Urteilskopf

103 IV 172

51. Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober 1977 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern
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Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 173

BGE 103 IV 172 S. 173

A.- B. betreibt in seinem Hotel ein Dancing, in dem jeden Abend Striptease-Vorführungen stattfinden. Seit März 1976 stellt er in einem Schaufenster neben dem Hoteleingang zu Reklamezwecken Fotos von Striptease-Tänzerinnen aus. Das Schaufenster befindet sich unmittelbar bei einer stark frequentierten Bushaltestelle und am Schulweg zum Schulhaus. Es ist nur 90 cm vom Boden erhöht und kann auch von Kindern eingesehen werden.
B.- Das Amtsgericht Sursee sprach B. der Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Bilder gemäss Art. 212 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 100.--. Eine gegen dieses Urteil eingereichte Kassationsbeschwerde hat das Obergericht des Kantons Luzern am 2. Mai 1977 abgewiesen.
C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt B. Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zum Freispruch. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Gemäss Art. 212 Abs. 1 StGB macht sich der Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder schuldig, wer Schriften oder Bilder, die geeignet sind, die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls zu gefährden, in Auslagen, Schaufenstern oder andern von der Strasse aus sichtbaren Orten ausstellt. Diese Bestimmung überschneidet sich mit Art. 204 Ziff. 2 StGB, der denjenigen mit Gefängnis oder Busse bedroht, welcher unzüchtige Gegenstände einer Person unter 18 Jahren übergibt oder vorzeigt. Art. 212 StGB ergänzt Art. 204 Ziff. 2 StGB u.a. insoweit, als er schon unsittliche und
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nicht erst unzüchtige Schriften und Bilder im engern Sinne erfasst. Nicht nötig ist also, dass die unter Art. 212 StGB fallenden Bilder das geschlechtliche Anstandsgefühl auch normal empfindender Erwachsener in nicht leicht zu nehmender Weise verletzen. Abzustellen ist vielmehr auf die Wirkung, welche die Schriften oder Bilder auf Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben können. Diese mögliche Wirkung ist aber im Gesetz näher umschrieben und wird dadurch erheblich eingeengt. Die Schriften oder Bilder müssen geeignet sein, Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls in ihrer sittlichen oder gesundheitlichen Entwicklung zu gefährden. Blosse Eignung genügt. Dass ein Kind oder ein Jugendlicher die ausgestellten Schriften oder Bilder tatsächlich wahrgenommen und deswegen, infolge Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls, in seiner gesundheitlichen Entwicklung Schaden genommen hat, ist nicht erforderlich (nicht veröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 11. September 1970 i.S. V. und nicht veröffentlichte E. 3a i.S. Marti vom 28. Mai 1971, ferner BGE 99 Ib 69 und 100 Ib 368 f.).
2. a) In objektiver Hinsicht steht fest und ist unbestritten, dass die Bilder in einem Schaufenster so ausgestellt waren, dass sie von vielen Kindern und Jugendlichen leicht eingesehen werden konnten (viel benützte Bushaltestelle; am Schulweg; nur 90 cm über Boden). Die Fotografien waren nicht nur ein Hinweis auf die Striptease-Vorstellungen; sie waren auch geeignet, sexuellen Anreiz zu geben. Sie verfolgten auch offensichtlich diesen Zweck (Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai 1962 i.S. V.). Umstritten ist nur, ob diese Fotografien auch unsittlich im Sinne von Art. 212 StGB sind, d.h. ob sie geeignet sind, Kinder und Jugendliche durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls in ihrer sittlichen oder gesundheitlichen Entwicklung zu gefährden. b) Die neun Aufnahmen zeigen Striptease-Tänzerinnen in verschiedenen Stadien der Entkleidung. Hinweise auf irgendwelche, insbesondere abartige sexuelle Betätigungen fehlen. Eine Gefahr, das Geschlechtsgefühl Jugendlicher könnte irregeleitet werden, bestand somit nicht. Der Beschwerdeführer wurde auch nicht deswegen verurteilt. Vielmehr haben die kantonalen Gerichte angenommen, die Striptease-Fotografien seien geeignet, unreife Jugendliche sexuell zu überreizen.
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c) Das erfüllt aber den Tatbestand des Art. 212 StGB noch nicht. Die allfällige sexuelle Überreizung muss ihrerseits geeignet sein, den Jugendlichen nachhaltig zu beeinflussen. Sie muss seine sittliche (oder gar seine gesundheitliche) Entwicklung gefährden können. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn diese Bilder (oder Schriften) Phantasie, Denken und Fühlen Jugendlicher so nachhaltig zu beschäftigen oder zu beunruhigen vermögen, dass sie die harmonische Entwicklung des Jugendlichen gefährden oder ihn dazu verleiten können, mit andern vorzeitig sittlich nicht verantwortbare geschlechtliche Beziehungen anzuknüpfen (vgl. ähnlich Art. 200
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 200 - Wird eine strafbare Handlung nach diesem Titel gemeinsam von mehreren Personen ausgeführt, so erhöht das Gericht die Strafe. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte überschreiten. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden.
StGB). d) Die Vorinstanz stellt nicht ausdrücklich fest, die eingeklagten Fotografien seien geeignet, die sittliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, die am Schaukasten vorbeigingen, zu gefährden. Sie greift zur Begründung die Auffassung der Kirchenverwaltung auf, dass vor allem die Schülerschaft nachteilig beeinflusst werde, und findet, die Bilder verletzten sogar das Schamgefühl angefragter Erwachsener. Es ist auch nicht ersichtlich, wie die neun Striptease-Abbildungen die sittliche Entwicklung Jugendlicher gefährden könnten. Sie sind weder gross noch farbig und in ihrer Aufmachung nicht besonders aufdringlich. Die Brüste sind verschiedentlich abgebildet, aber nicht die Genitalien. Es ist nicht zu ersehen, wieso diese Bilder geeignet wären, die Phantasie Jugendlicher über eine momentane Erregung hinaus zu beschlagnahmen.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 2. Mai 1977 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.