98 IV 153
29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. Juni 1972 i.S. Staatsanwaltschaft für das Oberwallis gegen Scheuber.
Regeste (de):
- Art. 11
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden.
1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. 2 Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: a des Gesetzes; b eines Vertrages; c einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder d der Schaffung einer Gefahr. 3 Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. 4 Das Gericht kann die Strafe mildern. - 1. Prüfungsbefugnis des Kassationshofes (Erw. 3).
- 2. Wann beeinträchtigt Psychopathie die geistige Gesundheit? (Erw. 3 a).
- 3. Bedeutung des Affektes (Erw. 3 b).
Regeste (fr):
- Art. 11 CP.
- 1. Pouvoir d'examen de la Cour de cassation (consid. 3).
- 2. Quand une psychopathie constitue-t-elle un trouble de la santé mentale au sens de la disposition précitée (consid. 3 a)?
- 3. Portée juridique de l'état passionnel (consid. 3 b).
Regesto (it):
- Art. 11 CP.
- 1. Potere di cognizione della Corte di cassazione (consid. 3).
- 2. Quando una psicopatia turba la sanità mentale (consid. 3 a)?
- 3. Portata giuridica dello stato passionale (consid. 3 b).
Erwägungen ab Seite 153
BGE 98 IV 153 S. 153
Aus den Erwägungen:
3. Der Staatsanwalt ficht das Urteil des Kantonsgerichts auch insoweit an, als es dem Beschwerdegegner bezüglich des Mordes eine leichte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit gemäss Art. 11
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
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1 | Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
2 | Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: |
a | des Gesetzes; |
b | eines Vertrages; |
c | einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder |
d | der Schaffung einer Gefahr. |
3 | Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. |
4 | Das Gericht kann die Strafe mildern. |
BGE 98 IV 153 S. 154
des Gutachtens des Dr. Zolliker von der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen angenommen hat. Er wendet ein, Psychopathien bestünden in abnormen Veranlagungen der Triebstruktur, des Temperamentes oder des Charakters und seien deshalb in erster Linie als charakterliche oder moralische Defekte zu behandeln. Für seinen schlechten Charakter habe der Täter einzustehen. Die meisten Schwerverbrecher seien Psychopathen, viele von ihnen aber gleichwohl voll zurechnungsfähig. Das gelte insbesondere von den willensschwachen, geltungssüchtigen und hysterischen Psychopathen. Anders verhalte es sich in der Regel mit den Pseudologen, zu denen der Beschwerdegegner offensichtlich gehöre. Indessen habe sich seine pseudologische Veranlagung beim Mord nicht ausgewirkt. Soweit der Beschwerdeführer den pseudologischen Persönlichkeitszug des Beschwerdegegners in den Vordergrund rückt und dessen Psychopathie einzig in dieser Form berücksichtigt, geht er unzulässigerweise über die auf das erwähnte Gutachten gestützte Feststellung der Vorinstanz hinweg, wonach Scheuber ein schwerer schizoid-hysterischer Psychopath ist. Dabei handelt es sich nicht um eine rechtliche Würdigung, sondern um die Feststellung eines inneren Sachverhalts, also um eine Tatfrage. Zu prüfen bleibt deshalb bloss, ob die Vorinstanz in dieser Psychopathie mit Recht eine Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit Scheubers im Sinne des Art. 11
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
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1 | Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
2 | Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: |
a | des Gesetzes; |
b | eines Vertrages; |
c | einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder |
d | der Schaffung einer Gefahr. |
3 | Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. |
4 | Das Gericht kann die Strafe mildern. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
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1 | Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
2 | Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: |
a | des Gesetzes; |
b | eines Vertrages; |
c | einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder |
d | der Schaffung einer Gefahr. |
3 | Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. |
4 | Das Gericht kann die Strafe mildern. |
BGE 98 IV 153 S. 155
deren Geistesverfassung nach Art und Grad so stark vom Durchschnitt nicht nur der Rechts-, sondern auch der Verbrechensgenossen abweicht, dass ihre Träger als nicht verantwortlich erscheinen (DUKOR, ZStR 1951, S. 428 unten und Referat S. 31/32). Nach dem Expertenbericht Dr. Zollikers durfte die Vorinstanz annehmen, dass die Persönlichkeitsveranlagung des Beschwerdegegners in so erheblichem Masse von der Norm abweicht, dass von einer Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit gesprochen werden kann. Der Gutachter hat bei Scheuber nicht bloss eine hysterische Psychopathie banalen Charakters festgestellt, sondern ihn als schweren schizoid-hysterischen Psychopathen bezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, dass der Angeklagte bei psychobiologischer Betrachtungsweise in hohem Grade in den Bereich des Abnormen fällt. Geht man von dieser Würdigung aus, die vom Kantonsgericht übernommen wurde und deshalb den Kassationshof bindet, dann kann jener hohe Grad der Abnormität als erreicht gelten, der nach Art. 11
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
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1 | Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
2 | Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: |
a | des Gesetzes; |
b | eines Vertrages; |
c | einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder |
d | der Schaffung einer Gefahr. |
3 | Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. |
4 | Das Gericht kann die Strafe mildern. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist. |
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1 | Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist. |
2 | Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen. |
3 | Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten. |
4 | Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59 |
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1 | Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59 |
a | auf Grund der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, der Tatumstände und seiner gesamten Lebensumstände ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht; oder |
b | auf Grund einer anhaltenden oder langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, mit der die Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht und die Anordnung einer Massnahme nach Artikel 59 keinen Erfolg verspricht. |
1bis | Das Gericht ordnet die lebenslängliche Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, einen Raub, eine Vergewaltigung, eine sexuelle Nötigung, eine Freiheitsberaubung oder Entführung, eine Geiselnahme, ein Verschwindenlassen, Menschenhandel, Völkermord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen (Zwölfter Titelter) begangen hat und wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:60 |
a | Der Täter hat mit dem Verbrechen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person besonders schwer beeinträchtigt oder beeinträchtigen wollen. |
b | Beim Täter besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er erneut eines dieser Verbrechen begeht. |
c | Der Täter wird als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft, weil die Behandlung langfristig keinen Erfolg verspricht.61 |
2 | Der Vollzug der Freiheitsstrafe geht der Verwahrung voraus. Die Bestimmungen über die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe (Art. 86-88) sind nicht anwendbar.62 |
3 | Ist schon während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu erwarten, dass der Täter sich in Freiheit bewährt, so verfügt das Gericht die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe frühestens auf den Zeitpunkt hin, an welchem der Täter zwei Drittel der Freiheitsstrafe oder 15 Jahre der lebenslänglichen Freiheitsstrafe verbüsst hat. Zuständig ist das Gericht, das die Verwahrung angeordnet hat. Im Übrigen ist Artikel 64a anwendbar.63 |
4 | Die Verwahrung wird in einer Massnahmevollzugseinrichtung oder in einer Strafanstalt nach Artikel 76 Absatz 2 vollzogen. Die öffentliche Sicherheit ist zu gewährleisten. Der Täter wird psychiatrisch betreut, wenn dies notwendig ist. |
BGE 98 IV 153 S. 156
beim Mord um eine Affekttat handelte. Das Kantonsgericht hat jedoch in seinem Entscheid - und einzig auf die darin enthaltenen Feststellungen kommt es an - diesen Vorbehalt nicht übernommen. Vielmehr hat die Vorinstanz auf die Zusammenfassung des Untersuchungsergebnisses abgestellt, in der Dr. Zolliker erklärte: "Dagegen halten wir dafür, dass Scheuber als ein schwerer schizoid-hysterischer Psychopath zu gelten hat, der im Sinne des Gesetzes in seiner geistigen Gesundheit beeinträchtigt ist und deshalb für ein Affektverbrechen als leicht vermindert zurechnungsfähig gelten muss." Nach dieser für den Kassationshof allein massgebenden Feststellung ist der Affekt nicht eine Voraussetzung der Beeinträchtigung Scheubers in der geistigen Gesundheit, sondern ein zusätzlicher Faktor, sodass das vorinstanzliche Urteil vor Art. 11
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
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1 | Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
2 | Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: |
a | des Gesetzes; |
b | eines Vertrages; |
c | einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder |
d | der Schaffung einer Gefahr. |
3 | Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. |
4 | Das Gericht kann die Strafe mildern. |