Urteilskopf

101 IV 1

1. Urteil des Kassationshofes vom 7. Mai 1975 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen.
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Sachverhalt ab Seite 1

BGE 101 IV 1 S. 1

A.- Am 4. September 1973 wurde die 1956 geborene Monika B., als sie nach Wirtschaftsschluss das Dancing "Lanterne" in Rheineck verliess, von Walter E. angesprochen und zu einem Kaffee bei ihm zu Hause eingeladen. Sie stieg mit E.
BGE 101 IV 1 S. 2

und dessen Freunden Walter G. und Alberto H. in des letztern Auto. Die Fahrt ging zu einem Budenwagen in Altenrhein. Dort plauderten die vier längere Zeit. Dann zogen die drei Burschen das Mädchen trotz heftiger Gegenwehr nackt aus, legten es gewaltsam auf ein Kajütenbett und banden seine Arme und Beine am Bett fest. E. vollzog gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr. Darauf legte sich H. auf das Mädchen. Dieses hatte zuvor das linke Bein freimachen können und versucht, sich damit zu wehren. H. lag fünf bis zehn Minuten auf dem Mädchen, um geschlechtlich mit ihm zu verkehren. Doch ist nicht nachgewiesen, dass er sein Glied in die Scheide einführte. Schliesslich wurde das Mädchen freigelassen.
B.- Das Kantonsgericht St. Gallen beurteilte E., H. und G. am 4. November 1974. H. erklärte es des vollendeten Versuchs zu qualifizierter Notzucht schuldig (Art. 187 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 187 - 1. Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt,
1    Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt,
2    Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt.
3    Hat der Täter zur Zeit der Tat oder der ersten Tathandlung das 20. Altersjahr noch nicht zurückgelegt und liegen besondere Umstände vor, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.266
4    Handelte der Täter in der irrigen Vorstellung, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, hätte er jedoch bei pflichtgemässer Vorsicht den Irrtum vermeiden können, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
5    ...267
6    ...268
/Art. 22 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
1    Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
2    Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos.
StGB) und verurteilte ihn zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus.
C.- H. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur Schuldigerklärung wegen unvollendeten Versuchs der einfachen Notzucht und zur Verurteilung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von nicht mehr als einem Jahr.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Vorinstanz führt aus, der Umstand, dass das Mädchen das linke Bein aus der Fesselung befreien konnte, bevor sich H. auf sie legte, sei rechtlich unerheblich. Ihre Wehrlosigkeit sei damit auch nicht teilweise aufgehoben gewesen. Die Fesselung an beiden Handgelenken und am rechten Fuss habe eine wirksame Betätigung ihres Abwehrwillens weiterhin verhindert. Die durch Lösung der linken Beinfessel gewonnene Teilfreiheit habe der Täter mit seinem Körpergewicht mit Leichtigkeit wieder zunichte machen können.
Der Beschwerdeführer bestreitet die Widerstandsunfähigkeit gemäss Art. 187 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 187 - 1. Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt,
1    Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt,
2    Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt.
3    Hat der Täter zur Zeit der Tat oder der ersten Tathandlung das 20. Altersjahr noch nicht zurückgelegt und liegen besondere Umstände vor, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.266
4    Handelte der Täter in der irrigen Vorstellung, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, hätte er jedoch bei pflichtgemässer Vorsicht den Irrtum vermeiden können, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
5    ...267
6    ...268
StGB mit der Begründung, solange das Mädchen mit einem Bein frei war, sei sie zum Widerstand nicht vollständig unfähig gewesen; sie hätte z.B. mit dem Bein ausschlagen und den Beschwerdeführer wegstossen können, als dieser sich auf sie legte.
BGE 101 IV 1 S. 3

Die Gewaltanwendung muss die Abwehr des Opfers in solchem Masse ausschalten, dass irgendwelche Bewegungen, zu denen die Frau noch fähig ist, das Vorhaben des Angreifers weder zu vereiteln noch zu beeinträchtigen vermögen (BGE 98 IV 102, auch BGE 100 IV 164). Diese Wirkung war hier erzielt. Abgesehen davon, dass es dem Beschwerdeführer ein Leichtes gewesen wäre, Abwehrbewegungen des linken Beines des Mädchens erfolgreich zu begegnen, waren die Mitangeklagten E. und G. anwesend, die das Mädchen zuvor gefesselt hatten und ohne weiteres in der Lage waren, das freigewordene Bein wieder anzubinden oder festzuhalten (vgl. im letztern Sinne wiederum BGE 98 IV 102). Die Vorinstanz hat somit die Widerstandsunfähigkeit des Opfers zu Recht bejaht.
2. Der Beschwerdeführer macht hingegen zutreffend geltend, er hätte wegen unvollendeten statt wegen vollendeten Notzuchtversuches schuldig erklärt werden sollen. Der Notzucht im Sinne von Art. 187 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 187 - 1. Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt,
1    Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt,
2    Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt.
3    Hat der Täter zur Zeit der Tat oder der ersten Tathandlung das 20. Altersjahr noch nicht zurückgelegt und liegen besondere Umstände vor, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.266
4    Handelte der Täter in der irrigen Vorstellung, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, hätte er jedoch bei pflichtgemässer Vorsicht den Irrtum vermeiden können, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
5    ...267
6    ...268
StGB macht sich insbesondere schuldig, wer mit einer Frau den ausserehelichen Beischlaf vollzieht, nachdem er sie zu diesem Zwecke zum Widerstand unfähig gemacht hat. Unvollendeter Versuch liegt nach Art. 21 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 21 - Wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, handelt nicht schuldhaft. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe.
StGB vor, wenn der Täter, nachdem er mit der Ausführung des Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende führt. So verhält es sich hier. Der Beschwerdeführer hat alles getan, um mit der zum Widerstand unfähigen Frau gegen ihren Willen den Beischlaf zu vollziehen, konnte dann aber das Glied nicht in die Scheide einführen. Hätte er es getan, würde vollendete Notzucht vorliegen; denn bei diesem Delikt fällt die Ausführung der strafbaren Tätigkeit in ihrer Endphase (Einführen des Glieds in die Scheide) mit dem tatbeständlichen Erfolg (Duldung des Beischlafs) notwendig zusammen und bleibt für einen über die zu Ende geführte strafbare Tätigkeit hinausgehenden Erfolg kein Raum. Einen vollendeten Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
1    Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
2    Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos.
StGB gibt es deshalb bei der Notzucht als einem sog. reinen Tätigkeitsdelikt nicht (SCHULTZ, 2. Aufl. I S. 229, STRATENWERTH, II S. 318). Die Anwendbarkeit von Art. 22
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
1    Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
2    Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos.
StGB ist auf die sog. Erfolgsdelikte im technischen Sinne beschränkt, weil nur bei ihnen der Erfolg nicht ohne weiteres schon mit der Vollendung der strafbaren Tätigkeit gegeben ist (BGE 91 IV 233 a.E.). Soweit in BGE 99 IV 153 etwas anderes gesagt wurde, ist daran nicht festzuhalten.
BGE 101 IV 1 S. 4

Die Sache ist deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Schuldigsprechung des Beschwerdeführers wegen unvollendeten Versuchs der qualifizierten Notzucht. Im übrigen hat sie an ihrem Urteil nichts zu ändern; denn sowohl Art. 21 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 21 - Wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, handelt nicht schuldhaft. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe.
wie Art. 22 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
1    Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
2    Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos.
StGB sehen fakultative Strafmilderung nach Art. 65
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 65 - 1 Sind bei einem Verurteilten vor oder während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe oder einer Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1 die Voraussetzungen einer stationären therapeutischen Massnahme gegeben, so kann das Gericht diese Massnahme nachträglich anordnen.67 Zuständig ist das Gericht, das die Strafe ausgesprochen oder die Verwahrung angeordnet hat. Der Vollzug einer Reststrafe wird aufgeschoben.
1    Sind bei einem Verurteilten vor oder während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe oder einer Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1 die Voraussetzungen einer stationären therapeutischen Massnahme gegeben, so kann das Gericht diese Massnahme nachträglich anordnen.67 Zuständig ist das Gericht, das die Strafe ausgesprochen oder die Verwahrung angeordnet hat. Der Vollzug einer Reststrafe wird aufgeschoben.
2    Ergibt sich bei einem Verurteilten während des Vollzuges der Freiheitsstrafe aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel, dass die Voraussetzungen der Verwahrung gegeben sind und im Zeitpunkt der Verurteilung bereits bestanden haben, ohne dass das Gericht davon Kenntnis haben konnte, so kann das Gericht die Verwahrung nachträglich anordnen. Zuständigkeit und Verfahren bestimmen sich nach den Regeln, die für die Revision (Art. 410-415 der Strafprozessordnung68) gelten.69 70
StGB vor.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen teilweise gutgeheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.