2010/17
Auszug aus dem Urteil der Abteilung V i. S. A. gegen Bundesamt für Migration
E-2783/2007 vom 23. Februar 2010
Regeste Deutsch
Asylwiderruf. Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Art. 63 Abs. 1 Bst. b
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 63 Widerruf - 1 Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
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1 | Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
a | wenn die ausländische Person das Asyl oder die Flüchtlingseigenschaft durch falsche Angaben oder Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat; |
b | aus Gründen nach Artikel 1 Buchstabe C Ziffern 1-6 der Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951170. |
1bis | Es aberkennt die Flüchtlingseigenschaft, wenn Flüchtlinge in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat reisen. Die Aberkennung unterbleibt, wenn die ausländische Person glaubhaft macht, dass die Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund eines Zwangs erfolgte.171 |
2 | Das SEM widerruft das Asyl, wenn Flüchtlinge: |
a | die innere oder die äussere Sicherheit der Schweiz verletzt haben oder gefährden oder besonders verwerfliche strafbare Handlungen begangen haben; |
b | ein Reiseverbot nach Artikel 59c Absatz 1 zweiter Satz AIG172 missachtet haben.173 |
3 | Der Asylwiderruf oder die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt gegenüber allen eidgenössischen und kantonalen Behörden. |
4 | Der Asylwiderruf oder die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft erstreckt sich nicht auf den Ehegatten und die Kinder.174 |
Die Flüchtlingseigenschaft ist abzuerkennen und das gewährte Asyl zu widerrufen, wenn sich eine Person freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat (E. 3 und 5).
Regeste en français
Révocation de l'asile. Retrait de la qualité de réfugié.
Art. 63 al. 1 let. b LAsi en relation avec art. 1 C par. 1 Convention du 28 juillet 1951 relative au statut des réfugiés.
La qualité de réfugié doit être retirée et l'asile révoqué lorsqu'une personne se place librement à nouveau sous la protection du pays dont elle dispose de la nationalité (consid. 3 et 5).
Regesto in italiano
Revoca dell'asilo. Disconoscimento della qualità di rifugiato.
Art. 63 cpv. 1 lett. b LAsi in combinato disposto con art. 1 C n. 1 della Convenzione del 28 luglio 1951 sullo statuto dei rifugiati.
La qualità di rifugiato deve essere disconosciuta e l'asilo revocato ad una persona allorquando questa si è volontariamente rimessa sotto la protezione dello Stato di cui possiede la cittadinanza (consid. 3 e 5).
Sachverhalt
Mit Verfügung vom 29. März 2007 aberkannte das Bundesamt für Migration (BFM) die dem Beschwerdeführer am 26. Juni 1997 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft und widerrief das ihm gewährte Asyl.
Mit Rechtsmitteleingabe vom 19. April 2007 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter unter Aufhebung der angefochtenen Verfügung den Verzicht auf die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf den Asylwiderruf.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
3. Gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 63 Widerruf - 1 Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
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1 | Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
a | wenn die ausländische Person das Asyl oder die Flüchtlingseigenschaft durch falsche Angaben oder Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat; |
b | aus Gründen nach Artikel 1 Buchstabe C Ziffern 1-6 der Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951170. |
1bis | Es aberkennt die Flüchtlingseigenschaft, wenn Flüchtlinge in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat reisen. Die Aberkennung unterbleibt, wenn die ausländische Person glaubhaft macht, dass die Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund eines Zwangs erfolgte.171 |
2 | Das SEM widerruft das Asyl, wenn Flüchtlinge: |
a | die innere oder die äussere Sicherheit der Schweiz verletzt haben oder gefährden oder besonders verwerfliche strafbare Handlungen begangen haben; |
b | ein Reiseverbot nach Artikel 59c Absatz 1 zweiter Satz AIG172 missachtet haben.173 |
3 | Der Asylwiderruf oder die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt gegenüber allen eidgenössischen und kantonalen Behörden. |
4 | Der Asylwiderruf oder die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft erstreckt sich nicht auf den Ehegatten und die Kinder.174 |
4. (...)
5.
5.1
5.1.1 Vorliegend ist zu prüfen, ob sich der Beschwerdeführer mit seiner von ihm anerkannten, im (...) erfolgten Reise in den Irak freiwillig unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, gestellt hat (Art. 1 C Ziff. 1 FK), wofür kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sein müssen: Der Beschwerdeführer muss erstens freiwillig in Kontakt mit seinem Heimatland getreten sein, er muss zweitens beabsichtigt haben, von seinem Heimatland Schutz in Anspruch zu nehmen, und drittens muss ihm dieser Schutz auch tatsächlich gewährt worden sein (Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission EMARK 2002 Nr. 8 E. 8 S. 65 mit weiteren Hinweisen).
5.1.2 Heimatreisen von Flüchtlingen müssen restriktiv beurteilt werden. Grundsätzlich stellt der Umstand, dass sich jemand zurück in den Verfolgerstaat begibt, ein starkes Indiz dafür dar, dass die frühere Verfolgungssituation oder die Furcht vor Verfolgung nicht mehr bestehen. Trotzdem dürfen eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und ein Widerruf des Asyls erst dann ausgesprochen werden, wenn die in der vorstehenden E. 5.1.1 erwähnten drei Voraussetzungen in ihrer Gesamtheit erfüllt sind. Entfällt eine dieser drei Voraussetzungen, ist von der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und vom Widerruf des Asyls abzusehen EMARK 1996 Nr. 12 E. 7 S. 101 f.).
5.2
5.2.1 Das Kriterium der Freiwilligkeit bedingt, dass der Akt des Flüchtlings (welcher auf eine Unterschutzstellung hinweist) ohne äusseren Zwang, weder durch die Umstände im Asylland noch durch die Behörden des Heimatstaates, geschieht. Es fehlt daher beispielsweise an der Freiwilligkeit des Kontaktes mit den Behörden des Heimatstaates, wenn der Flüchtling auf Geheiss der Behörden des Asyllandes bei der Vertretung seines Heimatstaates die Ausstellung oder Erneuerung seines Reisepasses beantragt EMARK 1996 Nr. 12 E. 8a S. 103).
5.2.2 Das Vorbringen des Beschwerdeführers auf Beschwerdeebene, er sei im (...) nach (...) gereist, um seine betagte, schwer kranke Mutter nach einer über achtjährigen Trennung zu besuchen, vermag den Anforderungen an die Glaubhaftigkeit nicht zu genügen. Insbesondere ist in der Tat nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 19. März 2007 zuerst bestritten hat, in den Irak gereist zu sein, und erst auf Beschwerdeebene geltend macht, aus schwerwiegenden familiären Gründen in sein Heimatland gereist zu sein. Hinzu kommt, dass es der Beschwerdeführer entgegen seinen Zusicherungen in der Beschwerde und in seiner ergänzenden Eingabe unterlassen hat, im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht das in Aussicht gestellte ärztliche Zeugnis betreffend seine angeblich schwer erkrankte Mutter einzureichen oder wenigstens seine erfolglos gebliebenen Bemühungen für dessen Erlangung offenzulegen. Es ist deshalb entgegen den diesbezüglichen Ausführungen auf Beschwerdeebene davon auszugehen, dass er im (...) nicht auf Grund eines moralischen Drucks in den Irak gereist ist, weshalb von der Freiwilligkeit dieser Heimatreise auszugehen ist. Zwar wurde noch im Jahr 2002 festgehalten, aufgrund der speziellen
politischen Situation im Nordirak stelle eine Reise dorthin keine Kontaktnahme mit dem Heimatstaat dar. Die Situation nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein stellt sich jedoch insofern massiv verändert dar, als im Rahmen der Bildung einer neuen irakischen Regierung den kurdischen Nordprovinzen unter dem Dach des irakischen Gesamtstaates EMARK 2006 Nr. 19) weitgehende Autonomie zugestanden wurde. Mit der Reise des Beschwerdeführers in den Nordirak fand somit auch ein Kontakt mit dem Heimatstaat statt.
5.2.3 Für die Erfüllung des Kriteriums der beabsichtigten Unterschutzstellung genügt in der Regel die Inkaufnahme von Schutzgewährung durch den Heimatstaat. Bei der Beurteilung, ob dieses Kriterium gegeben ist, kommt es auch auf die Motive für die Heimatreise an. Einfache Urlaubs- und Vergnügungsreisen werden eher auf eine Inkaufnahme einer Unterschutzstellung schliessen lassen als Reisen aus Gründen, welche, ohne gleich die Freiwilligkeit auszuschliessen, immerhin ein gewisses Mass an psychischem Druck zur Heimatreise ausüben EMARK 1996 Nr. 12 E. 8b S. 103). Wie bereits vorstehend (E. 5.2.2) ausgeführt, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Irak seine Verwandten besucht hat. Es handelt sich somit um Verwandtenbesuche, die der Beschwerdeführer indessen nicht auf Grund moralischen oder seelischen Drucks vorgenommen hat. Der Beschwerdeführer hat somit durch seine Reise und das damit verbundene Verhalten (regulär erfolgte und mit entsprechender Grenzkontrolle verbundene Grenzüberschreitung im Einverständnis mit den irakischen Behörden) klar zum Ausdruck gebracht, dass er sich freiwillig unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, gestellt hat.
5.3 Als drittes Kriterium muss der Heimatstaat dem Beschwerdeführer effektiv Schutz gewährt haben. Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betreffende Person tatsächlich nicht mehr gefährdet ist. Diese Anhaltspunkte können vorwiegend in entsprechenden Handlungen des Heimatstaates gesehen werden EMARK 1996 Nr. 12 E. 8c S. 104). In diesem Zusammenhang kann auf BVGE 2008/4 hingewiesen werden. Darin wurde festgehalten, dass die Behörden der drei nordirakischen Provinzen grundsätzlich in der Lage und willens sind, den Einwohnern Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Diese Einschätzung dürfte sich bereits im (...) als richtig erwiesen haben. Jedenfalls bestehen dadurch, dass der Beschwerdeführer offenbar problemlos in den Irak einreisen, sich dort für einige Zeit (...) aufhalten und in der Folge wieder ungehindert aus dem Land ausreisen konnte, objektive Anhaltspunkte dafür, dass er im Irak bereits damals nicht mehr gefährdet beziehungsweise effektiv geschützt war. Der Beschwerdeführer wurde somit vom Irak effektiver Schutz gewährt, und zwar nicht nur von den nordirakischen Behörden, sondern im Ergebnis vom Zentralstaat, da sich dessen Machtbereich - wie erwähnt - bereits im damaligen Zeitpunkt
grundsätzlich auch auf die nordirakischen Provinzen erstreckte, und sich die nordirakischen Behörden insoweit nicht mehr in einer Sondersituation wie vor dem Machtwechsel befanden, sondern als Organe des Gesamtstaates handelten (vgl. diesbezüglich Urteil des BVGer D-4868/2006 vom 23. September 2008).
5.4
5.4.1 Somit sind vorliegend alle in Art. 1 C Ziff. 1 FK respektive Art. 63 Abs. 1 Bst. b
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 63 Widerruf - 1 Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
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1 | Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
a | wenn die ausländische Person das Asyl oder die Flüchtlingseigenschaft durch falsche Angaben oder Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat; |
b | aus Gründen nach Artikel 1 Buchstabe C Ziffern 1-6 der Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951170. |
1bis | Es aberkennt die Flüchtlingseigenschaft, wenn Flüchtlinge in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat reisen. Die Aberkennung unterbleibt, wenn die ausländische Person glaubhaft macht, dass die Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund eines Zwangs erfolgte.171 |
2 | Das SEM widerruft das Asyl, wenn Flüchtlinge: |
a | die innere oder die äussere Sicherheit der Schweiz verletzt haben oder gefährden oder besonders verwerfliche strafbare Handlungen begangen haben; |
b | ein Reiseverbot nach Artikel 59c Absatz 1 zweiter Satz AIG172 missachtet haben.173 |
3 | Der Asylwiderruf oder die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt gegenüber allen eidgenössischen und kantonalen Behörden. |
4 | Der Asylwiderruf oder die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft erstreckt sich nicht auf den Ehegatten und die Kinder.174 |
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 63 Widerruf - 1 Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
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1 | Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
a | wenn die ausländische Person das Asyl oder die Flüchtlingseigenschaft durch falsche Angaben oder Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat; |
b | aus Gründen nach Artikel 1 Buchstabe C Ziffern 1-6 der Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951170. |
1bis | Es aberkennt die Flüchtlingseigenschaft, wenn Flüchtlinge in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat reisen. Die Aberkennung unterbleibt, wenn die ausländische Person glaubhaft macht, dass die Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund eines Zwangs erfolgte.171 |
2 | Das SEM widerruft das Asyl, wenn Flüchtlinge: |
a | die innere oder die äussere Sicherheit der Schweiz verletzt haben oder gefährden oder besonders verwerfliche strafbare Handlungen begangen haben; |
b | ein Reiseverbot nach Artikel 59c Absatz 1 zweiter Satz AIG172 missachtet haben.173 |
3 | Der Asylwiderruf oder die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt gegenüber allen eidgenössischen und kantonalen Behörden. |
4 | Der Asylwiderruf oder die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft erstreckt sich nicht auf den Ehegatten und die Kinder.174 |
5.4.2 Hinzu kommt, dass aufgrund des Berichts der deutschen Grenzpolizei, wonach der Beschwerdeführer am (...) im Flughafen (...) zusammen mit anderen, aus (...) anreisenden Irakern kontrolliert wurde, nicht geglaubt werden kann, dass er zufälligerweise zur gleichen Zeit wie seine Landsleute von (...) her kommend im Flughafen (...) eingetroffen ist. Für die Begründung kann mangels stichhaltiger Entgegnungen auf Beschwerdeebene auf die zutreffenden Erwägungen des BFM in der angefochtenen Verfügung und in der Vernehmlassung verwiesen werden. Das zur Stützung seiner Vorbringen auf Beschwerdeebene eingereichte Bestätigungsschreiben seiner Bekannten in (...) muss vor diesem Hintergrund als blosses Gefälligkeitsschreiben qualifiziert werden. Die fehlenden Stempeleinträge der irakischen Behörden in seinem Reiseausweis sind ebenfalls nicht geeignet, die Vorbringen des Beschwerdeführers glaubhafter erscheinen zu lassen, zumal sich in seinem Reisedokument auch hinsichtlich der nicht bestrittenen Irakreise im (...) keine Ausreisestempel finden lassen.