VPB 59.24

(Bundesamt für Justiz, 24. Januar 1994)

Ausführungsrecht zu internationalen Übereinkommen.

Für die Durchführung eines Staatsvertrages, dem nicht «self-executing» Charakter zukommt, ist eine formell-gesetzliche Grundlage erforderlich.

Législation d'exécution d'accords internationaux.

L'exécution d'un traité international qui n'a pas de caractère «self-executing» doit se fonder sur une base légale formelle.

Legislazione d'esecuzione di accordi internazionali.

L'esecuzione di un trattato internazionale che non abbia carattere «self-executing» deve fondarsi su una base legale formale.

Das Bundesamt für Justiz (BJ) untersuchte die Frage, welche Bedeutung bestimmte Übereinkommen (im Bereich des Tierschutzes) haben und ob allenfalls der Bundesrat gestützt auf diese Übereinkommen Verordnungsbestimmungen erlassen könnte.

Für das Verhältnis zwischen internationalem Recht und innerstaatlicher Rechtsordnung stellt sich die Schweiz auf den Standpunkt der monistischen Theorie[1]. Das bedeutet, dass internationale Normen von dem Zeitpunkt an, als sie für unser Land rechtskräftig werden, ohne Transformationsakt Bestandteil der schweizerischen Rechtsordnung darstellen und daher von allen Staatsorganen beachtet werden müssen.

Von der Frage der innerstaatlichen Geltung zu trennen ist die Frage des «self-executing» Charakters einer internationalen Norm sowie die Probleme rund um die innerstaatliche Umsetzung eines internationalen Vertrages beziehungsweise einer internationalen Norm.

Einem Staatsvertrag kommt dann «self-executing» Charakter zu, wenn sein Inhalt hinreichend klar und bestimmt ist, um als Grundlage eines Rechtsanwendungsaktes dienen zu können. Nach der konstanten Rechtsprechung des Bundesgerichts hat eine völkerrechtliche Norm «self-executing» Charakter, wenn sie justiziabel ist, Rechte und Pflichten der Einzelnen zum Inhalt hat sowie als Adressatin die rechtsanwendenden Behörden und nicht bloss die rechtsetzenden oder andere Behörden hat[2].

Nur Normen, welche nicht «self-executing» sind, bedürfen einer innerstaatlichen Durchführung in gesetzgeberischer Hinsicht. Dabei kann sich vorab die hier nicht weiter interessierende Frage stellen, ob dafür der Bund zuständig ist oder die Kantone. Da nach Art. 25bis Abs. 1 BV die Gesetzgebung über den Tierschutz Sache des Bundes ist[3], ist an der Kompetenz des Bundes zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des Tierschutzes nicht zu zweifeln.

Im weiteren stellt sich jedoch die Frage, ob der Bund die Durchführungsgesetzgebung auf der Verordnungsstufe vornehmen kann oder ob ein formelles Gesetz erforderlich ist, wenn dies nach den Erfordernissen des Legalitätsprinzips der Fall wäre. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage, ob ein internationales Abkommen eine formelle gesetzliche Grundlage ersetzen kann.

Dieses Problem wird in der Lehre kaum behandelt oder dann als nicht vollständig geklärt dargestellt[4].

Im Völkerrecht ist es anerkannt, dass die Art und Weise der innerstaatlichen Durchsetzung des internationalen Rechts Sache der Staaten und ihres eigenen Rechtssystems ist. Das Völkerrecht verpflichtet die Staaten lediglich, die Staatsverträge einzuhalten und durchzusetzen, lässt es aber offen, wie die Staaten dies tun[5]. Das Völkerrecht verlangt von den Staaten nicht, dass sie für die Durchführung der Staatsverträge ein spezielles, vereinfachtes Verfahren vorsehen; es verlangt von den Staaten nur, dass sie dafür sorgen, dass das internationale Recht von allen Organen beachtet wird. Es bestimmt sich also nach dem innerstaatlichen Recht, ob und wie staatsvertragliche Normen innerstaatlich auf Gesetzesstufe umzusetzen sind.

Es gibt in der Schweiz keine ausdrücklichen spezifischen Normen, welche ein spezielles vereinfachtes Verfahren für die innerstaatliche Rechtsetzung im Anschluss an Staatsverträge vorsehen.

Dennoch lassen sich Argumente vorbringen für die Position, dass der (von der Bundesversammlung genehmigte) Staatsvertrag die formelle gesetzliche Grundlage ersetzen kann. Es könnte argumentiert werden, das für die formelle Gesetzgebung zuständige Organ habe mit der Genehmigung des Staatsvertrages bereits über die Materie entschieden. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Genehmigung eines Staatsvertrages ein Akt ist, mit dem sich die Schweiz international verpflichtet. Mit der Genehmigung wird nicht innerstaatliches Gesetzesrecht geschaffen, sondern Recht als selbständige, autonome Rechtsquelle[6]. Im übrigen würde dieses Argument nur dort greifen, wo der Staatsvertrag dem fakultativen Referendum unterstellt war.

Im weiteren wird manchmal auch angeführt, die Staatsverträge und die Gesetze seien auf gleicher Stufe, weshalb der Bundesrat gestützt auf die Staatsverträge genauso Vollzugsrecht erlassen könne wie gestützt auf Bundesgesetze6. Die Behauptung, Bundesgesetze und Staatsverträge seien auf gleicher Stufe wird auf Art. 113 Abs. 3 BV gestützt. Nach dieser Bestimmung sind für das Bundesgericht bei der Beurteilung von Verfassungsbeschwerden die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüsse sowie die von ihr genehmigten Staatsverträge in jedem Fall verbindlich. Das bedeutet, dass das Bundesgericht diesen Erlassen nicht wegen Verfassungswidrigkeit die Anwendung versagen kann. Dieser Argumentation ist jedoch entgegenzuhalten, dass Art. 113 Abs. 3 allein das Verhältnis zur Verfassung regelt, aber nichts über das Verhältnis zwischen Bundesgesetz und Staatsvertrag aussagt[7]. Auch dieses Argument ist daher untauglich, um eine Verordnungskompetenz des Bundesrates für die Ausführung von nicht «self-executing» Verträgen zu begründen.

Im Gegensatz dazu sprechen verschiedene Gründe dafür, dass die Durchführung von Staatsverträgen, welche nicht «self-executing» Charakter haben, nach den auch sonst für die Gesetzgebung üblichen Verfahren und Grundsätzen zu erfolgen hat. So ist darauf hinzuweisen, dass nicht jeder von der Bundesversammlung genehmigte Staatsvertrag dem fakultativen Referendum untersteht. Nach Art. 89 Abs. 3 der Bundesverfassung unterstehen von der Bundesversammlung genehmigte Staatsverträge nur dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vorsehen[8]. Demgegenüber unterstehen grundsätzlich alle Bundesgesetze dem fakultativen Referendum[9]. Die beiden hier zur Diskussion stehenden Europaratsabkommen unterstanden nicht dem fakultativen Referendum[10]. Würde man daher argumentieren, die Übereinkommen ersetzten eine formelle gesetzliche Grundlage, so würden die demokratischen Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger beschnitten[11].

Staatsverträge ohne Normen mit «self-executing» Charakter belassen dem Staat oft grosse Spielräume bei der Wahl der innerstaatlichen Mittel zur Durchsetzung der Ziele des Staatsvertrages. Aus diesem Grund ist es auch bei Staatsverträgen, welche dem Referendum unterstellt waren, sinnvoll, dass das Parlament und Bürgerinnen und Bürger auf dem Referendumsweg bei der Wahl und Ausgestaltung der Mittel zur innerstaatlichen Durchführung nochmals eine Mitsprachemöglichkeit haben und der Bundesrat die Ausgestaltung nicht allein bestimmt.

Auf den gleichen Standpunkt stellt sich auch die bisherige schweizerische Praxis. In älteren Entscheiden und Stellungnahmen wird immer wieder bekräftigt, dass für die Durchführung von nicht «self-executing» Verträgen formelle gesetzliche

Grundlagen erforderlich sind[12]. Als Spezialfälle wurden in all diesen Fällen die «self-executing» Verträge betrachtet[13]. Bei diesen Verträgen wurde immer anerkannt, dass der Bundesrat befugt ist, Ausführungsrecht zu erlassen. Dieses Ausführungsrecht muss sich jedoch an einem engen Rahmen halten. Der Bundesrat darf lediglich die Vertragsbestimmungen näher konkretisieren und detaillieren; hingegen darf er nicht neues materielles Recht auf dem Verordnungsweg erlassen.

Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass für die Durchführung von Staatsverträgen, welche nicht «self-executing» Charakter haben, die übliche innerstaatliche Regelung über die Rechtsetzung gilt[14]. Das bedeutet, dass für wichtige Materien eine formelle gesetzliche Grundlage erforderlich ist und der Staatsvertrag diese nicht ersetzen kann.

[1] VPB 53 (1989) Nr. 54, S. 403.
[2] BGE 112 Ia 184, 111 V 202 ff.; Schindler Dietrich in: Kommentar BV, Art. 85 Ziff. 5 , Rz. 58.
[3] Fleiner-Gerster Thomas in: Kommentar BV, Art. 25bis, Rz. 8.
[4] Schindler, a.a.O., Rz. 65; Wildhaber Luzius, Aussenpolitische Kompetenzordnung im schweizerischen Bundesstaat, in: Neues Handbuch der Schweizerischen Aussenpolitik, Bern 1992, S. 140.
[5] Siehe die Hinweise bei Kälin Walter, Der Geltungsgrund des Grundsatzes «Völkerrecht bricht Landesrecht», in: Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1988, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins (ZbJV) 124bis, S. 51 f.
[6] VEB (=VPB) 26 (1956) Nr. 1.
[7] Jacot-Guillarmod Olivier, La primauté du droit international face à quelques pricipes directeurs de l'Etat fédéral suisse, Zeitschrift für Schweizerisches Recht (ZSR) NF 104 (1985) 403 ff.; Schindler, a.a.O., Rz. 59.
[8] Schindler, a.a.O., Art. 89 Abs. 3, Rz. 1 ff.
[9] Schindler, a.a.O., Art. 89 Abs. 2, Rz. 20 ff.
[10] BBl 1992 V 1023.
[11] Ein Indiz dafür, dass die demokratischen Mitwirkungsrechte durch Staatsverträge nicht beschnitten werden sollen, ist die Praxis zu Art. 89 Abs. 3 Bst. c BV. Verträge unterstehen gestützt auf diesen Buchstaben nur dem Referendum, wenn sie «self-executing» Bestimmungen enthalten. Hingegen, so wurde in diesem Zusammenhang argumentiert, unterstehen Verträge mit Normen, die lediglich den staatlichen Gesetzgeber zum Erlass von bestimmten Normen verpflichten, nicht dem Referendum, weil die innerstaatlichen Normen ihrerseits dem Referendum unterstehen (Schindler, a.a.O., Art. 89 Abs. 3, Rz. 19).
[12] VEB 26 (1956) Nr. 1, VPB 33 (1966-67) Nr. 4, VPB 34 (1968-69) Nr. 4, VPB 41 (1977) Nr. 90.
[13] Schindler, a.a.O., Art. 85 Ziff. 5, Rz. 65.
[14] Dieselbe Auffassung vertreten grundsätzlich auch Schindler, a.a.O., Art. 85 Ziff. 5, Rz. 65 und Wildhaber, a.a.O., S. 140. Demgegenüber gesteht Boehringer Markus, Ausführung und Vollzug von Staatsverträgen durch bundesrätliche Verordnungen, Bern und Frankfurt 1970, dem Bundesrat grundsätzlich das Recht zu, Staatsverträge durch Verordnungen auszuführen und zu vollziehen.

Dokumente des BJ
Decision information   •   DEFRITEN
Document : VPB-59.24
Date : 24. Januar 1994
Published : 24. Januar 1994
Source : Vorgängerbehörden des BVGer bis 2006
Status : Publiziert als VPB-59.24
Subject area : Bundesamt für Justiz (BJ)
Subject : Ausführungsrecht zu internationalen Übereinkommen.


Legislation register
BV: 25bis  85  89  113
BGE-register
111-V-201 • 112-IA-180
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BBl
1992/V/1023