Urteilskopf

2008/5

Auszug aus dem Urteil der Abteilung V i. S. A. gegen Bundesamt für Migration
E-4243/2007 vom 14. März 2008


Regeste Deutsch

Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs in die drei kurdischen Provinzen des Nordiraks. Lageanalyse. Grundsatzurteil.
Art. 83 Abs. 4
SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz
AIG Art. 83 Anordnung der vorläufigen Aufnahme - 1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme.244
1    Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme.244
2    Der Vollzug ist nicht möglich, wenn die Ausländerin oder der Ausländer weder in den Heimat- oder in den Herkunftsstaat noch in einen Drittstaat ausreisen oder dorthin gebracht werden kann.
3    Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder in einen Drittstaat entgegenstehen.
4    Der Vollzug kann für Ausländerinnen oder Ausländer unzumutbar sein, wenn sie in Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage im Heimat- oder Herkunftsstaat konkret gefährdet sind.
5    Der Bundesrat bezeichnet Heimat- oder Herkunftsstaaten oder Gebiete dieser Staaten, in welche eine Rückkehr zumutbar ist.245 Kommen weggewiesene Ausländerinnen und Ausländer aus einem dieser Staaten oder aus einem Mitgliedstaat der EU oder der EFTA, so ist ein Vollzug der Wegweisung in der Regel zumutbar.246
5bis    Der Bundesrat überprüft den Beschluss nach Absatz 5 periodisch.247
6    Die vorläufige Aufnahme kann von kantonalen Behörden beantragt werden.
7    Die vorläufige Aufnahme nach den Absätzen 2 und 4 wird nicht verfügt, wenn die weggewiesene Person:248
a  zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im In- oder Ausland verurteilt wurde oder wenn gegen sie eine strafrechtliche Massnahme im Sinne der Artikel 59-61 oder 64 StGB250 angeordnet wurde;
b  erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet; oder
c  die Unmöglichkeit des Vollzugs der Wegweisung durch ihr eigenes Verhalten verursacht hat.
8    Flüchtlinge, bei denen Asylausschlussgründe nach Artikel 53 und 54 AsylG252 vorliegen, werden vorläufig aufgenommen.
9    Die vorläufige Aufnahme wird nicht verfügt oder erlischt, wenn eine Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis StGB oder Artikel 49a oder 49abis MStG253 oder eine Ausweisung nach Artikel 68 des vorliegenden Gesetzes rechtskräftig geworden ist.254
10    Die kantonalen Behörden können mit vorläufig aufgenommenen Personen Integrationsvereinbarungen abschliessen, wenn ein besonderer Integrationsbedarf nach den Kriterien gemäss Artikel 58a besteht.255
AuG.
1. Ein Wegweisungsvollzug in die drei kurdischen Provinzen des Nordiraks (Dohuk, Erbil und Suleimaniya) ist unter der Voraussetzung zumutbar, dass die betreffende Person ursprünglich aus der Region stammt oder eine längere Zeit dort gelebt hat und über ein soziales Netz (Familie, Verwandtschaft oder Bekanntenkreis) oder über Beziehungen zu den herrschenden Parteien verfügt (E. 7.5, insbes. E. 7.5.8).
2. Für alleinstehende Frauen und für Familien mit Kindern sowie für Kranke und Betagte ist die Zumutbarkeit eines Wegweisungsvollzugs nur mit grosser Zurückhaltung zu bejahen (E. 7.5, insbes. E. 7.5.8).
3. Für Kurden, die aus kurdisch dominiertem Gebiet ausserhalb der drei Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya stammen, ist im Einzelfall zu prüfen, ob sie in den genannten Provinzen ein Bleiberecht haben und ob der Wegweisungsvollzug zumutbar ist (E. 7.5, insbes. E. 7.5.8).
4. Auch für Araber und andere nicht-kurdische Iraker aus dem Zentral- und Südirak ist eine allfällige innerstaatliche Zufluchtsalternative im Nordirak im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu ermitteln, und es kann keineswegs automatisch vom Bestehen einer innerstaatlichen Niederlassungsfreiheit in den drei nordirakischen Provinzen ausgegangen werden (E. 7.5, insbes. E. 7.5.8).


Regeste en français

Exigibilité de l'exécution du renvoi vers les trois provinces kurdes du nord de l'Irak. Analyse de la situation. Arrêt de principe.
Art. 83 al. 4 LEtr.
1. L'exécution d'un renvoi vers les trois provinces kurdes du nord de l'Irak (Dohuk, Erbil et Suleimaniya) est raisonnablement exigible, à condition que l'intéressé soit originaire de cette région ou qu'il y ait vécu pendant une longue période, et qu'il y dispose d'un réseau social (famille, parenté ou amis) ou de liens avec les partis dominants (consid. 7.5, en particulier consid. 7.5.8).
2. Pour les femmes seules et les familles avec enfants, ainsi que pour les malades et les personnes âgées, l'exigibilité de l'exécution du renvoi ne doit être admise qu'avec une grande retenue (consid. 7.5, en particulier consid. 7.5.8).
3. Pour les Kurdes originaires de régions à domination kurde sises en dehors des trois provinces de Dohuk, d'Erbil et de Suleimaniya, il faut examiner au cas par cas s'ils ont le droit de résider dans les provinces sus-mentionnées et si l'exécution du renvoi est raisonnablement exigible (consid. 7.5, en particulier consid. 7.5.8).
4. L'éventualité d'une possibilité de refuge interne dans le nord de l'Irak doit aussi être examinée de manière individualisée pour les Arabes et autres Irakiens non kurdes originaires du centre ou du sud de l'Irak, sans jamais présumer automatiquement qu'ils disposent de la liberté d'établissement dans les trois provinces du nord de l'Irak (consid. 7.5, en particulier consid. 7.5.8).


Regesto in italiano

Esigibilità dell'esecuzione dell'allontanamento verso le tre province curde dell'Iraq del nord. Analisi della situazione. Sentenza di principio.
Art. 83 cpv. 4 LStr.
1. L'esecuzione dell'allontanamento verso le tre province curde dell'Iraq del nord (Dohuk, Erbil e Suleimaniya) è esigibile a condizione che la persona interessata sia originaria della regione o vi abbia vissuto un lungo periodo e disponga di una rete sociale (famiglia, parenti o conoscenti) oppure di relazioni con i partiti al potere (consid. 7.5, in particolare consid. 7.5.8).
2. Per le donne sole, per le famiglie con bambini, nonché per i malati e gli anziani l'esigibilità dell'esecuzione dell'allontanamento va ammessa solo con grande cautela (consid. 7.5, in particolare consid. 7.5.8).
3. Per i curdi originari di una regione a dominazione curda al di fuori delle tre province di Dohuk, Erbil e Suleimaniya, va esaminato nel singolo caso se gli stessi abbiano un diritto di risiedere nelle citate province e se l'esecuzione dell'allontanamento sia esigibile (consid. 7.5, in particolare consid. 7.5.8).
4. Pure la sussistenza di un'alternativa di rifugio interna nel nord del Paese per gli arabi e gli altri iracheni non curdi originari del centro e del sud dell'Iraq va esaminata nel singolo caso, non potendosi automaticamente presumere che dispongano della libertà di domicilio nelle tre province dell'Iraq del nord (consid. 7.5, in particolare consid. 7.5.8).


Sachverhalt

Der Beschwerdeführer, ein Kurde aus der Provinz Dohuk im Nordirak, stellte am 20. Januar 2007 in der Schweiz ein Asylgesuch.
Zu seinen Fluchtgründen machte er geltend, dass er nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 2005 allein mit seinem Vater zusammengelebt habe. Nach einiger Zeit habe sich sein Vater wieder verheiratet. Seine Stiefmutter habe sich über ihn beklagt und begonnen, schlecht über ihn zu reden, so dass sein Vater ihn regelmässig geschlagen und aus dem Haus geworfen habe. Eines Tages habe sie vorgetäuscht, dass er sie sexuell belästigt habe. Sie habe ihre Bluse aufgerissen und wild geschrien, worauf sein Vater ihn mit einem Messer habe umbringen wollen. Er habe sich bei einem Freund in Sicherheit bringen können, der ihm einen Schlepper organisiert habe. Am folgenden Tag sei er ausgereist.
Mit Verfügung vom 23. Mai 2007 lehnte das Bundesamt für Migration (BFM) das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab und ordnete seine Wegweisung aus der Schweiz sowie deren Vollzug an. Als Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Vorbringen des Beschwerdeführers seien nicht asylrelevant. Ausserdem sei der Wegweisungsvollzug in die drei kurdischen Nordprovinzen des Irak grundsätzlich zumutbar.
Mit Eingabe vom 21. Juni 2007 an das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) erhob der Beschwerdeführer mittels seines Rechtsvertreters Beschwerde und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, die Gewährung von Asyl oder sinngemäss eine vorläufige Aufnahme in der Schweiz. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um die unentgeltliche Rechtspflege, den Erlass des Kostenvorschusses sowie um einen unentgeltlichen Rechtsbeistand.
Mit Verfügung vom 25. Juni 2007 verzichtete das BVGer auf die Erhebung eines Kostenvorschusses, verwies den Entscheid über die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege auf einen späteren Zeitpunkt und wies das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung ab. Gleichzeitig wurde das BFM zu einer schriftlichen Vernehmlassung, insbesondere zur Wegweisungspraxis in den Nordirak (Zumutbarkeit der Wegweisung), aufgefordert.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2007 nahm das BFM aufforderungsgemäss Stellung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Mit Verfügung vom 17. Juli 2007 wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme zur vorinstanzlichen Vernehmlassung eingeräumt. Der Beschwedeführer nahm - auch nach Gewährung der beantragten Fristverlängerung - nicht Stellung zur Vernehmlassung.
Das BVGer weist die Beschwerde ab.
Das vorliegende Urteil (E. 7.4 und 7.5) bildete Gegenstand eines von der Vereinigung der Abteilungen IV und V im Sinne von Art. 25 Abs. 2
SR 173.32 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG) - Verwaltungsgerichtsgesetz
VGG Art. 25 Praxisänderung und Präjudiz - 1 Eine Abteilung kann eine Rechtsfrage nur dann abweichend von einem früheren Entscheid einer oder mehrerer anderer Abteilungen entscheiden, wenn die Vereinigung der betroffenen Abteilungen zustimmt.
1    Eine Abteilung kann eine Rechtsfrage nur dann abweichend von einem früheren Entscheid einer oder mehrerer anderer Abteilungen entscheiden, wenn die Vereinigung der betroffenen Abteilungen zustimmt.
2    Hat eine Abteilung eine Rechtsfrage zu entscheiden, die mehrere Abteilungen betrifft, so holt sie die Zustimmung der Vereinigung aller betroffenen Abteilungen ein, sofern sie dies für die Rechtsfortbildung oder die Einheit der Rechtsprechung für angezeigt hält.
3    Beschlüsse der Vereinigung der betroffenen Abteilungen sind gültig, wenn an der Sitzung oder am Zirkulationsverfahren mindestens zwei Drittel der Richter und Richterinnen jeder betroffenen Abteilung teilnehmen. Der Beschluss wird ohne Parteiverhandlung gefasst und ist für die Antrag stellende Abteilung bei der Beurteilung des Streitfalles verbindlich.
des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) getroffenen Entscheides.


Aus den Erwägungen:

4.

4.1 Mit dem Grundsatzentscheid vom 8. Juni 2006 (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission EMARK 2006 Nr. 18) wurde im schweizerischen Asylrecht in Abwendung von der Zurechenbarkeitstheorie die sogenannte Schutztheorie anerkannt. Dergemäss kann heute die private Verfolgung im schutzunfähigen Staat ebenfalls flüchtlingsrelevant sein. Die Schutztheorie besagt, dass die Flüchtlingseigenschaft von Asylsuchenden, welche im Herkunftsland - unter asylrechtlich im Übrigen relevanten Umständen - von nichtstaatlicher Verfolgung bedroht sind, zu verneinen ist, wenn in diesem Staat Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung erhältlich ist. Dieser kann sowohl durch den Heimatstaat als auch durch einen im Sinne der Rechtsprechung besonders qualifizierten Quasi-Staat gewährt werden, allenfalls auch durch internationale Organisationen. Der Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung auf tieferem institutionellem Niveau beispielsweise durch einen Clan, durch eine (Gross-) Familie oder auf individuell-privater Basis wäre jedenfalls nicht als ausreichend zu beurteilen EMARK 2006 Nr. 18 E. 10.2 S. 202 f.).

4.2 Bei der Beurteilung, welche Art beziehungsweise welcher Grad von Schutz im Heimatland als « genügend » zu qualifizieren ist, kann gemäss erwähntem Grundsatzentscheid vollumfänglich auf die bisherige Rechtsprechung abgestellt werden. Zunächst ist nicht eine faktische Garantie des Schutzgewährers für langfristigen individuellen Schutz des von nichtstaatlicher Verfolgung Bedrohten zu verlangen: Keinem Staat gelingt es, die absolute Sicherheit aller seiner Bürger jederzeit und überall zu garantieren. Erforderlich ist vielmehr, dass eine funktionierende und effiziente Schutz-Infrastruktur zur Verfügung steht, wobei in erster Linie an polizeiliche Aufgaben wahrnehmende Organe sowie an ein Rechts- und Justizsystem zu denken ist, das eine effektive Strafverfolgung ermöglicht. Die Inanspruchnahme eines solchen innerstaatlichen Schutzsystems muss dem Betroffenen einerseits objektiv zugänglich sein (unabhängig von persönlichen Merkmalen wie Geschlecht oder Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Minderheit); andererseits muss sie für den Schutzbedürftigen auch individuell zumutbar sein, was beispielsweise dann zu verneinen ist, wenn der Betroffene sich mit einer Strafanzeige der konkreten Gefahr weiterer (oder anderer)
Verfolgungsmassnahmen aussetzen würde. Auch über diese Zumutbarkeitsfrage ist im Rahmen der individuellen Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung des länderspezifischen Kontexts zu entscheiden. Analog der Einwendung einer sicheren innerstaatlichen Fluchtalternative obliegt es der entscheidenden Behörde, die Effektivität des Schutzes vor nichtstaatlicher Verfolgung im Heimatland abzuklären und zu begründen EMARK 2006 Nr. 18 E. 10.3.1 und 10.3.2 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).

5.

5.1 Eine umfassende Analyse zur Sicherheitslage im kurdischen Nordirak und zur Schutzgewährung durch die dortigen Behörden führte das BVGer im Urteil BVGE 2008/4 zum Schluss, dass die nordirakischen Sicherheitsbehörden grundsätzlich in der Lage sind, Hinweisen auf Übergriffe nachzugehen und nötigenfalls eine Strafverfolgung einzuleiten. Die Sicherheits- und Polizeikräfte sind gut dotiert und gelten als gut und straff organisiert. Das Rechts- und Justizsystem wird nach wie vor von den Parteien Patriotische Union Kurdistans (PUK) und Kurdische Demokratische Partei (KDP) in den je von ihnen beherrschten Gebieten dominiert. Trotz dieser parallelen Strukturen und der teilweisen Konkurrenz durch die traditionelle Stammesjustiz kann davon ausgegangen werden, dass Streitigkeiten im Regelfall gerichtlich beigelegt werden können. In Bezug auf die drei kurdischen Nordprovinzen kann entsprechend von einer funktionierenden Schutz-Infrastruktur gesprochen werden. Diese verhalten positive Bestandesaufnahme soll aber nicht von zahlreichen Unzulänglichkeiten ablenken, die insbesondere gegenüber Personen manifest werden, die von der durch die PUK und KDP definierten politischen Hauptrichtung abweichen (BVGE 2008/4 E. 6.5).
Die kurdischen Behörden sind ausserdem grundsätzlich willens, den Einwohnern der drei nordirakischen Provinzen Schutz vor allfälliger Verfolgung zu gewähren. Sofern die geltend gemachten Übergriffe jedoch von den beiden Mehrheitsparteien, ihren Organen oder Mitgliedern ausgehen, kann nicht mit einer staatlichen Schutzgewährung durch die Polizei- und Sicherheitskräfte gerechnet werden, da die Partei- und Behördenstrukturen zu eng miteinander verflochten und teilweise sogar identisch sind. Nichts anderes kann natürlich gelten, wenn eine allfällige Gefährdung direkt von den offiziellen Behörden ausgeht. Einer solchen sind insbesondere kritische Medienschaffende, oppositionelle Politiker, Islamisten, aus dem Zentralirak eingewanderte alleinstehende arabische Männer sowie allenfalls Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten, die sich gegen den kurdischen Machtanspruch stellen, ausgesetzt (BVGE 2008/4 E. 6.7).
Sofern die Verfolgung von privater Seite droht, muss ebenfalls nach dem geltend gemachten Verfolger unterschieden werden: Einerseits ist an dieser Stelle an die im Grenzgebiet zu Iran operierenden Islamisten zu denken. Gemäss offiziellen Verlautbarungen der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government [KRG]) kann davon ausgegangen werden, dass diese das Gebaren dieser Terroristengruppen nicht akzeptiert und gegen sie vorgeht. Eine vertiefte Einzellfallabklärung zur Feststellung der Schutzgewährung - insbesondere in Bezug auf deren Effektivität - ist in diesen Konstellationen indes unerlässlich. Andererseits kann die private Verfolgung auch von der Familie oder dem Clan ausgehen, wobei vor allem an Ehrenmorde - wovon in erster Linie Frauen betroffen sind - zu denken ist. Trotz der staatlichen Aufklärungskampagnen und den Strafgesetzrevisionen ist aber infolge mangelnder Sensibilität sowie ungenügender Schutzinfrastruktur nach wie vor nicht von der Bereitschaft der Polizeibeamten auszugehen, entsprechende Straftaten gegenüber Frauen zu verhindern oder diesen umfassend nachzugehen.
Eine innerkurdische Fluchtalternative, das heisst die Schutzsuche in einer der anderen nordirakischen Provinzen, ist infolge des Zusammenwachsens der PUK- und der KDP-Verwaltung nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Die Behörden der einen Partei dürften es aus (politischer) Rücksicht gegenüber der anderen Partei ablehnen, einer von dieser Partei verfolgten Person Schutz zu gewähren.
Mit Blick auf das nach wie vor hohe Gewaltpotenzial im Zentral- und Südirak und die nur unzureichende Fähigkeit zur Schutzgewährung der dortigen Behörden dürfte eine Fluchtalternative im Zentral- und Südirak ebenfalls verneint werden (BVGE 2008/4 E. 6.7).

5.2 Das BFM bejahte in der angefochtenen Verfügung die Schutzfähigkeit und den Schutzwillen der nordirakischen Behörden. Bei den geltend gemachten Übergriffen durch den Vater des Beschwerdeführers handle es sich um eine Verfolgung durch eine Privatperson und nicht um staatliche oder vom Staat geduldete Verfolgung. Deshalb seien die Vorbringen des Beschwerdeführers grundsätzlich nicht asylrelevant. Der Beschwerdeführer habe auch die Möglichkeit, sich an die kurdischen Behörden zu wenden, und diese um Schutz anzugehen. Er sei demnach nicht auf den Schutz der Schweiz angewiesen. Die Vorbringen des Beschwerdeführers hielten daher den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) nicht stand. Entsprechend wurde die Frage der Glaubhaftigkeit der Vorbringen vom BFM offengelassen.

5.3 Das BVGer stützt vorliegend die Einschätzung des BFM, wonach die Vorbringen des Beschwerdeführers der Asylrelevanz entbehren. Der Beschwerdeführer macht ausschliesslich familiäre Probleme geltend, denen er sich durch eine Wohnsitzverlegung hätte entziehen können. Gemäss eigenen Aussagen hatte er als Maler gut verdient und konnte sogar seinen Vater finanziell unterstützen. Daher wäre es für ihn möglich gewesen, sich in sicherer Distanz zu seinem Vater - wie schon vom BFM erwähnt - eine eigene Wohnung zu mieten. Ausserdem hat sich der Beschwerdeführer nicht um Schutzgewährung durch die kurdischen Behörden bemüht und hat es unterlassen, bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Der Beschwerdeführer hat keinerlei Probleme mit den Behörden oder Parteien in der Provinz Dohuk geltend gemacht, die - wie oben festgehalten - als grundsätzlich schutzfähig gelten können. Ferner gehört er in Bezug auf den kurdisch verwalteten Norden des Irak keiner spezifischen Risikogruppe an, so unter anderem keiner religiösen Minderheit. Daher sind auch keine Gründe ersichtlich, warum die Behörden nicht willens sein sollten, ihm den erforderlichen Schutz zu gewähren. Solche werden denn auch in der Beschwerdeschrift nicht angeführt; eine Replik durch den
Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist gänzlich unterblieben.

5.4 Nach dem Gesagten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer keine Asylgründe vorbringt, die im Sinne von Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG asylrelevant sind. Das BFM hat somit zu Recht die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers verneint und sein Asylgesuch abgelehnt.

6. (Wegweisung)

7.

7.1 (Wegweisungsvollzug)

7.2 (Zulässigkeit)

7.3

7.3.1 Gemäss Art. 83 Abs. 4
SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz
AIG Art. 83 Anordnung der vorläufigen Aufnahme - 1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme.244
1    Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme.244
2    Der Vollzug ist nicht möglich, wenn die Ausländerin oder der Ausländer weder in den Heimat- oder in den Herkunftsstaat noch in einen Drittstaat ausreisen oder dorthin gebracht werden kann.
3    Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder in einen Drittstaat entgegenstehen.
4    Der Vollzug kann für Ausländerinnen oder Ausländer unzumutbar sein, wenn sie in Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage im Heimat- oder Herkunftsstaat konkret gefährdet sind.
5    Der Bundesrat bezeichnet Heimat- oder Herkunftsstaaten oder Gebiete dieser Staaten, in welche eine Rückkehr zumutbar ist.245 Kommen weggewiesene Ausländerinnen und Ausländer aus einem dieser Staaten oder aus einem Mitgliedstaat der EU oder der EFTA, so ist ein Vollzug der Wegweisung in der Regel zumutbar.246
5bis    Der Bundesrat überprüft den Beschluss nach Absatz 5 periodisch.247
6    Die vorläufige Aufnahme kann von kantonalen Behörden beantragt werden.
7    Die vorläufige Aufnahme nach den Absätzen 2 und 4 wird nicht verfügt, wenn die weggewiesene Person:248
a  zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im In- oder Ausland verurteilt wurde oder wenn gegen sie eine strafrechtliche Massnahme im Sinne der Artikel 59-61 oder 64 StGB250 angeordnet wurde;
b  erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet; oder
c  die Unmöglichkeit des Vollzugs der Wegweisung durch ihr eigenes Verhalten verursacht hat.
8    Flüchtlinge, bei denen Asylausschlussgründe nach Artikel 53 und 54 AsylG252 vorliegen, werden vorläufig aufgenommen.
9    Die vorläufige Aufnahme wird nicht verfügt oder erlischt, wenn eine Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis StGB oder Artikel 49a oder 49abis MStG253 oder eine Ausweisung nach Artikel 68 des vorliegenden Gesetzes rechtskräftig geworden ist.254
10    Die kantonalen Behörden können mit vorläufig aufgenommenen Personen Integrationsvereinbarungen abschliessen, wenn ein besonderer Integrationsbedarf nach den Kriterien gemäss Artikel 58a besteht.255
AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat- oder Herkunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7
SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz
AIG Art. 83 Anordnung der vorläufigen Aufnahme - 1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme.244
1    Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme.244
2    Der Vollzug ist nicht möglich, wenn die Ausländerin oder der Ausländer weder in den Heimat- oder in den Herkunftsstaat noch in einen Drittstaat ausreisen oder dorthin gebracht werden kann.
3    Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder in einen Drittstaat entgegenstehen.
4    Der Vollzug kann für Ausländerinnen oder Ausländer unzumutbar sein, wenn sie in Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage im Heimat- oder Herkunftsstaat konkret gefährdet sind.
5    Der Bundesrat bezeichnet Heimat- oder Herkunftsstaaten oder Gebiete dieser Staaten, in welche eine Rückkehr zumutbar ist.245 Kommen weggewiesene Ausländerinnen und Ausländer aus einem dieser Staaten oder aus einem Mitgliedstaat der EU oder der EFTA, so ist ein Vollzug der Wegweisung in der Regel zumutbar.246
5bis    Der Bundesrat überprüft den Beschluss nach Absatz 5 periodisch.247
6    Die vorläufige Aufnahme kann von kantonalen Behörden beantragt werden.
7    Die vorläufige Aufnahme nach den Absätzen 2 und 4 wird nicht verfügt, wenn die weggewiesene Person:248
a  zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im In- oder Ausland verurteilt wurde oder wenn gegen sie eine strafrechtliche Massnahme im Sinne der Artikel 59-61 oder 64 StGB250 angeordnet wurde;
b  erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet; oder
c  die Unmöglichkeit des Vollzugs der Wegweisung durch ihr eigenes Verhalten verursacht hat.
8    Flüchtlinge, bei denen Asylausschlussgründe nach Artikel 53 und 54 AsylG252 vorliegen, werden vorläufig aufgenommen.
9    Die vorläufige Aufnahme wird nicht verfügt oder erlischt, wenn eine Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis StGB oder Artikel 49a oder 49abis MStG253 oder eine Ausweisung nach Artikel 68 des vorliegenden Gesetzes rechtskräftig geworden ist.254
10    Die kantonalen Behörden können mit vorläufig aufgenommenen Personen Integrationsvereinbarungen abschliessen, wenn ein besonderer Integrationsbedarf nach den Kriterien gemäss Artikel 58a besteht.255
des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR 142.20) - die vorläufige Aufnahme zu gewähren (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002, BBl 2002 3818).

7.3.2 In der angefochtenen Verfügung hielt das BFM fest, aufgrund der Sicherheits- und Menschenrechtslage herrsche in den drei von der kurdischen Regionalregierung kontrollierten nordirakischen Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya keine Situation allgemeiner Gewalt. Der Wegweisungsvollzug sei daher grundsätzlich zumutbar.
Zudem sprächen im vorliegenden Fall auch keine individuellen Gründe gegen die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs. Der Beschwerdeführer verfüge als Maler über ein gutes Einkommen; dies werde ihm den Wiedereinstieg in der Heimat erleichtern.

7.3.3 In der Beschwerdeschrift wird zur Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs vom Rechtsvertreter lediglich und in pauschaler Weise geltend gemacht, dass die Verhältnisse im Irak von massgeblichen Menschenrechtsorganisationen und vom United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) in eindrücklicher Weise geschildert würden. Daraus sei zu schliessen, dass für den Beschwerdeführer schon aufgrund der patriarchalischen Gegebenheiten in seinem Herkunftsgebiet die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Rückkehr nicht mehr bestehe beziehungsweise eine Rückkehr oder Wegweisung für ihn in jedem Fall tödlich enden müsste. Der Beschwerdeführer sei davon konkret und direkt betroffen.

7.3.4 In seiner Vernehmlassung erklärte das BFM, dass es seit dem 1. Mai 2007 den Vollzug von Wegweisungen in die nordirakischen Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya als grundsätzlich zumutbar einschätze. Grund dafür sei, dass in diesen kurdischen Provinzen keine Situation allgemeiner Gewalt herrsche. Die Sicherheitslage sei stabil, auch wenn sie von der unsicheren Lage im Zentral- und Südirak abhängig bleibe. Eine nachhaltige Verschlechterung sei aus heutiger Sicht indessen nicht zu erwarten. Die Tatsache, dass in den letzten Jahren zahlreiche Personen mit Rückkehrhilfe in den Irak zurückgekehrt seien, unterstreiche die Feststellungen zur Situation in dieser Region. Es bestünden zudem mehrere direkte Flugverbindungen aus dem Ausland in den Nordirak (beispielsweise nach Erbil oder Suleimaniya), so dass Rückkehrende nicht via den Zentralirak reisen müssten. Einer der Hauptgründe für die generellen vorläufigen Aufnahmen abgewiesener irakischer Asylsuchender sei der Umstand gewesen, dass direkte Flugverbindungen in den Nordirak nicht bestanden hätten und den Betroffenen nicht habe zugemutet werden können, ihre Rückreise via Bagdad und dann auf dem Landweg in den Norden anzutreten.
Die Einschätzung des BFM, dass der Wegweisungsvollzug in die drei genannten Provinzen grundsätzlich zumutbar sei, werde auch von anderen europäischen Staaten (Schweden, Niederlande, Deutschland, Grossbritannien, Norwegen und Dänemark) geteilt, was ebenfalls die Richtigkeit dieser Einschätzung unterstreiche.
Schliesslich stelle sich auch das UNHCR nicht grundsätzlich gegen Wegweisungen in die genannten Provinzen. Es empfehle einen « differentiated approach » und weise darauf hin, dass auf die Rückführung von « vulnerable groups » (namentlich allein erziehende Frauen und Kranke) verzichtet werden solle. Diesem Anliegen trage das BFM mit der aktuellen Wegweisungspraxis und der Einzelfallprüfung allfälliger individueller Wegweisungshindernisse Rechnung.

7.4 Das BVGer hat sich seit der Praxisänderung des BFM im Mai 2007 in Bezug auf die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs in den kurdisch verwalteten Nordirak noch nicht ausführlich zur Thematik geäussert (für die letzte diesbezügliche ausführliche und veröffentlichte Lageanalyse siehe EMARK 2000 Nr. 18 E. 8 S. 170 ff.). Aus diesem Grund soll in der Folge die Lage im Nordirak im Hinblick auf allfällige Wegweisungshindernisse skizziert werden.
Insbesondere stützt sich das BVGer auf folgende Quellen:
- UNHCR, Governorate Assessment Report (je zu Sulaymaniyah Governorate, Dahuk Governorate, Erbil Governorate), alle September 2007;
- UNHCR, Country of Origin Information - Iraq (COI), Oktober 2005;
- Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Irak: Die sozioökonomische Situation in den von der KRG verwalteten Provinzen Sulaimaniyah, Erbil und Dohuk, 10. Juli 2007;
- UK-Home Office, Country of Origin Information Report - Iraq, 30 April 2007;
- Economist Intelligence Unit (EIU), Country Profile 2007 - Iraq;
- EIU, Country Report - Iraq, October 2007.

7.5

7.5.1 Wie oben bereits angesprochen (E. 5.1), stellt sich die Sicherheitslage im kurdischen Nordirak um einiges stabiler und ruhiger dar als im Rest des Landes. Dennoch ist die Situation im Norden von gewissen Spannungen geprägt. Die Sicherheitskräfte in den drei Provinzen, die als gut ausgebildet und ausgerüstet sowie sehr wachsam gelten, haben strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen, was zu einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit innerhalb der kurdischen Gebiete führen kann (BVGE 2008/4 E. 6.2 ff.).
Die Menschenrechtslage stellt sich insgesamt in den kurdischen Nordprovinzen ebenfalls besser dar als im Süd- und Zentralirak. Es kann keine Gruppenverfolgung von ethnischen oder religiösen Minderheiten durch die kurdischen Behörden festgestellt werden. Für gewisse Bevölkerungsgruppen (bspw. Islamisten, Journalisten, Oppositionelle und Frauen) ist das Risiko jedoch beträchtlich höher, mit den Sicherheitskräften in Konflikt zu geraten und dabei menschenrechtswidriger oder diskriminierender Behandlung ausgesetzt zu werden (BVGE 2008/4 E. 6.6).

7.5.2 Der kurdische Nordirak genoss seit 1992 eine relative politische Autonomie, litt aber gleichzeitig an einem doppelten wirtschaftlichen Embargo: Einerseits durch die UNO-Sanktionen, die den ganzen Irak betrafen, andererseits durch die Vernachlässigung durch die zentralirakische Regierung unter Saddam Hussein. Trotz dieser Schwierigkeiten war die sozio-ökonomische Lage im kurdisch kontrollierten Gebiet des Irak wegen der vorhandenen Subsistenzwirtschaft und des Handels mit den Nachbarländern (bzw. des organisierten Schmuggels) weniger prekär als im zentralstaatlich kontrollierten Teil (vgl. EMARK 2000 Nr. 18 E. 8b S. 174). Nach dem Sturz des Saddam-Regimes ist wieder Bewegung in die Wirtschaft gekommen, dies auch dank der andauernden relativen Ruhe und Sicherheit sowie eines grosszügigen und ausländerfreundlichen Investitionsgesetzes. Insbesondere die Baubranche boomt und profitiert vom Wiederaufbau und der Erneuerung der Infrastruktur (Strassen, Flughäfen, Regierungsgebäude als auch während der Anfal-Kampagne zerstörte Dörfer) sowie vom Wohnungsbau (vgl. Pointing to Stability, Kurds in Iraq Lure Investors, New York Times, 27. Juni 2007). Die Tatsachen, dass die Lohnentwicklung nicht mit dem Wirtschaftsaufschwung Schritt hält,
dass hauptsächlich Villen und Luxusappartements erstellt werden und dass die in- und ausländischen Firmen sowie die Regierungsbehörden höhere Mieten zu zahlen bereit sind, führten zu einem massiven Anstieg der Wohn- und damit auch der Lebenskosten, was viele Einheimische, insbesondere junge Paare mit niedrigen Löhnen, vor grosse Schwierigkeiten stellt. Verschärfend kommt einerseits der Zuzug von Vertriebenen aus dem Zentral- und Südirak (sog. Internally Displaced Persons [IDP]) hinzu, die im Norden Zuflucht vor der Gewalt in ihren Herkunftsorten suchen. Andererseits zieht das Wirtschaftswachstum Menschen aus den ländlichen Gebieten auf der Suche nach Arbeit in die Städte. Für mittellose nicht-kurdische Zuzüger ist die Wohnsituation mitunter sehr prekär.
Infolge Meinungsverschiedenheiten insbesondere über die Aufteilung der Erlöse aus der Erdölförderung und über die Investitionsteilnahme von internationalen Firmen ist es den zentralstaatlichen Institutionen nach wie vor nicht gelungen, ein von den verschiedenen ethnischen Gruppen im Land akzeptiertes und seit langem erwartetes Erdöl-Gesetz zu erlassen. Auf der Grundlage eines nordirakisch-kurdischen Gesetzes - dessen Verfassungsmässigkeit von Bagdad bestritten wird - hat die KRG in den letzten Jahren mehrere Erdölkonzessionen (sog. Production sharing agreements) an ausländische Unternehmen vergeben und hofft so auf grosse ausländische Investitionen in die vernachlässigte Erdöl-Infrastruktur (dazu siehe ausführlicher EIU, Country Profile 2007, S. 39 ff. und EIU, Country Report, S. 11 f.).

7.5.3 Der Wirtschaftsaufschwung hat sich positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Seit März 2003 wurden sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor viele Stellen geschaffen. Zahlreiche Baufirmen stammen jedoch aus dem Ausland und beschäftigen mitgebrachtes, nichtkurdisches Personal. Die Arbeitslosenquoten liegen Schätzungen zufolge zwischen 40 und 50 %, bei Jugendlichen bei ungefähr 90 %. Der Zustrom von Tausenden von intern Vertriebenen (Kurden, aber auch Araber und Christen aus dem Zentral- und Südirak, vgl. dazu BVGE 2008/4 E. 6.6.1) hat ausserdem den Druck auf den Billiglohnsektor erhöht, was zu Spannungen mit der einheimischen Bevölkerung führen kann. Gleichzeitig profitiert die KRG-Region auch von zahlreichen gut ausgebildeten Arbeitern und Akademikern, die im Norden Schutz suchen; dies auch vor dem Hintergrund, dass unzählige höher Qualifizierte ihre Region während der Jahre der Repression und des Embargos verlassen haben.
Zugang zu einer der zahlreichen Stellen im öffentlichen Dienst (ungefähr ein Drittel aller Arbeitsplätze) erhält privilegiert, wer Mitglied der dominierenden Parteien PUK oder KDP ist, solchen nahesteht oder auf die Unterstützung von Politikern zählen kann. Dies gilt insbesondere für Frauen, die ausserdem auf weitere Hürden treffen wie traditionelle Vorurteile sowie familiäre oder soziale Probleme. Qualifizierte Frauen - die insgesamt relativ gut in den Arbeitsmarkt integriert sind - werden generell gut bezahlt (z. B. Technikerinnen); ungelernte Frauen im Verkauf oder im manuellen Sektor sind jedoch unterbezahlt oder werden gar ausgebeutet.

7.5.4 Die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ist im Nordirak mancherorts mangelhaft. Die Wasserversorgung ist nicht überall gewährleistet; schwierig ist es vor allem in den Dörfern während der Sommermonate. Die Qualität des Wassers ist nicht zufriedenstellend, und häufig sind die Brunnen oder Quellen einige Kilometer ausserhalb des Dorfes gelegen. Gemäss einem Bericht des UNHCR kommt es auch in den Städten, z. B. in Suleimaniya, zu Wassermangel. Der unzulängliche Unterhalt der Wasserleitungen wird auch für den Ausbruch der Cholera im Herbst 2007 in den Nordprovinzen verantwortlich gemacht, woran mehrere Menschen starben und Hunderte erkrankten (siehe u.a. Institute for War and Peace Reporting [IWPR], Iraq: Cholera outbreak in North blamed on dirty water, Iraq Crisis Report [ICR] 233, 19. September 2007). Unhaltbar sind die Zustände insbesondere in den verschiedenen Vertriebenen-Lagern, in denen Hunderte von Familien aus dem Süden leben. Vielfach sind sie behelfsmässig als blosse Provisorien in Zelten und Planen angelegt. Die Sicherheitsbehörden haben mehrfach verboten, Latrinen zu graben, um den Lagern keinen dauernden Charakter zu verleihen und damit noch mehr Leute anzuziehen (Grim camps for Iraqis avoid the 'pull
factor', Reuters Foundation, 1. August 2007).
Eine grosse Zahl der irakischen Familien ist bezüglich der Nahrungsmittelversorgung vom « Public Distribution System » (PDS) abhängig. Für IDPs im Nordirak ist es grundsätzlich möglich, ihre Rationenkarten dorthin mitzubringen, um weiterhin Nahrungsmittel beziehen zu können. Voraussetzung ist jedoch eine formelle Registrierung bei den lokalen Behörden, wobei die Einreisebestimmungen von Provinz zu Provinz variieren: Kurdische Zuzüger oder solche, die ursprünglich aus dem Nordirak stammen, treffen in der Regel auf keine administrativen Hürden, während Nichtkurden (und alleinstehende Männer) eine Gewährsperson - eine Person aus der Gegend, die dafür garantiert, dass vom Zuzüger kein Sicherheitsrisiko ausgeht - präsentieren müssen (siehe dazu die Ausführungen in BVGE 2008/4 E. 6.6.1 mit weiteren Hinweisen). Der Transfer der Rationenkarte kann jedoch zu mehrmonatiger Verzögerung in der Lebensmittellieferung führen (UNHCR-COI, S. 93). Die Auswirkungen dieser formellen Voraussetzungen zeigen sich in einer Analyse des UNHCR, wonach in der Provinz Erbil nur 55 % der befragten IDP-Familien Zugang zum PDS haben, in der Provinz Dohuk nur 33 % und in der Provinz Suleimaniya gar nur 14 % (vgl. die entsprechenden Governorate Assessment Reports,
S. 23 bzw. 22 und 26).
Auch die Stromversorgung ist unzuverlässig: Sie variiert von Monat zu Monat; pro Tag ist lediglich während drei bis vier Stunden Strom erhältlich. Infolge Engpässen in den Raffinerien kommt es regelmässig zu Nachschubunterbrüchen bei den Treibstoffen. Die Preise für das ohnehin schon rationierte Benzin wurden in den letzten Monaten massiv angehoben; auf dem Schwarzmarkt wird ein Mehrfaches des Preises verlangt. Pro Familie werden jährlich 200 Liter Kerosin abgegeben, welche jedoch häufig für die langen und harten Winter nicht ausreichen; Nachschub muss daher auf dem Schwarzmarkt besorgt werden.
Der öffentliche Transport ist nur schwach ausgebaut; viele Dörfer sind nicht erschlossen. Die Billettpreise der privaten Busunternehmen sind wegen des Treibstoffmangels starken Schwankungen unterworfen. Die während Jahren vernachlässigte Strasseninfrastruktur wird nun - im Zuge des Baubooms - wieder instand gestellt und ausgebaut.

7.5.5 Das irakische Bildungssystem galt bis in die 1980er-Jahre als eines der besten im Nahen Osten. Nach langen Jahren unter dem Baath-Regime und dem Embargo sowie nach dem innerkurdischen Bürgerkrieg war das nordirakische Bildungswesen jedoch in einem sehr schlechten Zustand (vgl. SFH, S. 20 ff.). Ein Bericht des UNHCR aus dem Jahr 2005 hielt fest, dass kein einziges Schulgebäude im Nordirak nicht sanierungsbedürftig sei; viele Schulen seien sogar komplett zerstört, hätten keine sanitären Anlagen, keinen Strom und nur ungenügend Wasser (UNHCR-COI, S. 105 ff.). Untersuchungen im Jahr 2005 zeigten, dass sowohl die höchste Analphabetenrate als auch die durchschnittlich tiefste Bildungsrate im Norden, inbesondere in der Provinz Dohuk (wo 55 % der Bevölkerung die Primarschule nicht abgeschlossen hat), zu finden sind. Erschwerend für Kinder aus intern vertriebenen Familien aus dem arabischen Süden kommt hinzu, dass in den nordirakischen Schulen nicht genügend Klassen in Arabisch unterrichtet und sie so vom Schulbesuch ausgeschlossen werden (IWPR, Iraq Kurdistan: Tough Times for Arab Refugee Kids, ICR 228, 20. Juli 2007). Insgesamt ist heute die Einschreiberate in die Grundschule im Nordirak jedoch höher als im nationalen Durchschnitt
(SFH, S. 19). Nach wie vor beenden aber viele Kinder in ländlichen Gebieten, vor allem Mädchen, ihre Schulbildung nicht, dies insbesondere wegen der unzureichenden Versorgung mit Sekundarschulen und mangelnder Lehrkräfte und aufgrund der traditionellen Wertvorstellungen gegenüber Bildung und Arbeit.
Art. 34 der neuen irakischen Verfassung statuiert nun das Recht auf kostenlose Schulbildung und erklärt den sechsjährigen Primarschulbesuch für obligatorisch. An die Primar- schliesst sich eine Sekundarschule in zwei Zyklen zu je drei Jahren an. Ausserdem gibt es weiterführende Berufsschulen in verschiedenen Bereichen (Industrie, Handel, Kunst und Landwirtschaft) sowie Lehrerseminare. Inzwischen gibt es fünf Universitäten im KRG-Gebiet, die Eröffnung einer sechsten ist geplant.
Unter der grossen Zahl an Zuzügern aus dem Zentral- und Südirak befinden sich auch viele Akademiker, die nun an den nordirakischen Hochschulen unterrichten und vorhandene Lücken im Lehrkörper schliessen können. Den kurdischen Studierenden bereitet es jedoch vielfach Schwierigkeiten, dem Unterricht auf Arabisch zu folgen (IWPR, Kurdistan Bolstered by Influx of Arab Academics, ICR 209, 20. Januar 2007).
Die beiden grossen Parteien Kurdistans PUK und KDP üben grossen Einfluss im Zugang zu den Hochschulen und Universitäten und in der Vergabe von akademischen Posten aus. So gibt es Berichte, wonach ehemalige Peschmerga-Kämpfer oder andere Studierende ohne ausreichende Qualifikation, jedoch mit Beziehungen zu Politikern, einen Studienplatz erhalten hätten. Anders als früher werden Frauen heute in ihrer Universitätsausbildung unterstützt.
Angesichts der grossen Zahl von kurdischen Familien, die seit 2003 aus dem Exil in den Nordirak zurückkehrten, und der Schwierigkeiten der bis dahin insbesondere in Europa aufgewachsenen Kinder, sich in die kurdische Gesellschaft zu integrieren, hat die Provinzregierung von Suleimaniya eine internationale Schule eröffnet, deren Unterrichtssprache Englisch ist, in der die Kinder aber auch Arabisch und Kurdisch lernen (SFH, S. 20 f.). Zurückkehrende Kinder erhöhen ausserdem den Druck auf das ohnehin schon überlastete Schulsystem und stossen zuweilen auch bei den Schulleitungen auf Ablehnung (UNHCR-COI, S. 108).

7.5.6 Wie das Bildungswesen hat sich auch die medizinische Versorgung im Nordirak unter dem Baath-Regime, dem Embargo und dem Bürgerkrieg massiv verschlechtert (dazu und zum Folgenden siehe insbesondere SFH, S. 8 ff.). Heute muss sie insgesamt als mangelhaft bezeichnet werden. In den Städten ist die Grundversorgung zwar gewährleistet, aber auch da sind die Patienten und das Medizinalpersonal mit veralteten Anlagen, unzulänglicher Infrastruktur, Mangel an Medikamenten und qualifiziertem Personal konfrontiert. Die Kapazitäten zur Ausbildung von Pflegepersonal sind nicht ausreichend; entsprechend fehlt es an ausgebildetem Personal. Zahlreiche Ärzte und Spezialisten haben während der letzten zwei Jahrzehnte die Region verlassen; ersetzt wurden sie teilweise durch aus dem Süden des Landes eingereiste Mediziner, die im Norden Zuflucht vor der Gewalt suchen. Die Landbevölkerung hat vielfach keinen Zugang zu Gesundheitszentren und Apotheken oder wohnt weit von diesen entfernt. Ebensowenig gibt es in den ruralen Gebieten Notaufnahmen für dringende Fälle.
Die medizinische Grundversorgung wird in den Städten durch staatliche Gesundheitszentren sichergestellt. Die Hauptzentren werden in der Regel von Ärzten geführt, während die Nebenzentren von Sanitätern geleitet werden, die wegen ihrer geringen Ausbildung und mangels medizinischer Ausstattung (z. B. Röntgengeräte) in ihrer Diagnosemöglichkeit eingeschränkt sind. Diese Zentren sowie die Notfallaufnahmen der staatlichen Spitäler sind vielfach überlastet, weil sie auch von der ländlichen Bevölkerung oder ärmeren Menschen aufgesucht werden. Medikamente und medizinische Geräte aus dem Ausland - also der grösste Teil - müssen über Bagdad beschafft werden, was infolge der prekären Sicherheitslage im Zentralirak zu Versorgungsengpässen in der KRG-Region führt. Medikamente werden illegal insbesondere aus dem Iran und anderen Nachbarländern eingeführt, diese sind jedoch häufig von sehr schlechter Qualität. Neuerdings gibt es auch private, von der KRG unterstützte Versuche, im Nordirak selber gewisse Medikamente herzustellen. Die Grundversorgung und Medikamente sind in den staatlichen Einrichtungen für Einheimische, Flüchtlinge sowie intern Vertriebene ohne Unterschied fast kostenlos.
Neben den staatlichen Einrichtungen gibt es viele private Spitäler und Kliniken, die spezialisierte Behandlungen und einen grösseren Vorrat an Medikamenten anbieten, jedoch ein Vielfaches der staatlichen Einrichtungen kosten und daher für den Grossteil der Bevölkerung nicht zugänglich sind.
Als Mischform zwischen den überlasteten staatlichen Gesundheitszentren und den privaten Kliniken stellen sich die neu eingerichteten Konsultationskliniken dar, wo mitunter auch Spezialisten eingesetzt werden und deren Dienste erschwinglich bleiben.
Die Infrastruktur zur Behandlung von psychischen Krankheiten ist im Nordirak nur sehr rudimentär ausgebaut. Insbesondere fehlt es an entsprechend ausgebildetem Personal. Die Anstalten sind in einem sehr schlechten Zustand und nur mit veralteten Geräten ausgerüstet.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass geringfügige gesundheitliche Beschwerden in den städtischen Gebieten der KRG-Region in der Regel behandelt werden können, dass jedoch ein permanenter Medikamentenmangel herrscht. Bei chronischen Krankheiten oder medizinischen Problemen, die eines spezialisierten Eingriffs oder einer bestimmten komplexen Behandlungsmethode bedürfen, sind eine adäquate Infrastruktur und geschultes Personal jedoch nicht immer vorhanden.

7.5.7 Die vorstehend aufgezeigten mangelhaften öffentlichen Dienstleistungen und die ungenügende Versorgungslage sowie die wachsende Unzufriedenheit über die Korruption in Verwaltung und Regierung und die Beschränkungen der Pressefreiheit führten zu mehreren Demonstrationen im KRG-Gebiet, wovon die meisten friedlich verlaufen sind. Bei einigen kam es jedoch zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Einrichtungen der öffentlichen Hand. Einige Hundert Manifestanten wurden - teilweise auch präventiv zur Verhinderung von Kundgebungen - von den Sicherheitskräften festgenommen. Mehrfach wurden die Manifestationen mit Gewalteinsatz seitens der Polizei aufgelöst und es kam zu Todesopfern und Verletzten.

7.5.8 Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen kommt das BVGer zum Schluss, dass in den drei kurdischen Provinzen keine Situation allgemeiner Gewalt herrscht und die dortige politische Lage nicht dermassen angespannt ist, als dass eine Rückführung dorthin als generell unzumutbar betrachtet werden müsste. Es gilt jedoch, die Entwicklung sowohl an der türkischen Grenze als auch in den kurdisch dominierten Gebieten um die Städte Mossul und Kirkuk im Auge zu behalten. Zudem ist die Region - wie auch vom BFM festgehalten wurde - mit Direktflügen aus Europa und aus den Nachbarländern erreichbar. Damit entfällt das Element der unzumutbaren Rückreise via Bagdad und anschliessend auf dem Landweg durch den von Gewalt heimgesuchten Zentralirak Richtung KRG-Gebiet. Insofern kann die seit dem 1. Mai 2007 gültige Praxis des BFM bestätigt werden.
Die Anordnung des Wegweisungsvollzugs setzt jedoch voraus, dass die betreffende Person ursprünglich aus der Region stammt oder eine längere Zeit dort gelebt hat und über ein soziales Netz (Familie, Verwandtschaft oder Bekanntenkreis) oder über Beziehungen zu den herrschenden Parteien verfügt. Andernfalls dürfte eine soziale und wirtschaftliche Integration in die kurdische Gesellschaft nicht gelingen, da der Erhalt einer Arbeitsstelle oder von Wohnraum weitgehend von gesellschaftlichen und politischen Beziehungen abhängt.
Problematisch wegen einer möglichen konkreten Gefährdung kann namentlich die Rückreise für Familien mit Kindern sein, da oft weder ein ausreichendes Einkommen noch adäquater Wohnraum in Aussicht stehen. Dasselbe gilt für alleinstehende Frauen, die nicht über eine spezialisierte und auf dem dortigen Arbeitsmarkt nachgefragte Berufsbildung verfügen. Angesichts des defizitären Gesundheitssystems ist auch bei der Rückführung von kranken und betagten Personen grosse Zurückhaltung geboten.
Fraglich erscheint auch ein Wegweisungsvollzug in die KRG-Region von Kurden, die aus kurdisch dominierten Gebieten ausserhalb der drei Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya (namentlich aus Kirkuk und Mossul) stammen. Die kurdischen Behörden könnten ihnen aus der demografischen Überlegung heraus, in den von ihnen dominierten Gebieten eine kurdische Bevölkerungsmehrheit aufrecht erhalten zu wollen, das Bleiberecht in den drei Provinzen verweigern. Die Zumutbarkeit des Vollzugs bleibt im Einzelfall zu prüfen.
Ausserdem kann nicht automatisch vom Bestehen einer innerstaatlichen Niederlassungsfreiheit für Nichtkurden aus dem Süd- und Zentralirak in den nordkurdischen Provinzen ausgegangen werden. Eine solche Zufluchtsalternative könnte nur unter den schon skizzierten Umständen angenommen werden, dass die betreffende Person sich vorher schon lange in der Region aufgehalten hatte und dort über ein tragfähiges Beziehungsnetz verfügt. Erforderlich wäre ausserdem, dass sich die Person dank ihres Berufs beziehungsweise ihrer Qualifikationen in den dortigen Arbeitsmarkt integrieren und für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen könnte. Schliesslich würde ein Bleiberecht vom Vorhandensein einer sogenannten Gewährsperson abhängig gemacht werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Anordnung des Wegweisungsvollzugs in der Regel für alleinstehende, gesunde und junge kurdische Männer, die ursprünglich aus der KRG-Region stammen und dort nach wie vor über ein soziales Netz oder Parteibeziehungen verfügen, zumutbar ist. Für alleinstehende Frauen und für Familien mit Kindern, sowie für Kranke und Betagte ist bei der Feststellung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs grosse Zurückhaltung angebracht.

7.6 Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Dohuk, wo er sein ganzes Leben lang gelebt hat. Gemäss eigenen Angaben ging er sieben Jahre zur Schule und hat mehrere Jahre als Maler gearbeitet. Monatlich habe er damit 700 bis 1'000 US-Dollar verdient und so seinen Lebensunterhalt finanziert und manchmal auch noch seinen Vater unterstützen können.
Angesichts des jugendlichen Alters des Beschwerdeführers und seiner Berufserfahrung ist davon auszugehen, dass er sich in seiner Heimat wieder in den Arbeitsmarkt wird integrieren können. Dabei wird ihm - falls das Verhältnis zu seinem Vater tatsächlich zerrüttet sein sollte - auch sein Bekannten- und Freundeskreis behilflich sein können. Das als Maler erwirtschaftete Einkommen dürfte es ihm auch erlauben, eine eigene Wohnung zu beziehen. Die Rückkehrhilfe der Schweiz wird ihm den Wiedereinstieg in seiner Heimat ebenfalls erleichtern können. Schliesslich sind keine weiteren individuellen Wegweisungshindernisse ersichtlich, weshalb der Vollzug der Wegweisung als zumutbar zu bezeichnen ist.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 2008/5
Date : 14. März 2008
Published : 01. Januar 2008
Source : Bundesverwaltungsgericht
Status : 2008/5
Subject area : Abteilung V (Asylrecht)
Subject : Verfügung des BFM vom 23. Mai 2007 i.S. Asyl und W...


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AsylG: 3
AuG: 83
VGG: 25
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iraq • region • family • father • infrastructure • position • report • number • minority • painter • month • day • outside • preliminary acceptance • embargo • analysis • aged • living accommodation • relationship • [noenglish]
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2008/4
BVGer
E-4243/2007
EMARK
2000/18 S.170 • 2000/18 S.174 • 2006/18
BBl
2002/3818