VPB 61.74
(Auszug aus einem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 3. Oktober 1996)
Fremdenpolizei. Anerkennung der Staatenlosigkeit.
Art. 1 Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (Staatenlosen-Übereinkommen).
- Das Staatenlosen-Übereinkommen findet nur auf de iure Staatenlose Anwendung und bezweckt die Gleichbehandlung der Staatenlosen mit den Flüchtlingen, so namentlich in bezug auf die personenrechtliche Stellung, die Abgabe eines Reiseausweises, die Sozialversicherungen und die Unterstützung (E. 3b).
- De iure staatenlos ist, wer formell keine Staatsangehörigkeit besitzt (E. 3a).
- Die Voraussetzungen für die Staatenlosigkeit entfallen, wenn ein Staat die staatenlose Person (wieder) als seine Angehörige anzuerkennen bereit ist (E. 3c).
- Personen, die ihre Staatsbürgerschaft freiwillig aufgegeben haben oder sich ohne triftige Gründe weigern, diese wiederzuerwerben, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten, fallen nicht unter das Staatenlosen-Übereinkommen (E. 3c).
- Möglichkeit des Wiedererwerbs der albanischen Staatsbürgerschaft. Auffang- und Schutzcharakter des Staatenlosen-Übereinkommens (E. 3d).
Police des étrangers. Reconnaissance du statut d'apatride.
Art. 1 Convention relative au statut des apatrides du 28 septembre 1954.
- La Convention relative au statut des apatrides ne s'applique qu'aux apatrides «de jure» et a pour but de traiter les apatrides de la même manière que les réfugiés, en particulier en ce qui concerne le statut personnel, la délivrance d'un titre de voyage, les assurances sociales et l'assistance (consid. 3b).
- Est apatride «de jure» la personne qui ne possède formellement pas de nationalité (consid. 3a).
- Les conditions requises pour la reconnaissance du statut d'apatride ne sont pas données lorsqu'un Etat se déclare disposé à réintégrer une personne dans sa nationalité (consid. 3c).
- La Convention relative au statut des apatrides n'est pas applicable aux personnes qui abandonnent volontairement leur nationalité ou refusent, sans raisons valables, de la recouvrer, alors qu'elles auraient la possibilité de le faire (consid. 3c).
- Possibilité de recouvrer la nationalité albanaise. Portée (protectrice) de la Convention relative au statut des apatrides (consid. 3d).
Polizia degli stranieri. Riconoscimento dello statuto d'apolide.
Art. 1 Convenzione sullo statuto degli apolidi del 28 settembre 1954.
- La convenzione sullo statuto degli apolidi si applica solo agli apolidi «de iure» e ha lo scopo di trattare gli apolidi allo stesso modo dei rifugiati, in particolare per quanto riguarda lo statuto personale, il rilascio di un titolo di viaggio, le assicurazioni sociali e l'assistenza (consid. 3b).
- Apolide «de iure» è la persona che non possiede formalmente una nazionalità (consid. 3a).
- Le condizioni che adempiono allo statuto di apolide vengono a mancare qualora uno Stato si dichiari disposto a reintegrare tale persona nella sua nazionalità (consid. 3c).
- La Convenzione sullo statuto degli apolidi non è applicabile per le persone che abbandonano volontariamente la loro nazionalità o rifiutano, senza ragioni valide, di ricuperarla se ne avessero la possibilità (consid. 3c).
- Possibilità di ricuperare la nazionalità albanese. Portata e carattere protettivo della Convenzione sullo statuto degli apolidi (consid. 3d).
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Am 20. März 1992 stellte D., Nachkomme albanischer Staatsangehöriger, welche aufgrund ihrer Flucht im Jahre 1950 durch den albanischen Staat ausgebürgert worden waren, beim Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) unter anderem ein Gesuch um Anerkennung seiner Staatenlosigkeit. Das Bundesamt wies dieses Begehren im wesentlichen mit der Begründung ab, infolge einer Änderung des albanischen Staatsangehörigkeitsdekrets werde ausgebürgerten oder ausgewanderten Exilalbanern ihre albanische Staatsbürgerschaft auf Gesuch hin wiedererteilt. Da D. von dieser Möglichkeit Gebrauch machen könne, falle er nicht unter das Staatenlosen-Übereinkommen.
Eine Beschwerde an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement blieb ohne Erfolg.
Das Schweizerische Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Aus den Erwägungen:
(...)
3.a. Das von der Schweiz am 3. Juli 1972 ratifizierte Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Staatenlosen-Übereinkommen, SR 0.142.40) definiert in Art. 1 Ziff. 1 den Staatenlosen als «eine Person, die kein Staat aufgrund seiner Gesetzgebung als seinen Angehörigen betrachtet». Dem Staatenlosen gewährt kein Staat diplomatischen Schutz, und kein Staat ist zu seiner Aufnahme verpflichtet. De iure staatenlos ist, wer formell keine Staatsangehörigkeit besitzt. Der de facto Staatenlose hat zwar formell noch eine Staatsangehörigkeit, sein Heimatstaat gewährt ihm aber keinen Schutz mehr, oder er selbst lehnt den Schutz des Heimatstaates ab (Samuel Werenfels, Der Begriff des Flüchtlings im schweizerischen Asylrecht, Diss. Bern 1987, S. 128/129).
b. Das Staatenlosen-Übereinkommen findet gemäss der erwähnten Begriffsbestimmung von Art. 1 nur auf die de iure Staatenlosen Anwendung (Yvonne Burckhardt-Erne, Die Rechtsstellung der Staatenlosen im Völkerrecht und schweizerischen Landesrecht, Diss. Bern 1977, S. 19). Es bezweckt die «Gleichbehandlung der Staatenlosen mit den Flüchtlingen, so namentlich in bezug auf die personenrechtliche Stellung, die Abgabe eines Reiseausweises, die Sozialversicherungen und die Unterstützung» (BBl 1971 II 424; vgl. auch die Präambel des Staatenlosen-Übereinkommens). Indessen hat der Beschwerdeführer - sogar wenn er als Staatenloser anerkannt würde und die beantragten Ausweispapiere erhielte - keinen Anspruch auf Erteilung oder Erneuerung einer Aufenthaltsbewilligung (vgl. Burckhardt-Erne, a. a. O., S. 64, 123/124; vgl. auch Werner Kanein / Günter Renner, Ausländerrecht, München 1993, N. 16, S. 7/8). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet damit einzig die Frage, ob der Beschwerdeführer als Staatenloser anzuerkennen ist, nicht jedoch dessen - allfällige - Aufenthaltsregelung in der Schweiz.
c. Das Übereinkommen äussert sich nicht zur Frage, ob der Zustand der Staatenlosigkeit andauert, wenn die (Wieder)Einbürgerung im ehemaligen Heimatstaat möglich ist. Hingegen fällt gemäss Art. 1 lit. C Ziff. 5 und 6 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Flüchtlings-Konvention, SR 0.142.30) eine Person, deren Flüchtlingsstatus anerkannt worden war, nicht mehr länger unter die Flüchtlings-Konvention, «wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz ihres Heimatstaates in Anspruch zu nehmen», oder, «wenn sie staatenlos und nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, in der Lage ist, in das Land ihres früheren Wohnsitzes zurückzukehren». Der Flüchtlingsstatus wird allerdings dann nicht aufgehoben, wenn die betreffende Person es aus triftigen Gründen, die auf die frühere Verfolgung zurückgehen, ablehnt, den Schutz des Heimatstaates in Anspruch zu nehmen bzw. in das Land des früheren Wohnsitzes zurückzukehren. Aus diesen Bestimmungen der Flüchtlings-Konvention wird deutlich, dass der Flüchtlingsstatus einen potentiell vorübergehenden Zustand darstellt, mit dem für den
Flüchtling nur solange besondere persönliche und soziale Rechte verbunden sind, als die Gefahr der individuellen Verfolgung im Heimatstaat bzw. Herkunftsstaat (bei gleichzeitig Staatenlosen) andauert. Fällt die Gefahr der Verfolgung dahin, so wird auch der Flüchtlingsstatus aufgehoben. Wird der Zweck des Staatenlosen-Übereinkommens in Betracht gezogen, nämlich die Gleichstellung der Staatenlosen mit den Flüchtlingen, so ist - wenngleich das Staatenlosen-Übereinkommen keine analogen Gründe für die Aufhebung des Status der Staatenlosigkeit vorsieht - davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Staatenlosigkeit entfallen, wenn ein Staat die staatenlose Person (wieder) als seine Angehörige anzuerkennen bereit ist. Das Bundesgericht hat denn auch in einem unveröffentlichten Entscheid vom 4. Juli 1994 i. S. R. aus Art. 1 Staatenlosen-Übereinkommen e contrario geschlossen, dass Personen, die ihre Staatsbürgerschaft freiwillig aufgegeben haben oder sich ohne triftige Gründe weigern, diese wiederzuerwerben, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten, nicht unter das Staatenlosen-Übereinkommen fallen (E. 2c; vgl. auch Werenfels, a. a. O., S. 131).
d. Der Beschwerdeführer macht geltend, die albanische Staatsbürgerschaft nicht zu besitzen, und belegt dies mit einer Bestätigung vom 19. Juni 1992 der Albanischen Botschaft in Wien. Gemäss den von ihm ins Recht gelegten, in Jugoslawien ausgestellten Ausweisen (persönliche Identitätskarte für Ausländer der Gemeinde P.../Kosovo, Auszug betreffend «Aufenthaltserlaubnis durch den Sicherheitsdienst» in P..., Auszüge aus dem Geburts- und Eheregister) wird er indessen durchwegs als albanischer Staatsangehöriger bezeichnet. Wie es sich damit verhält, kann jedoch dahingestellt bleiben, da der Beschwerdeführer gestützt auf eine Änderung des albanischen Staatsangehörigkeitsdekrets (Dekret N° 255 vom 17. Juli 1992 betr. Ergänzung des Dekrets N° 1874 vom 7. Juni 1954 «Über die Albanische Staatsbürgerschaft») heute die Möglichkeit hat, die frühere Staatsangehörigkeit seiner Eltern auf Gesuch hin zu erwerben. Mit Note vom 30. August 1994 bestätigte die Albanische Botschaft in Bern, dass sich dieses Dekret auf alle Ausländer albanischer Herkunft bezieht, ungeachtet dessen, ob sie die albanische Staatsangehörigkeit je besessen haben («les étrangers de nationalité ou d'origine albanaise...»). Die im Ausland geborenen Kinder
ausgebürgerter albanischer Eltern können die albanische Staatsbürgerschaft demnach erwerben. Infolge der veränderten politischen Verhältnisse und der verbesserten Menschenrechtssituation in Albanien stehen dem Erwerb der Staatsbürgerschaft auch nicht triftige Gründe entgegen.
Der Beschwerdeführer kann selbstverständlich nicht dazu verpflichtet werden, die albanische Staatsbürgerschaft seiner Eltern anzunehmen. Ob seine diesbezügliche Weigerung allenfalls als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren wäre, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Würden ihm indessen in einer solchen Situation die mit der Staatenlosigkeit verknüpften Rechte zugestanden, verlöre dieser Rechtsstatus den ihm im Staatenlosen-Übereinkommen zugedachten Auffang- und Schutzcharakter und würde sich nach der persönlichen Präferenz des Betroffenen richten. Das hätte im übrigen auch eine deutliche Besserstellung der Staatenlosen gegenüber den Flüchtlingen zur Folge, deren Status - unabhängig vom Willen des Einzelnen - nach den tatsächlichen Verhältnissen im Heimatland beurteilt wird. Diese Konsequenz ist aber weder mit dem Staatenlosen-Übereinkommen noch mit der Flüchtlings-Konvention zu vereinbaren.
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