Urteilskopf

109 II 87

21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. April 1983 i.S. R. gegen H.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 87

BGE 109 II 87 S. 87

Aus den Erwägungen:

3. Unbestritten ist, dass der Klägerin ein Anspruch auf Unterhaltsersatz gemäss Art. 151 Abs. 1 ZGB zusteht. Der
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Beklagte trägt infolge seines Schuldenmachens, seines Alkoholmissbrauchs und seines Anlügens die Hauptschuld an der Zerrüttung der Ehe mit der Beklagten, während diese als schuldlos im Sinne des Art. 151 ZGB erscheint. Als Beeinträchtigung, die ausgeglichen werden soll, kommt nach der unbestrittenen Feststellung der Vorinstanz nur der Verlust des ehelichen Unterhaltsanspruchs in Betracht. Dieser Beeinträchtigung wird in Würdigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Pflichtigen mit einer Rente von Fr. 400.-- Rechnung getragen, die nach Meinung des Obergerichts und des Beklagten während der Dauer von 10 Jahren ab Rechtskraft des Scheidungsurteils, nach Auffassung der Klägerin aber auf Lebenszeit und erst ab Rechtskraft des Rentenurteils geschuldet sein soll. a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Rente nach Art. 151 ZGB grundsätzlich auf Lebenszeit geschuldet (BGE 97 II 10, BGE 98 II 166; BÜHLER/SPÜHLER, N. 53 zu Art. 151 ZGB). Eine zeitliche Befristung ist aber nicht ausgeschlossen; es müssen indessen triftige Gründe vorliegen, die nach Recht und Billigkeit im konkreten Fall eine solche Befristung als gerechtfertigt erscheinen lassen. Wesentlich ist für die Frage der Befristung einer Rente, ob der geschiedene Gatte durch die Scheidung lediglich einen vorübergehenden Nachteil erleidet, der mit einer zeitlich beschränkten Rente behoben werden kann oder ob sich seine Lebensverhältnisse durch die Eheschliessung tatsächlich und dauernd derart verändert haben, dass diesen Veränderungen nach der Scheidung nur mit einer dauernden Rente Rechnung getragen werden kann. Eine blosse Übergangsrente ist nach der Praxis im allgemeinen vertretbar für einen berechtigten Ehegatten, der noch jung, gesund und voll arbeitsfähig oder kinderlos ist. Ferner kann von einer tatsächlichen und dauernden Veränderung der Lebensverhältnisse bei einem Ehegatten nicht gesprochen und damit von einer Dauerrente abgesehen werden, wenn er während der Ehe einem Arbeitserwerb nachgegangen ist oder angesichts der konkreten Verhältnisse früher oder später einem solchen hätte nachgehen müssen (BÜHLER/SPÜHLER, N. 53 zu Art. 151 ZGB) und wenn er auch beim Fortbestand der Ehe nach den Umständen nicht hätte damit rechnen können, diese Erwerbstätigkeit einmal aus freien Stücken aufgeben zu können. b) Dem erstinstanzlichen Scheidungsurteil vom 28. April 1977 wie auch dem angefochtenen Urteil lässt sich entnehmen, dass die Klägerin im Alter von 44 Jahren mit einem vom Beklagten legitimierten
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Kind in die Ehe getreten war und ausserdem aus ihrer früheren Ehe noch für zwei weitere Kinder zu sorgen hatte. Sie arbeitete von Anfang an in der Wäscherei, bei welcher sie heute noch stundenweise angestellt ist, und half damit, für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen und Schulden ihres Mannes abzuzahlen. Dessen Schuldenmacherei war einer der Gründe, weshalb sie nach 11jähriger Ehe genug hatte und die Scheidungsklage einreichte. Der Schuldenberg des Beklagten beläuft sich heute auf rund Fr. 100'000.--, wobei freilich ein erheblicher Teil auf aufgelaufene Alimentenforderungen der Klägerin und des Sohnes entfällt. Noch im erstinstanzlichen Scheidungsverfahren gab der Beklagte an, er erziele einen Nettolohn von ca. Fr. 2'200.--. Doch bereits damals stand fest und wusste die Klägerin, dass ihr Ehemann unstet war und häufig die Stelle wechselte. Seit 1978 ist er, teils infolge verschiedener Unfälle, teils wohl auch aus Arbeitsscheu, ohne Arbeit und lebt weitgehend von der Fürsorge. Arbeitsscheu hat ihm denn auch die Klägerin seit langem vorgeworfen und sie wiederholt diesen Vorwurf wiederum nachhaltig in ihrer Berufungsschrift. Unter diesen Umständen hätte die Klägerin in ungeschiedener Ehe, wie die Vorinstanz richtig ausführte, für die wirtschaftlichen Grundlagen in der Ehe neben dem Ehemann besorgt sein, ja gestützt auf die gegenseitige Beistandspflicht auch noch weitgehend für ihren Ehemann sorgen müssen. Es ist aber auch anzunehmen, dass die Klägerin ohne Scheidung kaum je hätte damit rechnen können, angesichts der grundsätzlich dem Ehemann obliegenden, von diesem aber nie voll wahrgenommenen Unterhaltspflicht über kurz oder lang ihre Erwerbsarbeit aufgeben zu können. Durch die Scheidung ist ihr somit insofern kein dauernder Schaden zugefügt worden, der im Sinne der Rechtsprechung mit einer Dauerrente abzugelten wäre. In diesem Sinne erweist sich daher das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis nicht als bundesrechtswidrig. c) Zutreffend ist freilich - wie die Klägerin darlegt -, dass die Begründung im angefochtenen Urteil nicht jeder Kritik standzuhalten vermag. Kein Grund für die Ablehnung einer Dauerrente wäre in der Tat, wie die Klägerin mit Recht einwendet, dass diese als bereits einmal geschiedene Frau von 44 Jahren mit drei Kindern in die Ehe mit dem Beklagten getreten sei. Damit wollte jedoch die Vorinstanz offensichtlich nur ausdrücken, dass sich für die Klägerin durch die neue Ehe nichts Wesentliches geändert
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habe, weil sie auch ohne diese neue Ehe für ihre drei Kinder zu sorgen gehabt hätte. In der Rechtsprechung wird denn auch bei der Frage, ob Anspruch auf eine Dauerrente besteht, im allgemeinen gerade besonderes Gewicht darauf gelegt, dass die zu berücksichtigenden Kinder aus der zu scheidenden Ehe hervorgegangen sind. Es kann auch offensichtlich nicht die Meinung der Vorinstanz sein, dass Frauen, die erst in einem gewissen Alter die Ehe eingehen, von vorneherein auf eine Dauerrente zu verzichten hätten. Dieser Umstand und die relativ lange Dauer der Ehe der Parteien wären vielmehr - wie sich auch dem angefochtenen Entscheid mindestens sinngemäss entnehmen lässt - ein Grund für die Zusprechung einer Dauerrente gewesen. Zutreffend ist dem Grundsatze nach, dass die Ehefrau durch eine Entschädigung nach Art. 151 ZGB nicht günstiger gestellt werden soll als in ungeschiedener Ehe. Die Rente nach Art. 151 Abs. 1 ZGB dient dem Schadensausgleich, der sich aus einem Vergleich der Lage der geschiedenen Frau mit jener Situation ergibt, die ihr die Fortführung der ehelichen Gemeinschaft geboten hätte (BGE 98 II 165 E. 2). Nachdem nach den Feststellungen der Vorinstanz schon während der Ehe der Parteien das Einkommen des Beklagten zur Deckung der Lebenskosten nicht ausreichte, hätte die Klägerin vermutlich mit den Jahren, soweit ihr Gesundheitszustand das erlaubt hätte, sogar voll für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen müssen; oder anders ausgedrückt, es wäre zu erwarten gewesen, dass sie nicht einmal mehr mit einem Beitrag von Fr. 400.-- von ihrem Ehemann hätte rechnen können. Ob vom Beklagten grundsätzlich und auf die Dauer verlangt werden müsste, einem Erwerb entsprechend seinen beruflichen Fähigkeiten nachzugehen, spielt vor allem bei der Festsetzung der Rentenhöhe eine Rolle. Bei der Frage der Rentendauer sind hingegen die vorstehend genannten Verhältnisse auf seiten der Berechtigten von entscheidenderer Bedeutung. Anders als die Klägerin wahrhaben will, wird daher im vorliegenden Fall eine zeitlich begrenzte Rente nicht einfach deshalb zugesprochen, weil vom Beklagten ja doch nicht erwartet werden könne, dass er seinen liederlichen Lebenswandel aufgebe und sich um eine Sanierung der finanziellen Verhältnisse bemühe, sondern deshalb, weil sie sich durch die Scheidung nicht in eine wesentlich andere, schlechtere Lage versetzt sieht, als sie ihr die Ehe mit diesem Mann geboten hätte. Die Klägerin wird somit auch keineswegs für das scheidungskausale Verhalten des Beklagten bestraft. Es wird vielmehr
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lediglich abgewogen, inwiefern die Klägerin angesichts der konkreten Verhältnisse unter dem Gesichtspunkt des Art. 151 Abs. 1 ZGB infolge tatsächlicher Änderung ihrer Lebensgewohnheiten Anspruch auf einen Schadensausgleich nach Dauer hat. Richtig ist grundsätzlich auch, dass der Eintritt der AHV-Rentenberechtigung keinen Grund zur zeitlichen Beschränkung der Rente darstellt. Das nahm die Vorinstanz indessen auch nicht an. Sie erklärte lediglich, es sei wichtig für die Klägerin, dass die Rentendauer in jene Zeit hinüberwirke, ab welcher sie ins AHV-berechtigte Alter eintrete. Das sei 1984 der Fall. Darin liegt keine Bundesrechtsverletzung.
4. Die Vorinstanz liess den Beginn der Rentendauer ausdrücklich mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils, d.h. dem 23. Mai 1978 zusammenfallen. Die Klägerin beanstandet dies mit der Behauptung, die Rentenverpflichtung beginne am Tage nach dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils, womit die Rechtskraft des Rentenurteils gemeint sei. Sie verweist dabei auf BÜHLER/SPÜHLER, N. 54 zu Art. 151 ZGB. a) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage musste bisher vom Bundesgericht nicht entschieden werden. Zwar hielt das Bundesgericht in einem Entscheid vom 28. Februar 1969 i.S. A. c. Z. unter Verweisung auf BIRCHMEIER (Bundesrechtspflege, N. 5 zu Art. 38 OG) fest, eine Rente gemäss Art. 151 ZGB werde ab Rechtskraft des bundesgerichtlichen Urteils geschuldet. Aus diesem Urteil kann aber nicht abgeleitet werden, dass eine Rückbeziehung der Rentendauer auf den Zeitpunkt der Teilrechtskraft nicht zulässig sei. Auch in den wenigen publizierten kantonalen Entscheiden war immer nur die Frage umstritten, ob und allenfalls gestützt auf welche Bestimmung des materiellen Rechts Massnahmen, die aus den ehelichen Rechten und Pflichten abzuleiten sind, nur bis zum Eintritt der Teilrechtskraft des Scheidungsdispositivs oder bis zum Abschluss des gesamten Scheidungsverfahrens gelten oder noch getroffen werden können (BÜHLER/SPÜHLER, N. 62 zu Art. 151, ZBJV 1956, S. 375 f.; AGVE 1949, S. 16 Nr. 2, 1952 S. 11 Nr. 1, vor allem S. 13 f.; SJZ 1970, S. 155 Nr. 76). b) Aus der Tatsache allein, dass während des bundesgerichtlichen Berufungsverfahrens die seinerzeit angeordneten vorsorglichen Massregeln zugunsten der Klägerin nach ihrer Auffassung weiter gelten - eine entsprechende Verfügung scheint das Obergericht, das dazu gemäss Art. 58 OG zuständig gewesen wäre, nicht erlassen zu haben -, lässt sich nicht herleiten, dass die ausdrückliche
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Festlegung des Beginnes der Beitragsdauer ab Rechtskraft des Scheidungsurteils gegen Art. 145 oder 151 ZGB verstosse. Auszugehen ist nämlich in der Regel davon, dass - eine ausdrückliche anderslautende Anordnung vorbehalten - die im letztinstanzlichen Urteil festgehaltene Verpflichtung zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen grundsätzlich mit der Rechtskraft dieses Urteils zu laufen beginnt (Art. 38 OG). Das ergibt sich aber entgegen der Meinung der Klägerin nicht schon aus der vorläufigen Fortdauer der vorsorglichen Massnahmen, sondern folgt aus dem Wesen der Rechtskraft des Urteils, das nunmehr anstelle solcher vorläufiger Massnahmen die definitiven Verpflichtungen festlegt und grundsätzlich von diesem Zeitpunkt an vollstreckt werden kann. Die gestützt auf Art. 151 f . ZGB festgesetzten Leistungen können somit frühestens mit der Rechtskraft der Scheidung gefordert werden; bei Einlegung eines Rechtsmittels können sie aber auch hinausgeschoben werden mit der für den Pflichtigen nachteiligen Folge, dass seine Leistungspflicht bei Befristung der Rente verlängert wird. Will der Sachrichter dieser Konsequenz und damit einer nicht beabsichtigten stärkeren Belastung des Pflichtigen vorbeugen, so steht unter dem Gesichtspunkt des Bundesrechts nichts entgegen, anzuordnen, dass die Unterhaltsleistungen bereits ab Rechtskraft des Scheidungsurteils geschuldet werden und dass demgemäss auch die Befristung dieser Leistungen ab jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt. Die Anspruchsberechtigte hat dann freilich in Kauf zu nehmen, dass die bis zur Rechtskraft des Rentenurteils gestützt auf vorsorgliche Massnahmen erbrachten Unterhaltsbeiträge mit den nunmehrigen Leistungen verrechnet werden können. Umgekehrt kann durch eine solche Anordnung auch eine Nachzahlungspflicht des Rentenbelasteten ausgelöst werden.