TPF 2005 199, p.199

51. Auszug aus dem Entscheid des Präsidenten der Beschwerdekammer in Sachen Bundesanwaltschaft gegen A. und unbekannte Täterschaft vom 21. November 2005 (TK.2005.151)

Telefonüberwachung; Absehen von Mitteilung bzw. Aufschub der Mitteilung.
Art. 10 Abs. 3 lit. a
SR 780.1 Bundesgesetz vom 18. März 2016 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF)
BÜPF Art. 10 Akteneinsichtsrecht und Recht auf Auskunft über die Daten - 1 In Bezug auf Daten, welche im Rahmen eines Strafverfahrens oder im Rahmen des Vollzugs eines Rechtshilfeersuchens gesammelt wurden, richten sich:
1    In Bezug auf Daten, welche im Rahmen eines Strafverfahrens oder im Rahmen des Vollzugs eines Rechtshilfeersuchens gesammelt wurden, richten sich:
a  das Akteneinsichtsrecht und das Auskunftsrecht im Rahmen eines hängigen Verfahrens: nach dem anwendbaren Verfahrensrecht;
b  das Recht auf Auskunft nach Abschluss des Verfahrens: nach dem Datenschutzgesetz vom 25. September 202017 (DSG), wenn eine Bundesbehörde mit dem Rechtshilfeersuchen befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist.
2    Das Recht auf Auskunft über die Daten, welche bei der Suche nach vermissten Personen oder der Fahndung nach verurteilten Personen gesammelt wurden, richtet sich nach dem DSG, wenn eine Bundesbehörde mit der Suche oder der Fahndung befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist. Artikel 279 StPO18 ist analog anwendbar.
2bis    Das Recht auf Auskunft über die Daten, welche beim Vollzug des NDG19 gesammelt wurden, richtet sich nach dem NDG.20
2ter    Das Recht auf Auskunft über die Daten, die im Rahmen von Mobilfunklokalisierungen nach Artikel 23q Absatz 3 BWIS21 gesammelt wurden, richtet sich nach dem DSG, wenn eine Bundesbehörde mit der Überwachung befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist.22
3    Die von einer Überwachung betroffene Person kann ihre Rechte gegenüber der mit dem Verfahren befassten Behörde geltend machen oder, wenn keine Behörde mehr mit dem Verfahren befasst ist, gegenüber der letzten damit befassten Behörde. Der Dienst ist nicht zuständig für die Auskunftserteilung.
4    Der Bundesrat regelt, auf welche Art diese Rechte gewährt werden. Dabei garantiert er die Parteirechte insbesondere in den Fällen, in denen die Anfertigung von Kopien der Akten unmöglich oder nur mit einem unverhältnismässigen Aufwand möglich ist.
BÜPF

Das Absehen von einer Mitteilung der Telefonüberwachung an den Betroffenen ist nur ausnahmsweise zulässig; stattdessen kann ein Aufschub zulässig sein, beispielsweise bis zum Abschluss eines ausländischen Ermittlungsverfahrens.

Surveillance téléphonique; renonciation à la communication, respectivement report de celle-ci.

Art. 10 al. 3 let. a LSCPT

La renonciation à une communication de la surveillance téléphonique à la personne visée n'est admissible qu'à titre exceptionnel; en lieu et place, un report peut être admissible, p.ex. jusqu'à la clôture d'une procédure d'enquête étrangère.

Sorveglianza telefonica; rinuncia alla comunicazione risp. differimento della comunicazione.

Art. 10 cpv. 3 lett. a LSCPT

La rinuncia alla comunicazione della sorveglianza telefonica all'interessato è ammissibile solo in casi eccezionali; può invece essere ammissibile un differimento, ad esempio fino alla conclusione di una procedura investigativa estera.

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Im Vorfeld der definitiven Einstellung eines Ermittlungsverfahrens ersuchte die Bundesanwaltschaft bezüglich zahlreicher Telefonüberwachungen um Zustimmung zum Absehen von einer Mitteilung an die Betroffenen.

TPF 2005 199, p.200

Der Präsident der Beschwerdekammer verweigerte diese bzw. erteilte seine Zustimmung zu einem Aufschub der Mitteilung bis 31. Dezember 2006.

Aus den Erwägungen:

(...)

Im vorliegenden Ersuchen macht die Bundesanwaltschaft neu geltend, die Ermittlungen seien abgeschlossen und das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren gegen A. sowie gegen unbekannte Täterschaft werde definitiv eingestellt. (...) Nachdem die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen A. und unbekannte Täterschaft nunmehr definitiv einstellen will, ist sie zur Mitteilung der Überwachungen an die betroffenen Personen verpflichtet. Auf das Ersuchen um Absehen von Mitteilungen ist demnach grundsätzlich einzutreten.

Das Strafverfahren, in dessen Rahmen die vorliegend in Frage stehenden Überwachungsmassnahmen angeordnet und genehmigt worden sind, richtet sich einerseits gegen A. sowie andererseits gegen unbekannte Täterschaft. A. wird verdächtigt, einer der Drahtzieher des Mordes vom 12. März 2003 am damaligen serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic gewesen sowie einer der Anführer des serbischen Untergrundclans B. zu sein. Er stellte sich am 2. Mai 2004 in Belgrad der Polizei, ist seither inhaftiert und steht in Serbien unter Anklage. Nach Auffassung der Bundesanwaltschaft würden bei einer Mitteilung der Überwachungen die entsprechenden Kenntnisse von den Betroffenen umgehend untereinander ausgetauscht werden. Dadurch würden die im weiteren Umfeld in verschiedenen anderen (kantonalen und ausländischen) Verfahren im Gange befindlichen Ermittlungen gegen die so gewarnten Personen im Kreise des B.-Clans torpediert und Erfolge mit Bezug auf die Aufdeckung der kriminellen Organisationsstruktur stark gefährdet bzw. verunmöglicht. Die Geheimhaltung der Überwachungmassnahmen liege offensichtlich im überwiegenden öffentlichen Interesse im Sinne von Art. 10 Abs. 3 lit. a
SR 780.1 Bundesgesetz vom 18. März 2016 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF)
BÜPF Art. 10 Akteneinsichtsrecht und Recht auf Auskunft über die Daten - 1 In Bezug auf Daten, welche im Rahmen eines Strafverfahrens oder im Rahmen des Vollzugs eines Rechtshilfeersuchens gesammelt wurden, richten sich:
1    In Bezug auf Daten, welche im Rahmen eines Strafverfahrens oder im Rahmen des Vollzugs eines Rechtshilfeersuchens gesammelt wurden, richten sich:
a  das Akteneinsichtsrecht und das Auskunftsrecht im Rahmen eines hängigen Verfahrens: nach dem anwendbaren Verfahrensrecht;
b  das Recht auf Auskunft nach Abschluss des Verfahrens: nach dem Datenschutzgesetz vom 25. September 202017 (DSG), wenn eine Bundesbehörde mit dem Rechtshilfeersuchen befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist.
2    Das Recht auf Auskunft über die Daten, welche bei der Suche nach vermissten Personen oder der Fahndung nach verurteilten Personen gesammelt wurden, richtet sich nach dem DSG, wenn eine Bundesbehörde mit der Suche oder der Fahndung befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist. Artikel 279 StPO18 ist analog anwendbar.
2bis    Das Recht auf Auskunft über die Daten, welche beim Vollzug des NDG19 gesammelt wurden, richtet sich nach dem NDG.20
2ter    Das Recht auf Auskunft über die Daten, die im Rahmen von Mobilfunklokalisierungen nach Artikel 23q Absatz 3 BWIS21 gesammelt wurden, richtet sich nach dem DSG, wenn eine Bundesbehörde mit der Überwachung befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist.22
3    Die von einer Überwachung betroffene Person kann ihre Rechte gegenüber der mit dem Verfahren befassten Behörde geltend machen oder, wenn keine Behörde mehr mit dem Verfahren befasst ist, gegenüber der letzten damit befassten Behörde. Der Dienst ist nicht zuständig für die Auskunftserteilung.
4    Der Bundesrat regelt, auf welche Art diese Rechte gewährt werden. Dabei garantiert er die Parteirechte insbesondere in den Fällen, in denen die Anfertigung von Kopien der Akten unmöglich oder nur mit einem unverhältnismässigen Aufwand möglich ist.
BÜPF. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen A. und unbekannte Täterschaft durch die Bundesanwaltschaft hat obwohl dies nur implizit aus dem Ersuchen hervorgeht grundsätzlich zur Folge, dass die aus der Überwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht zu Beweiszwecken verwendet werden (HANSJAKOB, BÜPF/VÜPF, Kommentar zum Bundesgesetz und zur Verordnung über die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs, St. Gallen 2002, S. 233

TPF 2005 199, p.201

Ziff. 28). Dies trifft jedenfalls zu, solange die Erkenntnisse nicht im Rahmen von Abtretungsverfügungen an andere Behörden weitergegeben werden (HANSJAKOB, a.a.O., S. 227 Ziff. 13). Damit ist die Grundvoraussetzung für einen Mitteilungsverzicht bzw. -aufschub an sich erfüllt. Mit Blick auf das angerufene überwiegende öffentliche Interesse legt die Bundesanwaltschaft indes nicht konkret dar, welche Ermittlungen anderer Behörden bei einer Mitteilung der Überwachungen gefährdet würden. Sie weist in diesem Zusammenhang lediglich auf Ermittlungsverfahren in Österreich und Deutschland hin, in welchen C. als Kontaktperson einer Hauptzielperson figuriere, welche in Verbindung mit dem B.-Clan stehen solle. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft selbst ergaben, dass C. einen intensiven Kontakt zu Mitgliedern des B.-Clans, speziell zu D., unterhält; Beweise für einen direkten Kontakt zu A. konnten durch die Überwachungsmassnahmen jedoch nicht erbracht werden. Nachdem die Überwachungen Personen im nahen Umfeld von A. betrafen und hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Personen Kontakte mit Mitgliedern des B.-Clans pflegen, würde eine sofortige Mitteilung offensichtlich die im Gange befindlichen Ermittlungen anderer Behörden gefährden, denn es muss bei dieser Sachlage von einer Weiterleitung der erhaltenen Informationen an die Mitglieder des B.-Clans ausgegangen werden. Nach Abschluss dieser Ermittlungen ist eine Gefährdung der Bekämpfung des organisierten Verbrechens - soweit Mitglieder des B.-Clans in Frage stehen - nicht länger gegeben. Daher kann nicht ein Verzicht, welcher nach dem Willen des Gesetzgebers die absolute Ausnahme darstellen muss (HANSJAKOB, a.a.O., S. 233 Ziff. 30), sondern bloss ein Aufschub der Mitteilungen in Frage kommen (vgl. HANSJAKOB, a.a.O., S. 235 Ziff. 35). Dieser Aufschub ist in zeitlicher Hinsicht mit dem Abschluss der genannten Untersuchungen der österreichischen und deutschen Strafuntersuchungsbehörden zu koordinieren; konkrete Ermittlungen anderer Behörden wurden nicht namhaft gemacht. Im Sinne einer Kontrolle ist der Aufschub zudem mit einer Frist zu versehen (HANSJAKOB, a.a.O., S. 233 Ziff. 30). (...)
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : TPF 2005 199
Datum : 01. Januar 2004
Publiziert : 01. Januar 2004
Quelle : Bundesstrafgericht
Status : TPF 2005 199
Sachgebiet : Art. 10 Abs. 3 lit. a BÜPF Das Absehen von einer Mitteilung der Telefonüberwachung an den Betroffenen ist nur ausnahmsweise...
Gegenstand : Telefonüberwachung; Absehen von Mitteilung bzw. Aufschub der Mitteilung.


Gesetzesregister
BÜPF: 10
SR 780.1 Bundesgesetz vom 18. März 2016 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF)
BÜPF Art. 10 Akteneinsichtsrecht und Recht auf Auskunft über die Daten - 1 In Bezug auf Daten, welche im Rahmen eines Strafverfahrens oder im Rahmen des Vollzugs eines Rechtshilfeersuchens gesammelt wurden, richten sich:
1    In Bezug auf Daten, welche im Rahmen eines Strafverfahrens oder im Rahmen des Vollzugs eines Rechtshilfeersuchens gesammelt wurden, richten sich:
a  das Akteneinsichtsrecht und das Auskunftsrecht im Rahmen eines hängigen Verfahrens: nach dem anwendbaren Verfahrensrecht;
b  das Recht auf Auskunft nach Abschluss des Verfahrens: nach dem Datenschutzgesetz vom 25. September 202017 (DSG), wenn eine Bundesbehörde mit dem Rechtshilfeersuchen befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist.
2    Das Recht auf Auskunft über die Daten, welche bei der Suche nach vermissten Personen oder der Fahndung nach verurteilten Personen gesammelt wurden, richtet sich nach dem DSG, wenn eine Bundesbehörde mit der Suche oder der Fahndung befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist. Artikel 279 StPO18 ist analog anwendbar.
2bis    Das Recht auf Auskunft über die Daten, welche beim Vollzug des NDG19 gesammelt wurden, richtet sich nach dem NDG.20
2ter    Das Recht auf Auskunft über die Daten, die im Rahmen von Mobilfunklokalisierungen nach Artikel 23q Absatz 3 BWIS21 gesammelt wurden, richtet sich nach dem DSG, wenn eine Bundesbehörde mit der Überwachung befasst ist, oder nach kantonalem Recht, wenn eine kantonale Behörde damit befasst ist.22
3    Die von einer Überwachung betroffene Person kann ihre Rechte gegenüber der mit dem Verfahren befassten Behörde geltend machen oder, wenn keine Behörde mehr mit dem Verfahren befasst ist, gegenüber der letzten damit befassten Behörde. Der Dienst ist nicht zuständig für die Auskunftserteilung.
4    Der Bundesrat regelt, auf welche Art diese Rechte gewährt werden. Dabei garantiert er die Parteirechte insbesondere in den Fällen, in denen die Anfertigung von Kopien der Akten unmöglich oder nur mit einem unverhältnismässigen Aufwand möglich ist.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
frage • beschwerdekammer • wille • report • strafuntersuchung • kommunikation • fernmeldeverkehr • geheimhaltung • frist • deutschland • mord • kreis • anklage • betroffene person • sachverhalt
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