S. 402 / Nr. 65 Beamtenrecht (d)

BGE 56 I 402

65. Auszug aus dem Urteil der Beamtenkammer vom 29. September 1930 i. S. S.
gegen Kreisdirektion II S. B. B.

Regeste:
1. Zulässigkeit einer Feststellungsklage im Verfahren nach Art. 17 Abs. 1 lit.
a VDG und Art. 60 Abs. 1 des Beamtengesetzes? (Erw. 2.)
2. Eine Feststellungsklage kann nur auf Feststellung eines
Rechtsverhältnisses, nicht einer Tatsache (Geisteszustand des Klägers) gehen.
(Erw. 2.)
· Rechtsnatur eines Feststellungsbegehrens im letztern Sinn. (Erw. 2.)
1. Art. 31 Abs. 1 Ziff. 9 und 55 des Beamtengesetzes, Art. 40 Abs. 1 VDG, Art.
19 Ziff. 3 BG vom 1. Februar 1923 betr. die Organisation der S.B.B.: die
Kompetenz zur Wiedereinsetzung eines Beamten steht dem Bundesgericht nur im
Rahmen seiner Disziplinarkompetenz zu; sonst aber hat es allenfalls nur zu
prüfen, ob die Entlassung (neben dem Pensionsanspruch) einen
Entschädigungsanspruch begründe. (Erw. 3)
5. Art. 55 Abs. 5 des Beamtengesetzes: Das Bundesgericht hat zu prüfen, ob der
Entlassene tatsächlich in einem Mass invalid gewesen sei, das die Entlassung
ohne Entschädigung rechtfertigte.

A. - Der Kläger war seit Jahren im Dienste der S.B.B., und zwar am 31.
Dezember 1927 als Bureaugehilfe I. Klasse der Kreisdirektion II. Mit dem
Inkrafttreten des neuen Beamtengesetzes auf 1. Januar 1928 wurde er unter die
Verwaltungsbeamten I. Klasse eingereiht.

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Am 27. April 1926, anlässlich der Reorganisation der Bundesbahnen, hatte er
das Gesuch um Pensionierung unter gleichzeitiger Zusprechung einer
Entschädigung gestellt, weil er bei den Beförderungen nicht entsprechend
seinen Verdiensten gewürdigt worden sei. Die Generaldirektion hat es am 2.
Dezember 1925 mit Rücksicht auf das Alter des Klägers (unter vierzig Jahren)
und auf dessen weitere Verwendbarkeit in der gleichen Stelle abgewiesen.
Mit dem Inkrafttreten des neuen Beamtengesetzes wurden die Bureaugehilfen I.
Klasse teils - wie der Kläger selber - unter die Verwaltungsbeamten I. Klasse
(15. Besoldungsklasse), teils unter die Sekretäre und Revisoren (12.
Besoldungsklasse) eingeteilt. Der Kläger beschwerte sich nun in einer Reihe
von Eingaben gegen seine Einreihung in die 15. Besoldungsklasse und verlangte
die Versetzung in die 12. Klasse als Revisor. Er erhielt den Bescheid, seine
Leistungen würden wohl anerkannt, doch ginge ihm die persönliche Eignung für
eine Vorgesetztenstelle ab.
Daraufhin unternahm der Kläger Schritte, um in den Ruhestand versetzt zu
werden. Er wendete sich an den Arzt Dr. N. in Luzern, verzichtete dann aber
auf dessen Zeugnis, weil dieser (gemäss einer später dem Oberbahnarzt
gegebenen Auskunft) zum Schlusse kam, dass die Erlebnisse des Klägers in der
letzten Zeit wohl eine gewisse Störung seiner Arbeitsfähigkeit bedingen, dass
aber auch seine Konstitution schuld daran sei, dass er so häufig Konflikte mit
der SBB hatte und eine unübersehbare Reihe von Reklamationen und Eingaben
machte. «Diese meine Auffassung, die ich ihm mündlich auseinandersetzte,
veranlasste ihn, mich zu ersuchen, kein Zeugnis auszustellen, da er meine
Meinung über seine seelische Struktur nicht teilen könne. Ursprünglich stellte
ich ihm eine Privatrechnung aus, doch bestand er darauf, dass ich dieselbe der
BB ausstelle, was ich mit dem ausdrücklichen Bemerken tat, dass keine
spezialärztliche

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Behandlung stattgefunden habe.» In den von Dr. N. ausgefüllten, in den Händen
des Klägers gebliebenen Formularen ist von konstitutioneller allgemeiner
Psychopathie (?) die Rede; arbeitsunfähig sei der Kläger nicht, doch sei
wahrscheinlich, dass sich das psychopathisch-neurastenische Wesen des
Exploranden durch die von ihm empfundene Nichtberücksichtigung verstärkt
habe.» - Dafür ersuchte der Kläger seinen unmittelbaren Vorgesetzten um
Veranlassung einer psychiatrischen Expertise, welche am 28. Januar 1930
bewilligt und dem Professor Dr. H. W. Maier in Zürich übertragen wurde. Dieser
Experte kam nach mehrtägiger Beobachtung zum Schluss, der Kläger «sei derart
geistig erkrankt und nicht im Prinzip besserungsfähig, dass wir ihn für
dauernd als im Bahndienst nicht mehr arbeitsfähig erachten. - S. leidet an
einer seit vielen Jahren bestehenden schleichend verlaufenden Schizophrenie
(Paranoid). Die neurologischen Untersuchungen ergaben keine Besonderheiten.
Wir halten ihn wegen seiner Psychose nicht mehr für arbeitsfähig in einem
grossen Betriebe.»
Gestützt auf diesen Bericht teilte die Kreisdirektion dem Kläger am 14. März
1930 mit, dass er mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand auf Ende Juni
1930 der Pensionskasse überwiesen werde, dass er aber schon vom 17. März an
krankheitshalber von der Arbeit fernbleiben solle.
B. - Am 12. April 1930 reichte der Kläger beim Bundesgericht gegen die
Kreisdirektion II der Schweizerischen Bundesbahnen Klage ein, mit den
Begehren:
1. Es sei über den Geisteszustand des Klägers ein gerichtliches
Expertengutachten einzuholen, um festzustellen, ob der Kläger geistig normal
und daher arbeitsfähig sei.
2. Der angefochtene Entscheid der Kreisdirektion II der S.B.B. vom 14./15.
März 1930 sei aufzuheben und der Kläger wieder in das definitive
Anstellungsverhältnis zurückzuversetzen.

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3. Die S.B.B. haben anzuerkennen und an den Kläger zu bezahlen eine
Schadenersatz- und Genugtuungssumme von 4000 Fr., eventuell gemäss
richterlichem Ermessen.
4. . . .
5. . . .
C. - Die Kreisdirektion II der S.B.B. beantragt, es sei auf die Begehren 1, 2
(und 4) nicht einzutreten und das Begehren 3 abzuweisen, eventuell es seien
alle Begehren abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.- Betreffend Rechtsbegehren 1.
Mit diesem Rechtsbegehren verlangt der Kläger die Anordnung einer
gerichtlichen Expertise über seinen Geisteszustand, zwecks Feststellung, dass
er geistig normal und arbeitsfähig sei. Er erblickt darin eine
Feststellungsklage und behauptet, das Bundesgericht habe wiederholt die
Zulässigkeit der Feststellungsklage nach eidgenössischem Recht vor
Bundesgericht als einziger Instanz anerkannt. Er beruft sich in dieser
Beziehung auf das Urteil der Ersten Zivilabteilung vom 1. April 1924 i. S.
Weixler c. Société des transports internationaux en liq. (BGE 50 II S. 51
ff.).
In dem angerufenen Entscheid hat das Bundesgericht in Bestätigung einer schon
bestehenden Praxis festgestellt, dass die Klage auf Feststellung eines
Rechtsverhältnisses vor Bundesgericht im Berufungs- wie im direkten Verfahren
davon abhänge, ob der Kläger an der Feststellung dieses Rechtsverhältnisses
ein Interesse habe, wobei das Vorhandensein dieses Interesses wiederum von den
Wirkungen abhängt, die die Beurteilung des Feststellungsbegehrens zu Gunsten
des Klägers haben könnte (BGE 50 II 56 und 57). Hier aber kann offen bleiben,
ob unter den gleichen Voraussetzungen eine Feststellungsklage auch gestützt
auf Art. 17 Abs. 1 lit. a VDG und Art. 60 Abs. 1 des Beamtengesetzes
eingereicht werden könne, und ob

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gegebenenfalls diese Voraussetzungen hier erfüllt wären. Denn die Klage ist
aus andern Gründen nicht zulässig.
Eine solche Klage würde nämlich in erster Linie zur Voraussetzung haben, dass
sie auf Feststellung eines vermögensrechtlichen Anspruches geht (Art. 17 Abs.
1 lit. a VDG und Art. 60 Abs. 1 des Beamtengesetzes). Hier aber würde es sich
überhaupt nicht um Feststellung eines Rechtsverhältnisses, sondern einer
Tatsache (des Geisteszustandes und der Arbeitsfähigkeit des Klägers) handeln.
Das Rechtsbegehren 1 ist überhaupt kein Klagebegehren im eigentlichen Sinne,
sondern ein blosser Beweisantrag. Es könnte ihm deshalb nur dann Folge gegeben
werden, wenn das zur Beurteilung der andern Rechtsbegehren, soweit diese
selber zulässig sind, erforderlich wäre.
3.- Betreffend Rechtsbegehren 2.
Auch dieses Begehren um Wiedereinstellung des Klägers in den Dienst der
Bundesbahnen ist vor Bundesgericht unzulässig.
Durch Verfügung vom 14. März 1930 hat die Kreisdirektion II der
Schweizerischen Bundesbahnen gestützt auf Art. 55 Abs. 1 des Beamtengesetzes
aus wichtigen Gründen das Dienstverhältnis des Klägers auf drei Monate
gekündet. Die Kompetenz dazu stand ihr gemäss Art. 19 Ziff. 3 des BG
betreffend die Organisation der Bundesbahnen vom 1. Februar 1923 zu, und das
Bundesgericht hat nicht zu prüfen, ob die Generaldirektion gestützt auf Art.
58 Abs. 2 des Beamtengesetzes berufen war, auf Rekurs hin diese Verfügung auf
ihre Begründetheit zu prüfen. Ebensowenig steht dem Kläger gegen diese
Verfügung selber der Rekurs ans Bundesgericht zu. Die Kompetenz zur
Wiedereinsetzung eines Beamten in sein Amt steht dem Bundesgericht nur im
Rahmen seiner Disziplinarkompetenz zu, also da, wo die Amtsentsetzung (zu
Unrecht) als Disziplinarmassnahme getroffen worden ist (Art. 31 Abs. 1 Ziff. 9
des Beamtengesetzes; Art. 40 Abs. 1 VDG). Hier dagegen ist vom Bundesgericht
nur

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zu entscheiden, ob der vom Kläger aus der Dienstentlassung hergeleitete
Entschädigungsanspruch gemäss Art. 55 Abs. 4 des Beamtengesetzes begründet sei
(rvgl. Botschaft des Bundesrates vom 18. Juli 1924 zum Entwurfe eines
Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten, BBI. 1924 III S.
192 Ziff. 4 Abs. 3).
Dementsprechend hat das Bundesgericht auch nicht zu entscheiden, ob die
Kreisdirektion II der S.B.B. der Dienstentlassung des Klägers vorgängig diesen
und seine Arbeitskollegen hätte einvernehmen sollen; denn wenn die
Dienstentlassung infolge der Unterlassung dieser Einvernahme rechtsungültig
wäre, so wäre zur Feststellung dieser Rechtsungültigkeit eben nur die
Generaldirektion im Verfahren nach Art. 58 Abs. 2 des Beamtengesetzes
zuständig.
Die vom Kläger zur Begründung seines Standpunktes angerufenen Urteile BGE 50 I
276
i. S. Näf gegen Regierungsrat Schaffhausen und 43 I 162 i. S. Pinchassow
gegen Regierungsrat Zürich betreffen etwas ganz anderes. Es handelte sich dort
um kantonale Verfügungen, die mit staatsrechtlicher Beschwerde aus Art. 4
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999
Cst. Art. 4 Langues nationales - Les langues nationales sont l'allemand, le français, l'italien et le romanche.
BV
vor Bundesgericht angefochten worden sind, während hier die Verfügung einer
Bundesbehörde in Frage steht, gegen welche der staatsrechtliche Rekurs nicht
ergriffen werden kann.
4.- Betreffend Rechtsbegehren 3.
Mit diesem Begehren verlangt der Kläger von den S.B.B. eine Entschädigung von
4000 Fr. wegen ungerechtfertigter Aufhebung des Dienstverhältnisses.
Die Kompetenz des Bundesgerichts zur materiellen Beurteilung dieses Begehrens
wird nicht bestritten und steht ausser Zweifel (vgl. Erw. 3 zum Rechtsbegehren
2). Die S.B.B. verweisen aber diesem Begehren gegenüber auf Art. 55 Abs. 5 des
Beamtengesetzes, wonach der Beamte keinen Anspruch auf Entschädigung hat, wenn
das Dienstverhältnis wegen Invalidität umgestaltet oder aufgelöst worden ist.
Auch steht ausser Zweifel, dass das Dienstverhältnis von den Bundesbahnen
wegen.

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Invalidität aufgelöst worden ist. Es fragt sich deshalb, ob das Bundesgericht
die Frage der Invalidität des Klägers überprüfen könne, und wenn ja, wie sie
zu beantworten sei.
Art. 60 Abs. 2 des Beamtengesetzes bestimmt: «Bei der Beurteilung von
Ansprüchen auf Kassenleistungen wegen Auflösung des Dienstverhältnisses oder
Nichtwiederwahl entscheidet das Bundesgericht selbständig, ob die Massnahme
vom Versicherten oder Spareinleger verschuldet ist, gegebenenfalls, ob
dauernde Invalidität vorliegt.» Diese Vorschrift muss analog auch auf den Fall
angewendet werden, wo aus angeblich ungerechtfertigter Aufhebung des
Dienstverhältnisses ein Entschädigungsanspruch abgeleitet wird; denn die
gegenteilige Lösung hätte zur Folge, dass die Verwaltung sich bei jeder
Entlassung auf Invalidität berufen und damit die Kognition des Bundesgerichts
über die Frage der Entschädigungsberechtigung illusorisch machen könnte. - Das
Bundesgericht hat also zu prüfen, ob der Kläger in einem Masse invalid sei,
das die S.B.B. zu seiner Entlassung aus dem Bahndienst berechtigte.
Dieses Mass von Invalidität ist nun aber rechtsgenüglich ausgewiesen. . .
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird, soweit auf sie eingetreten werden kann, abgewiesen.