250 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. [. Materiellrecmliche Entscheidungen.

7. Haftpflicht für elektrische Anlagen. Responsabüité civile en matière
d'installations électriques.

. 40. Zweit vom 31. Januar 1912 in Sachen Fleklrizilätsgesellschast
(LL-@. in Meilen. Bekl. u. Ber.-Kl., gegen game Bender-(Yubuk und Kinder,
Kl. u. Bein-Bett

Art. 27 EIS: Es genti./][ für clie Elektrizftàtshaflpfiichi, dass hir
Hetriss-l; der vlektrisclwn Aula-ye (lil' L'orwù'yemlr' L'rsm'lm das
Url/alles ist, EURle wenn dazu-i als weitere Ursaciee dus sciauM/m/Ir'
Vea-Izzziten Pines Drei-en titligeeuärzst Mi-

A. Durch Urteil vom 26. Oktober 1911 hat die II. Appellationskaunner
des Qbergerichtes des Kantons Zürich über die Streitfrage:

Jst die Beklagte pflichtig, an die Kläger 8000 Fr. nebst Zins zu :")
"sso seit 19. September 1910 zu bezahlen?

erkannt:

Die Beklagte ist verpflichtet, an die Kläger 7000 Fr. nebst ging zu =')
0 seit 19. September 1910 zu bezahlen.

Die Piehtsforderung wird abgewiesen

B. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
erklärt und beantragt, es sei die Klage gänzlich abzuweisen, eventuell
es sei die den Klägern zugesprochene Summe im Quantitativ angemessen
herabzttietzen.

C. sGewährung des Armenrechtéi).

D. Sn der heutigen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten
Gutheissung, der Vertreter der Kläger Abweisung der Berufung unter
Kostenfolge beantragt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

'l. Zu der Gemeinde Meilen wird die Strassenbeleuchtung von der Beklagten
besorgt. Diese hatte am westlichen, an eine Wiese anstossenden Rande der
Wintelstrasse, die von der Seestrasze aus dergwärts zur alten Landstrasse
geht eine ziemlich hohe,7. Haftpflicht für elektrische Anlagen. N° 40. 251

hölzerne Stange zur Befestigung einer Strassenlampe aufgestellt. Zu dieser
Stange führten von der Landstrasse aus zwei Bronze: drähte und zwar
zunächst zu oben an der Stange angeln-achten Jsolatoren. Der westliche
Zuleitungsdraht wurde vom Jsolator als blanke Steigleitung zu einem aus
der Höhe der Lampe befindlichen Krückenisolator heruntergeführt. Dort
war er mit einem isolierten Draht verbunden, der seitlich nach Osten
zu in den eisernen Auslegerarm und von da über die Lampe und den
bergwärts aus gleicher Höhe befindlichen Sicherungsisolator wieder
hinaus zum zweiten oberen Jsolator führte, wo er an den östlichen zur
alten Landstrasse hinausgehenden Bronzedraht angeschlossen war. Etwas
unterhalb der beiden oberen Jsolatoren war ein nicht isoliertes
Ankerdrahtseil um die Stange geschlungen, das seewärts hinunter zu der
Mauer eines aus derselben Seite derStrasse befindlichen Gartens führte
und dort befestigt war. Jnfolge einer Strassentorrektion musste der
Eigentümer dieses Gartens die erwähnte Mauer versetzen. Er übertrug
diese Versetzung dem etwa 60jährigen Maurer Gassner in Meilen. Monta),
den 19. September 1910 machte sich dieser an die Arbeit. Dabei zeigte
es sich, dass das Ankerdrahtseil von der Gartenmaner losgelöst werden
musste. Infolgedessen hieb es Gassner durch. Sein Arbeiter Bolleter,
der Ehemann und Vater der Klager, nahm dann das Seil in die Hand, um es
um die Lampenstange herum zu wickeln. Als er aber links von der Stange
durch die Wiese ging, kam das Drahtseil mit der blanken Steigleitung
des westlichen Zuleitungsdrahtes in Berührung. Dies hatte zur Folge,
dass Bolleter, obwohl die Lampe nicht brannte, elektrischen Strom von
350 Volt Spannung erbielt, dadurch zu Boden geworfen und, weil er das
Seil nicht loslassen konnte, getötet wurde. Gassner sah anfänglich vor
Schrecken regungslos zu und wusste nicht, wie er helfen sollte. Irgend
welche Warnungstafeln befanden sich nicht an der Stange.

Jn einer gegen Gassner eingeleiteten Strafuntersuchung wurde über die
in Betracht fallenden technischen Fragen-ein Gutachten erhoben. Danach
hätte die Steigleitung des Zuleitungsdrahtes normalerweise nicht
unter Spannung sein sollen. Diese war nur wegen einer unzweckmässigen
Strassenlampenschaltung und eines zufällig im Verteilungsnetz entstandenen
Jsolationsfehlers vor-

252 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. .I. Materiellrechfliche
Entscheidungen.

handen. Solche Jsolationsfehler können zwar nach dem Gutachten nie
dauernd verhütet werden; indessen ist es möglich, durch eine normale
Lampenschaltung zu verhindern, dass infolge eines solchen Fehlers
erdwärts eine Spannung entsteht. Das Gutachten führt sodann ans: Es
muss erwähnt werden dass mit der rechtlich unbesngten Beseitigung des
Ankers noch keineswegs auch ein Unfallrisiko verbunden war, das Gassner
hätte voraussehen können; denn wenn er das Ankerseil von der Strasse
aus selbst eiugeholt, zu einem Ringe aufgerollt und diesen am Fusse der
Stauge abgelegt hätte, so wäre ihm voraussichtlich nichts passiert, weil
der Anker wahrscheinlich nur den Strassenlampenausleger, eventuell den
isolierteu Einführungsdraht in den letztern hätte berühren können. Man
kann sich nun allerdings fragen, ob sich Gainer nicht dadurch eines
groben Versehens schuldig

gemacht har, dass er den Volleter nicht genau anwies, den Anker _

auf die angedeutete Art zu Bergen; allein man würde dabei voraussetzen,
Gassner habe wissen können, dass eine Bewegung des Auf-ers nach der
andern Seite wegen der Nähe des Lampendrahtes gefährlich sei.

Nach meinem Dafürhalten geht eine solche Annahme bei einem ,.,technisch
ungebildeten alten Manne zu weit; ja ich halte es für sehr wohl möglich,
dass unter Umständen selbst ein Elektrotechniker aus dem Nichtbrennen
der Strassenlampe auf die Ungefährlichkeit der Zuleitung geschlossen
haben würde, weil diese letztern in ähnlichen Verteilungsanlagen wie
diejenige in Meilen tagsüber stromlos sind; tatsächlich würde z. B. ganz
die gleiche Manipulation im benachbarten Uetikou dem Bolleter nicht
verhängnisvoll gewerben sein.

Bolleter war am 1. Dezember 1855 geboren und hinterliess aus dritter Ehe
eine Witwe Luise geb. Gubler und aus zweiter Ehe zwei minderjährige Kinder
Hulda und Hermann, die im vorliegenden Prozesse als Kläger auftreten. Die
Witwe ist im Jahre 186? geboren, Hulda am 14. Juni 1900 und Hermann am
11. Oktober 1903. Die Vorinsianz hat angenommen, dass Bolleter, der neben
der Ausübung des Maurerberufs sich noch als Taglöhner verdingte und auf
seinem eigenen kleinen Heimwesen arbeitete, 1300 Fr. jährlich verdient
und hievon 300 Fr. für sich gebraucht7. Haftpflicht für eiektrische
Anlagen. N° 40. 253

habe und dass er etwa noch 10 Jahre erwerbssähig gewesen ware. Jndetn
sie sodann davon ausging, dass vom Jahresverdienst Bolleters der Ehefrau
800 Fr. und jedem Kinde je 250 Fr. zugekommen wären, berechnete sie für
die Witwe eine Entschädigung von 300 Fr. auf 10 Jahre, für das Mädchen
Hulda eine solche von 250 Fr. auf 7 Jahre und für den Knaben Hermann eine
solche von 250 Fr. auf 10 Jahre. Den hieraus sich ergebenden Gesamtbetrag
reduzierte sie aus 7000 Fr.

2. Der Klage gegenüber hat die Beklagte in erster Linie geltend gemacht,
dass der Unfall im Sinne des Art. 27 EW durch Verschulden oder Versehen
eines Britten, nämlich des Maurers Gassner, verursacht worden sei. Sie
erblickt dies Verschulden oder Bersehen darin, dass Gassner das Drahtseil
abhieb und dem Bolleter

übergab, ohne ihm zu sagen, wie er sich verhalten folle. Um die

Begründetheit der erwähnten Einrede beurteilen zu können, ist zunächst
auf Grund und Zweck der Haftpflicht des Art. 27 ElG zurückzugehen. Wie die
Eisenbahnhaftpflicht aus der Erkenntnis beruht, dass der Eisenbahnbetrieb
für alle damit in Berührung kommenden Personen eine über die Unfallgefahr
des gewöhnlichen Lebens hinausgehende Gefahr bildet und dass es
angemessen ist, das ökonomische Risiko dieser besondern Betriebsgefahr
den Eisenbahnunternehmungen aufzuerlegen (BGE 33 II S. 22), so ent'
springt auch die in Art. 27 ElG normierte Haftpflicht aus elektrischen
Anlagen dem Gedanken, dass Leben und Gesundheit von Personen, sobald
sie' mit solchen im Betrieb stehenden Anlagen in Berührung kommen, in
höherem Masse, als es im gewöhnlichen Leben der Fall ist, bedroht sind
und dass daher der Betriebsinhaber für die ökonomischen Folgen einer in
Verwirklichung dieser besondern Gefahr durch den Betrieb verursachten
Schädigung von Leben und Gesundheit einzustehen habe. Nun ist es im
Haftpflichtrecht längst anerkannt, dass von den notwendigen Bedingungen
die zu einem Unfall geführt haben, nicht immer bloss eine einzige als
Ursache im Rechtssinn in Betracht kommt, sondern die Sache oft so liegt,
dass mehrere der notwendigen Bedingungen als rechtlich selbständige-,
konkurrierende Unfallsursachen anzusehen sind (oergl. z. B. BGE 36 II
S. 130
). Es kann nun im vorliegenden Falle dahingestellt Bleiben, ob
die Haftpflicht aus dem Betrieb elektrischer

254 A. Oberste Zivilgerichtsinstcnz. _l. Haterieflrechfliche
Enwcheidungen.

Anlagen analog der Eisenbahnund der Fabrikhaftpflicht grundsätzlich
in allen Fällen gegeben ist, wo dieser Betrieb wenigstens eine von
mehreren Ursachen eines Unfalles bildet (vergl. BGE 3311S. 500 ff., 35
II ©. 24 und 436 f., 36 II S. 130). Dagegen muss die Haftpflicht ihrem
Grund und Zweck gemäss jedenfalls immer eintreten, wo der Betrieb einer
elektrischen Anlage bei Ursachenkonkurkenz die vorwiegende Ursache eines
Unfalles bildet, also auch dann, wenn neben dem Betriebe, aber in weniger
bedeutender Weise, ein schuldhafies oder unachtsames Verhalten eines
Dritten den unfall mitverursacht hat. Die Verwirklichung der besondern
Betriebsgesahr bildet ja den Grund der Haftpflicht, und es wäre nun
kaum verständlich, wenn trotz einer durch den Betrieb verursachten
Schädigung die Haftpflicht wegfiele, sobald neben dem Betriebe auch
nur in ganz nebensächlicher Weise ein Verschulden oder Versehen eines
Dritten für einen Unfall kansal wàre. Es besteht zudem kein Grund, der es
rechtfertigte, im Gegensatz zum Eisenbahnund Fabrikhaftvflichtrecht die
Haftung bei Ursachenkonkurrenz selbst da auszuschliessen, wo der Unfall
hauptsächlich eine Folge der besondern Betriebsgefahr ist, zumal da, wie
bei der Beratung des Elektrizitätsgesetzes in den Reiten hervorgehoben
wurde, das Publikum mit den besondern Gefahren der elektrischen Anlagen
viel weniger vertraut ist als z. B. mit denjenigen des Eisenbahnbetriebes
und deshalb nach dem Wortlaut des Art. 27 EIG nur ein grobes Verschulden
des Getöteten oder Verletzten haftbefreiend wirken soll, während am. 1
EHG einfach von einem Verschulden spricht.

3. Was nun die Verursachung des vorliegenden Unfalles betrifft, so
kommen als dessennotwendige Bedingungen in Frage einmal auf Seite
Gassners das Abhauen des Ankerdrahtseiles und allenfalls, sofern
man annehmen wollte, Gassner habe mit der Gefahr einer Berührung der
Steigleitung rechnen müssen , die Unterlassung einer Instruktion über
die Manipulation mit dem Seite, sodann der Umstand, dass Bolleter links
neben der Stange vorbeigehen wollte und infolgedessen mit dem Drahtseil
die Steigleitung des Zuleitungsdrahtes berührte, und endlich der Betrieb
der Elektrizitätsanlage, insbesondere der vorhandene Jsolationsfehler,
die unzweckmässige Lampenschaltnng und die dadurch erd-7. Haftpflicht
für elektrische Anlagen. N° 40. 255

wärts herbeigeführte Spannung. Wenn man davon ausgeht, dass eine sich
als notwendige Bedingung eines bestimmten Erfolges erweisende Handlung
dann Ursache im Rechtssinn ist, wenn sie die objektive Möglichkeit
eines Erfolges von der Art desjenigen, der eingetreten ist, generell in
nicht unerheblicher Weise erhöht und man für das Möglichkeitsurteil das
gesamte Erfahrungswissen zu Grunde legt und alle zur Zeit der Begehung
der Handlung vorhandenen Bedingungen, die zu diesem Zeitpunkte dem
einsichtigsien Menschen erkennbar gewesen wären, vor-aussetzt ('I-tdg er,
Kausaldegriff, S. 159), so wird man zwar kaum den ursächlichen Charakter
des Abhauens des Drahtseiles und allenfalls der Unterlassung einer
zweckentsprechendeu Instruktion verneinen können, da die Tillöglichkeit
der Berührung der Steigleitung mit dem Drahtseile erst hiedurch eintrat,
während sie vor dem Abhauen ausgeschlossen war und der einsichtigste
Mensch auf Grund des gesamten Erfahrungsivissens mit der Illiöglichteiy
dass elektrischer Strom in der Leitung sei, wohl hätte rechnen müssen.
Zum nämlichen Iliesultate führte übrigens auch die von L. v. Bat(Die
Schuld nach dein Strafgesetze S. 161 fi.) aufgestellte Kausaltheorie,
nach der eine Haftung nur für denjenigen Berlan einer Handlung eintritt,
der sich als ein leicht möglicher einer vernünftigen Beachtung des
Handelnden nicht entziehen konnte. Die angeführten Ursachen stehen
aber an Bedeutung weit hinter den vom Betrieb gesetzteu kamaleii
Umständen zurück. Es leuchtet ein, dass der Betrieb schon deshalb als
llufallsursache anzusehen ist, weil er generell geeignet ist, solche
llnfälle, bei denen ein Verhalten in der Art desjenigen des Gauner und
des Bolle-ter eine Rolle spielt, herbeizuführen Wie sich aus dem ganzen
Vorgang, insbesondere dem Verhalten Gassners beim Unfall ergibt, hatten
weder dieser noch Bolleter eine Ahnung von der vorhandenen Gefahr-; sie
wurden von der Wirkung des elektrischen Stromes vollständig überrascht
Weder die tatsächlichen Umstände noch ihre Kenntnisse waren, wie auch
das Erpertengutachten ausführt, geeignet, ihnen die Gefahr deutlich
zum Bewusstsein zu bringen. Ihr Verhalten ist daher keineswegs als ein
durchaus regelwidriges, nicht voraussehbares anzusehen, und es muss
daher bei der Einrichtung und Organisation des Betriebes eiektrischer
Anlagen mit einem der-

%6 A.. Oberste Zivilgerichtsinstanz. l. Maieriellrechcliehe
Entscheidungen.

artigen Verhalten gerechnet werden (vergl. hiezu BGE 33 II S. 23).
Weder was Wagner, noch was Bollcter getan hat, könnte daher den
Kausalznsammenhang zwischen dein Betriebe der Beklagten und dem unfair
ausschliessen Dazu kommt aber, dass der Unsall nicht bloss allgemein durch
die Besonderheit des Betriebes, sondern noch durch Unregelmässigkeiten im
Betriebe, den Jsolationsfehler und die nnzweckmassige Lampenschaltung,
wodurch die normale Betriebsgefahr noch erhöht worden war, weiter
genere!! begünstigt worden ist. Die im Betriebe liegenden kausalen
Umstände müssen daher zweifellos als die vorwiegenden Ursachen des
Unfalles betrachtet werden und zwar sowohl im Verhältnis zum Verhalten
Gassners als auch zu demjenigen Bolleters. Beiden gegenüber fällt ins
Gewicht, dass nach dem Erpertengutachten selbst ein Elektrotechniker
unter Umständen angenommen hatte, es befinde sich zur Zeit in der
Lampenleitung kein Strom und dass auch die Manipulation Bolleters im
Nachbardors Uetikon nicht zu einem Unsall geführt hatte. Das Abhanen
des Drahtseiles sodann war an sich ungefährlich und die Möglichkeit der
Berührung mit dem Zuleitungsdraht der Steigleitung lag immerhin nicht
sehr nahe. Der Kontakt konnte nur dadurch eintreten, dass Bolleter
links neben der Stange vorbeiging und zwar so weit weg von dieser,
dass das Drahtseil über dem Krückenisolator durchging. Wäre er näher
bei der Stange vorbei oder geradewegs aus diese losgegangen, so hätte
das Ankerdrahtseil bloss den isolierten Einsührungsdraht berührt, und
wenn er nach rechts hätte um die Stange herum gehen wollen, so wäre das
Drahtseil nur mit dem eisernen Auslegerarm in Berührung gekommen. Liegt
somit im Betrieb der Strassenbeleuchtungsanlage die Hauptursache des
Unfalls, so wäre die Haftpflicht auch dann nicht ausgeschlossen, wenn
dem Gassner ein Verschulden oder Versehen zur Last fiele. Es braucht
daher nicht untersucht zu werden, ob im Abhauen des Drahtseiles und in
der Unterlassung einer zweckmässigen Instruktion über dessen Handhabung
ein Verschulden oder Versehen Gassners liege.

4. Mit Unrecht macht die Bellagte im weitern geltend, Bolleter habe
sich im Sinne des Art. 35 ElG mit wissentlicher Übertretung von bekannt
gegebenen Schutzvorschriften und Warnungen mit der elektrischen Anlage
in Berührung gebracht. Selbst7. Haftpflicht für elektrîsc he'Anlagen. N°
40. 257

wenn es, wie die Beklagte behauptet, richtig wäre, dass sie vor Jahren in
den Zeitungen wiederholt die Leitungen als ulebensgefährlich bezeichnet
und vor deren Berührung gewarnt hatte, so ginge daraus noch nicht mit
Sicherheit hervor, dass Bolleter von diesen Bekanntmachungen Kenntnis
erhalten hatte. Pach. dem Wortlaut desArt. 35 ElG, der ausdrücklich den
Nachweis einer wissentlichen Übertretung verlangt, darf eine solche
wissentliche Ubertretung nicht leichihin als vorhanden angenommen
werben. Dazu kommt, dass, wenn auch Bolleter von den angeblichen
Behanntmachungen Kenntnis gehabt hatte, es sich doch nicht um eine
Ubertretung der veröffentlichten Warnungen handeln·könnte, da sich die
erlassenen Warnungen jedenfalls nicht auf die Beruhrnng von Ankerseilen
bezogen. Sofern man sodann auch annehmen wollte, im Abhauen des
Drahtseiles liege ein widerrechtlicher Eingriff m die Betriebssphäre,
so wäre dies doch unerheblich weil diese Handlung nicht dem Bolleter
zur Last fällt. Das Beiseiteschaffen des frei hängenden Drahtseiles ist
natürlich kein wider-rechtlicher Eingriff in den Betrieb, sondern eine
Handlung, die an sich durchaus zweckmässig war und im eigenen Interesse
der Beklagten lag.

5. Wie die Vorinstanz mit Recht ausgeführt hat, kann auch von einem
groben Verschulden Bolleters keine Rede sein. ,(an solches läge nur
dann vor, wenn Bolleter eine offendere! sinnensallige Gefahr missachtet
hatte. Dass dies nicht der Fall ist, ist bereits unter Erw. 3 dargetan
worden. Es mag nur noch darauf verwiesen werden, dass die Leitung bloss
zur Speisung einer Strassenlampe diente und daher das Nichtbrennen
dieser Lampe jemanden, der mit dem Funktionieren einer elektrischen
Anlage nichtwertraut isf, gewiss leicht zum Glauben verleiten konnte,
die Leitung sei

omlos. str6. Was die Bestimmung der Höhe der Entschädigung betrifft,
so handelt es sich hiebei in der Hauptsache um Tatfragen, die sich der
Nachprüfung des Bundesgerichtes entziehen-. Dies gilt insbesondere
in Beziehung auf die Ermittlung des Einkommens, das Bolleter gehabt
hatte. Hiefür ist nach .Art. 81 OG die Feststellung der letzten kantonalen
Instanz massgebend und nicht diejenige der ersten Instanz, wenn diese
auch, wie die Beklagte ausführt, die Verhältnisse Bolleters besser kannte
als jene. Davon, dass

AS 38 II 1912 17

258 A. Oberste Zivilgerichtsinstonz. [. Materiellreohtliche
Entscheidungen.

die Annahme, Bolleter habe 1300 Fr. verdient, aktenwidrig sei, kann
keine Rede sein; aus den Akten geht die Unrichtigkeit dieser Annahme
nicht hervor. Die Vorinstanz hat auch nicht etwa entgegen dem Art. 51
aOR es unterlassen, die Umstände zu würdigen, oder ihrer Annahme einen
für die Haftpflichtentschädigung nicht massgebenden Einkommensbegriff
zu Grunde gelegt. Vielmehr hat sie mit Recht auch die Nebeneinkünfte
berücksichtigt. Die Frage, wieviel vom Einkommen Bolleters für seinen
persönlichen Unterhalt und wieviel für denjenigen von Frau und Kinder zu
rechnen sei, ist eine solche des richterlichen Ermessens. Die Beantwortung
derartiger Fragen durch die kantonalen Gerichte pflegt das Bundesgericht
nur darauf zu überprüfen, ob der kantonale Richter dabei von feinem
Ermessen einen offenbar unrichtigen Gebrauch gemacht habe. Dies ist aber
hier nicht der Fall. Die Berechnung der Vorinstanz entspricht vielmehr
den Ansätzen, die das Bundesgericht in derartigen Fällen seinen Urteilen
zu Grunde gelegt hat (vergl. BGE 36 II S. 96). Mit Recht hat sodann die
Vorinftanz keinen Abzug für Kapitalabfindung gemacht, da die den einzelnen
Klägern zugesprochenen Beträge eine kapitalistische Verwendung nicht
ermöglichen. Es könnte sich höchstens fragen, ob für die Entschädigung,
soweit sie sich auf die künftigen Jahre bezieht, ein Diskont abzuziehen
sei. Da es sich aber um eine verhältnismässig kurze Zeit handelt,
so würde sich ein derartiger Abzug nicht rechtfertigen Zudem hat ja
die Vorinstanz vondem nach ihrer Rechnung sich ergebenden Gesamtbetrag
bereits 250 {er. abgezogen Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil der II. Appellationskammer des
zürcherischen Obergerichts vom 26. Oktober 1911 in allen Teilen bestätigt

8.Haftung des Staaten aus Handhadung der Amtsgewalt. N° 41. 1259

8. Haftungdes Staates aus der Handhabung der Amtsgewalt. -Responsabflité
de l'Etat pour les act-es de fonotionnaires.

41. Sentenza 27 aprile 1912 della la Sezione civile nella eau-8a Bossi,
attore, contro Cantone Ticino, convenuto.

Applicazione dell'art. 24 della Legge federale solle derrate alimentari.
Natura della responsahilità dello Stato. Criteri determi- nanti la
giustificazione o meno del sequeetro. Danno risarcibile.

Le Camere. civile del Tribunale di Appello del Ticino pronunciava con
sentenza 9 novembre 1911 :

c 1° Le domande contenute nella petizione di cause 'non sono ammesse.

2° Le spese giudiziarie sono a carico dello Stato, com pensate le
ripetibili.

Appellanti da questo giudizio:

a) l'attore, il quale con atto 13 dicembre 1911 conchiude domandando:

la conferma della petizione di cause nel senso che lo Stato del Cantone
Ticino venga obbligato a pagare ell'istante la somma. di fr ..... (a
giudizio del giudice) per risarcimento danni materiali e morali : colla
rifnsione delle spese giudiziarie e ripetibili, quest'ultime nell'importo
di fr. 500;

subordimtamente : che lo Stato sia tenuto a pagare all'istante la somma
di fr. 405 a titolo di risarcimento danni materiali, colla rifusione
delle spese come sopra;

b) in via adesiva, il convenuto, il quale conchinde a. che le spese
della. causa siano addossate all'attore, condannato quest'nltimo alla
rifnsione di fr. 500 per ripetibili e confermato il dispositivo 1°
della. sentenza appellata;

Presenti agli odierni dibattimenti irappresentanti di ambedue le parti,i
quali si riconfermano nelle loro conclnsioni scritte ;