Urteilskopf

107 II 231

33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Juni 1981 i.S. Frischknecht gegen Auto Stutz AG (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 231

BGE 107 II 231 S. 231

Aus den Erwägungen:

3. Streitig ist, ob Art. 210
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR in Abs. 3 wie in Abs. 1 eine einjährige Verjährungsfrist vorsehe, wie das Obergericht annimmt, oder ob der Verkäufer sich bei absichtlicher Täuschung die ordentliche Verjährungsfrist von 10 Jahren entgegenhalten lassen müsse, wie der Kläger mit der Berufung geltend macht. Nach Abs. 1 verjähren Gewährleistungsansprüche des Käufers nach einem Jahr; die Frist beginnt spätestens mit der Ablieferung der Ware zu laufen und wird auch bei heimlichen Mängeln, die der Käufer selbst bei sorgfältiger Prüfung nicht entdecken konnte, nicht verlängert. Gemäss Abs. 3 kann der Verkäufer dagegen "die mit Ablauf eines Jahres eintretende Verjährung" nicht geltend machen, wenn er den Mangel gekannt und den Käufer darüber absichtlich getäuscht hat. a) Das Obergericht ist der Meinung, der Wortlaut des Art. 210
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR lasse offen, ob im Fall von Abs. 3 die zehnjährige Frist des Art. 127
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 127 - Mit Ablauf von zehn Jahren verjähren alle Forderungen, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt.
OR oder eine einjährige analog Art. 31
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 31 - 1 Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt.
und 60
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 60 - 1 Der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung verjährt mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte.35
OR gelte; in Lehre und Rechtsprechung würden dazu denn auch gegenteilige Auffassungen vertreten. Es hält im Falle einer Täuschung die kürzere Frist für anwendbar, die aber nicht mit der Ablieferung der Ware, sondern erst mit der Entdeckung der Täuschung zu laufen beginne. Eine absichtliche Täuschung sei stets auch ein zivilrechtliches Delikt mit Schadenersatzfolgen; die alternative Anwendung der Rechtsbehelfe aus Gewährleistung einerseits und unerlaubter Handlung anderseits erfordere, dass sie hinsichtlich der Verjährung gleich behandelt werde. Dies entspreche auch dem
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Zweck des Gesetzes, das die Verhältnisse rasch abgeklärt wissen wolle, weil der Beweis mit der Zeit immer schwieriger zu erbringen sei. Die Systematik von Art. 210
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR spreche ebenfalls für die einjährige Frist. Die Beklagte teilt diese Auffassung, der Kläger lehnt sie dagegen ab. Das Bundesgericht hat Art. 210 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR stets als Ausnahme von der auf zehn Jahre lautenden allgemeinen Verjährungsvorschrift (Art. 127
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 127 - Mit Ablauf von zehn Jahren verjähren alle Forderungen, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt.
OR) verstanden und aus Abs. 3 geschlossen, dass es im Falle einer Täuschung bei der Regel bleibe. Es äusserte sich dazu ausführlich insbesondere in den Entscheiden 58 II 147/8, 81 II 143/4, 89 II 409 und 96 II 184. Das Obergericht findet, diese Rechtsprechung überzeuge nicht; es anerkennt aber, dass die kantonalen Gerichte ihr durchwegs gefolgt sind. Abweichend entschied das Handelsgericht des Kantons Aargau schon im Jahre 1918 (SJZ 15/1918 S. 392). Diesem Entscheid haben BECKER (N. 4 zu Art. 210
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR), VON BÜREN (OR Bes. Teil S. 48), SPIRO (Bd. I S. 85, 700 und 711) sowie GUHL/MERZ/KUMMER (OR S. 345, vgl. jedoch S. 353 und 452) zugestimmt. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist dagegen insbesondere gebilligt worden von OSER/SCHÖNENBERGER (N. 9 zu Art. 210
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR), VON THUR/PETER (OR S. 321 Anm. 15 und S. 460 Anm. 26), GAUTSCHI (N. 5c zu Art. 371
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 371 - 1 Die Ansprüche des Bestellers wegen Mängel des Werkes verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach der Abnahme des Werkes. Soweit jedoch Mängel eines beweglichen Werkes, das bestimmungsgemäss in ein unbewegliches Werk integriert worden ist, die Mangelhaftigkeit des Werkes verursacht haben, beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre.
OR), CAVIN (in Schweiz. Privatrecht Bd. VII/1 S. 108), PEDRAZZINI (ebendort S. 530), GIGER (N. 73 zu Art. 210
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR) und GAUCH (Der Unternehmer im Werkvertrag, Nr. 458/9). b) Es besteht kein triftiger Grund, von dieser ständigen Rechtsprechung abzuweichen, auch wenn sich für die Auffassung des Obergerichts ebenfalls Argumente anführen lassen. Gewiss kann die aus Art. 2 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB abgeleitete Pflicht zur loyalen Rechtsausübung ausnahmsweise dazu führen, dass ein Geschädigter seinen Anspruch schon vor Eintritt der Verjährung verwirkt (BGE 95 II 115 E. 4, BGE 94 II 40 E. 6). Daraus auf eine allgemeine Anwendung der kürzeren Verjährungsfrist zu schliessen, geht entgegen der Annahme des Obergerichts jedoch nicht an. Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB setzt die Bestimmungen des Zivilrechts nicht allgemein für bestimmte Arten von Fällen ausser Kraft, sondern weist den Richter nur an, besonderen Umständen des einzelnen Falles Rechnung zu tragen (BGE 91 II 9 E. 1 e mit Hinweisen). Der systematische Zusammenhang zwischen Abs. 1 und 3 von Art. 210
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR sodann spricht eher gegen als für die Auffassung der Vorinstanz, heisst es doch, der Verkäufer könne "die mit Ablauf eines Jahres eintretende Verjährung" nicht geltend machen, wenn er den Käufer absichtlich
BGE 107 II 231 S. 233

getäuscht hat. Wäre die Abweichung von Abs. 1, wie das Obergericht meint, nur auf den Beginn, nicht aber auf die Dauer der Frist zu beziehen, so hätte der Gesetzgeber dies ausdrücklich gesagt. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass Art. 210
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 210 - 1 Die Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf von zwei Jahren nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit übernommen hat.
OR dem Vertragsrecht angehört und die Anwendung der allgemeinen Verjährungsvorschrift schon deshalb näher liegt, mag eine Angleichung an die Verjährungsordnung für Ansprüche aus Delikten auch wünschbar sein. Bleibt es im Falle der Täuschung somit bei der zehnjährigen Frist, so ist der Anspruch des Klägers nicht verjährt. Seine Berufung ist daher grundsätzlich gutzuheissen, gleichviel ob das Obergericht zu Recht angenommen habe, die Täuschung sei spätestens im April 1973 entdeckt worden.