VPB 69.72

(Auszug aus einem Urteil der Eidgenössischen Rekurskommission für die Unfallversicherung vom 23. Juli 2004 i.S. X. AG gegen die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt [REKU 555/03])

Obligatorische Unfallversicherung. Verfügung über die obligatorische Unterstellung unter die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) und die Einreihung in den Prämientarifen. Beschwerdeinteresse.

Im Rahmen einer hauptsächlich gegen die obligatorische Unterstellung unter die SUVA gerichteten Beschwerde kann ein Unternehmen seine Einreihung im Prämientarif nicht anfechten, wenn es weiterhin bei einer Privatversicherung versichert ist, ihm die aufschiebende Wirkung gewährt wurde und die SUVA - ihrer Praxis entsprechend - auch nach definitiver Bestätigung der Unterstellung die Prämien nicht rückwirkend erhebt.

Assurance-accidents obligatoire. Décision concernant l'affiliation obligatoire à la Caisse nationale suisse en cas d'accidents (SUVA/CNA) et le classement dans le tarif des primes. Intérêt à recourir.

Une entreprise ne peut, dans le cadre d'un recours dirigé principalement contre l'affiliation obligatoire auprès de la SUVA/CNA, s'en prendre également à son classement dans le tarif des primes, lorsqu'elle est toujours assurée auprès d'un assureur privé, qu'elle a obtenu l'effet suspensif et que la SUVA/CNA, conformément à sa pratique, ne perçoit pas rétroactivement la prime une fois l'affiliation définitivement confirmée.

Assicurazione obbligatoria contro gli infortuni. Decisione sull'affiliazione obbligatoria all'Istituto nazionale svizzero di assicurazione contro gli infortuni (INSAI/SUVA) e sulla classificazione nelle tariffe dei premi. Interesse a ricorrere.

Nel quadro di un ricorso interposto contro l'affiliazione obbligatoria all'INSAI/SUVA, un'azienda non può contestare la sua classificazione nella tariffa dei premi se continua ad essere assicurata presso un'assicurazione privata, se le è stato concesso l'effetto sospensivo e se l'INSAI/SUVA - conformemente alla propria prassi - non riscuote retroattivamente i premi nemmeno dopo la conferma definitiva dell'affiliazione.

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Mit Verfügung vom 7. August 2002 erfasste die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) die X. AG als einen ihr per 1. Januar 2003 unterstellten Betrieb und reihte sie in den Prämientarifen für die Berufs- und die Nichtberufsunfallversicherung ein. Die dagegen eingereichte Einsprache wies die SUVA ab und erteilte gleichzeitig die aufschiebende Wirkung bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids über die Unterstellung. Die X. AG erhob Beschwerde vor der Eidgenössischen Rekurskommission für die Unfallversicherung (im Folgenden: Rekurskommission, REKU) und machte geltend, dass die Unterstellung zu Unrecht erfolgt sei und die Prämien der SUVA zu hoch seien.

Mit Urteil vom 23. Juli 2004 weist die Rekurskommission die Beschwerde ab, soweit damit die Unterstellung angefochten wird. In Bezug auf die Einreihung in den Prämientarifen erkennt sie auf Gegenstandslosigkeit.

Aus den Erwägungen:

10. Streitig gemacht wurde des Weiteren die Einreihung im Prämientarif für die Berufsunfall- und die Nichtberufsunfallversicherung. Im angefochtenen Entscheid wird die Prämie gemäss dem für das Jahr 2003 geltenden Tarif festgesetzt.

a. Die Rechtsprechung erachtet als schutzwürdiges Interesse jedes praktische oder rechtliche Interesse, welches eine von der Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder Aufhebung geltend machen kann. Das schutzwürdige Interesse besteht somit im praktischen Nutzen, den die Gutheissung der Beschwerde dem Verfügungsadressaten verschaffen würde, oder - anders ausgedrückt - im Umstand, einen Nachteil wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur zu vermeiden, welchen die angefochtene Verfügung mit sich bringen würde (BGE 124 V 393 E. 2b). Dieses Interesse muss auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung gegeben sein, d. h. es muss aktuell sein (BGE 127 III 41 E. 2b mit Hinweisen, BGE 123 II 285 E. 4, BGE 118 Ia 46 E. 3c). An einem aktuellen Interesse fehlt es insbesondere, wenn der Nachteil auch bei Gutheissung der Beschwerde nicht mehr behoben werden kann (BGE 127 III 41 E. 2b, BGE 125 II 86 E. 5b S. 97 mit Hinweisen). Wenn der angefochtene Entscheid bereits vollumfänglich Wirkung entfaltet hat, wird das Verfahren gegenstandslos (BGE 123 II 285). Umgekehrt fehlt das Beschwerdeinteresse, wenn eine Verfügung überhaupt keine Wirkung mehr entfalten kann.

b. Die Unterstellungsverfügung datiert vom 7. August 2002, der sie bestätigende Einspracheentscheid vom 4. Dezember 2002. Gleichzeitig erteilte die SUVA der Einsprache bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids über die Unterstellung aufschiebende Wirkung. Also gilt auch für das Beschwerdeverfahren die aufschiebende Wirkung. Dies führt dazu, dass der angefochtene Entscheid bis zu seiner Rechtskraft nicht umgesetzt werden kann. Entsprechend wird die Unterstellung bis zum Zeitpunkt des Urteils der Rekurskommission nicht vollzogen; der Betrieb, welcher die Unterstellung bestreitet, kann sich während der Dauer des Verfahrens bei seiner vorbestehenden privaten Versicherungsgesellschaft weiterhin gegen das Unfallrisiko seiner Mitarbeiter versichern lassen.

Gemäss dem Vorgehen der SUVA führt die aufschiebende Wirkung in der Praxis dazu, dass die eigentliche Erfassung, d. h. die Versicherung des Unfallrisikos durch die SUVA, auf einen Zeitpunkt nach dem Eintreten der Rechtskraft des Unterstellungsentscheids festgelegt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Beschwerde führende Betrieb also nicht bei der SUVA, sondern bei der entsprechenden privaten Versicherungsgesellschaft versichert. Die während dieser Zeit eingetretenen Risiken (Unfälle) werden auch über diese Versicherung abgewickelt und es erfolgt insbesondere keine Rückabwicklung der Fälle und des Versicherungsverhältnisses (vgl. dazu unveröffentlichtes Urteil der Rekurskommission vom 25. September 2003, REKU 483/01, E. 3b).

c. Für die streitig gemachte Einreihung im Prämientarif für das Jahr 2003 bedeutet dies nun, dass die aus der Einreihung resultierenden Prämien infolge der fehlenden Rückabwicklung nicht zu bezahlen sein werden. Insofern besteht kein praktisches Interesse daran, über diese Frage einen Entscheid der Rekurskommission zu erhalten. Auch besteht an der Beurteilung dieser Frage kein hinreichendes öffentliches Interesse, das einen Entscheid selbst ohne das Erfordernis des aktuellen Interesses rechtfertigen würde, so dass auf diese Voraussetzung nicht verzichtet werden kann. Entsprechend ist die Beschwerde in diesem Punkt grundsätzlich gegenstandslos geworden.

d. Es stellt sich noch die Frage, ob sich die Rekurskommission zur künftigen Klassen- und Stufenzuteilung äussern kann.

aa. Nach ständiger Rechtsprechung beurteilt das Sozialversicherungsgericht die Gesetzmässigkeit der Verwaltungsverfügungen in der Regel nach dem Sachverhalt, der zur Zeit des Verfügungserlasses gegeben war. Tatsachen, die jenen Sachverhalt seither verändert haben, sollen im Normalfall Gegenstand einer neuen Verwaltungsverfügung sein. Ausnahmsweise kann das Gericht aus prozessökonomischen Gründen auch die Verhältnisse nach Erlass der Verfügung in die richterliche Beurteilung miteinbeziehen und zu deren Rechtswirkungen über den Verfügungszeitpunkt hinaus verbindlich Stellung beziehen, mithin den das Prozessthema bildenden Streitgegenstand in zeitlicher Hinsicht ausdehnen. Eine solche Ausdehnung des richterlichen Beurteilungszeitraums ist indessen - analog zu den Voraussetzungen einer sachlichen Ausdehnung des Verfahrens auf eine ausserhalb des durch die Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses liegende spruchreife Frage - nur zulässig, wenn der nach Erlass der Verfügung eingetretene, zu einer neuen rechtlichen Beurteilung der Streitsache ab jenem Zeitpunkt führende Sachverhalt hinreichend genau abgeklärt ist und die Verfahrensrechte der Parteien, insbesondere deren Anspruch auf rechtliches Gehör, respektiert worden sind
(BGE 130 V 138 E. 2.1 mit Hinweisen).

bb. Im vorliegenden Fall wird die SUVA, nachdem die Unterstellung rechtskräftig geworden sein wird, von der Beschwerdeführerin auch die Prämien einverlangen. Diese Prämien werden gemäss dem in diesem Zeitpunkt geltenden Prämientarif festzusetzen sein. Es steht heute nicht einmal der genaue Zeitpunkt fest, in welchem die Einreihung zu erfolgen hat. Es rechtfertigt sich mithin nicht, dass sich die Rekurskommission im heutigen Zeitpunkt zu dieser Frage äussert.

Der Rekurskommission ist überdies nicht bekannt, welches der in diesem Zeitpunkt geltende Tarif sein wird und ob dieser in Bezug auf die Klasseneinteilung und Prämiensatzstufen mit dem im Jahr 2003 anwendbaren Tarif identisch ist. Der Rekurskommission ist auch nicht bekannt, welches der in diesem Zeitpunkt massgebende Sachverhalt sein wird, können sich doch auch die Betriebsverhältnisse bis zu diesem Zeitpunkt klassen- und einreihungswirksam verändern.

e. Es kann also nur festgestellt werden, dass betreffend die Zuteilung in die Klassen und Stufen des Prämientarifs einerseits ein praktisches Interesse an der Überprüfung der verfügten Einreihung für das Jahr 2003 fehlt und die Beschwerde diesbezüglich gegenstandslos wird, andererseits es auch nicht möglich ist, die für einen künftigen Zeitpunkt geltenden Tarifregeln auf einen noch nicht bestimmbaren Sachverhalt anzuwenden.

Praktisch bedeutet dies, dass die SUVA - nach Festsetzung des Zeitpunkts für die effektive Erfassung der Beschwerdeführerin - über die Einreihung und Klassenzuteilung neu verfügen und dabei die ordentlichen Rechtswege eröffnen muss. Diesbezüglich sei darauf hingewiesen, dass die SUVA dabei ihrer Aufklärungspflicht im Sinne von Art. 27
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 27 Aufklärung und Beratung - 1 Die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen sind verpflichtet, im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären.
1    Die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen sind verpflichtet, im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären.
2    Jede Person hat Anspruch auf grundsätzlich unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Dafür zuständig sind die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Für Beratungen, die aufwendige Nachforschungen erfordern, kann der Bundesrat die Erhebung von Gebühren vorsehen und den Gebührentarif festlegen.
3    Stellt ein Versicherungsträger fest, dass eine versicherte Person oder ihre Angehörigen Leistungen anderer Sozialversicherungen beanspruchen können, so gibt er ihnen unverzüglich davon Kenntnis.
des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) nachzukommen und der Beschwerdeführerin ihr rechtliches Gehör - insbesondere betreffend die Klassenzuteilung und die Einreihungsregeln sowie die Berücksichtigung der besonderen Betriebsverhältnisse - zu gewähren hat (vgl. dazu auch das unveröffentlichte Urteil der Rekurskommission vom 21. November 2003, REKU 515/02, E. 4).

Dokumente der Eidgenössischen Rekurskommission für die Unfallversicherung
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : VPB-69.72
Datum : 23. Juli 2004
Publiziert : 23. Juli 2004
Quelle : Vorgängerbehörden des BVGer bis 2006
Status : Publiziert als VPB-69.72
Sachgebiet : Eidgenössische Rekurskommission für die Unfallversicherung
Gegenstand : Obligatorische Unfallversicherung. Verfügung über die obligatorische Unterstellung unter die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt...


Gesetzesregister
ATSG: 27
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
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1    Die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen sind verpflichtet, im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären.
2    Jede Person hat Anspruch auf grundsätzlich unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Dafür zuständig sind die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Für Beratungen, die aufwendige Nachforschungen erfordern, kann der Bundesrat die Erhebung von Gebühren vorsehen und den Gebührentarif festlegen.
3    Stellt ein Versicherungsträger fest, dass eine versicherte Person oder ihre Angehörigen Leistungen anderer Sozialversicherungen beanspruchen können, so gibt er ihnen unverzüglich davon Kenntnis.
BGE Register
118-IA-46 • 123-II-285 • 124-V-393 • 125-II-86 • 127-III-41 • 130-V-138
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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