Urteilskopf

120 II 1

1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Januar 1994 i.S. K. S. gegen M. S. und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 1

BGE 120 II 1 S. 1

Mit Urteil vom 20. Oktober 1992 schied das Obergericht des Kantons Luzern die Ehe von K. S. und M. S. und wies die Sache zur Regelung der Nebenfolgen an das Amtsgericht Sursee zurück; die Scheidung ist am 1. Dezember 1992 in Rechtskraft erwachsen. Am 4. Dezember 1992 verlangte
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K. S. vom Amtsgericht Sursee, M. S. habe das Wohnhaus Locheten auf erstes Begehren, eventuell in Abänderung der vorsorglichen Massnahmen, zu verlassen. Mit Entscheid vom 24. Mai 1993 wurde dieses Gesuch abgewiesen und K. S. gemäss dem Antrag von M. S. aufgefordert, aus der genannten Liegenschaft innert angesetzter Frist auszuziehen. Auf Rekurs von K. S. bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern den Entscheid des Amtsgerichts Sursee. Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab
Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht Willkür vor, da die Zuweisung der Liegenschaft an die Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 145
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
ZGB erfolgt und überdies den seit Erlass des Massnahmeentscheides geänderten Verhältnissen nicht Rechnung getragen worden sei. a) Wann und in welchem Umfang ein letztinstanzliches kantonales Urteil in Rechtskraft erwächst, bestimmt sich nach Bundesrecht (Art. 54 Abs. 2
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- in der deutschen Fassung - und Art. 55 Abs. 1 lit. b
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OG). Das kantonale Prozessrecht legt den Eintritt der Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheide fest und kann für diese auch die Teilrechtskraft vorsehen (POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire du 16 décembre 1943, Volume II, Art. 54 S. 407 N. 2.1; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3.A. Zürich 1967, S. 231; LGVE 1992 I Nr. 4). Im vorliegenden Fall ist das obergerichtliche Scheidungsurteil bereits in Rechtskraft erwachsen, während die Nebenfolgen der Scheidung noch Gegenstand eines erstinstanzlichen Verfahrens bilden. b) Mit Eintritt der Rechtskraft der Scheidung fallen die vom Richter gestützt auf Art. 145
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ZGB für die Dauer des Verfahrens getroffenen Anordnungen grundsätzlich dahin. Ist in diesem Zeitpunkt über die Nebenfolgen der Scheidung noch nicht entschieden worden oder bilden diese noch Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens, so sind über die strittigen Punkte auf jeden Fall vorsorgliche Massnahmen anzuordnen (SPÜHLER/FREI-MAURER, Art. 145
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ZGB N. 53, N. 60). Dem Richter ist aufgrund der grosszügig abgefassten Generalklausel in Art. 145
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ZGB die Aufgabe übertragen, für die gesamte Dauer des Scheidungsprozesses die nötigen vorsorglichen Massnahmen zu treffen. Solange die Rechtskraft erst im
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Scheidungspunkt eingetreten ist, darf somit die Anordnung jeder Art vorsorglicher Massnahmen von Bundesrechts wegen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Das Bundesgericht hat denn auch unter gewissen Voraussetzungen zugelassen, dass nach Rechtskraft der Scheidung gestützt auf Art. 145
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ZGB bis zum endgültigen Entscheid über den nachehelichen Unterhalt eine Rente nach Art. 151
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ZGB festgesetzt wird (BGE 111 II 308 E. 3 S. 312). Diese Rechtsprechung hat die Zustimmung der massgeblichen Lehre gefunden (SPÜHLER/FREI-MAURER, Art. 145
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ZGB N. 64; SCHNYDER, Die privatrechtliche Rechtsprechung des BGer 1985, in ZBJV 123/1987, S. 93 ff.; VOGEL, Die Rechtsprechung des BGer zum Zivilprozessrecht 1985, in ZBJV 123/1987, S. 267). c) Welchem der beiden Ehegatten das strittige Wohnhaus dereinst zukommen wird, steht erst dann fest, wenn über die güterrechtliche Auseinandersetzung entschieden worden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt muss der Richter über die vorübergehende Zuteilung dieser Liegenschaft an eine der Parteien befinden; darüber ist nach Zweckmässigkeit zu entscheiden und zwar unabhängig davon, wer Eigentümer oder Mieter ist. Kann nicht eindeutig ausgemacht werden, wem das Haus oder die Wohnung den grössern Nutzen bringt, so hat derjenige auszuziehen, dem es unter Würdigung aller Umstände eher zuzumuten ist (SPÜHLER/FREI-MAURER, Art. 145
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ZGB N. 83, N. 86). d) Der Beschwerdeführer beansprucht das Wohnhaus, da dieses im Grundbuch auf seinen Namen eingetragen und ihm in der güterrechtlichen Auseinandersetzung zwingend zuzuweisen sei; eine eherechtliche oder mietrechtliche Grundlage für einen weitern Verbleib der Beschwerdegegnerin sei nicht vorhanden. Seiner Meinung nach besteht überdies keine tatsächliche Grundlage, welche der Beschwerdegegnerin in der güterrechtlichen Auseinandersetzung zu einem Erwerb des Wohnhauses verhelfen würde. Es sei willkürlich, wenn das Obergericht aufgrund von Art. 145
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ZGB gleichwohl über die Nutzung des Wohnhauses befinde und dabei nicht beachte, dass die Scheidung als solche eine Änderung der Verhältnisse bewirkt habe, indem nun über die sachenrechtliche Lage Klarheit herrsche und die Zuweisung der Liegenschaft an ihn nun auch zeitlich absehbar werde. Das Obergericht hält in seinem Urteil fest, dass gerade die Zuweisung des Wohnhauses im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien umstritten und daher vom Amtsgericht noch zu beurteilen sei. Es
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besteht somit - entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers - weder Klarheit über das rechtliche Schicksal dieser Liegenschaft, noch ist für deren vorübergehende Zuteilung die sachenrechtliche, güterrechtliche oder vertragsrechtliche Beurteilung überhaupt massgebend (BGE 119 II 193 E. 3a S. 195). Damit ist auch nicht auszumachen, inwieweit sich durch die Rechtskraft der Scheidung die Verhältnisse geändert haben sollen und daher die vorübergehende Nutzung des Wohnhauses neu festzulegen wäre.