Urteilskopf

117 Ia 247

39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. Februar 1991 i.S. S. gegen Appellationsgerichtspräsident des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 247

BGE 117 Ia 247 S. 247

Der Kanton Basel-Stadt beabsichtigt, auf der ihm gehörenden Eckliegenschaft Schanzenstrasse/Spitalstrasse 26 eine Baracke zu erstellen, in welcher suchtkranke Drogenabhängige sich ihre Droge unter ärztlicher Aufsicht spritzen können. Das Bauinspektorat Basel-Stadt erteilte hiefür dem kantonalen Hochbauamt am 3. April 1990 die Baubewilligung für die Erstellung dieser Baracke als Provisorium für fünf Jahre bis zum 31. März 1995. S. ist Eigentümerin einer Nachbarliegenschaft. Sie befürchtet, der Betrieb des sogenannten "Gassenzimmers" in dieser Baracke, in der auch eine Cafeteria eingerichtet werden soll, führe zu untragbaren

BGE 117 Ia 247 S. 248

Emissionen. Ihr Rekurs wurde jedoch von der kantonalen Baurekurskommission am 23. August 1990 abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte. S. rekurrierte in der Folge an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. Sie wiederholte im wesentlichen ihre der Baurekurskommission vorgetragenen Einwendungen und beantragte in verfahrensmässiger Hinsicht, ihrem Rekurs sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Am 24. September 1990 traf der Appellationsgerichtspräsident über das Gesuch um Bewilligung der aufschiebenden Wirkung folgende Verfügung: "Das Gesuch um Bewilligung der aufschiebenden Wirkung wird abgewiesen, da die Erfolgsaussichten des Rekurses ungewiss sind und das Bedürfnis an der sofortigen Ausführung der Baute als dringlich erscheint." S. führt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, die Verfügung des Appellationsgerichtspräsidenten vom 24. September 1990 sei aufzuheben und es sei ihrem Rekurs an das Verwaltungsgericht betreffend das zur Diskussion stehende Baubegehren Spitalstrasse 26 aufschiebende Wirkung zu erteilen. Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein
Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. Die Beschwerde richtet sich gegen eine Verfügung des Appellationsgerichtspräsidenten. Gemäss § 17 des baselstädtischen Gesetzes vom 14. Juni 1928 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG) hemmt die Einreichung eines Rekurses die Vollstreckung des angefochtenen Entscheides nicht, es sei denn, dass der Präsident dies ausdrücklich anordnet. Gemäss § 24 VRPG trifft der Präsident die ihm nach § 17 VRPG zustehenden vorsorglichen Verfügungen von sich aus oder auf Antrag der Parteien. Im vorliegenden Fall hat der Präsident den ausdrücklich gestellten Antrag der Beschwerdeführerin, ihrem Rekurs sei aufschiebende Wirkung zuzubilligen, abgewiesen. Von keiner Seite wird geltend gemacht, diese Präsidialverfügung könne beim Gesamtgericht angefochten werden, weshalb davon auszugehen ist, dass eine kantonal letztinstanzliche Verfügung vorliegt. Diese schliesst jedoch das kantonale Verfahren nicht ab; es handelt sich somit um einen Zwischenentscheid (BGE 116 Ia 179 E. 2a mit Hinweisen), was auch die Beschwerdeführerin anerkennt.
BGE 117 Ia 247 S. 249

2. Die Beschwerdeführerin nennt keinen bestimmten Artikel der Bundesverfassung, der durch die angefochtene Verfügung verletzt sein soll; aus ihren Vorbringen ergibt sich aber, dass sie die Ablehnung ihres Antrages als willkürlich erachtet, womit sie Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV anruft. Zudem spricht sie von ihren verfassungsmässigen Eigentumsrechten (Art. 22ter BV), die wegen der von ihr befürchteten Immissionen verletzt sein sollen. Gemäss Art. 87 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben. Werden neben der Rüge, Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV sei verletzt, noch weitere Verfassungsverletzungen geltend gemacht, so tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde in vollem Umfang ein, allerdings nur dann, wenn diese Rügen nicht mit derjenigen der Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV zusammenfallen, somit selbständige Bedeutung haben, und nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet sind (BGE 115 Ia 314 mit Hinweisen). Im Zusammenhang mit der Anrufung von Art. 22ter BV beschränkt sich die Beschwerdeführerin auf die Behauptung, die zu erwartenden Immissionen würden ihre verfassungsmässigen Eigentumsrechte aushöhlen. Diese Rüge genügt den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung einer staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 90 Abs. 1 lit. b
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG) in keiner Weise. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, dass der von ihr behauptete Eingriff gesetzlichen Bestimmungen zuwiderlaufe oder dass er nicht im öffentlichen Interesse liege oder dass er unverhältnismässig sei. Die Berufung auf Art. 22ter BV ist daher offensichtlich unbegründet. Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die angefochtene Verfügung für die Beschwerdeführerin einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur, um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG anfechten zu können; eine bloss tatsächliche Beeinträchtigung genügt nicht. Der Nachteil ist nur dann rechtlicher Natur, wenn er auch durch einen für den Betroffenen günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (BGE 115 Ia 314 E. c; BGE 108 Ia 104). Dabei ist es nicht nötig, dass sich der Nachteil schon im kantonalen Verfahren durch einen günstigen Endentscheid beheben lässt. Es genügt, wenn er in einem anschliessenden bundesgerichtlichen Verfahren beseitigst werden kann (BGE 99 Ia 249 f.; BGE 116 Ia 445

BGE 117 Ia 247 S. 250

E. 1 b). Die Beschwerdeführerin beruft sich in diesem Zusammenhang auf BGE 105 Ia 318 ff. Dieser Entscheid betraf die Nichtbeförderung eines Schülers. Das Bundesgericht stellte fest, dass ein Schüler bei Erfüllung der reglementarischen Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Beförderung besitze. Die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung eines Rekurses gegen eine Nichtbeförderung könne daher wegen des Ausfalls des Unterrichts in der höheren Klasse während der Dauer des Rekursverfahrens zu einem nicht wiedergutzumachenden rechtlichen Nachteil führen; im Falle eines für den Schüler günstigen Rekursentscheides sei ein nachträglicher Übertritt in die höhere Klasse nicht mehr möglich. Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, in ihrem Fall sei der zu erwartende Nachteil in noch ausgeprägterem Masse gegeben. Sie begründet jedoch nicht, worin der zu erwartende rechtliche Nachteil liegen soll, wenn der Kanton Basel-Stadt auf der Nachbarliegenschaft mit dem Bau der Baracke auf sein eigenes Risiko beginnt. Dass sie die Bauarbeiten und den Betrieb auf der Nachbarparzelle während des Rekursverfahrens in Kauf nehmen muss, stellt keinen rechtlichen Nachteil, sondern bloss eine tatsächliche Beeinträchtigung dar. Sollte letztinstanzlich die Baubewilligung aufgehoben werden, so müsste der Kanton das Barackenprovisorium wieder beseitigen, worüber er sich im klaren ist. Im übrigen richtet sich der Rekurs gegen den Betrieb des sogenannten "Gassenzimmers", in welchem schwer suchtkranke Drogenabhängige sich unter hygienisch einwandfreien Verhältnissen ihre Droge sollen spritzen können. Sollte dieser Betrieb als unzulässig erklärt werden, so wäre er einzustellen, wobei es wohl nicht auszuschliessen wäre, dass die Baracke einem anderen Zweck zugeführt werden könnte. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass im vorliegenden Fall nicht von einem nicht wiedergutzumachenden Nachteil gesprochen werden kann, da ein allfälliger Nachteil mit einem günstigen Endentscheid beseitigt würde. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nicht einzutreten (BGE 115 Ia 319; 106 Ia 228 E. 2). Daran können übrigens auch die Ausführungen in BGE 116 Ia 177 ff. nichts ändern. In diesem Fall konnte ein Bauherr während eines hängigen kantonalen Rekursverfahrens die ohne Bewilligung begonnenen Bauarbeiten fortsetzen, weil dem Rekurs die aufschiebende Wirkung entzogen wurde. Das Bundesgericht führt dazu aus, in der Regel müssten zwar Bauten, die widerrechtlich erstellt
BGE 117 Ia 247 S. 251

worden seien und für die nachträglich keine Bewilligung erteilt werden könne, beseitigt werden. Solche Bauten könnten indessen dann bestehenbleiben, wenn deren Entfernung unverhältnismässig wäre, zum Beispiel weil die Abweichung vom Erlaubten nur unbedeutend ist oder der Abbruch nicht im öffentlichen Interesse liegt (BGE 111 Ib 221 E. 6). Könne diese Möglichkeit im gegebenen Fall nicht von vornherein ausgeschlossen werden, so könne auch ein günstiger Endentscheid den Nachteil nicht mehr beheben. Aus diesem Grund bejahte dort das Bundesgericht einen nicht wiedergutzumachenden rechtlichen Nachteil, trat jedoch wegen der fehlenden Legitimation der Beschwerdeführer auf die Beschwerde nicht ein (BGE 116 Ia 179 E. 2b). Im vorliegenden Fall geht es lediglich um ein Barackenprovisorium. Dieses Provisorium könnte im Falle einer Gutheissung des Rekurses der Beschwerdeführerin ohne unzumutbare Kosten wieder entfernt werden, weshalb sich der Bauherr - anders als bei einer Massivbaute mit möglicherweise nur geringfügigen Verstössen gegen Bauvorschriften - aller Voraussicht nach nicht auf das Verhältnismässigkeitsprinzip berufen könnte.