99 II 290
39. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1973 i.S. Fischer AG gegen Strickler.
Regeste (de):
- Mietrecht.
- Die aus dem Vertrauensprinzip abgeleitete Unklarheitsregel gilt nicht, wenn beide Parteien bei der Fassung des Vertragstextes mitgewirkt haben (Erw. 4 und 5).
- Klausel, die dem Mieter das Recht einräumt, den Vertrag nach Ablauf einer fest vereinbarten Dauer zu verlängern. Anpassung des bisherigen Mietzinses an die von den Parteien nicht näher umschriebenen "veränderten Verhältnisse" (Erw. 6).
Regeste (fr):
- Contrat de bail.
- La règle relative à l'interprétation des clauses ambiguës, tirée du principe dit de la confiance, ne s'applique pas lorsque les deux parties ont participé à la rédaction du texte du contrat (consid. 4 et 5).
- Clause donnant au locataire le droit de prolonger la durée du bail après l'expiration d'un nombre d'années déterminé. Adaptation du prix de location à des "circonstances modifiées" que les parties n'ont pas précisées (consid. 6).
Regesto (it):
- Contratto di locazione.
- La regola relativa all'interpretazione delle clausole ambigue, dedotta dal principio della fiducia, non si applica quando entrambe le parti hanno cooperato alla redazione del testo del contratto (consid. 4 e 5).
- Clausola che riconosce al locatario il diritto di prolungare la durata della locazione dopo il termine convenuto. Adattamento della pigione alle "modificate circostanze" non meglio precisate (consid. 6).
Sachverhalt ab Seite 290
BGE 99 II 290 S. 290
A.- Mit Vertrag vom 21. August 1954 vermietete Gottlieb Strickler der Fischer AG 490 m2 Arbeitsraum im 1. Stock Südbau seiner Liegenschaft Austrasse 38 in Zürich zu einem jährlichen Mietzins von Fr. 17 150.-- (d.h. Fr. 35.- pro Quadratmeter). Der Vertrag war frühestens kündbar am 1. Juli 1964 auf den 1. Januar 1965. Ziffer 40 des Vertrages lautete: "Nach Ablauf dieses Vertrages, d.h. nach 10 Jahren, steht dem Mieter das Recht zu, diesen um weitere 10 Jahre zu verlängern, wobei der Mietzins den event. veränderten Verhältnissen neu angepasst wird." An die Stelle dieses Vertrages trat in der Folge der zwischen den Parteien am 30. April 1957 abgeschlossene Mietvertrag, der weitere 306 m2 Arbeitsräume im 2. Stock Nord der Liegenschaft des Klägers mitumfasste. Der Mietzins erhöhte sich beim gleichen
BGE 99 II 290 S. 291
Ansatz von Fr. 35.-/m2 um Fr. 10 710.-- auf Fr. 27 860.--. Die Kündigungsbestimmung blieb unverändert. Die der Ziffer 40 des ersten Vertrages entsprechende Bestimmung lautete als Ziffer 41 im neuen Vertrag wie folgt: "Nach Ablauf der Unkündbarkeitsfrist dieses Vertrages steht der Mieterin das Recht zu, diesen um weitere 10 Jahre zu verlängern, wobei der Mietzins den event. veränderten Verhältnissen angepasst wird." Die Fischer AG machte von diesem Recht auf Verlängerung des Mietvertrages mit Schreiben vom 15. Juni 1964 Gebrauch. Mit Brief vom 22. Juni 1964 an die Fischer AG nahm Strickler davon Kenntnis und erklärte sich unter Hinweis auf die "veränderten Verhältnisse" (Erhöhung des Passivzinssatzes um 3/4% seit 1955 und stark gestiegene Unterhaltskosten) mit der Verlängerung des Mietvertrages um weitere zehn Jahre gegen Zahlung eines Zinses von Fr. 55.- pro m2 Mietfläche ab 1. Januar 1965 einverstanden. In der Folge konnten sich die Parteien über den Mietzins nicht einigen. Die Fischer AG erklärte sich mit einer den veränderten Verhältnissen entsprechenden Anpassung des Mietzinses einverstanden, verlangte aber von Strickler die erforderlichen Unterlagen, was dieser ableh nte.
B.- Am 12. März 1965 klagte Strickler gegen die Fischer AG beim Bezirksgericht Zürich auf Zahlung von Fr. 6965.-- Mietzins für das erste Quartal 1965 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1965 sowie auf Feststellung, dass der jährliche Mietzins für die in der Liegenschaft Austrasse gemieteten Büros und Arbeitsräume usw. ab 1. Januar 1965 Fr. 55 720 oder Fr. 70.- pro m2 betrage. Am 17. Dezember 1970 hiess das Bezirksgericht die Klage teilweise gut und verpflichtete die Beklagte, ab 1. Januar 1965 einen Mietzins von Fr. 63.- je m2 zu bezahlen.
C.- Am 24. Mai 1973 erklärte das Obergericht die Berufung der Beklagten als teilweise begründet, die Anschlussberufung des Klägers als unbegründet und verpflichtete die Beklagte, ab 1. Januar 1965 einen Mietzins von Fr. 55.- je m2 zu bezahlen.
D.- Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie beantragt, es aufzuheben und festzustellen, dass dem Kläger nur ein den Verhältnissen des Hauses Austrasse 38 angemessener Mietzins (sog. Optionsmietzins) für die von der Beklagten gemieteten gewerblichen Räume für die Zeit vom
BGE 99 II 290 S. 292
1. Januar 1965 bis 31. Dezember 1974 zustehe; die Leistungsklage auf Zusprechung des neuen Mietzinses für das I. Quartal 1965 sei nur im entsprechenden Umfang gutzuheissen und die Sache zur Ergänzung der Akten und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
E.- Der Kläger beantragt die Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
4. Die Parteien streiten sich über den Sinn der Klausel in Ziff. 41 des Mietvertrages von 30. April 1957, wonach der Mietzins auf den 1. Januar 1965 "den event. veränderten Verhältnissen angepasst" werden soll, wenn die Beklagte das ihr zustehende Gestaltungsrecht, den Mietvertrag um weitere 10 Jahre zu verlängern, ausübt. Der Kläger versteht darunter eine Anpassung des Mietzinses an die Marktverhältnisse. Die Beklagte dagegen hält eine Erhöhung des vereinbarten Mietzinses von Fr. 35.-/m2 nur für zulässig, wenn sie nötig ist, um dem Kläger einen gleichbleibenden Ertrag der angelegten Mittel zu verschaffen, also nur insoweit als dieser Ertrag durch die gestiegenen Passivzinsen und Unterhaltslasten im Laufe der letzten 10 Jahre geschmälert worden ist. Nach ihrer Betrachtungsweise soll sich so der sog. Optionsmietzins ergeben. Diese Auslegung ergebe sich aus dem Vertrauensprinzip, das die Vorinstanz in Verletzung von Bundesrecht missachtet habe.
5. Das Obergericht hat festgestellt, dass der Kläger sowohl den ursprünglichen Vertrag vom 21. August 1954 wie auch den Vertrag vom 30. April 1957 verfasst hat. Die Beklagte leitet daraus mit dem Bezirksgericht ab, es müsse bei der Auslegung der streitigen Klausel die aus dem Vertrauensprinzip abgeleitete sog. Unklarheitsregel angewendet werden, nach welcher unklare Bestimmungen im Vertragstext zuungunsten der Partei auszulegen sind, die sie verfasst hat (BGE 97 II 74, BGE 92 II 348, BGE 87 II 95 mit Verweisung auf zahlreiche frühere Entscheide, BGE 87 II 242). Dazu ist in erster Linie in Übereinstimmung mit der Vorinstanz zu bemerken, dass diese Regel erst anzuwenden ist, wenn die übrigen Auslegungsmittel versagen und der bestehende Zweifel nicht anders behoben werden kann (siehe auch SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Art. 1
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 1 - 1 Le contrat est parfait lorsque les parties ont, réciproquement et d'une manière concordante, manifesté leur volonté. |
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1 | Le contrat est parfait lorsque les parties ont, réciproquement et d'une manière concordante, manifesté leur volonté. |
2 | Cette manifestation peut être expresse ou tacite. |
BGE 99 II 290 S. 293
(MERZ, Art. 2
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 2 - 1 Chacun est tenu d'exercer ses droits et d'exécuter ses obligations selon les règles de la bonne foi. |
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1 | Chacun est tenu d'exercer ses droits et d'exécuter ses obligations selon les règles de la bonne foi. |
2 | L'abus manifeste d'un droit n'est pas protégé par la loi. |
Bei dieser Sachlage bleibt mit der Vorinstanz für die Anwendung der Unklarheitsregel kein Raum.
6. Anderseits sind die Erwägungen müssig, welche die Vorinstanz beim Vergleich des Wortlautes der streitigen Klausel in den beiden Verträgen angestellt hat; ebenso die Folgerungen, die sie aus der Weglassung des Wortes "neu" im Vertrag von 1957 gezogen hat. In beiden Verträgen heisst es nicht, der Mietzins werde "neu festgesetzt", sondern "neu angepasst" (Vertrag von 1954) oder schlicht "angepasst" (Vertrag von 1957). Dass das Wort "neu" in der Klausel des Vertrags von 1957 weggelassen wurde, ist unerheblich. Wesentlich ist, dass bei Ausübung des Gestaltungsrechtes, der Option, durch die Beklagte
BGE 99 II 290 S. 294
nicht ein neuer Mietvertrag abgeschlossen, sondern der bestehende nur um weitere 10 Jahre verlängert wurde (vgl. ROQUETTE, Das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, Systematischer Kommentar, § 535 BGB N. 191). Daran ändert nichts, dass sich die Parteien hinsichtlich der Höhe des Mietzinses eine Abänderung vorbehalten haben. Zu ermitteln auf dem Weg der Auslegung ist der objektive Gehalt des von den Parteien gewählten Massstabes für deren Bemessung, d.h. was sie unter Anpassung des bisherigen Mietzinses an "event. geänderte Verhältnisse" nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verstehen konnten und mussten (BGE 96 II 141 mit den dort erwähnten frühern Entscheiden). a) Dabei führt der Standpunkt der Beklagten, es habe sich um einen "Optionsmietzins" gehandelt, nicht weiter; denn dieser Begriff ist inhaltsleer und wurde bisher weder in der Lehre oder im übrigen Schrifttum noch in der Rechtsprechung mit dem ihm von der Beklagten beigelegten Sinn verwendet. Der Ausdruck könnte nur dann als Kennwort benutzt werden, wenn die Parteien seinen Inhalt vertraglich näher umschrieben hätten. Die Behauptung der Beklagten, die Option wäre für sie wertlos gewesen, wenn der streitigen Klausel nicht der von ihr unterlegte Sinn beigemessen werde, trifft nicht zu. Zunächst lautete die Klausel nicht, wie die Beklagte ausführt, dahin, dass die Parteien sich bei Ausübung der Option über einen neuen Mietzins schlechthin zu einigen hatten, sondern, dass der bisherige Mietzins anzupassen sei. Sodann schützte das Optionsrecht die Beklagte gegen eine Kündigung des Vermieters nach Ablauf der zehnjährigen Mietdauer und gestattete ihr endlich, diesen Vertrag um weitere 10 Jahre zu einem Mietzins zu verlängern, der nach den Verhältnissen festzusetzen war, die am Ende der ersten Mietperiode herrschten, und alsdann für weitere 10 Jahre nicht erhöht werden konnte. b) Die Parteien konnten im Jahre 1954 den Mietzins frei vereinbaren, da die nach dem 31. Dezember 1946 erstellten Neubauten gemäss Art. 2 Abs. 2 des BB vom 10. Juni 1953 über die Durchführung einer beschränkten Preiskontrolle (AS 1053 S. 891) nicht mehr der Kontrolle oder Überwachung der Mietzinse unterstanden. Es steht fest, dass der Kläger den Mietzins damals nach der üblichen Bruttoverzinsung der Anlagekosten berechnet hatte und dass dieser Zins den damaligen Marktverhältnissen entsprach (vgl. das von der Vorinstanz als schlüssig erachtete
BGE 99 II 290 S. 295
Gutachten des Experten Huber vom 12. Juni 1972). Es war jedoch ungewiss, wie sich diese Verhältnisse in Zukunft entwickeln würden. Die Preise wiesen seit dem Kriegsende steigende Tendenz auf. Der Landesindex der Konsumentenpreise war von 1944-1954 um 20 Punkte (= rund 13%), der Mietindex und der Baukostenindex in der Stadt Zürich waren um 20% bzw. 22% gestiegen (nach dem statistischen Jahrbuch der Stadt Zürich 1965). Es war deshalb in den fünfziger Jahren üblich geworden, bei Dauerverträgen sog. Wertsicherungsklauseln einzubauen, um den Kaufkraftschwankungen des Frankens zu begegnen. Dabei wurde entweder eine automatische Anpassung der Geldleistungen nach einem bestimmten Wertmassstab, z.B. dem Landesindex der Konsumentenpreise, vorgesehen (sog. Gleitklauseln) oder vereinbart, dass den Parteien bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen ein Anspruch auf Änderung zustehe (sog. Änderungs- oder Erhöhungs-Klauseln). Die Änderungsklausel, welche im vorliegenden Fall vereinbart wurde, nennt als Anpassungsgrund "veränderte Verhältnisse". Die Parteien haben diesen Begriff nicht näher umschrieben. Objektiv betrachtet, hat er einen umfassenden Inhalt; denn auszugehen ist davon, dass die Klausel in einem Mietvertrag steht und sich auf die Bestimmung des Mietzinses bezieht. Dieser ist abhängig von den Marktverhältnissen, soweit nicht zwingende gesetzliche Bestimmungen (z.B. Mietpreiskontrolle) sie verfälschen, also von der allgemeinen Preis- und Lohnentwicklung, von der besondern Lage auf dem Liegenschaftsmarkt der betreffenden Gegend und namentlich von der Entwicklung der Mietzinse für Räume gleicher Art, Lage und Ausstattung. So stieg z.B. der durchschnittliche schweizerische Mietpreisindex für sämtliche Wohnungen vom September 1966 bis April 1972 um 49,4% und bis Mai 1973 sogar um 64,9% (Die Volkswirtschaft 1973 S. 357 und S. 380). Diese Entwicklung lässt sich nur durch nichtmarktkonforme Zwangsmassnahmen beeinflussen. Nach Hinfall der Kontrolle oder Überwachung der Mietzinse auf Ende 1970 begannen sich die Marktgesetze, die für Mietzinse in Altbauten (d.h. in vor dem 31. Dezember 1946 erstellten Gebäuden) zuerst ganz und nachher noch teilweise ausser Kraft gesetzt worden waren, wiederum durchzusetzen. Das wird auch von der Missbrauchsgesetzgebung anerkannt. Gemäss Art. 15 lit. a des BB über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972 (BMM) sind Mietzinse in der Regel u.a. dann nicht
BGE 99 II 290 S. 296
missbräuchlich, wenn sie sich im Rahmen der orts- und quartierüblichen Mietzinse vergleichbarer Wohnungen und Geschäftsräume unter Berücksichtigung der Lage, der Ausstattung, des Zustandes der Mietsache und der Bauperiode halten. Nach Art. 8 der VO des Bundesrates vom 10. Juli 1972 (MMV) kann bei Geschäftsräumen der Vergleich im Sinne von Art. 15 lit. a
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 2 - 1 Chacun est tenu d'exercer ses droits et d'exécuter ses obligations selon les règles de la bonne foi. |
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1 | Chacun est tenu d'exercer ses droits et d'exécuter ses obligations selon les règles de la bonne foi. |
2 | L'abus manifeste d'un droit n'est pas protégé par la loi. |
Die Vorinstanz hat diesen Grundsätzen Rechnung getragen, indem sie im wesentlichen auf das Gutachten des von ihr ernannten Experten Huber abgestellt und den marktgerechten Mietzins ab 1. Januar 1965 auf Fr. 55.- je m2 festgesetzt hat. Die Beklagte beruft sich demgegenüber vergeblich auf die Zürcher Rechtsprechung zu Art. 267a Abs. 4
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 267a - 1 Lors de la restitution, le bailleur doit vérifier l'état de la chose et aviser immédiatement le locataire des défauts dont celui-ci répond. |
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1 | Lors de la restitution, le bailleur doit vérifier l'état de la chose et aviser immédiatement le locataire des défauts dont celui-ci répond. |
2 | Si le bailleur néglige de le faire, le locataire est déchargé de toute responsabilité, à moins qu'il ne s'agisse de défauts qui ne pouvaient pas être découverts à l'aide des vérifications usuelles. |
3 | Si le bailleur découvre plus tard des défauts de ce genre, il doit les signaler immédiatement au locataire. |
BGE 99 II 290 S. 297
Gewährung von massiven Mietzinserhöhungen zurückhaltend sein. Er ist dann auch nicht - wie im vorliegenden Fall - an eine Vertragsabrede der Parteien gebunden, die durch eine Änderungsklausel eine Anpassung des Mietzinses vereinbart haben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung der Beklagten wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 24. Mai 1973 bestä tigt.