Urteilskopf

146 IV 226

23. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) 6B_1188/2018 vom 26. September 2019

Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 227

BGE 146 IV 226 S. 227

A. Das Bezirksgericht Bülach erklärte A. am 26. April 2018 der mehrfachen, teilweise groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig. Es bestrafte sie mit einer bedingten Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu Fr. 150.- sowie einer Busse von Fr. 4'000.-. Dagegen erhob A. Berufung. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 9. Oktober 2018 das erstinstanzliche Urteil.
B. A. führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
BGE 146 IV 226 S. 228

C. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Obergericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Die Strafprozessordnung enthält Bestimmungen zu den verbotenen Beweiserhebungen (Art. 140
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 140 Verbotene Beweiserhebungsmethoden - 1 Zwangsmittel, Gewaltanwendung, Drohungen, Versprechungen, Täuschungen und Mittel, welche die Denkfähigkeit oder die Willensfreiheit einer Person beeinträchtigen können, sind bei der Beweiserhebung untersagt.
1    Zwangsmittel, Gewaltanwendung, Drohungen, Versprechungen, Täuschungen und Mittel, welche die Denkfähigkeit oder die Willensfreiheit einer Person beeinträchtigen können, sind bei der Beweiserhebung untersagt.
2    Solche Methoden sind auch dann unzulässig, wenn die betroffene Person ihrer Anwendung zustimmt.
StPO) und zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise (Art. 141
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 141 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise - 1 Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.
1    Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.
2    Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.
3    Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar.
4    Ermöglichte ein Beweis, der nach Absatz 1 oder 2 nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nur dann verwertbar, wenn er auch ohne die vorhergehende Beweiserhebung möglich gewesen wäre.75
5    Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet.
StPO). Wieweit die Beweisverbote auch greifen, wenn nicht staatliche Behörden, sondern Privatpersonen Beweismittel sammeln, wird in der Strafprozessordnung nicht explizit geregelt. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung geht in Anlehnung an die Doktrin davon aus, dass von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur verwertbar sind, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht (Urteile 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E. 2.4.4; 6B_786/2015 vom 8. Februar 2016 E. 1.2; je mit Hinweisen).
2.2 Bei der Interessenabwägung hat das Bundesgericht bereits vor Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung festgehalten, dass es einer Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung und dem privaten Interesse der angeklagten Person bedarf, dass der fragliche Beweis unterbleibt (BGE 137 I 218 E. 2.3.4 mit Hinweisen). Hinsichtlich staatlich erhobener Beweise nimmt Art. 141 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 141 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise - 1 Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.
1    Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.
2    Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.
3    Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar.
4    Ermöglichte ein Beweis, der nach Absatz 1 oder 2 nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nur dann verwertbar, wenn er auch ohne die vorhergehende Beweiserhebung möglich gewesen wäre.75
5    Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet.
StPO eine solche Interessenabwägung nunmehr selber vor. Demnach dürfen Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich. Aus der Sicht der beschuldigten Person ist es unerheblich, durch wen die Beweise erhoben worden sind, mit welchen sie in einem gegen sie gerichteten Strafverfahren konfrontiert wird. Es erscheint deshalb angemessen, bei der Interessenabwägung im Sinne der oben erwähnten Rechtsprechung denselben Massstab wie bei staatlich erhobenen Beweisen anzuwenden und Beweise, die von Privaten rechtswidrig erlangt worden sind, nur zuzulassen, wenn dies zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich ist. Dies drängt sich umso mehr auf, als Art. 150 des Vorentwurfes zur Schweizerischen Strafprozessordnung noch vorsah, dass Beweise, die von Privaten auf strafbare
BGE 146 IV 226 S. 229

Weise erlangt wurden, nur verwertet werden dürfen, wenn das öffentliche oder private Interesse an der Wahrheitsfindung die durch die verletzten Strafbestimmungen geschützten Interessen überwiegt und diese Bestimmung nach scharfer Kritik im Vernehmlassungsverfahren keinen Eingang in die Botschaft fand. Kritisiert wurde unter anderem, dass die blosse Interessenabwägung bei der rechtswidrigen Beweiserhebung durch Private eine nicht gerechtfertigte Besserstellung gegenüber rechtswidrigen staatlichen Beweiserhebungen darstelle (zum Ganzen: GUNHILD GODENZI, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, 2008, S. 335 f.).

3.

3.1 Das Erstellen von Aufnahmen im öffentlichen Raum, auf welchen Personen oder Autokennzeichen erkennbar sind, stellt ein Bearbeiten von Personendaten im Sinne von Art. 3 lit. a
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 3 Räumlicher Geltungsbereich - 1 Dieses Gesetz gilt für Sachverhalte, die sich in der Schweiz auswirken, auch wenn sie im Ausland veranlasst werden.
1    Dieses Gesetz gilt für Sachverhalte, die sich in der Schweiz auswirken, auch wenn sie im Ausland veranlasst werden.
2    Für privatrechtliche Ansprüche gilt das Bundesgesetz vom 18. Dezember 19874 über das Internationale Privatrecht. Vorbehalten bleiben zudem die Bestimmungen zum räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs5.
und e des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) dar (BGE 138 II 346 E. 6.5; SOPHIE HAAG, Die private Verwendung von Dashcams und der Persönlichkeitsschutz, in: Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht, 2016, S. 171 ff., 172). Art. 4 Abs. 4
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 4 Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter - 1 Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) beaufsichtigt die Anwendung der bundesrechtlichen Datenschutzvorschriften.
1    Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) beaufsichtigt die Anwendung der bundesrechtlichen Datenschutzvorschriften.
2    Von der Aufsicht durch den EDÖB sind ausgenommen:
a  die Bundesversammlung;
b  der Bundesrat;
c  die eidgenössischen Gerichte;
d  die Bundesanwaltschaft: betreffend die Bearbeitung von Personendaten im Rahmen von Strafverfahren;
e  Bundesbehörden: betreffend die Bearbeitung von Personendaten im Rahmen einer rechtsprechenden Tätigkeit oder von Verfahren der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen.
DSG bestimmt, dass die Beschaffung von Personendaten und insbesondere der Zweck ihrer Bearbeitung für die betroffene Person erkennbar sein muss. Die Missachtung dieses Grundsatzes stellt eine Persönlichkeitsverletzung dar (Art. 12 Abs. 2 lit. a
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 12 Verzeichnis der Bearbeitungstätigkeiten - 1 Die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter führen je ein Verzeichnis ihrer Bearbeitungstätigkeiten.
1    Die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter führen je ein Verzeichnis ihrer Bearbeitungstätigkeiten.
2    Das Verzeichnis des Verantwortlichen enthält mindestens:
a  die Identität des Verantwortlichen;
b  den Bearbeitungszweck;
c  eine Beschreibung der Kategorien betroffener Personen und der Kategorien bearbeiteter Personendaten;
d  die Kategorien der Empfängerinnen und Empfänger;
e  wenn möglich die Aufbewahrungsdauer der Personendaten oder die Kriterien zur Festlegung dieser Dauer;
f  wenn möglich eine allgemeine Beschreibung der Massnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit nach Artikel 8;
g  falls die Daten ins Ausland bekanntgegeben werden, die Angabe des Staates sowie die Garantien nach Artikel 16 Absatz 2.
3    Das Verzeichnis des Auftragsbearbeiters enthält Angaben zur Identität des Auftragsbearbeiters und des Verantwortlichen, zu den Kategorien von Bearbeitungen, die im Auftrag des Verantwortlichen durchgeführt werden, sowie die Angaben nach Absatz 2 Buchstaben f und g.
4    Die Bundesorgane melden ihre Verzeichnisse dem EDÖB.
5    Der Bundesrat sieht Ausnahmen für Unternehmen vor, die weniger als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen und deren Datenbearbeitung ein geringes Risiko von Verletzungen der Persönlichkeit der betroffenen Personen mit sich bringt.
DSG).
3.2 Die Erstellung von Videoaufnahmen aus einem Fahrzeug heraus ist für andere Verkehrsteilnehmer nicht ohne Weiteres erkennbar. Die Datenbearbeitung ist damit als heimlich im Sinne von Art. 4 Abs. 4
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 4 Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter - 1 Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) beaufsichtigt die Anwendung der bundesrechtlichen Datenschutzvorschriften.
1    Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) beaufsichtigt die Anwendung der bundesrechtlichen Datenschutzvorschriften.
2    Von der Aufsicht durch den EDÖB sind ausgenommen:
a  die Bundesversammlung;
b  der Bundesrat;
c  die eidgenössischen Gerichte;
d  die Bundesanwaltschaft: betreffend die Bearbeitung von Personendaten im Rahmen von Strafverfahren;
e  Bundesbehörden: betreffend die Bearbeitung von Personendaten im Rahmen einer rechtsprechenden Tätigkeit oder von Verfahren der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen.
DSG zu qualifizieren. Der zutreffenden Auffassung von HAAG folgend würden auch allfällige am Fahrzeug angebrachte Hinweisschilder daran nichts ändern, zumal solche bei grossem Verkehrsaufkommen oder auf Distanz nur schwer zu erkennen sind und die betroffenen Personen diese - wenn überhaupt - erst wahrnehmen, wenn sie bereits gefilmt werden. Zudem sind Fahrzeugführer verpflichtet, ihre Aufmerksamkeit dem Verkehrsgeschehen zu widmen, weshalb von ihnen nicht erwartet werden kann, dass sie nach Hinweisen an anderen Fahrzeugen Ausschau halten (HAAG, a.a.O, S. 174; siehe auch BGE 138 II 346 E. 9.1).
3.3 Eine Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 12
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 12 Verzeichnis der Bearbeitungstätigkeiten - 1 Die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter führen je ein Verzeichnis ihrer Bearbeitungstätigkeiten.
1    Die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter führen je ein Verzeichnis ihrer Bearbeitungstätigkeiten.
2    Das Verzeichnis des Verantwortlichen enthält mindestens:
a  die Identität des Verantwortlichen;
b  den Bearbeitungszweck;
c  eine Beschreibung der Kategorien betroffener Personen und der Kategorien bearbeiteter Personendaten;
d  die Kategorien der Empfängerinnen und Empfänger;
e  wenn möglich die Aufbewahrungsdauer der Personendaten oder die Kriterien zur Festlegung dieser Dauer;
f  wenn möglich eine allgemeine Beschreibung der Massnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit nach Artikel 8;
g  falls die Daten ins Ausland bekanntgegeben werden, die Angabe des Staates sowie die Garantien nach Artikel 16 Absatz 2.
3    Das Verzeichnis des Auftragsbearbeiters enthält Angaben zur Identität des Auftragsbearbeiters und des Verantwortlichen, zu den Kategorien von Bearbeitungen, die im Auftrag des Verantwortlichen durchgeführt werden, sowie die Angaben nach Absatz 2 Buchstaben f und g.
4    Die Bundesorgane melden ihre Verzeichnisse dem EDÖB.
5    Der Bundesrat sieht Ausnahmen für Unternehmen vor, die weniger als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen und deren Datenbearbeitung ein geringes Risiko von Verletzungen der Persönlichkeit der betroffenen Personen mit sich bringt.
DSG ist gemäss Art. 13 Abs. 1
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 13 Zertifizierung - 1 Die Hersteller von Datenbearbeitungssystemen oder -programmen sowie die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter können ihre Systeme, Produkte und Dienstleistungen einer Bewertung durch anerkannte unabhängige Zertifizierungsstellen unterziehen.
1    Die Hersteller von Datenbearbeitungssystemen oder -programmen sowie die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter können ihre Systeme, Produkte und Dienstleistungen einer Bewertung durch anerkannte unabhängige Zertifizierungsstellen unterziehen.
2    Der Bundesrat erlässt Vorschriften über die Anerkennung von Zertifizierungsverfahren und die Einführung eines Datenschutz-Qualitätszeichens. Er berücksichtigt dabei das internationale Recht und die international anerkannten technischen Normen.
DSG widerrechtlich, wenn kein Rechtfertigungsgrund - namentlich ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse - vorliegt. In der Doktrin wird teilweise die Auffassung
BGE 146 IV 226 S. 230

vertreten, dass solche materiellrechtlichen Rechtfertigungsgründe die Rechtswidrigkeit einer (privaten) Beweiserhebung im verfahrensrechtlichen Kontext nicht zu heilen vermögen. Massgebend sei einzig, dass im Rahmen der Beschaffungshandlung gegen eine Bestimmung des materiellen, objektiv gesetzten schweizerischen Rechts verstossen worden sei. Die Rechtswidrigkeit folge damit im Verfahrensrecht einer autonomen Definition. Begründet wird dies unter anderem damit, dass den widerstreitenden Interessen an der (verfahrensrechtlichen) Verwertbarkeit oder Unverwertbarkeit eines Beweismittels im Rahmen einer bloss materiellrechtlichen Prüfung eines Rechtfertigungsgrundes nicht angemessen Rechnung getragen werde (CAROLINE GUHL, Trotz rechtswidrig beschaffter Beweise zu einem gerechten Straf- und Zivilurteil, 2018, S. 103 ff., mit Hinweis auf YVES RÜEDI, Materiell rechtswidrig beschaffte Beweismittel im Zivilprozess, 2009, S. 161 ff.). Dieser Auffassung ist beizupflichten. Bei der Frage, ob ein Rechtfertigungsgrund gemäss Art. 13 Abs. 1
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 13 Zertifizierung - 1 Die Hersteller von Datenbearbeitungssystemen oder -programmen sowie die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter können ihre Systeme, Produkte und Dienstleistungen einer Bewertung durch anerkannte unabhängige Zertifizierungsstellen unterziehen.
1    Die Hersteller von Datenbearbeitungssystemen oder -programmen sowie die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter können ihre Systeme, Produkte und Dienstleistungen einer Bewertung durch anerkannte unabhängige Zertifizierungsstellen unterziehen.
2    Der Bundesrat erlässt Vorschriften über die Anerkennung von Zertifizierungsverfahren und die Einführung eines Datenschutz-Qualitätszeichens. Er berücksichtigt dabei das internationale Recht und die international anerkannten technischen Normen.
DSG vorliegt, ist eine Abwägung zwischen den Interessen des Datenbearbeiters und denjenigen der verletzten Person vorzunehmen (AMÉDÉO WERMELINGER, in: Datenschutzgesetz [DSG], Baeriswyl/Pärli [Hrsg.], 2015, N. 2 zu Art. 13
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 13 Zertifizierung - 1 Die Hersteller von Datenbearbeitungssystemen oder -programmen sowie die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter können ihre Systeme, Produkte und Dienstleistungen einer Bewertung durch anerkannte unabhängige Zertifizierungsstellen unterziehen.
1    Die Hersteller von Datenbearbeitungssystemen oder -programmen sowie die Verantwortlichen und Auftragsbearbeiter können ihre Systeme, Produkte und Dienstleistungen einer Bewertung durch anerkannte unabhängige Zertifizierungsstellen unterziehen.
2    Der Bundesrat erlässt Vorschriften über die Anerkennung von Zertifizierungsverfahren und die Einführung eines Datenschutz-Qualitätszeichens. Er berücksichtigt dabei das internationale Recht und die international anerkannten technischen Normen.
DSG). Bei der Frage der strafprozessualen Verwertbarkeit eines Beweismittels sind hingegen der Strafanspruch des Staates und der Anspruch der beschuldigten Person auf ein faires Verfahren in erster Linie entscheidend; die Interessen des privaten Datenbearbeiters treten dabei zurück.
4. Die Videoaufzeichnung erfolgte in Missachtung von Art. 4 Abs. 4
SR 235.1 Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG) - Datenschutzgesetz
DSG Art. 4 Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter - 1 Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) beaufsichtigt die Anwendung der bundesrechtlichen Datenschutzvorschriften.
1    Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) beaufsichtigt die Anwendung der bundesrechtlichen Datenschutzvorschriften.
2    Von der Aufsicht durch den EDÖB sind ausgenommen:
a  die Bundesversammlung;
b  der Bundesrat;
c  die eidgenössischen Gerichte;
d  die Bundesanwaltschaft: betreffend die Bearbeitung von Personendaten im Rahmen von Strafverfahren;
e  Bundesbehörden: betreffend die Bearbeitung von Personendaten im Rahmen einer rechtsprechenden Tätigkeit oder von Verfahren der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen.
DSG und ist damit rechtswidrig. Die Vorinstanz qualifizierte das Verhalten der Beschwerdeführerin teils als einfache, teils als grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
1    Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
2    Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
3    Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.
3bis    Die Mindeststrafe von einem Jahr kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 unterschritten werden, wenn ein Strafmilderungsgrund nach Artikel 48 StGB235 vorliegt, insbesondere wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat.236
3ter    Der Täter kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wenn er nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde.237
4    Eine besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt vor, wenn diese überschritten wird um:
a  mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
b  mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
c  mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
d  mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.238
5    Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches239 findet in diesen Fällen keine Anwendung.
und 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
1    Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
2    Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
3    Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.
3bis    Die Mindeststrafe von einem Jahr kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 unterschritten werden, wenn ein Strafmilderungsgrund nach Artikel 48 StGB235 vorliegt, insbesondere wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat.236
3ter    Der Täter kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wenn er nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde.237
4    Eine besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt vor, wenn diese überschritten wird um:
a  mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
b  mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
c  mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
d  mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.238
5    Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches239 findet in diesen Fällen keine Anwendung.
SVG). Dabei handelt es sich um Übertretungen und Vergehen, die nach der Rechtsprechung nicht als schwere Straftaten im Sinne von Art. 141 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 141 Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise - 1 Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.
1    Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.
2    Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.
3    Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar.
4    Ermöglichte ein Beweis, der nach Absatz 1 oder 2 nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nur dann verwertbar, wenn er auch ohne die vorhergehende Beweiserhebung möglich gewesen wäre.75
5    Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet.
StPO zu qualifizieren sind (BGE 137 I 218 E. 2.3.5.2). Dieser Massstab ist auch bei der Verwertung privat erhobener Beweise anzuwenden (siehe oben, E. 2.2), was dazu führt, dass die Interessenabwägung zuungunsten der Verwertung ausfällt (im Ergebnis übereinstimmend: NIKLAUS RUCKSTUHL, Die strafprozessuale Verwertung von Dashcam-Aufnahmen, in: Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht, 2018, S. 117 ff.; URSULA UTTINGER, Nutzung von Dashcams als Beweismittel, in: Jusletter 12. Februar 2018). Ob die zur Diskussion stehenden Aufzeichnungen rechtmässig durch die Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können, kann dabei offenbleiben.