sinn des Expropriationsgesetzes. Ob aber
einer Expropriation das öffentliche Wohl zur Seite stehe, ist eine Frage, in
deren Nachprüfung sich das Bundesgericht als Staatsgerichtshof von jeher
Zurückhaltung auferlegt hat, von der Erwägung ausgehend, dass der Begriff des
öffentlichen Wohls, Nutzens, Interesses ein ausserordentlich unbestimmter,
nach Ort und Zeit schwankender ist und dass daher der kantonalen Behörde bei
der Frage, ob er zutreffe, ein gewisser Spielraum gelassen werden muss. Das
Bundesgericht schreitet hier nur ein, wenn es klar ist, dass von öffentlichem
Interesse nicht die Rede sein kann, insbesondere, wenn das öffentliche Wohl
nur vorgeschoben wird, um die Verfolgung privater Zwecke zu verdecken (BGE 31
I 303
; 34 I 214; 35 I 451 usw.).
2. Das zu erstellende Pfrundhaus ist ein Gemeindegebäude, insofern es von der
Gemeinde Schwyz gebaut wird und ihr Eigentum sein wird. (Mit der blossen
Vermutung, das Gebäude könnte in anderer Weise denn als Eigentum der Gemeinde
im Grundbuch eingetragen werden, können die Rekurrenten nicht gehört werden;
auch bei einer Eintragung auf die Kirchgemeinde wäre es übrigens

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Gemeindegebäude, da ja in der Gemeinde Schwyz Kirch- und politische Gemeinde
nicht ausgeschieden sind; ganz abgesehen von der Frage, ob § 1 c Expr. G nicht
auch die Kirchgemeinden im Auge hat.) Auch die weitere für die Zulässigkeit
einer Expropriation verfassungsmässig erforderliche Voraussetzung - Widmung zu
einem öffentlichen Zwecke - darf als vorhanden betrachtet werden.
Nach verbreiteter Auffassung entspricht es der Stellung der Geistlichen im
kirchlichen und öffentlichen Leben, dass ihnen ein Pfarrhaus zur Verfügung
stehe. Auch anderwärts ist es denn durchaus üblich und Regel, dass sie mit
Rücksicht auf ihr kirchliches Amt und ihre ganz besondere seelsorgerische
Tätigkeit in bestimmten, diesem Zwecke dauernd gewidmeten Häusern wohnen, die
sich meistens schon äusserlich durch ihre Lage zur Kirche als Pfarrhäuser
kennzeichnen. Durch die Bereitstellung solcher Gebäude wollen die zuständigen
Gemeinden nicht bloss dem privaten Wohnbedürfnis der Geistlichen
entgegenkommen, sondern eine als öffentliche betrachtete Aufgabe erfüllen, dem
allgemeinen Interesse an einer angemessenen, der überlieferten Anschauung
entsprechenden Unterbringung der Geistlichen genügen. Man kann daher sehr wohl
das Pfrundhaus als eine öffentliche Sache ansehen, die diesen Charakter zwar
nicht schon vermöge ihrer natürlichen Beschaffenheit hat, wie die öffentlichen
Strassen und Gewässer usw., wohl aber durch die Bestimmung für einen Zweck,
der mit als öffentlicher erscheint und den dadurch gegebenen Zustand
objektiver Zweckgebundenheit (GIERKE; Deutsches Privatrecht II 19 ff.). Es
gehört danach nicht zum Finanzvermögen der Gemeinde, das nur durch seinen
Ertrag den öffentlichen Zwecken dient, sondern zum sog. Verwaltungsvermögen,
dessen Objekte unmittelbar einer öffentlichen Aufgabe dienstbar sind (FLEINER,
Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 352 f.). Die Intensität des öffentlichen Interesses
ist hier vielleicht geringer als bei andern öffentlichen Gebäuden, wie
Gemeinde-, Schul-, Krankenhäuser, indem die Geistlichen

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auch als Privatpersonen im Pfrundhaus wohnen und schliesslich auch in
Mietwohnungen untergebracht werden können; aber aus den angegebenen Gründen
kann doch das öffentliche Moment hier als gegeben erachtet werden. (Die
Gemeinde Schwyz bemerkt in der Antwort, dass das Pfrundhaus auch
pfarramtlichen und seelsorgerischen Zwecken dienen soll, ohne aber anzugeben,
ob es sich dabei um mehr handelt, als dass die Geistlichen darin Besucher in
kirchlichen Angelegenheiten empfangen.) Wie das Bundesgericht schon oft
ausgesprochen hat, braucht, damit eine Expropriation als vor der
Eigentumsgarantie zulässig erscheint, das öffentliche Interesse kein
ausschliessliches zu sein; es genügt, wenn es, neben allfälligen privaten
Zwecken, in ausgesprochenem Masse vorhanden ist, was von den kantonalen
Behörden hier bejaht werden konnte (BGE 35 I 448). Deshalb kann es auch nichts
verschlagen, dass beim Entschluss der Gemeinde, das Pfrundhaus zu bauen,
finanzielle Erwägungen mitgewirkt haben sollten, indem die Unterbringung der
Geistlichen hier sollte billiger zu stehen kommen, als wenn sie in anderer
Weise erfolgt (vgl. das Urteil Deillon vom 13. Juni 1918, wo die Expropriation
für einen Pflanzgarten eines Schullehrers als zulässig erklärt wurde, mit
Rücksicht darauf, dass die Gemeinde gesetzlich verpflichtet war, einen solchen
dem Lehrer zur Verfügung zu stellen. Sofern man im vorliegenden Fall das
öffentliche Interesse im angegebenen Sinne nur als relativ anerkennen will, so
mag hervorgehoben werden, dass auch der Eingriff in die Privatrechte ein
verhältnismässig weniger intensiver ist. Die Gemeinde besitzt den Baugrund
bereits; sie enteignet kein Grundeigentum. Es handelt sich nur darum, dass
einige Servituten, die dem Bau im Wege stehen, sich eine Verlegung gefallen
lassen müssen.