Auszug aus dem Urteil der Abteilung IV
i.S. A. und B. gegen Staatssekretariat für Migration
D-4248/2015 vom 28. Februar 2018
Nichteintreten auf ein Asylgesuch (Dublin-Verfahren). Anwendbarkeit von Art. 9 Dublin-III-VO. Weiterbestand des Bedürfnisses nach internationalem Schutz nach Erlöschen der vorläufigen Aufnahme. Grundsatzurteil.
Art. 9 Dublin-III-VO.
1. Art. 9 Dublin-III-VO ist anwendbar, wenn das mit der vorläufigen Aufnahme verbundene Bedürfnis nach internationalem Schutz nach Erlöschen der vorläufigen Aufnahme infolge Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (materiell) weiterhin besteht (E. 9.2).
2. Das Weiterbestehen des Bedürfnisses nach internationalem Schutz darf grundsätzlich ohne Weiteres vermutet werden. Ergeben sich aus den konkreten Verfahrensumständen gegenteilige Hinweise, ist vorfrageweise zu prüfen, ob das Schutzbedürfnis der aufenthaltsberechtigten Person noch besteht. Dabei ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die antragstellende Person in der Schweiz um Asyl nachgesucht hat (E. 9.3).
Non-entrée en matière sur une demande d'asile (procédure Dublin). Applicabilité de l'art. 9 du règlement Dublin III. Maintien d'un besoin de protection internationale après l'extinction de l'admission provisoire. Arrêt de principe.
Art. 9 règlement Dublin III.
1. L'art. 9 du règlement Dublin III s'applique lorsque le besoin de protection internationale ayant justifié l'admission provisoire perdure (matériellement) après l'extinction de celle-ci, suite l'octroi d'une autorisation de séjour (consid. 9.2).
2. Le maintien du besoin de protection internationale peut en principe être présumé sans autre. Lorsque des éléments contraires résultent des circonstances concrètes de la procédure, il convient d'examiner, titre préjudiciel, si le besoin de protection de la personne au bénéfice de l'autorisation de séjour existe encore. Le moment déterminant pour l'examen est celui où la personne requérante a demandé l'asile en Suisse (consid. 9.3).
Non entrata nel merito di una domanda d'asilo (procedura Dublino). Applicabilit dell'art. 9 del Regolamento Dublino III. Continuit del bisogno di protezione internazionale dopo la decadenza dell'
ammissione provvisoria. Sentenza di principio.
Art. 9 Regolamento Dublino III.
1. L'art. 9 del Regolamento Dublino III è applicabile se il bisogno di protezione internazionale su cui si fonda l'ammissione provvisoria continua a sussistere (materialmente) nonostante la decadenza della stessa a seguito del rilascio di un permesso di dimora (consid. 9.2).
2. Di principio, si può presumere la persistenza del bisogno di protezione internazionale. Qualora, dalle circostanze concrete della procedura, emergano indizi contrari, occorre stabilire a titolo pregiudiziale se persiste il bisogno di protezione del titolare del permesso di dimora. Per tale esame, fa stato il momento nel quale il richiedente ha chiesto asilo in Svizzera (consid. 9.3).
A. und ihr Kind B. (nachfolgend: Beschwerdeführende) suchten am 2. Juni 2015 in der Schweiz um Asyl nach. A. begründete ihr Asylgesuch damit, dass sie geschieden sei und ihr im Heimatstaat eine Zwangsverheiratung drohe.
Ein Abgleich der Fingerabdrücke von A. mit der " Eurodac "-Datenbank ergab, dass sie gemäss dem zentralen Visa-Informationssystem (CS-VIS) über ein von einer französischen Auslandsvertretung ausgestelltes Schengen-Visum verfügt.
Mit Verfügung vom 26. Juni 2015 trat das Staatssekretariat für Migration (SEM, zuvor Bundesamt für Migration [BFM]) in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 31a Entscheide des SEM - 1 Das SEM tritt in der Regel auf Asylgesuche nicht ein, wenn Asylsuchende: |
Die Beschwerdeführenden erhoben beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragten, die Verfügung sei aufzuheben und auf ihre Asylgesuche sei einzutreten. Dabei machte A. geltend, dass sie sich vom Vater ihres Kindes habe scheiden lassen und daraufhin C., welcher in der Schweiz lebe, im Jahr 2014 geheiratet habe. C. sei im Jahr 2005 mit Verfügung des BFM infolge Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs in der Schweiz vorläufig aufgenommen worden. Seit dem Jahr 2010 verfüge er über eine Aufenthaltsbewilligung.
Das Urteil erging in Besetzung mit fünf Richtern beziehungsweise Richterinnen und bildete Gegenstand eines von der Vereinigung der Abteilungen IV, V und VI im Sinne von Art. 25 Abs. 2

SR 173.32 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG) - Verwaltungsgerichtsgesetz VGG Art. 25 Praxisänderung und Präjudiz - 1 Eine Abteilung kann eine Rechtsfrage nur dann abweichend von einem früheren Entscheid einer oder mehrerer anderer Abteilungen entscheiden, wenn die Vereinigung der betroffenen Abteilungen zustimmt. |
Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut, hebt die angefochtene Verfügung auf und weist die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Aus den Erwägungen:
9.2 Während im Falle der Aufhebung der vorläufigen Aufnahme gemäss Art. 84 Abs. 2

SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz AIG Art. 84 Beendigung der vorläufigen Aufnahme - 1 Das SEM überprüft periodisch, ob die Voraussetzungen für die vorläufige Aufnahme noch gegeben sind. |

SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz AIG Art. 84 Beendigung der vorläufigen Aufnahme - 1 Das SEM überprüft periodisch, ob die Voraussetzungen für die vorläufige Aufnahme noch gegeben sind. |
nach Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung noch gegeben sind, da die betroffene Person in diesem Fall weiterhin als Begünstigte internationalen Schutzes aufenthaltsberechtigt ist.
9.3 Das Weiterbestehen des Bedürfnisses nach internationalem Schutz darf grundsätzlich ohne Weiteres vermutet werden. Ergeben sich jedoch aus den konkreten Verfahrensumständen Hinweise darauf, dass das Schutzbedürfnis der aufenthaltsberechtigten Person nicht mehr besteht, ist diese Frage vorfrageweise inhaltlich zu prüfen. Gemäss Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO ist dabei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Antragsteller in der Schweiz um Asyl nachgesucht hat.