S. 86 / Nr. 23 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 56 III 86

23. Auszug aus dem Entscheid vom 22. Mai 1930 i. S. Betreibungsamt Wil (St.
Gallen).

Regeste:
Ein Gläubiger, der die Verteilungsliste innert der Auflagefrist nicht
angefochten hat, ist mit der nachträglichen Geltendmachung solcher Fehler, die
er bei rechtzeitiger Prüfung der Verteilungsliste hätte entdecken und rügen
können, ausgeschlossen.
Le créancier qui n'a pas attaqué le tableau de distribution pendant le délai
de dépôt n'est pas recevable à invoquer après coup les fautes qu'il eût pu
découvrir et relever s'il avait examiné le tableau en temps utile.
Il creditore che non ha impugnato lo stato di ripartizione entro il termine
durante il quale fu depositato non può far valere ulteriormente gli errori che
avrebbe potuto scoprire e addurre se avesse esaminato tempestivamente lo stato
di ripartizione.

Tatbestand (gekürzt):
In einem Grundstückverwertungsverfahren verlangte der Rekursgegner als Inhaber
der dritten Hypothek rechtzeitig die Aufnahme folgender Forderung ins
Lastenverzeichnis: «8000 Fr. laut Inhaberschuldbrief; der Titel ist per 13.
Juni 1929 gekündigt; 593 Fr. 20 Cts. Zins per 20. November 1928, hievon 5%
Verzugszinsen,

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dazu laufender Zins zu 6½% seit 20. November 1928.» Im Lastenverzeichnis wurde
ein Betrag von 8593 Fr. 20 (Fr. 8000 Kapital, Fr. 479.96 Zins per 20. November
1928 und Fr. 113.25 Betreibungskosten) als bar zu bezahlen ausgesetzt und
ausserdem (in der Rubrik «Gläubiger und Forderungsurkunde») die Forderung von
«Verzugszins von 593 Fr. 20 ab 20. Nov. 1928 plus 5½ % laufender Zins ab 20.
Nov. 1928» aufgeführt. Nach erfolgter Verwertung der Liegenschaft stellte das
Betreibungsamt einen Verteilungsplan auf, laut welchem der Rekursgegner mit
insgesamt 8618 Fr. 50, nämlich 8000 Fr. Kapital, 506 Fr. 25 Zins und 113 Fr.
25 Betreibungskosten, voll gedeckt war. Eine Zuweisung für den seit dem 20.
November 1928 laufenden Kapitalzins erfolgte nicht. Am 24. September 1929
erhielt der Rekursgegner die Mitteilung von der Auflegung dieser
Verteilungsliste auf Formular Nr. 52, in welchem seine Gesamtforderung mit
8618 Fr. 50 angegeben und als durch Zuteilung von 8000 Fr. aus dem Pfanderlös
und von 618 Fr. 50 aus den Erträgnissen voll gedeckt bezeichnet wurde. Da
dieser Verteilungsplan innert der Beschwerdefrist von keiner Seite angefochten
wurde, erfolgten am 8. Oktober 1929 die entsprechenden Auszahlungen. Am 11.
Oktober bestätigte der Rekursgegner bezw. sein Vertreter den Empfang der 8618
Fr. 50, erklärte aber, sein Guthaben betrage 194 Fr. 35 mehr, er ersuche um
«Nachprüfung und Berichtgabe.» Da das Betreibungsamt zwar zugab, dass der
laufende Kapitalzins aus Versehen nicht gedeckt worden sei, es indessen unter
Berufung auf die Rechtskraft der Verteilungsliste ablehnte, den verlangten
Betrag nachzuzahlen, reichte der Rekursgegner am 9. Januar 1930 die
vorliegende Beschwerde ein mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei zu
verhalten, ihm noch weitere 194 Fr. 35 zuzuweisen.
Während die erste Instanz die Beschwerde als verspätet erklärte und den
Beschwerdeführer auf den Weg einer Schadenersatzklage gegen das Betreibungsamt
verwies,

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hiess die obere kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde gut und
verpflichtete das Betreibungsamt, dem Beschwerdeführer 194 Fr. 35 nebst Zins
zu 5% seit 8. Oktober 1929 zu bezahlen. Sie ging davon aus, dass es sich um
eine Rechtsverweigerungsbeschwerde handle, die jederzeit und solange erhoben
werden könne, als ein Gläubiger nicht gedeckt sei. Es komme nur darauf an, ob
die mit der Beschwerde verlangte Summe mit dem Lastenverzeichnis
übereinstimme, und das sei hier der Fall. Gemäss dem Grundsatz des OR, dass
Rechnungsfehler zu berichtigen seien, könne die Nichtanfechtung der Anzeige
vom 24. September 1929, die übrigens nicht deutlich genug gewesen sei, nicht
den Untergang des Rückerstattungsanspruches des Beschwerdeführers zur Folge
haben. Die Verteilungsliste habe im Betreibungsverfahren einen andern
Charakter als im Konkurs, sodass offen bleiben könne, ob auch im Konkurs ein
solcher Irrtum noch zu einer Nachforderung berechtigen würde.
Ein vom Betreibungsamt gegen diesen Entscheid eingereichter Rekurs wurde vom
Bundesgericht gutgeheissen aus folgenden
Erwägungen:
1. - (Legitimation).
2. - Mit Recht nimmt das Betreibungsamt den Standpunkt ein, Keller habe sein
Beschwerderecht verwirkt. Wollte man mit der Vorinstanz im
Betreibungsverfahren jederzeit ein Zurückkommen auf den Verteilungsplan
zulassen, so hätte die Auflegung des letztern und die Eröffnung einer Frist
für die Anfechtung des Planes keinerlei Bedeutung mehr und könnte eine solche
Betreibung überhaupt nie richtig abgeschlossen werden. Warum der
Verteilungsplan einer Betreibung in dieser Beziehung anders behandelt werden
soll als derjenige eines Konkurses, ist unerfindlich und auch von der
Vorinstanz nicht näher begründet werden. Dass man es in Fällen der
vorliegenden Art mit einer Rechtsverweigerung zu

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tun habe, trifft deswegen nicht zu, weil der Gläubiger durch die Auflegung der
Verteilungsliste und die hierauf bezügliche Spezialanzeige Gelegenheit
erhalten hat, Einwendungen gegen die vorgesehene Verteilung zu erheben. Wer
diese Gelegenheit nicht benützt und gegebenenfalls nicht innert der hiefür
laufenden Frist eine Änderung der Liste durch die Aufsichtsbehörden erwirkt,
ist jedenfalls mit der Geltendmachung derjenigen Fehler ausgeschlossen, die er
bei aufmerksamer Prüfung der Verteilungsliste hätte erkennen und infolgedessen
rechtzeitig rügen können. Gleichgültig ist, ob es sich um einen blossen
Rechnungsfehler handelt oder nicht; denn auch blosse Rechnungsfehler können
nicht nachträglich berichtigt werden, wenn sie, wie das hier der Fall wäre,
notwendig zu einer Abänderung der Zuweisungen an die übrigen Gläubiger führen,
der sich diese letztern indessen unter Hinweis auf die Rechtskraft des
Verteilungsplanes widersetzen könnten. Unter Rechnungsfehlern sind übrigens
blosse arithmetische Fehler (Addition, Subtraktion etc.) zu verstehen, nicht
aber der hier zu beurteilende Fall, dass ein selbständiger Posten, nämlich der
laufende Kapitalzins, überhaupt nicht ausgerechnet und eingesetzt wurde.
Dieses Versehen hätte der Beschwerdeführer bei einer nur einigermassen
aufmerksamen Prüfung des Verteilungsplanes unschwer entdecken können - ja, es
hätte wohl nicht einmal einer Konsultierung der Verteilungsliste bedurft. Dass
sein Guthaben grösser als 8618 Fr. 50 sei, konnte der Beschwerdeführer sofort
nach Empfang des Geldes ohne irgendwelche besondern Nachforschungen
feststellen; zu diesem Schluss hätte er aber zweifellos auch schon nach
Empfang der Anzeige von der Auflegung der Verteilungsliste gelangen können.
Darauf, dass diese Anzeige ihm jeden einzelnen Faktor der Ausrechnung des
Betreibungsamtes zur Kenntnis bringe, hat ein Gläubiger keinen Anspruch. Das
für diese Anzeige vorgeschriebene Formular sieht in dem beigefügten «Auszug
aus dem Verteilungsplan» nur eine summarische Angabe der

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Gesamtforderung und der auf dieselbe entfallenden Totalzuweisung und daneben
noch eine Orientierung darüber vor, wie sich diese Zuteilung auf den
Pfanderlös, die Erträgnisse und auf Vorrechte an Zugehör verteilt. Will der
Gläubiger Näheres über die Zusammensetzung dieser Posten erfahren, so muss er
die Verteilungsliste selbst im Zusammenhang mit dem Lastenverzeichnis
konsultieren.
Zu Unrecht stützt die Vorinstanz ihre gegenteilige Auffassung auch noch auf
den (nicht veröffentlichten) Entscheid des Bundesgerichtes vom 19. März 1928
in Sachen Hanselmann. Allerdings wurde dort unter Hinweis auf frühere Urteile
ausgeführt, dass das Betreibungsamt verpflichtet sei, einen von ihm
einkassierten Betrag demjenigen zu überweisen, dem er betreibungsrechtlich
zukomme, und dass der letztere einen auf dem Beschwerdeweg verfolgbaren
öffentlichrechtlichen Anspruch auf Ablieferung dieses Geldes habe, der durch
die bereits erfolgte Auszahlung an einen nichtberechtigten Dritten nicht
beeinträchtigt werde. Allein dass dieser Anspruch auch nach Auflegung und
Inkrafttreten einer Verteilungsliste geltend gemacht werden könne, hat das
Bundesgericht weder in diesem noch in einem frühern Entscheid erklärt. Im Fall
BGE 36 I S. 790 = Sep.-Ausg. 13 S. 271 und 50 III S. 73 handelte es sich um
innert der Auflagefrist erfolgte Anfechtungen der Verteilungslisten, und in
den Angelegenheiten Hanselmann und BGE 35 I S. 482/786 = Sep.-Ausg. 12 S.
102/244 waren überhaupt keine Verteilungslisten aufzulegen, sodass die
Benachteiligten im Gegensatz zum heutigen Fall keine Gelegenheit hatten, vor
Auszahlung des Betreffnisses an den nichtberechtigten Dritten zu
intervenieren; die Beschwerden wurden hier vielmehr jeweilen erhoben innert 10
Tagen seit Erlangung der Kenntnis von der Weigerung des Amtes, das Betreffnis
herauszugeben.
Wollte man übrigens im vorliegenden Fall ein Beschwerderecht noch nach Ablauf
der Auflagefrist anerkennen,

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so hätte die Beschwerde doch unter allen Umständen innert 10 Tagen seit
Kenntnis des Beschwerdegrundes eingereicht werden müssen (dass eine
Rechtsverweigerung im Sinn von Art. 17 f
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 17 - 1 Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25
1    Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25
2    Die Beschwerde muss binnen zehn Tagen seit dem Tage, an welchem der Beschwerdeführer von der Verfügung Kenntnis erhalten hat, angebracht werden.
3    Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde geführt werden.
4    Das Amt kann bis zu seiner Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen. Trifft es eine neue Verfügung, so eröffnet es sie unverzüglich den Parteien und setzt die Aufsichtsbehörde in Kenntnis.26
. SchKG vorliege, ist bereits weiter
oben zurückgewiesen worden). Die Frist hätte daher für den Beschwerdeführer
spätestens am 11. Oktober 1929 (erste Reklamation gegenüber dem
Betreibungsamt) zu laufen begonnen und wäre daher bei Anhängigmachung der
Beschwerde (am 9. Januar 1930) schon längst abgelaufen gewesen.
Wenn daher der Beschwerdeführer das Betreibungsamt für den ihm zu Unrecht
vorenthaltenen Zinsbetrag verantwortlich machen will, so bleibt ihm, wie die
erste Instanz richtig entschieden hat, nur der Weg einer
Verantwortlichkeitsklage gemäss Art. 5
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 5 - 1 Der Kanton haftet für den Schaden, den die Beamten und Angestellten, ihre Hilfspersonen, die ausseramtlichen Konkursverwaltungen, die Sachwalter, die Liquidatoren, die Aufsichts- und Gerichtsbehörden sowie die Polizei bei der Erfüllung der Aufgaben, die ihnen dieses Gesetz zuweist, widerrechtlich verursachen.
1    Der Kanton haftet für den Schaden, den die Beamten und Angestellten, ihre Hilfspersonen, die ausseramtlichen Konkursverwaltungen, die Sachwalter, die Liquidatoren, die Aufsichts- und Gerichtsbehörden sowie die Polizei bei der Erfüllung der Aufgaben, die ihnen dieses Gesetz zuweist, widerrechtlich verursachen.
2    Der Geschädigte hat gegenüber dem Fehlbaren keinen Anspruch.
3    Für den Rückgriff des Kantons auf die Personen, die den Schaden verursacht haben, ist das kantonale Recht massgebend.
4    Wo die Schwere der Verletzung es rechtfertigt, besteht zudem Anspruch auf Genugtuung.
SchKG, wobei ihm aber der Beamte die
Einrede wird entgegenhalten können, dass er, der Beschwerdeführer, den Schaden
durch die Unterlassung einer rechtzeitigen Beschwerdeführung mitverschuldet
habe (vgl. BGE 31 II 349 = Sep.-Ausg. 8 S. 204 f. Erw. 2 am Ende).